Protocol of the Session on September 27, 2006

(Zurufe von der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Lindner. – Jetzt spricht für die Landesregierung Herr Minister Dr. Pinkwart.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In welcher Gesamtsituation beraten wir diesen Antrag? – Im August hatten in Deutschland nach Auskunft der Bundesagentur für Arbeit 4,37 Millionen Menschen keinen Arbeitsplatz. Auch die Lage auf dem Ausbildungsmarkt ist unverändert angespannt.

In Nordrhein-Westfalen ist – das hat Kollege Laumann noch vor wenigen Wochen hier im Landtag

in aller Offenheit angesprochen – in den letzten zehn Jahren jeder vierte Lehrstellenplatz weggefallen. Das ist zu einem guten Teil eine Folge davon, dass über 76.000 nordrhein-westfälische Betriebe im gleichen Zeitraum aufgeben mussten und damit auch als Anbieter von Ausbildungsplätzen weggefallen sind – quer durch alle Branchen.

Derzeit stellt nur jeder zweite Betrieb mit Ausbildungsqualifikation überhaupt noch Lehrlinge ein. Wir müssen am 30. September dieses Jahres mit deutlich mehr unvermittelten Bewerberinnen und Bewerbern als im Vorjahr rechnen, in einer Größenordnung von ca. 10.000 jungen Leuten.

Selbstverständlich müssen die Träger der beruflichen Ausbildung in einer derartigen Situation alle Anstrengungen unternehmen, um den noch nicht vermittelten jungen Menschen eine Perspektive auf dem Ausbildungsmarkt zu bieten. Hier sind wir seitens der Landesregierung für jeden guten Vorschlag offen.

An einem möchte ich allerdings sehr gerne festhalten: Die große Mehrheit unserer Jugendlichen muss von der Wirtschaft aus eigener Kraft und aus ureigenem Interesse heraus ausgebildet werden. Damit steht und fällt unser duales System in der Berufsausbildung. Hier ist und bleibt deshalb auch in den nächsten Wochen für mich jedenfalls die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen in der Pflicht, auch diesen 10.000 jungen Menschen eine vernünftige Perspektive auf dem Ausbildungsmarkt hier in Nordrhein-Westfalen zu geben.

In der Pflicht ist aber auch die Politik. Langfristig wird es nur dann eine entspannte Situation auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt geben, wenn die Politik nachhaltig bessere Rahmenbedingungen für ein kräftiges wirtschaftliches Wachstum schafft. Der Bund steht hier ebenso in der Verantwortung wie die Länder.

Aus Berlin kommen gegenwärtig allerdings keine Impulse für mehr Wachstum und Beschäftigung. Im Gegenteil: Die erhöhte Mehrwertsteuer wird Wirtschaft und Wachstum bremsen und letztlich auch Ausbildungsplätze kosten oder zumindest neue verhindern. Wir warten weiter auf eine Unternehmenssteuerreform, die insbesondere den Mittelstand entlastet und diesen Namen auch tatsächlich verdient.

(Zuruf von Heike Gebhard [SPD])

Eine Entlastung bei den Lohnzusatzkosten ist ebenso wenig in Sicht. Eine langfristig tragfähigere Reform der Sozialsysteme rückt in immer weitere Ferne. Damit trüben sich die Chancen auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt ein.

Speziell für den Ausbildungsmarkt in NordrheinWestfalen hat Kollege Laumann bereits auf die Aktivitäten der Landesregierung hingewiesen. Wir werden nach Kräften mit treffsicheren Instrumenten gegensteuern. Vor allem für junge Leute mit Lernbehinderungen oder Jugendliche ohne ausreichende Ausbildungsfähigkeit wollen und werden wir Brücken in das Berufsleben bauen.

Mit dieser Ausrichtung wird die Landesregierung schon in diesem Herbst mit dem dritten Weg in die Berufsausbildung ein neues Konzept auf der Grundlage von anerkannten Ausbildungsbausteinen in 15 Berufen, die mit den Partnern im Ausbildungskonsens Nordrhein-Westfalen abgestimmt wurden, umsetzen.

Die Landesregierung schafft darüber hinaus Hemmnisse für die duale Ausbildung aus dem Weg, etwa durch die Flexibilisierung des Berufsschulunterrichts. Ich erwähne als Stichwort den zweiten Berufsschultag, der insbesondere in den Dienstleistungsbereichen genutzt werden kann.

Mit insgesamt 131,3 Millionen € stellt die nordrhein-westfälische Landesregierung 50 Millionen € mehr für die Ausbildung und Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit als die Vorgängerregierung im Haushaltsjahr 2004 zur Verfügung.

Die Landesregierung wird angesichts der brisanten Lage auf dem Ausbildungsmarkt weiterhin zügig und entschlossen agieren. Noch heute Nachmittag werden der Ministerpräsident, der für die Ausbildungsfragen zuständige Kollege Laumann und die Kollegin Sommer mit den Partnern des Ausbildungskonsenses weitere konkrete Schritte besprechen. Wir, meine sehr verehrten Damen und Herren, wollen alle Reserven der Wirtschaft und öffentlichen Hand für weitere Ausbildungsplätze mobilisieren.

Ich komme nun zur Ausbildungsleistung unserer Hochschulen. Sie ist auch in diesem Jahr wieder wirklich beachtlich: Von den rund 4.500 Ausbildungsstellen in den Einrichtungen des Landes wird fast jede zweite, meine sehr verehrten Damen und Herren, von unseren Universitäten und Fachhochschulen angeboten. Insgesamt stellen die Hochschulen für rund 70 Ausbildungsberufe 2.217 Ausbildungsplätze zur Verfügung. Das Spektrum ist dabei breit gefächert und umfasst kaufmännische und künstlerische ebenso wie technische und handwerkliche Berufe. Diese Ausbildungsplätze sind auch in diesem Jahr wiederum nahezu vollständig besetzt worden.

Gemessen an ihrem nichtakademischen Personal kommen die Hochschulen damit – Sie wissen, dass einmal als Ziel vorgegeben war, eine Ausbil

dungsquote von 7 % in der Wirtschaft zu erreichen – insgesamt auf eine Ausbildungsquote von 10,7 %. Das ist im Vergleich zu anderen in der Wirtschaft und bei der öffentlichen Hand beispielgebend, zumal die Hochschulen nur jeden 20. Auszubildenden für den eigenen Bedarf qualifizieren.

Der Antrag der SPD-Fraktion kommt mir insofern gerade recht. Denn er bietet mir als zuständigem Fachminister die Gelegenheit, das zu tun, was ich bereits vor einigen Wochen auch in einer öffentlichen Stellungnahme getan habe, nämlich hier im Hohen Haus allen Hochschulen unseres Landes ganz herzlich für ihre großartige Ausbildungsleistung, die sie auch in diesem Jahr erbracht haben, zu danken.

(Beifall von FDP und CDU)

Besonders hervorheben möchte ich die Spitzenreiter, die in den nächsten Jahren einen gewissen Nachahmereffekt auslösen könnten und, wie ich meine, auch sollten. Von Herrn Schultheis ist bereits die RWTH Aachen angesprochen worden. Diese kommt auf eine Ausbildungsquote von annähernd 30 %; ich erwähne noch einmal, dass wir uns in der Wirtschaft eine Zielmarke von 7 % wünschen.

(Karl Schultheis [SPD]: Bezogen auf das nichtwissenschaftliche Personal!)

Ja, bezogen auf das nichtwissenschaftliche Personal, lieber Herr Schultheis. Das kann man nicht anders werten.

(Hannelore Kraft [SPD]: Da sieht man, wie schlecht die Universitäten organisiert sind!)

Und an den Universitäten Paderborn und Dortmund kommen wir auf jeweils 10 %.

Bei den Fachhochschulen liegt die Fachhochschule Lippe und Höxter mit über 26 % an der Spitze, gefolgt von der Fachhochschule Aachen mit 23 % und der Fachhochschule Münster mit 19 %. Das ist wirklich Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung, für die das Land auch die erforderlichen Haushaltsmittel bereitstellt.

Gleichzeitig verabreden wir in den Ziel- und Leistungsvereinbarungen mit den Hochschulen den zweckentsprechenden Einsatz dieser Mittel. Dabei findet bereits heute schon das Instrument der Verbundausbildung, wie es hier vorgeschlagen worden ist, in der Praxis Anwendung. Gründer sind auch nicht davon ausgeschlossen, an solchen Verbundausbildungen teilzunehmen, müssen dazu dann allerdings, meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Lage sein.

Hier bestehen erhebliche Zweifel gerade bei der RWTH Aachen – wir haben sie darauf angesprochen –, die ansonsten mit der Verbundausbildung sehr gute Erfahrungen gewonnen hat und nicht zuletzt diese exponierte Stellung auf dem Ausbildungsmarkt durch das Instrument der Verbundausbildung erreicht hat. Hier bestehen auch Zweifel, ob das ein Instrument sein kann, welches man gezielt für Unternehmensgründer aus den Hochschulen mit dem Ziel der Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze einrichten kann.

Nichtsdestotrotz werden wir -dies haben wir schon getan, und sicherlich hat es auch die Vorgängerregierung schon getan – ein solches Instrument auch anderen Hochschulen empfehlen, zumindest um zusätzliche Ausbildungsplätze mit Betrieben und Unternehmen zu schaffen und weitere Perspektiven zu öffnen.

Mit Blick auf den Ausbildungsstart 2006 lassen Sie mich zusammenfassen und ein Wort unseres Arbeitsministers wählen: Niemand darf jetzt schon aus der Verantwortung entlassen werden. – Wir müssen in Nordrhein-Westfalen alle Potenziale für Ausbildung ausreizen

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Eben!)

und dabei auch für neue Wege offen sein. Allerdings müssen es Wege sein, meine sehr verehrten Damen und Herren, die für die jeweils Beteiligten gangbare Wege darstellen. Ich glaube, dass gerade die Hochschulen in der Entwicklung und Verfolgung von Wegen, die dann in der Praxis tatsächlich umsetzbar sind, mustergültig sind.

Ich wünschte mir sehr, wenn es durch Verbesserungen der Rahmenbedingungen für die Wirtschaft und die Hauptträger der beruflichen Ausbildung möglich wäre, diese vorzeigbare Ausbildungsleistung auch in Kooperation mit den Hochschulen weiter auszubauen und damit einen Beitrag dazu zu leisten, dass in diesem Jahr, aber auch in den nächsten Jahren, in denen wir zusätzliche Ausbildungsplätze brauchen, dieses Ziel erreicht werden kann. – Herzlichen Dank für Ihre freundliche Aufmerksamkeit.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Minister Dr. Pinkwart. – Für die SPD-Fraktion hat nun Frau Abgeordnete Gebhard das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die Regionaldirektion NRW hat noch anfangs dieses Monats bekannt

gegeben, dass sie davon ausgeht, dass am Ende dieses Jahres 10.000 Bewerber und Bewerberinnen leer ausgehen werden. Das sind 850 mehr als im Vorjahr.

Wo ist eigentlich Herr Dr. Berger? Geht sein Interesse so weit, dass er die Diskussion noch nicht einmal bis zum Ende verfolgt?

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das ist ganz of- fensichtlich!)

Das muss wohl so sein. Schade! Dann muss er nachlesen, was ich zu seinen Ausführungen sage.

Ich finde es in Anbetracht dieser Situation mehr als peinlich und unangemessen, reflexartig die Schubladen zu ziehen, wer wohl daran schuld ist, wer wann welche Gründungsinitiative gestartet hat. Ich will dazu nur zwei Sätze sagen und mich danach auf dieses Niveau nicht weiter einlassen: Sie können, glaube ich, problemlos nachlesen, wer Gründungsinitiativen hier in Nordrhein-Westfalen gestartet hat. Wer die Gründungsinitiative „Go!“ hier in Nordrhein-Westfalen hervor und ans Laufen gebracht hat, kann man auch gut nachlesen.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Ich verweise beispielsweise nur auf das Inkubatorzentrum in Gelsenkirchen in der Nähe der Fachhochschule, bei dem seit Jahren genau so gearbeitet wird.

(Christian Lindner [FDP]: Meinen Sie jetzt HDO? – Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Das hat damit nichts zu tun!)

Herr Lindner, ganz ruhig! Ich habe Sie auch ausreden lassen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Herr Lindner lenkt gerne ab!)

Herr Pinkwart hat völlig Recht: Natürlich haben wir alle die Erwartungshaltung, dass in erster Linie die Wirtschaft verantwortlich ist und Ausbildungsstellen bereitzustellen hat.