Protocol of the Session on September 27, 2006

(Vorsitz: Präsidentin Regina van Dinther)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ich glaube, Ihnen ist ein Antrag herausgerutscht, der bei klarer Betrachtung nur einen einzigen Effekt hat: Sie verlagern die Verantwortung der Landesregierung genau dorthin, wo die „Koalition der Verschlechterung“ sie haben möchte, nämlich bei den

Kommunen. Dabei machen wir nicht mit. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Danke schön, Herr Jörg. -Für die CDU spricht nun Herr Kollege Jarzombek.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Kollege Jörg, Sie haben jetzt so oft über die Koalition der Verschlechterung gesprochen,

(Beifall von Frank Sichau [SPD])

dass ich glaube, Ihnen sagen zu müssen, dass Sie noch nicht mitbekommen haben, dass es seit Mai letzten Jahres eine neue Regierung in Nordrhein-Westfalen gibt.

(Zuruf von der SPD: Das habe ich gewusst: 39 Jahre sind genug!)

Sie haben uns hier so viele Schlagworte genannt und Etiketten aufgeklebt, dass es doch ganz gut tut, wenn wir einmal über die wirkliche Situation in diesem Lande sprechen. Was haben Sie uns eigentlich für eine Situation hinterlassen? Sie haben uns 112 Milliarden € Schulden überlassen. Sie haben uns eine Haushaltsstruktur überlassen, die dazu führt, dass schon am 1. Januar jedes Jahres zwei Drittel der möglichen Ausgaben aufgrund statischer Gegebenheiten futsch sind. Sie haben uns dazu im Bereich der Kinder- und Jugendpolitik ein absolutes Desaster hinterlassen, beispielsweise bei den Betreuungsplätzen für die unter Dreijährigen – wir sind mit 2,8 % das Schlusslicht in Deutschland –, haben das gesamte Bildungsthema im Kindergartenbereich komplett unsystematisch liegen lassen. Wie sollen wir mit dieser finanziellen Situation Ihre strukturellen Defizite ausräumen?

Sie beteiligen sich an dieser Diskussion nicht, indem Sie Vorschläge machen, die uns irgendwie weiterbringen, sondern meckern ausschließlich. Ihr Meckern den ganzen Tag über besteht darin, dass Sie eine reine Preisdiskussion im Bereich der Kindergärten führen. Es geht Ihnen hier nur um billig, billig und noch einmal billig. Das Wort „Qualität“ haben Sie in all Ihren Reden heute kein einziges Mal in den Mund genommen.

Wo ist denn hier die Qualität? Gucken wir uns einmal an, was Sie, Frau Altenkamp, aus Berlin promoten:

(Britta Altenkamp [SPD]: Ich habe das nicht promotet, Herr Jarzombek!)

dass da – wie toll! – der Kindergartenbesuch im letzten Jahr beitragsfrei ist. Der Kollege Lindner hat uns schon erklärt, auf wessen Kosten das geht, nämlich beispielsweise auf Kosten des Ruhrgebiets.

Überlegen Sie doch einmal, was der beitragsfreie Kindergarten eigentlich bringt: Wir müssen noch weiter sparen, um ihn beitragsfrei zu bekommen; die Besserverdienenden, die dieses System heute mit ihrem Geld füttern, werden ihre Kinder in die privaten Einrichtungen schicken, die mehr Bildung machen; und der Kindergarten für alle, insbesondere für die Klientel mit durchschnittlichem und niedrigen Einkommen, wird qualitativ den Bodensatz darstellen. Wenn Sie gerne den sozialen Split im öffentlichen Kindergarten puschen wollen, dann können Sie das machen – aber das werden Sie nicht mit uns machen können. Wir wollen Bildung auch in den Kindergartenbereich hineinbringen. Wir wollen eine Qualitätsdiskussion statt den reinen Preiskampf, wer den allerbilligsten Kindergarten in diesem Land hat.

Der Minister hat es vorhin erwähnt – ich möchte die Zahlen gerne noch einmal in den Raum stellen –: Wir haben seit dem Jahr 1993 einen Anstieg der Gehälter bei den Arbeitern um 31 %.

(Britta Altenkamp [SPD]: Finden Sie das gut oder schlecht?)

Wir haben einen Anstieg der Gehälter bei den Angestellten um 41 %.

(Britta Altenkamp [SPD]: Skandalös!)

Wir haben seit 1993 einen Anstieg der Lebenshaltungskosten um 21 %. Aber wir haben seit 1993 keinen – exakt null! – Einnahmenanstieg bei den Kindergärten. Wie soll das überhaupt nur zu Qualitätssicherung führen, geschweige denn zu Qualitätssteigerung?

Das, was Sie bis zum letzten Jahr gemacht haben, war, dass Sie die Kommunen auf den Bauch gelegt und ihnen die Hände auf dem Rücken gefesselt haben.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Was?)

Was anderes ist nicht möglich. Sie haben die Möglichkeiten für Einnahmen komplett beschnitten, die Qualitätsansprüche sukzessive erhöht und den Kommunen keine Chance gegeben, irgendetwas an dieser Situation zu verändern.

Herr Jarzombek, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Frau Düker?

Am Ende gerne. Die Rednerin möchte sicherlich erst einmal hören, was ich hier zu sagen habe, bevor sie fragt.

(Britta Altenkamp [SPD]: Das war bis jetzt schon so toll! – Weitere Zurufe von SPD und GRÜNEN)

Das, was Sie getan haben, ist, die Kommunen an dieser Stelle zu knebeln.

Jetzt wollen wir einmal sehen, was das bedeutet. Sie haben heute gehört: Zwei Drittel der Kommunen haben noch gar keine Veränderung vorgenommen. Die Frage ist, ob das überhaupt passieren wird. Und bei dem Drittel, das etwas verändert hat, gibt es Erhöhungen von 5 bis 20 %. Das bedeutet für einen Arbeiter 2,20 € bis maximal 8,90 € im Monat zusätzlich. Für einen Angestellten bedeutet das 3,65 € bis maximal 14,62 € pro Monat. Was heißt das? Dass bei einer Steigerung von 5 € im Monat bei einem Monatseinkommen von 3.500 € Leute ihre Kinder vom Kindergarten abmelden? Diese rührselige Geschichte, die Sie hier erzählen, glauben Sie die allen Ernstes? Glauben Sie, dass jemand wegen 5 € im Monat bei 3.500 € Einkommen – das ist das Durchschnittseinkommen eines Angestellten – sein Kind vom Kindergarten abmeldet? Ich glaube das ehrlich nicht.

(Beifall von der FDP – Britta Altenkamp [SPD]: Legen Sie es nicht darauf an!)

Der Minister hat Ihnen doch erklärt, wie das aussieht: dass seit diesem Jahr erstmalig die Elternbeiträge für den Kindergarten von der Steuer abgesetzt werden können. Da haben Eltern in Berlin natürlich ein Defizit: Die haben an dieser Stelle nichts mehr abzusetzen. Wir schaffen es zumindest, hier neutral zu sein und endlich etwas für die Qualität zu tun. Das ist doch das Entscheidende.

Wir haben seit 1993, seit 13 Jahren, kein zusätzliches Geld in dieses System gebracht. Die Frage, die Sie heute gar nicht beantworten, ist folgende: Wie soll das in den nächsten zehn Jahren weitergehen? Wie stellen Sie sich die Kindergartenfinanzierung im Jahr 2015 vor? Weiter auf dem Einnahmenniveau von 1993? Und dann wollen Sie Bildung in die Kindergärten bringen? Den Widerspruch an dieser Stelle müssen Sie doch merken!

Sie stigmatisieren mit Ihrer Debatte die Qualität der Kindergärten. Sie führen eine reine Billigheimerdiskussion und wollen uns komplett die Möglichkeit nehmen, vor Ort Qualität zu verbessern.

(Lachen von der SPD)

Wir im Gegensatz dazu geben den Kommunen die Möglichkeit, erstmalig mit eigenem Handeln, mit eigenem Denken, wie sie es für richtig halten, vor Ort mehr für die Qualität in den Kindergärten zu leisten.

(Zuruf von der SPD: Deswegen demonstrie- ren die auch überall!)

Und Sie führen hier eine reine Billigheimerdiskussion! Sie werden es verantworten müssen, wenn Ihre eigenen Lokalpolitiker vor Ort Probleme haben werden, sich an dieser Stelle für mehr Qualität einzusetzen. Die werden zu uns kommen. Wir helfen ihnen dann gerne und schicken ihnen eine Kopie Ihrer Reden. – Freundliche Grüße.

(Beifall von CDU und FDP – Britta Alten- kamp [SPD]: Oh Gott! Das ist die schlimmste Horrorvorstellung, die ich meinen Leuten an- tun kann!)

Danke schön, Herr Jarzombek. – Eine weitere Wortmeldung von Frau Asch. Bitte.

Herr Minister Laschet, Frau Milz und Herr Lindner, über Realitätswahrnehmung kann man sich in der Tat streiten. Sie können nicht die Augen davor verschließen, dass es im Moment im Land eine erhebliche Unruhe bei den Eltern gibt. Ich erinnere nur an die Demonstration in Köln, die Demonstration in Düsseldorf und die Demonstration letzte Woche in Soest, bei der Sie selber anwesend waren.

(Christian Lindner [FDP]: Sie nicht!)

Ja. Sie wissen auch, warum: weil es auf dem Kölner Hauptbahnhof brannte.

Herr Lindner, diese Realität müssen Sie wahrnehmen. Wenn Sie die Augen davor verschließen, was die Eltern im Land bewegt, dann werden Ihnen Ihre Rhetorik und Ihre Sonntagsreden, dass Sie das Land zum kinderfreundlichsten Land in der Bundesrepublik machen wollen, nichts nützen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Die Eltern werden Ihnen nämlich diese Realität vor Augen führen. Daran wird Ihre Politik gemessen – und nicht daran, was für schöne Sonntagsreden Sie halten.

Der andere Punkt: Herr Minister Laschet, wir beobachten sehr gespannt, wie die neue Gestaltung des Kindergartengesetzes aussehen wird. Ich bin

froh, dass Sie immer wieder sagen, dass sich am jetzigen Haushaltsvolumen nichts ändern wird.

(Minister Armin Laschet: Doch, es ändert sich etwas!)

Die von mir vorhin in meiner Rede gestellte Frage, wie Sie die Absenkung von 8 % für die kirchlichen Träger finanzieren wollen und wie Sie es schaffen wollen, dass es nicht wieder die Eltern und die Familien sind, die diese Zeche zu bezahlen haben, haben Sie allerdings nicht beantwortet.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Frau Asch, es gibt eine Zwischenfrage von Herrn Lindner. Wollen Sie sie zulassen?