Protocol of the Session on September 14, 2006

Thema: Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen darf nicht durch das Land weiter nach unten gedrückt werden – Keine Entkoppelung der Wahlen von Rat und Bürgermeistern

Antrag der Fraktion der SPD gemäß § 90 Abs. 2 GeschO

In Verbindung damit:

Aktuelle Stunde

Thema: Kommunen in NRW brauchen Klarheit und Perspektive statt unnützes Koalitionsgezänk

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gemäß § 90 Abs. 2 GeschO

Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 11. September 2006 zu der genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt. In Verbindung damit diskutieren wir das mit Schreiben vom 11. September 2006 von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantragte Thema.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden SPDFraktion Herrn Jäger das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es bemerkenswert und halte es für eine gute Stunde der

nordrhein-westfälischen Politik, dass wir gerade in großer Einigkeit den Antrag zum Berlin/BonnGesetz verabschiedet haben. Das ist gut und wichtig und zeigt, dass Politik auch über Parteigrenzen hinweg handlungsfähig ist.

Bei der Frage, mit der sich diese Aktuelle Stunde auseinandersetzt, könnten wir fast eine ähnliche Einmütigkeit erzielen, gäbe es da rechts außen nicht diese Klientelpartei.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Bei dem Streit um die Änderung der Gemeindeordnung entpuppt sich das, was eigentlich immer schon vermutet worden ist, als Wahrheit: Eine Kuschelkoalition verliert ihre Fassade, weil der erste Streit nun öffentlich ausgetragen wird

(Zuruf von der FDP: Es gibt keinen Streit!)

und nicht mehr hinter vorgehaltener Hand. Es scheint so zu sein – wenn man der Presseberichterstattung glauben darf –, dass das viel zitierte Bild des Schwanzes, der mit dem Hund wackelt, auf diese Situation besonders zutreffen wird.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Worum geht es, meine Damen und Herren? Es geht um eine umfangreiche Änderung des Wahlgesetzes in Nordrhein-Westfalen. Es geht um einen Koalitionsvertrag zwischen FDP und CDU, der in diesem Punkt, wie ich glaube, schlecht und zulasten des Landes und seiner Bürgerinnen und Bürger ausgehandelt worden ist.

Das hat die CDU-Basis inzwischen landauf, landab erkannt. Man kann wirklich sagen: Hier ist der gesunde Menschenverstand in die CDU zurückgekehrt. Meine Damen und Herren von der CDULandtagsfraktion, nehmen Sie diesen gesunden Menschenverstand auf!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Sorgen Sie dafür, dass er am Wochenende zu Ihrem Landesparteitag getragen wird!

Wir haben dagegen eine FDP, die auf einem Koalitionsvertrag beharrt und sagt: Wir fordern hier Vertragstreue ein. Vertragstreue ist ein hohes Gut. – Ja, meine Damen und Herren von der FDP, das Gut sollten Sie wirklich hochhalten. Aber dieses Gut sollten Sie auch dann hochhalten, wenn es darum geht, verfassungswidrigen Haushalten hier nicht zuzustimmen.

(Beifall von der SPD)

Worum geht es im Einzelnen? Es geht um drei wesentliche Dinge.

(Helmut Stahl [CDU]: Absolut druckfest! – Weitere Zurufe von der CDU)

Herr Stahl, schön, dass Sie so begeistert sind! Das hat man ja nicht oft. – Meine Damen und Herren, es geht um drei geplante Änderungen an der Gemeindeordnung. Zum einen geht es um ein verändertes Wahlrecht, um Kumulieren und Panaschieren, ein Wahlsystem, das im Wesentlichen in Süddeutschland praktiziert wird. Bemerkenswerterweise kommt das Innenministerium des Landes Baden-Württemberg bei der Beurteilung und Evaluierung des Wahlverfahrens mit Kumulieren und Panaschieren zu dem Ergebnis, dass es in hohem Maße die Wahlbeteiligung drückt, intransparent ist und vom Bürger nicht angenommen wird.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Baden-Württemberg ist ein Land, Herr Lindner, in dem es eine große Anzahl von Gemeinden gibt, in denen sich die Räte – etwas plakativ formuliert – darauf konzentrieren, eine Ampel von rechts nach links zu versetzen, während wir in NordrheinWestfalen – im Übrigen gemeinsam in diesem Landtag beschlossen – 396 Großgemeinden haben, wo kommunale Selbstverwaltung wirklich ernst genommen wird und wo die Entscheidungshoheit über viele gesellschaftspolitische Handlungsfelder auf die Kommunen übertragen wurde. Hier in Nordrhein-Westfalen haben die Räte, haben die Kreistage eine hohe Entscheidungskompetenz. Das kann man nicht sozusagen als Laborbedingung nach Baden-Württemberg übertragen und sagen, dort praktizierte Wahlverfahren wären auch hier erfolgreich anwendbar. Das Gegenteil ist der Fall.

Im Übrigen darf ich daran erinnern: Niedersachsen hat am letzten Sonntag gewählt mit einem neuen Wahlverfahren Kumulieren und Panaschieren. Insbesondere was die Wahlbeteiligung angeht – nicht nur was das Ergebnis angeht –, ist das desaströs ausgegangen. Für jeden ist erkennbar:

(Beifall von der SPD)

Das ist ein Wahlverfahren, das die Leute davon abhält, am Sonntag zur Urne zu gehen.

Das Zweite ist die Abschaffung der Stichwahl. Um es sehr plakativ zu formulieren: Deutschland entsendet Soldaten der Bundeswehr in den Kongo, um eine Stichwahl zu gewährleisten und durchführen zu lassen,

(Heiterkeit von SPD und GRÜNEN)

die Sie hier in Nordrhein-Westfalen, übrigens als einziges Bundesland, abschaffen wollen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Die Abschaffung der Stichwahl zur Wahl der Oberbürgermeister, Bürgermeister und Landräte hätte Verwerfungen, wie ich finde, in einer wirklich funktionierenden kommunalen Demokratie zur Folge, die nicht zu ertragen wären. Würden Sie sich durchsetzen, wäre der letzte Hagener Oberbürgermeister mit gerade einmal 18,5 % der Menschen der Stadt Hagen in sein Amt gewählt worden.

(Beifall von Hannelore Kraft [SPD])

Meine Damen und Herren, wir haben ein etwas anderes Demokratieverständnis.

(Zurufe von der CDU)

Solche Mandatsträger, solche Repräsentanten einer Kommune müssen sich einer direkten Wahl stellen – auch dem direkten Konkurrenten. Deshalb muss die Stichwahl erhalten bleiben.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Der dritte Punkt ist die Entkopplung der Wahl von Bürgermeister, Landrat und Oberbürgermeister von den jeweiligen Kommunalwahlen. Warum wird das vorgeschlagen? Warum ist so explizit in Ihrem Koalitionsvertrag formuliert, dass das bereits im Jahr 2009 stattfinden soll?

Ich denke, es gibt zwei wesentliche Gründe dafür:

Zum einen ist beabsichtigt, die Amtszeit auf acht Jahre zu verlängern. Immer wieder ist auch von den übrigen Amtsinhabern als Argument an uns herangetragen worden, dass es, wenn man die Amtszeit nicht von fünf auf acht Jahre verlängert, Altersversorgungslücken bei denen gibt, die nicht wiedergewählt werden. Ja, das ist richtig.

Ich füge nur hinzu: Der Bundespräsident ist auf fünf Jahre gewählt, der Kanzler auf vier Jahre, Unternehmensvorstände in der Regel auf gerade einmal fünf Jahre. Gut – der Papst ist auf Lebenszeit gewählt und kann in der Regel nicht zurücktreten. Aber, meine Damen und Herren, machen Sie uns doch einmal klar, warum ein Oberbürgermeister in Aachen

(Minister Oliver Wittke: Den meinen wir doch!)

unbedingt für eine Zeit von acht Jahren gewählt sein muss.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Es geht bei dieser Frage ausschließlich darum, Amtsinhabern eine bessere Altersversorgung zukommen zu lassen. Das ist der einzige Grund, warum diese Diskussion über eine Amtszeit von acht Jahren stattfindet. Da sagen wir: Ja! Wir müssen insbesondere für die, die nicht aus dem öffentlichen Dienst kommen, einen Anreiz schaffen, ein solches Mandat anzustreben. Es kann nicht sein, dass jemand, der nach fünf Jahren erfolgreicher Arbeit trotzdem nicht wiedergewählt wird, sozusagen mit einem Bruch in der Vita und in der Altersversorgung dasteht.

Aber wir sagen auch: Dann lassen Sie uns das machen, was wir als Landtagsabgeordnete in diesem Landtag beschlossen haben! Lassen Sie uns die Diäten, die Aufwandsentschädigungen der Bürgermeister, Landräte und Oberbürgermeister in diesem Land so erhöhen, dass sie selbst für ihre Altersversorgung aufkommen müssen, sie finanzieren müssen!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Im Übrigen erwarten die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land, dass Altersversorgungsansprüche transparent gemacht werden, und nicht, dass Amtszeiten verlängert werden, um den Amtsinhabern eine höhere Rente zukommen zu lassen.