Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal etwas zu der Debatte und dem Märchen von der Zeitverschiebung: Wir haben zurzeit Eckpunkte über eine Gesundheitsreform, es gibt Arbeitsentwürfe, aber noch keinen Gesetzentwurf. Wenn der Gesetzentwurf vorliegt, ist anzunehmen, werden wir uns über ein Gesetz von 500 Seiten mit wahrscheinlich 200 Seiten Paragrafen unterhalten.
Ich sage einmal ganz ruhig und sachlich, dass wir Länder – unabhängig ob A- oder B-Länder – in den letzten Tagen in Berlin sehr stark die Auffassung vertreten haben, dass wir bei dieser Gesundheitsreform ein ganz normales und kein verkürztes Beratungsverfahren haben wollen. Da ich viele Jahre dem Deutschen Bundestag angehört habe, weiß ich, dass es im Bundestag die Möglichkeit gibt, Regierungsentwürfe parallel mit Fraktionsentwürfen zu koppeln, um Verfahren zu be
schleunigen. Wir Länder wollen ein ganz normales Verfahren mit zwei Durchgängen durch den Bundesrat, damit wir das Gesetz auch handwerklich vernünftig fachlich beraten können.
Wenn wir ein bisschen von der Hartz IVGesetzgebung gelernt haben, dann das, dass wir dafür eintreten sollten, dass schwierige Gesetze handwerklich so gemacht werden, dass sie nachher auch funktionieren. Dafür brauchen der Parlamentarismus und die Administration von Regierungen in den Ländern Zeit.
Aus meiner Sicht sind die Eckpunkte nicht nur ein Ergebnis auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Sie bieten entscheidende Weichenstellungen. Zum Beispiel wird das Problem gelöst, dass wir in diesem Land Nichtversicherte haben, sodass es eine Rückkehr in die Krankenkasse gibt, in der sie vorher waren, unabhängig davon, ob GKV oder PKV. Es ist unstrittig und sicher, dass wir wesentlich mehr Wahlmöglichkeiten für Versicherte in diesem System und mehr Gestaltungsmöglichkeiten für die Kassen und andere Verbände bekommen werden, dass Kostenerstattung und Selbstbehalttarife in dieses System implantiert werden, dass Tarife mit Anbieterbindungen möglich sind, dass Möglichkeiten für Einzelverträge geschaffen werden, um den Wettbewerb im Gesundheitswesen zu verbessern. Das sind gemessen an anderen Gesundheitsreformen erhebliche Strukturveränderungen im Gesundheitswesen, auf die sich die Große Koalition verständigt hat.
Nun möchte ich drei Punkte aus Sicht des Landes ansprechen, worauf wir aus NRW-Sicht besonders achten müssen. Mir ist es als Arbeitsminister und Gesundheitsminister in Nordrhein-Westfalen nicht egal, was aus den großen Versorgerkassen AOK, Barmer und IKK, die ihre Sitze in NordrheinWestfalen haben, wird. Das sage ich ganz deutlich. Denn diese Kassen repräsentieren in erheblichem Umfang den Versicherungsstandort Nordrhein-Westfalen. Es sind große Versicherungsunternehmen. Deswegen kommt es bei der Ausgestaltung des Fonds sehr darauf an, wie sich das für solche Kassenstrukturen auswirkt. Von daher wird es auch aus meiner Sicht einen einfachen, aber transparenten Finanzausgleich geben müssen, und zwar nicht nur nach Geschlecht und Alter getrennt, sondern es wird nach meiner Auffassung auch einen einfach strukturierten Mobilitätsausgleich geben müssen.
Wir haben in Nordrhein-Westfalen 414 Krankenhäuser. Mir ist es nicht egal, was aus diesen Krankenhäusern in Nordrhein-Westfalen wird. Ich behaupte nämlich, dass Krankenhäuser neben Schulen die wichtigsten öffentlichen Einrichtungen
sind. Es ist nun einmal wahr, dass unsere Krankenhäuser im nächsten Jahr einen Kostenschub bekommen werden. Das hat mit Tarifabschlüssen und mit Mehrwertsteuererhöhungen zu tun. Vor dem Hintergrund, dass die Krankenhäuser bei einer Budgeterhöhung von 0,6 % einen Kostenschub von 6 % bekommen werden, kann es nicht richtig sein, dass wir zu einer mit einer Planierraupe durchgeführten geplanten Budgetabsenkung für alle Krankenhäuser kommen. Dafür kann ich als Gesundheitsminister in Nordrhein-Westfalen nicht meine Hand reichen, sondern wir müssen sehr wohl sehen, dass die Strukturen, die Spitzenmedizin in Nordrhein-Westfalen ermöglichen, sich entwickeln können. Hier muss man sehen, wie man die Eckpunkte der Gesundheitsreform für die Krankenhausstruktur in NordrheinWestfalen verantwortbar gestalten kann.
Zum Thema Fonds: Beim Fonds ist es ganz wichtig, dass wir die heutigen Beitragseinzugsstrukturen nutzen. Wir brauchen keinen Fonds mit einer neuen Bürokratie, sondern man kann einen Fonds auch mit den jetzigen Strukturen ausgestalten, und zwar, wenn es nach mir geht, auch in Selbstverwaltung der Krankenkassen.
Frau Steffens, ich möchte noch mit einem Märchen aufräumen, das Sie genannt haben, nämlich die Einbeziehung der PKV. Das kann man so und so sehen. Ich möchte Ihnen etwas zur Bedeutung der PKV sagen. Sie hat in Deutschland circa 8 Millionen Mitglieder. Davon sind ungefähr 5 Millionen beihilfeberechtigte Personen, das heißt Beamte oder Pensionäre. Nur 3 Millionen Menschen haben sich in diesem Land freiwillig entschieden, Mitglied einer privaten Krankenkasse zu werden, denn die Beamten haben ja bekanntlich in dieser Frage keine Wahlfreiheit. Die GKV ist ein System mit 74 Millionen Versicherten, davon sind allein 8,7 Millionen freiwillig Versicherte. Das heißt – das zum Thema Einkommensgröße –, die GKV hat mehr freiwillig Versicherte als es PKV-Versicherte insgesamt in Deutschland gibt. Selbst klein Fritzchen in der Schule weiß, dass man mit einem System von 8 Millionen Leuten, die sich von der Einkommensstruktur nicht sehr von den GKV-Versicherten unterscheiden, ein System mit 74 Millionen Versicherten nicht sanieren kann. Das ist zwar Populismus, der sich in bestimmten Kreisen gut anhört, der aber zur Lösung der Probleme in diesem Lande nicht beiträgt.
Wenn man Ihren Antrag liest, dann bekommt man den Eindruck, dass Sie das Problem haben, dass Ihre Partei und Ihre Politiker bei dieser Gesund
heitsreform nicht gefragt sind. Aber ich will Ihnen ganz offen sagen, dass ich mich jeden Morgen, wenn ich aufstehe, darüber freue, dass es in Deutschland zurzeit keinen einzigen grünen Minister gibt. – Schönen Dank.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin – Herr Minister Laumann hat es angesprochen – ebenfalls Geschädigter von Nachtsitzungen. Damals ging es aber um ein Gesetzesvorhaben, nämlich SGB II, jetzt ging es nur um Eckpunkte. Von daher sind wir bezüglich der Ausgestaltung noch dabei, das eine oder andere zu verändern.
Ich hatte gestern in meinem Wahlkreis eine Veranstaltung zu genau diesem Thema. Die Diskussionsrunde mühte sich über Gesundheitsfonds, Kassenvielfalt, Selbstverwaltung und den Anteil der Steuerfinanzierung hinweg und es wurde ohne Ende debattiert. Dann meldete sich ein Bürger, von Nationalität Holländer. Er hat kurz und knapp gesagt, er verstehe die ganze deutsche Diskussion nicht. Deutschland habe ein leistungsfähiges, für alle Menschen weitgehend erreichbares Gesundheitssystem – und trotzdem diskutierten wir, als ständen wir am Abgrund.
Damit hat er uns meines Erachtens erwischt und richtig dargestellt, wie wir Problemlagen in dieser Frage in politischen Debatten behandeln. Herr Kollege Henke hat zu Recht darauf hingewiesen. Wir stellen eben nicht an den Anfang, dass das deutsche Gesundheitswesen sich durch eine qualitativ hochwertige Versorgung auszeichnet. Und warum stellen wir das nicht obenan? Ist das unserer grenzenlosen Pessimismus-Verliebtheit geschuldet?
Wir wissen aber natürlich auch, dass das deutsche Gesundheitssystem nicht das leistet, was es leisten könnte. Das ist die Herausforderung. Von daher geht es bei den anstehenden Entscheidungen auch nicht allein um die Finanzierung, sondern insbesondere um die Qualität gesundheitlicher Leistungen für die Menschen. Die Qualität der Leistungen, die der Patient erhält, muss mehr in den Mittelpunkt – auch der öffentlichen Diskussion – als bisher rücken. Die Beschränkung der Diskussion auf die Fragen von Kosten und Finanzierung wird einem zukunftsgerechten Gesundheitswesen in diesem Land nicht gerecht.
Warum reden wir nicht auch über das Positive, das in den Eckpunkten vereinbart worden ist, also darüber, dass alle krankenversichert sind, dass keine Einschränkung des Leistungskatalogs erfolgt, dass die Zuzahlung nicht verändert wird, dass es eine Absicherung der Palliativmedizin, der Hospize und der Geriatrie gibt, dass die Zuzahlungsbefreiung für chronisch Kranke erhalten bleibt, dass das Hausarztmodell eingeführt wird usw.?
Ich kann mir allerdings auch vorstellen, dass das alles nicht ausreicht. In Bezug auf den Einriss der chinesischen Mauer zwischen dem stationären und dem ambulanten Bereich hätte ich mir von allen doch ein bisschen mehr Mut und Zutrauen gewünscht. In dieser Frage ist aber auch noch nicht aller Tage Abend. Schließlich müssen wir uns vorhalten, dass wir neben Chile das einzige Land auf der Welt sind, das sich diese strikte Trennung noch leistet.
Ich will neben der fachlichen Diskussion aber auch die politische Diskussion ansprechen. Es ist ja interessant, was sich derzeit im Land widerspiegelt. Hierzu empfehle ich Ihnen, insbesondere den Damen und Herren von der Unionsfraktion, einen Artikel in der heutigen „Süddeutschen Zeitung“. Dort ist zu lesen, dass die Bundeskanzlerin durch die Mäkelei der Unions-Ministerpräsidenten am Fondsmodell insbesondere von denen attackiert wird, die maßgeblich am jetzigen Kompromiss mitgewirkt haben. – Der Ministerpräsident dieses Landes ist damit nicht gemeint. Aber es gibt ja genügend andere.
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Dieses Spiel in der Union spielen Sie alleine. Das spielen wir nicht mit.
(Dr. Stefan Berger [CDU]: Sie haben doch bald keinen Ministerpräsidenten mehr! Da ist doch nicht mehr viel los!)
Weiter steht in diesem Artikel etwas – das sage ich insbesondere für diejenigen, die so gut dazwischenrufen können –, was zumindest eine Botschaft ist. Solche Kommentare bekommen die Sozialdemokraten jedenfalls nicht. Diese Zeilen will ich Ihnen nicht vorenthalten. Ich zitiere mit Genehmigung der Präsidentin:
„Die Union hat aber früh der Mut verlassen, an die Macht von Ärzteverbänden und Privatversicherern wagt sie sich kaum heran. Das ist ungewöhnlich, da sich CDU und CSU als Volksparteien verstehen, und Edmund Stoiber oft sagt, dass er sich für die Menschen in der Leberkäs-Etage einsetzt.
In der Gesundheitspolitik verkörpert er eher den Geist der Beletage. Die Not der Kassenpatienten, immerhin 90 Prozent der Deutschen, kümmert die Union wenig. Ihnen wollen CDU und CSU mehr und mehr aufbürden.“
„Sie sollen neben dem normalen Kassensatz höhere Extrabeiträge zahlen und möglichst eine private Versicherung abschließen, um die Unfallkosten beim Fußballspielen abzudecken. Dagegen verurteilen die Unionsoberen jeden Hauch von Veränderung bei den Privatpatienten als sozialistische Verschwörung. Mit Volkspartei hat das wenig zu tun, eher mit Klientelpolitik.“
Der Erneuerungsbedarf im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung kann nicht aus individuellen Status- oder Verbandsinteressen und/oder Egoismen abgeleitet werden. Die Selbstblockade des Gesundheitssystems kann nur überwunden werden, wenn alle ihren Beitrag dazu leisten.
Sollten alle gegenüber den vereinbarten Eckpunkten Protest anmelden, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder war das, was wir im Kern vereinbart haben, richtig, oder es war völlig falsch. – Ich neige eher zu dem Ersteren.
Es muss eine Neuausrichtung der Gesundheitspolitik geben, die sich an Solidarität, Qualität, Wettbewerb und Patientenbedürfnissen ausrichtet. Das schafft neue Chancen. Wir wirken als Sozialdemokraten daran konstruktiv mit. Der vorliegende Antrag leistet dazu wirklich keinen Beitrag, Frau Kollegin Steffens.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich finde es erstaunlich, mit welcher Arroganz diejenigen, die diese jetzt in den Eckpunkten vorliegende Reform zu vertreten haben, ans Werk gehen. Mich wundert insbesondere, Herr Laumann, dass Sie offensichtlich versuchen, Ihren Frust über den Murks, den Sie in Berlin mit zu verantworten haben, an den Grünen abzulassen,
und sich darüber echauffieren oder freuen, dass die Grünen im Moment an keiner Stelle einen Minister stellen. Sie machen es sich sehr einfach, finde ich. Solche Gelüste und Emotionen sind keine guten Ratgeber, wenn man gescheite Politik machen will.
Ich wundere mich ferner, dass Sie sich angesichts der Wahrnehmung von Umfragen, wie die Menschen in unserem Land und in der gesamten Bundesrepublik die Eckpunkte dieser Reform wahrnehmen, keine Sorgen machen.
Noch ehe der Gesetzentwurf überhaupt da ist, rufen die Ersten aus Ihren Reihen doch schon nach Generalrevision. An Ihrer Stelle als Volkspartei – diesen Anspruch erheben Sie ja – würde ich mir da schon Sorgen machen und überlegen, ob ich nicht besser von Anfang an etwas beiseite legen sollte, anstatt „Augen zu und durch“ zu sagen. Die ersten Basta-Rufe – das wird heute anders verkleidet – stehen doch schon im Raum.
Das kann doch nur enden wie es bei Hartz IV aufgrund bestimmter handwerklicher Fehler auch geendet ist. Da müssten Sie doch die Notbremse ziehen, anstatt sich hier über unseren Antrag zu echauffieren. Sie sollten die Diskussionen in der Bevölkerung ernst nehmen. Die Menschen haben alle kein Vertrauen, dass diese Gesundheitsreform erfolgreich gestaltet werden wird.
Das müssten Sie ernst nehmen, anstatt das hier einfach so durchzuziehen. Ihr Beitrag hatte das Motto „Augen zu und durch“, anstatt das ernst zu nehmen, was in der Bevölkerung los ist, und sich das grundsätzlich noch einmal anzugucken. Die ersten Basta-Rufe, wie gesagt, stehen im Raum. Ich habe nicht den Eindruck gewonnen bei denen, die hier für die Große Koalition in Berlin gesprochen haben, dass sie die in der Bevölkerung vorhandenen Ängste und die Sorgen wahrnehmen. Das war kein souveräner Umgang mit den Problemlagen, die hier zu bewältigen sind.
Danke schön, Frau Löhrmann. – Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Beratung.
für Arbeit, Gesundheit und Soziales – federführend –, den Ausschuss für Frauenpolitik sowie an den Ausschuss für Generationen, Familie und Integration zur Mitberatung. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dieser Überweisungsempfehlung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist das einstimmig so beschlossen.