Protocol of the Session on September 13, 2006

Ich möchte aber noch auf einen Punkt eingehen, weil mir der häufig vorgetragen wird, wonach das familienfeindlich sei.

(Zuruf von Manfred Kuhmichel [CDU])

Leute, die das behaupten, haben mit konkret lebenden Familien, vor allen Dingen mit Familien, wo vielleicht beide Elternteile berufstätig sind, offensichtlich noch nie gesprochen.

(Beifall von CDU und FDP – Rainer Schmelt- zer [SPD]: Wir leben sogar in solchen Fami- lien!)

Es macht keinen Sinn – ich merke ja an der Zahl und Art der Redner, die Sie für diese Debatte vorgesehen haben –

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Was heißt denn „Art“?)

dass Ihre Hauptprotagonisten sich vornehm zurückhalten, weil sie schon ein ganzes Stück hinter der Wirklichkeit herlaufen.

Meine Damen und Herren, es macht keinen Sinn, das Gesetz nur aus dem Blickwinkel einer Gruppe zu betrachten. Betroffen sind mehrere: Verbraucher, Beschäftigte, Händler. Die Einschätzung variiert.

Frau Ministerin, ich habe die Meldung für zwei Zwischenfragen, und zwar von Herrn Priggen und von Frau Beer.

Bitte schön.

Wollen wir zuerst Herrn Priggen nehmen?

Ja, bitte.

Bitte.

Frau Ministerin, meine Mutter hat früher als Krawattenverkäuferin gearbeitet. Würden Sie mir zustimmen, dass Frauen mit drei oder auch weniger Kindern sehr wohl betroffen sind, wenn die Ladenöffnungszeiten bis 22:00 Uhr und darüber hinaus gehen, wenn sie im Schichtbetrieb arbeiten müssen und dann weniger Möglichkeiten als sowieso schon haben – das gilt auch für die alten Ladenöffnungszeiten –, mit der Familie zusammen zu sein?

Sie haben eben so einfach gesagt, dass man das als Kunde unter Umständen anders einschätzt. Es ist aber ein massiver Eingriff in die Familien. Nun sind ja die Verkäuferinnen am meisten von einer solchen Regelung betroffen. Ich frage Sie, ob Sie die zu den Familien nicht hinzurechnen.

Ich zähle sie sehr wohl zur Familie. Wenn Sie aber mit denen reden und sie fragen, wann sie die Möglichkeit haben, mit der ganzen Familie einkaufen zu gehen, dann stellen die Fragen, die Sie nicht stellen!

(Beifall von der CDU)

Wir ändern doch die Wochenarbeitszeiten nicht, die tariflich vereinbart sind. Wir ändern auch die Flexibilisierungsmöglichkeiten nicht, die dafür sorgen, dass das Familienleben besser als bisher organisiert werden kann. Ich verstehe Ihre Sorge nicht.

(Zuruf von Carina Gödecke [SPD])

Eine aktuelle Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung hat ermittelt, dass 70 % die Absichten der Landesregierung, die werktäglichen Öffnungszeiten freizugeben, begrüßen.

Lassen Sie jetzt die Zwischenfrage von Frau Beer zu?

Ach, Frau Beer, ja. Bitte schön.

Frau Beer.

In der grünen Fraktion scheint es mehrere Mitglieder zu geben, die direkten Bezug durch ihre Familie zur Arbeitswelt haben, ich über meinen Mann, der im Einzelhandel tätig ist. Meine Mutter hat als Verkäuferin gearbeitet.

Diejenigen, die im Einzelhandel tätig sind – ich bin in die Diskussionen sehr engagiert involviert und erlebe es tagtäglich –, haben keine Lust, abends um 22 Uhr oder um 24 Uhr noch einkaufen zu gehen. Ist Ihnen bekannt, dass gerade die Beschäftigungsverhältnisse im Einzelhandel extrem ausgedünnt worden sind, dass nicht mehr Personal eingestellt wird, sondern dass die Frauen bei immer mehr 400 € Jobs darauf angewiesen sind, in den Randzeiten präsent zu sein?

Mir ist der Wandel sehr wohl bewusst. Nur, Frau Beer, Sie unterschlagen eines: Das ist alles unter dem geltenden Ladenschlussgesetz passiert. Guten Morgen!

(Beifall von der CDU – Zurufe von den GRÜ- NEN)

Das heißt, wir dürfen dass nicht vermischen. Es gibt schmerzhafte Entwicklungen in den Strukturen des Einzelhandels – je nach Lage –, es gibt Entwicklungen wie das Centro, wozu die SPD durch die Gegend wackelt, wenn es darum geht zu erfahren, was sie davon hält. Das haben wir doch alles unter dem geltenden Ladenschlussgesetz erlebt.

Vermischen Sie das nicht. Das, was wir jetzt sagen, sagt nicht mehr und nicht weniger, als dass wir gestatten – ich sage es zugespitzt –, dass Sie im Ruhrgebiet nicht nur noch an der Tankstelle den Tante-Emma-Laden finden, in dem Sie noch Rabatt kriegen, wenn Sie Benzin kaufen und die überteuerten Brötchen holen. Das ist die Wirklichkeit.

Wir möchten, dass auch der kleine und mittlere Unternehmer in der Nahversorgung wieder eine Chance hat. Die hat er im Moment im ganzen Ruhrgebiet gerade noch an der Trinkhalle.

(Beifall von der CDU – Carina Gödecke [SPD]: Da läuft einiges falsch!)

Es ist doch sehr interessant. Nun löse ich mich einmal von meinem Manuskript. Wenn der WDR Sendungen zum Thema Ladenöffnungszeit ausstrahlt, bei denen die Bürgerinnen und Bürger anrufen können – das wissen Sie doch auch, Frau Beer –, dann bekommen Sie ein sehr buntes Bild. Es gibt Einzelhändler in bestimmten Lagen, die sagen: Bei den Produkten, die ich anbiete, freue ich mich auf die Möglichkeit, den Laden abends zu öffnen. Bei mir ist so viel in der Straßen- und der Kneipenszene los: Da öffnen die Galerien, die Shops, in denen man Kleidung kaufen kann, weil die Familie das abends zusammen erledigen kann.

Sie möchten immer die Teile vorzeigen, von denen Sie glauben, dass sie zu unzumutbaren Mehrbelastungen führen. Wo ist das in den Ländern, die Sie sonst gerne als Beispiele nennen, denn der Fall?

(Zuruf von den GRÜNEN)

Übrigens sind wir in einer alternden Gesellschaft. Frau Beer, ich komme selber aus dem Einzelhandel. Ich habe diese Debatte in den letzten 30 Jahren verfolgt. Die Zeit ist reif. Das, was als Schutz von dem Ladenschlussgesetz erwartet wurde, hat nirgendwo gestimmt. Es ist nirgendwo passiert. Wir haben einen Strukturwandel, weil sich gerade die Kleinen nicht die optimalen Zeiten aussuchen können, mit denen sie eine größere Chance haben, ihre Kunden zu erreichen.

(Beifall von CDU und FDP)

Die Bedürfnisse der Konsumenten haben sich offensichtlich verändert. Die Konsumenten stimmen mit den Füßen ab, übrigens sonst auch mit dem Mausklick oder der Fernbedienung, einem Element, was bei Ihnen gar nicht vorkommt. Ich kann mir vorstellen, dass man sich unter Verbraucherschutzgesichtspunkten, Frau Beer – ich sage dies ganz offen –, eher einmal das Teleshopping aus der Nähe ansehen muss und nicht die Ladenöffnungszeiten.

Ich zitiere aus dem Erfahrungsbericht der Bundesregierung zu den Auswirkungen der 1996 in Kraft getretenen Änderungen: Die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher unterstützte die Empfehlungen – die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher, Frau Beer – des IFO-Instituts für eine Freigabe an Werktagen, denn

wörtliches Zitat –:

„Entscheidend ist, welche Öffnungszeiten die Verbraucher am konkreten Standort bevorzugen und die möglichst einheitliche Öffnung der Läden dort.“

Die derzeitige Debatte, welche Öffnungszeiten die besten wären, solle nicht fortgesetzt werden, da sich diese ohnehin nur durch die Praxis, das heißt den Verbraucherbedarf vor Ort, entwickeln lassen.

Stichwort Familie und Arbeitszeit, Argumente aus der Sicht des Verkaufspersonals, schlechtere Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei erweiterten Öffnungszeiten:

Ich will nicht bestreiten, dass das im Einzelfall ein Problem sein kann.

(Zuruf von Barbara Steffens [GRÜNE])

Aber es gibt auch Beispiele, wonach genau das Gegenteil erwartet wird. Längere Öffnungszeiten erhöhen den Spielraum für die Gestaltung der individuellen Arbeitszeit.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Bitte schön?

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Und das, wenn man abends als Frau nach 22 Uhr mit dem Bus durch das Land fahren darf, um seinen Wohnort und das Haus zu erreichen, falls ein Bus fährt! Da haben wir ja noch die Kürzung der Regionalmittel!)

Frau Beer, worin besteht nach Ihrer Ansicht der Unterschied zwischen Beschäftigten des Einzelhandels und anderer Wirtschaftszweige, die sich längst auf sehr variable Beschäftigungszeiten eingestellt haben?

Sind Ihnen Krankenschwestern, Bedienungen in Restaurants, Industriebeschäftigte, Kulturbetriebe …

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Daseinsfürsorge!)