„Selbstständigkeit bedeutet Konkurrenz der Schulen untereinander. Die Eltern müssen das Recht haben, zu entscheiden, in welche Schule sie ihr Kind schicken. Das gilt auch für die Grundschulen.“
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit mehr als einem halben Jahr beschäftigen wir uns intensiv gemeinsam und manchmal auch gegeneinander mit dem Schulgesetz. Die Argumente sind ausgetauscht, die Fakten geklärt.
Ich möchte aber noch einmal die Gelegenheit nutzen, einige Äußerungen der gestrigen Debatte aufzugreifen. Für Sie, so sagten Sie, Frau Löhrmann, „fängt die Sache erst an“. Das ist wohl richtig. Ein Gesetz zu machen hat seine Tücken, aber es ist sicherlich ungleich schwieriger, es dorthin zu bringen, wo es hingehört, nämlich in die Köpfe der Menschen, der Lehrerinnen und Lehrer, der Eltern, der Kinder.
Das zu erkennen, dazu brauche ich übrigens keine Experten. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen. Ich sage nicht, dass ich Expertenwissen nicht schätze. Aber setzten Sie nicht das von Ihnen bei jeder Gelegenheit beschworene Expertenwissen über das Wissen der wirklichen Experten.
Welche Achtung bringen Sie den Schulexperten, den Kinderexperten, den Lehrkräften, den Eltern entgegen, denjenigen also, die Tag für Tag mit Erziehung zu tun haben, unseren hochkarätigen Experten?
(Beifall von CDU und FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Sieben Anhörungen kont- ra zu Ihrem Gesetz! – Weitere Zurufe von SPD und GRÜNEN)
Statt auf Reisen zu gehen, Frau Löhrmann, wie Sie mir gestern rieten, habe ich mich in den Schulen des Landes umgesehen. Ich will an dieser Stelle nicht der Frage nachgehen, was Sie wohl gesagt hätten, wenn ich auf Europatournee gegangen wäre. Frau Schäfer will Herrn Recker und mich nach Finnland schicken. Auch dazu noch eine Anmerkung, gerade was Finnland angeht: Man darf nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Dies tun Sie aber, wenn Sie Familien mit Zuwanderergeschichte in Finnland und in Deutschland miteinander vergleichen. Es ist ein Problem, hier einen Vergleich anzustellen. Die Finnen zahlen ihren Lehrkräften nur einen Teil des Gehaltes, das wir ihnen zahlen. Wir schätzen unsere Lehrkräfte wert; deshalb setzen wir ein anderes Gehalt an. Im Übrigen haben die Finnen große Probleme hinsichtlich der Arbeitslosigkeit und des Nikotin- und Alkoholmissbrauch der jungen Finnen.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO – das ist wieder ein schulischer Aspekt – hat im Sommer 2004 festgestellt, dass gerade einmal 4,5 % der Schülerinnen und 4 % der Schüler in Finnland die Schule gut gefällt. Damit liegen sie auf Platz 35, also auf dem letzten Platz.
„Die individuelle Förderung verträgt sich nicht mit der Entscheidung, wer herausfliegt.“ – Das war Ihr Zitat, Frau Löhrmann.
Ich glaube, an dieser Stelle muss ich etwas Nachhilfe geben: Unser nun im Schulgesetz verankerter Wille, dass Versetzung der Regelfall ist, verhindert doch gerade eine derzeit hohe Zahl der Rauswürfe.
Apropos Nachhilfe, sehr geehrte Damen und Herren der Opposition: Sie befürchten einen Boom in der Nachhilfeindustrie.
Zum Beispiel benötigten 15 % der Neuntklässler zu Ihrer Zeit Nachhilfe in Mathematik. Haben Sie diese Zahl schon vergessen?
(Beifall von CDU und FDP – Hannelore Kraft [SPD]: Bei Ihnen fängt das doch schon in der zweiten Klasse an! – Rainer Schmeltzer [SPD]: Stimmt!)
Sie sagen, unser neues Schulgesetz sei ein riesiger Feldversuch. Das sagen Sie vor dem Hintergrund eines 39 Jahre langen Feldversuchs, der gerade völlig misslungen ist? Das sagen Sie an dieser Stelle?
Da lobe ich mir doch die sehr sympathische und sehr ehrliche Aussage Ihrer Kollegin Frau Kraft. Sie gestand gestern Fehler ein – auch in der Schulpolitik. Das ist eine Äußerung, zu der Sie, Frau Schäfer, sowohl in Ihrer 31-monatigen Amtszeit als auch im letzten Jahr kein einziges Mal fähig waren. So viel zu Schönfärberei!
Wettbewerb und Schulen, sehr geehrte Damen und Herren von der Opposition, gehören Ihrer Meinung nach nicht zusammen. Das ist falsch! Wir gehen nun auch mit ihnen in den Wettbewerb, und ich darf Ihnen versichern: Wir haben schon jetzt mehr als nur eine leere Seite in Sachen Bildung zu bieten.
Herzlichen Dank. – Ich würde Ihnen noch gerne sagen, was wir alles vorhaben. Sie wissen es alle. Lassen Sie uns gemeinsam an dem neuen Schulgesetz arbeiten. Ich habe gesagt: Es muss erst in die Köpfe der Menschen transportiert werden.
Wir wissen: Eine Investition in Wissen bringt langfristig noch die besten Zinsen; das sagte Benjamin Franklin.
Die Rendite ist die Zukunftsfähigkeit, die Zukunft unserer Kinder, die Zukunft Nordrhein-Westfalens. – Danke.
(Anhaltender Beifall von CDU und FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Wir sind hier nicht in Hollywood! Wir sind in Düsseldorf!)
Vielen Dank, Frau Ministerin. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe damit die Beratung.
Herr Kollege Dr. Orth von der FDP-Fraktion hat gemäß § 46 der Geschäftsordnung beantragt, zu der nachfolgenden Abstimmung eine Erklärung abzugeben. Hierfür gebe ich Ihnen jetzt Gelegenheit. Sie haben bis zu fünf Minuten Zeit.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich am Ende der Debatte zu Wort gemeldet, da ich Ihnen mein nachfolgendes Abstimmungsverhalten erläutern möchte.
Ich stehe voll und ganz zu den politischen Zielen dieses neuen Schulgesetzes, zur Aufhebung der Schulbezirksgrenzen, zu mehr Leistung. Zu all diesen Dingen kann ich nur sagen: Dazu stehe ich.
Ich habe mich aber als Abgeordneter meinem Gewissen zu unterwerfen und mich zu fragen: Kann ich dieses Gesetz in seiner Gänze mittragen? Ich reklamiere auch für meine Fraktion und für alle anderen, Frau Löhrmann, dass jeder hier nach seinem Gewissen abstimmt,
Andererseits ist es für mich persönlich so, dass ich dem Passus „Ehrfurcht vor Gott“ als Erziehungsziel nicht meine Zustimmung geben kann. Dieser Passus ist Teil des Gesetzes.