Zum x-ten Mal mussten Sie sich harsche und einhellige Kritik von den Experten und Expertinnen anhören, die wie wir alle Zielsetzungen wie individuelle Förderung und Chancengleichheit in der Schulpolitik ausdrücklich unterstützen wollen, die aber genauso eindeutig dazu Stellung nehmen, dass die Schulgesetznovelle in den konkreten Maßnahmen genau diesen Zielen entgegensteht.
Sie lassen jedoch die eindringlichen Voten und Expertisen aus den Anhörungen an sich abtropfen. Es scheint Ihnen egal oder nicht klar zu sein, dass Sie das richtige Ziel der individuellen Förderung in den Schulen unglaubwürdig werden lassen. Es ist Ihnen gleichgültig, welche Enttäuschungen Sie aufseiten der Schülerinnen und Eltern hervorrufen, weil sie keinen umsetzbaren Rechtsanspruch auf individuelle Förderung ha
ben, welchen Frust Sie gerade bei den Lehrkräften produzieren, die sich mit den Zielen der individuellen Förderung und Chancengleichheit identifizieren. Sie favorisieren weiterhin die Homogenisierung von Lerngruppen, Hauptsache, Sie setzen Ihren schwarz-gelben Dickkopf durch wie das trotzige Kleinkind, das mit dem Fuß auf den Boden stampft und ruft: Ich will das aber so!
Seit Regierungsantritt ziehen Sie auf Kosten der Schulen Ihre verqueren und fachlich unausgegorenen Konzepte durch. Mit dem Wegputzen des integrierten naturwissenschaftlichen Unterrichts hat es begonnen. Die Brüskierung der kommunalen Spitzenverbände – notwendige Partner in einer zukunftsgerichteten Verantwortungspartnerschaft für eine umfassende Bildung – gehört bei Ihnen inzwischen zum Alltagsgeschäft.
Es ist eine Zumutung, unmittelbar vor Beginn der Sommerferien ein Gesetz beschließen zu wollen, das in den Ferien in Kraft treten soll und seit Einbringung im März im Beratungsgalopp ohne ausreichende handwerkliche und fachliche Sorgfalt durchgepeitscht wurde.
Die Anhörungen, die seit Januar 2006 reichlich Stoff für die notwendige fachliche Debatte geliefert haben, haben Sie ohne innere Beteiligung abgesessen, und manche von Ihnen noch nicht einmal das. Ich nenne es eine Unverfrorenheit, wie Sie Eltern, Schüler, Schülerinnen, Schulleitungen und Kommunen in die Falle rechtlicher Unsicherheiten laufen lassen, wie sie es billigend in Kauf nehmen, dass mit dem neuen Schuljahr die Gerichte über die Aufnahme von Kindern an Grundschulen das letzte Wort haben werden und Schulleiterwahlen auf rechtlich ungesichertem Terrain stattfinden.
Sie haben versagt bei der Regelung der Lernmittelfreiheit für die Familien von Arbeitslosengeld-IIBeziehern.
Das Aushebeln des Elternrechts bei der Schulwahl im Übergang zur Sekundarstufe trägt jetzt den schwarz-gelben Stempel. Und Sie diskreditieren ungeniert den Begriff der Freiheit mit der zwangsweisen Auflösung der Grundschulbezirke, die Sie zu einem Hebel für die Verstärkung der sozialen Spaltung in den Städten und der Beschleunigung der sozialen Fliehkräfte in der Gesellschaft werden lassen.
Freiheit schwarz-gelb buchstabiert: Die neue Freiheit in NRW ist die Freiheit derjenigen, die sie sich leisten können.
Bildung für die, die sie sich leisten können, heißt das neue Motto. Es ist in diesem Zusammenhang ein Skandal, dass die Weiterbildung im nächsten Jahr mit weiteren 18 Millionen € zur Ader gelassen werden soll.
Sie verstärken Bildungsarmut und Bildungsbenachteiligung. Sie verabschieden sich nicht von der Vorstellung einer längst überholten Begabungstheorie und ständischen Vorstellung begabungsgerechter Bildungsgänge niederer und höherer Bildung.
Sie verharren bei einer Vorstellung von Arbeits- und Aufgabenteilung in der Gesellschaft, die so nicht mehr funktioniert. Sie basteln lieber weiter an dem Bild der Kinder, die nicht ans Gymnasium gehören und die sie deshalb vor dem Gymnasium bewahren wollen. Sie müssen nicht die Kinder ändern und wegschieben, sondern die Schul- und Förderkultur ändern
und mit der viel zu frühen Sortiererei Schluss machen, die die soziale Auslese verstärkt und Leistungspotentiale verschenkt.
Ich zitiere Klaus-Jürgen Tillmann an dieser Stelle, der auf der bundesweiten Fachtagung des VBE Tacheles geredet hat:
„Die Homogenisierung nach unten, die Zusammenfassung von lernschwachen und sozial belasteten Kindern und Jugendlichen in eigenen Lerngruppen hat massiv negative Effekte beim fachlichen wie beim sozialen Lernen.“
Sie können mir doch nicht ernsthaft weismachen, dass Sie die Ergebnisse der Pisa-Studie nicht kennen, die besagen, dass in allen Schulformen erhebliche Überschneidungen der kognitiven Leistungsfähigkeit der Schüler und Schülerinnen vorliegen, die das Sortieren von Kindern im Alter von zukünftig acht bis neun Jahren ad absurdum führen. Nein, Sie betätigen sich vielmehr ungeniert als die Platzanweiser für Teilhabe und Zukunftschancen in dieser Gesellschaft, und das ist entlarvend.
Sie begründen hier im Plenum am 5. April 2006 die Funktion der Hauptschule damit, dass die Profilierung der Hauptschule in der Integration ausländischer Schüler und Schülerinnen liege. Da gehören sie offensichtlich nach Ihrem Verständnis hin.
Schwarz-gelb sprengt die Sekundarstufe I, schottet das Gymnasium durch eine einseitige Schulzeitverkürzung ab und verabschiedet sich damit von der Durchlässigkeit in der Sekundarstufe I. Gleichzeitig wird der Druck im Gymnasium und damit das Risiko des Scheiterns für Kinder aus bildungsfernen Familien erhört.
Das erste Jahr Schwarz-Gelb ist ein Jahr der verpassten Chancen, die notwendigen Schritte weiterzugehen, um auf Anforderungen der Wissensgesellschaft im 21. Jahrhundert durch innere und äußere Schulreformen zielführend zu reagieren, damit Bildungsarmut und Benachteiligung abgebaut werden.
Liebe Kolleginnen von CDU und FDP, Sie werden auf Dauer der vordringlichen Aufgabe des chancengleichen produktiven Umgangs mit Verschiedenheit und der Notwendigkeit des längeren gemeinsamen Lernens nicht entkommen können; dies hat die SPD offensichtlich schon gelernt, falls ich die ehemalige Schulministerin gerade richtig verstanden habe.
Zum Schluss hätte ich noch einen Tipp jenseits der rückwärtsgewandten Bildungsvorstellungen, von denen gerade der Ministerpräsident offensichtlich nicht lassen kann. Da Sie Ihrer Parteivorsitzenden, Herr Dr. Rüttgers, doch so gerne in die Parade fahren und das kalkulierte Abweichlertum pflegen,
frage ich mich, wo Ihr Engagement in der Föderalismusreform zur Sicherung der Bundesmittel für schulische Bildung zum Beispiel für die Weiterentwicklung und den Ausbau des Ganztags bleibt. Einer solchen Initiative könnten wir von Herzen zustimmen, Ihrem Schulgesetz leider nicht.
Ich verweise schon mal auf unseren Entschließungsantrag, der Ihnen zeigt, wie es wirklich gehen muss.
Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion der FDP die Kollegin Pieper-von Heiden das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Bildung hat die alte Landesregierung seit Pisa 1 nicht mehr als eine Diskussion über Systeme vorzuweisen. In der Sache – nämlich in der so dringend notwendigen Verbesserung unserer Bildungsergebnisse – sind Sie dabei keinen Schritt vorangekommen. Sie haben es versäumt, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, auch nur ansatzweise in den Fokus zu nehmen, welche inhaltlichen Reformen und zusätzlichen Ressourcen den Schulen zur Verfügung stehen müssen. Sie glauben ja heute noch, ein integriertes System heile alle Unzulänglichkeiten und Probleme. Aber ein integriertes Schulsystem bringt keinerlei Vorteil in der Sache; das haben unsere Gesamtschulen gezeigt.
Die neue Landesregierung von CDU und FDP bringt nun präzise ein Jahr nach Ablösung der alten rot-grünen Landesregierung ein neues Schulgesetz auf den Weg, das sich mit Fug und Recht das modernste und innovativste Regelwerk Deutschlands nennen darf und die Weichen
braucht eine echte und klare Leistungsorientierung und individuelle Leistungs- und Begabungsförderung, um den optimalen Bildungserfolg aller Schülerinnen und Schüler zu ermöglichen. Erstmals ist deshalb die individuelle Förderung in Nordrhein-Westfalen in einem Schulgesetz festgeschrieben. Bisher war diese zwar nicht verboten, aber unter Rot-Grün politisch auch nicht wirklich erwünscht. Ihr Zauberwort hieß über Jahrzehnte hinweg fatalerweise Nivellierung. Ein Teil der Schülerschaft sollte Ihrer Vorstellung nach von unten bis zur Mitte vordringen, die anderen wurden von oben heruntergezogen und sozusagen auf die mittlere Leistungsebene verpflichtet. Damit war letztlich niemandem gedient. Exzellente Ergebnisse blieben aus.
FDP und CDU läuten mit dem neuen Schulgesetz nun den Paradigmenwechsel ein: Kinder mit Lernschwächen, mittleren Leistungsstärken oder besonderen Begabungen werden sich künftig gleichermaßen in unseren Schulen heimisch und
Angehende und erfahrene Lehrer werden ihre Ausbildung und Fortbildung künftig so erleben, dass sie sich für diese ebenso anspruchsvolle wie notwendige Aufgabe gut gerüstet fühlen und den Geist des Schulgesetzes zum Wohle unserer Kinder leben und umsetzen können.
Dieses neue Schulgesetz von Schwarz-Gelb steht auf stabilen Säulen: Über die individuelle Förderung hinaus, die alle besonderen Begabungen, aber auch Schwächen berücksichtigt, wollen FDP und CDU alle Kinder fit für die Schule machen und dies durch Sprachstandserhebungen zwei Jahre vor der Einschulung und – wenn nötig – durch eine sogleich einsetzende vorschulische Sprachförderung sicherstellen. Wir schaffen damit erstmals eine tatsächliche Chancengerechtigkeit am Start dieses so wichtigen Lebensabschnittes unserer Kinder.
Wir wollen die Talente unseres Landes durch die schrittweise Vorverlegung des Einschulungsalters früh entwickeln und Defizite in Lernstudios – dies ist ein besonderes Förderkonzept – rechtzeitig ausgleichen.
Wir schaffen eine stärkere Verbindlichkeit der Grundschulgutachten zum Wohle unserer Kinder. Auch in der weiterführenden Schule beobachten wir Entwicklungsschritte unserer Schülerinnen und Schüler sorgfältig und sorgen für eine bessere Durchlässigkeit im gegliederten Schulsystem.