Protocol of the Session on May 31, 2006

Meine Damen und Herren! Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle freuen uns auf die Fußballweltmeisterschaft in unserem Land und auf die vielen Gäste aus anderen Ländern, die nicht nur Deutschland, sondern gerade Nordrhein-Westfalen als Fußballland Nummer eins besuchen. Dass das Motto der Fußballweltmeisterschaft „Die Welt zu Gast bei Freunden“ richtig gewählt ist, sieht man an der Begeisterung der Menschen in unserem Land und ganz besonders in den Austragungsorten.

Leider trübt sich diese Vorfreude im Moment dadurch, dass einige rechte, politisch gefährliche Wirrköpfe versuchen, die WM für ihr Spektakel zu missbrauchen. Sie wollen ein Bild von Deutschland und Nordrhein-Westfalen zeigen, das nicht weltoffen und nicht freundlich ist.

Meine Damen und Herren, für den 10. Juni – wir haben es schon gehört – plant die NPD in Gelsenkirchen eine Demonstration. Diese Provokation dürfen wir Demokraten nicht einfach hinnehmen. Wir sollten uns mit allen zur Verfügung stehenden rechtsstaatlichen Mitteln wehren.

Das hat in beeindruckender Weise der Polizeipräsident in Gelsenkirchen, Rüdiger von Schoenfeldt, mit dem Verbot der Demonstration getan. In einer Pressemitteilung sagte von Schoenfeldt – ich zitiere –:

„Das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland wird durch den Aufmarsch der NPD in Gelsenkirchen während der WM 2006 nachhaltig geschädigt.“

Recht hat er. Leider lässt sich aber auch feststellen: Die NPD wehrt sich gegen dieses Verbot. Sie hat Widerspruch eingelegt und plant, bis vor das Bundesverfassungsgericht zu gehen. Das ist für uns Demokraten ein wichtiger Hinweis, hier heute mit unserer Haltung deutlich zu machen, wo wir stehen.

(Beifall von der SPD)

Die Haltung des Polizeipräsidenten in Gelsenkirchen verdient großes Lob. Man stelle sich vor: 13 Stunden nach dem zweiten Spiel der Fußballweltmeisterschaft und dem ersten in der Arena auf Schalke zwischen Polen und Ecuador findet der Aufmarsch einer menschenverachtenden rechtsextremistischen Partei in meiner Heimatstadt statt. Viele Gäste aus Polen, Ecuador und anderen Ländern haben die Nacht in Gelsenkir

chen verbracht und stoßen am nächsten Morgen auf dieses Bild von Neonazis in der Stadt.

Ziel der Organisatoren dieses Aufmarsches ist einzig und allein die Provokation – die Provokation unserer Gäste, die Provokation der demokratischen Kräfte, die Provokation der Polizei und die Provokation der Migrantinnen und Migranten in Gelsenkirchen, Nordrhein-Westfalen und Deutschland.

Allein in Gelsenkirchen leben Menschen aus ca. 130 verschiedenen Nationen mit unterschiedlichen Lebenshintergründen. Integration war in den vergangenen 100 Jahren in meiner Heimatstadt immer ein Thema – von den ersten Migranten aus Osteuropa bis zu den sogenannten Gastarbeitern, die nach 1945 zu uns kamen. Es war sicher nicht immer leicht und in einer industrialisierten Gesellschaft nicht ohne Probleme, Menschen aus unterschiedlichen Herkunftsländern zu integrieren. Aber es ist uns immer wieder gelungen.

Das ist sicherlich auch einer der Gründe dafür, dass es kaum Hinweise für organisierte rechte Aktivitäten in Gelsenkirchen gibt. Dies zeigt auch das Verhalten der NPD an den vergangenen beiden Samstagen in der Innenstadt Gelsenkirchens. Zu zwei genehmigten Infoständen mussten die Teilnehmer in die Stadt gekarrt werden. Alle Teilnehmer kamen von außerhalb. Sie hatten keinen Bezug zur Stadt und zur Region und zu den Menschen.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein Beispiel für das Lernen aus unserer Geschichte nennen. Nach 1945 kehrte ein damals 39-jähriger Mann namens Kurt Neuwald in seine Heimatstadt Gelsenkirchen zurück. Der Jude Kurt Neuwald hatte fast seine ganze Familie durch Naziterror verloren, ermordet in Konzentrationslagern. Er kehrte nach Gelsenkirchen zurück, obwohl er die Chance hatte, nach Israel auszuwandern. Er kehrte in seine Heimatstadt zurück, weil er den Menschen dort und in unserem Land eine Chance geben wollte. Kurt Neuwald gründete die jüdische Gemeinde neu und war einer der Gründungsväter des Zentralrats der Juden in Deutschland. Er lebte bis zu seinem Tode 2001 in Gelsenkirchen und war und ist Ehrenbürger der Stadt.

In wenigen Wochen geht ein großer Traum Kurt Neuwalds in Erfüllung. Dann wird die neue Synagoge an dem Platz eingeweiht, an dem die Nazis 1939 die alte Synagoge zerstörten. Der Neubau dieser Synagoge wird von einem breit getragenen Förderverein unterstützt. Hier sind Menschen unterschiedlicher Religion und Herkunft organisiert.

Das ist, so meine ich, Deutschland. Das ist das Bild von unserem Land, das wir alle in die Welt schicken wollen: ein Bild von Weltoffenheit und Geschichtsbewusstsein.

Meine Damen und Herren, im Moment scheint es für rechte Gruppen schick zu sein, auf das Trittbrett der Fußballweltmeisterschaft aufzuspringen, wie auch am Beispiel von Gerald Asamoah und Horst Köhler festzustellen ist, die in einer Aktion von Rechtsradikalen als „Du bist nicht Deutschland“ beleidigt werden.

Wir sind nicht bereit, das hinzunehmen. Wir zeigen als Landtag NRW den Rechten die rote Karte.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Deshalb bin ich auch froh, dass es gelungen ist, einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen zu diesem Thema zu formulieren, und dass er gleich auch – da bin ich sicher – einstimmig beschlossen wird. Ganz besonders freut es mich, dass es bei Verhandlungen bis in den heutigen Morgen gelungen ist, auch Passagen des Entschließungsantrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in den Ursprungsantrag der SPD einzuarbeiten.

Es ist aus unserer Sicht unstreitig, dass Rechtsextremismus und Rassismus nicht nur während der Zeit der Fußballweltmeisterschaft, sondern zu jeder Zeit ernst genommen werden müssen. Es ist die stetige Aufgabe von Demokraten und diesem Parlament, dieses Thema offensiv anzugehen.

Meine Damen und Herren, die Menschen in unserem Land wollen keine rechtsradikale Propaganda. Die Menschen in unserem Land wollen, dass ein Bild in die Welt vermittelt wird, das NordrheinWestfalen weltoffen, multikulturell und modern präsentiert. Sie wollen fröhliche und spannende Spiele bei ihrer Weltmeisterschaft. – Glück auf!

(Beifall von SPD, GRÜNEN und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Töns. – Als nächster Redner hat für die CDU-Fraktion der Kollege Müller das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Dr. Vesper, ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass Sie sich hier als Realo bezeichnet haben. Ausgerechnet die Fußballweltmeisterschaft ist aber natürlich der falscheste Punkt, um das hervorzuheben; denn man soll doch Optimist bleiben, Herr Dr. Vesper.

(Dr. Michael Vesper [GRÜNE]: Das bin ich ja!)

Im Leben ist doch fast alles möglich. Hätten Sie es vor drei Jahren für möglich gehalten, dass Sie heute in der Opposition sitzen? Das denke ich doch nicht.

(Heiterkeit und Beifall von CDU und FDP)

Von daher ist Optimismus immer angesagt – je nachdem, wie man es sieht.

Wie ich hier schon einmal gesagt habe, erlebe ich jetzt meine 13. Welt- und Europameisterschaft – dieses Mal Gott sei Dank auch einmal live im Stadion. Bei den anderen zwölf war es viel leichter, an Karten zu kommen; das wissen Sie. Die deutsche Mannschaft hat doch fast immer nach demselben Motto gespielt: schwach angefangen, stark nachgelassen, und dann waren wir irgendwann im Finale. Warum soll das bei der Weltmeisterschaft 2006 denn nicht auch so sein?

Ich war gestern im Stadion. Sechs Grad ist kalt. Viel wärmer darf es für die Brasilianer auch nicht werden. Das ist mir alles bekannt.

(Zuruf von Hans-Theodor Peschkes [SPD])

Ja, ich war da, Herr Kollege von der SPD. – Ich sehe das einmal optimistisch.

Und ich sage noch eines: Es gibt drei wichtige Gründe, warum Deutschland durchaus Weltmeister werden kann. Erstens: dieses miserable Wetter, das wir seit Monaten haben. Warum soll sich das nächsten Monat ändern? Zweitens sind wir noch immer Weltmeister geworden, wenn die Weltmeisterschaft in Deutschland war. Drittens – das ist der wichtigste Grund – sind wir nur dann Weltmeister geworden – da sind wir uns einig, Herr Dr. Vesper –, wenn ein Spieler vom 1. FC Köln dabei war.

(Allgemeine Heiterkeit)

Das können Sie überprüfen. Das ist so, wie es ist.

(Hans-Theodor Peschkes [SPD]: Das stimmt!)

Das stimmt. – Gehen wir den Dingen gelassen entgegen.

Ich habe das Spiel gestern gesehen. Der kritische Deutsche würde sagen: Die Japaner hatten mehr Chancen. – Der positive Deutsche würde sagen: Wir haben unsere Chancen besser genutzt. – Es kommt also immer darauf an, wie man die Dinge sieht. Man könnte auch sagen: Die Japaner waren sehr viel flinker, haben aber nichts daraus gemacht usw. usf.

Die Fußballweltmeisterschaft 2006 ist das zweitgrößte Ereignis der Welt überhaupt. Es wird in

den nächsten Wochen die Welt in ihren Bann ziehen.

Wir sind uns auch darüber im Klaren: Es wird sicherlich lange dauern, bis Deutschland noch einmal ein so großes Sportereignis austragen wird. Es bietet sich die große Chance, allen Besuchern nach dem Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“ Toleranz, Freundlichkeit, Weltoffenheit und Gastfreundschaft entgegenzubringen.

Wenn wir aber Freunde sein wollen, müssen wir auch freundlich sein. Denn wer unfreundlich ist, ist nicht nur gegen unsere Gäste unfreundlich, sondern auch gegenüber unserem eigenen Land. Nach der WM fahren unsere Gäste wieder nach Hause. Dann sind die gewonnenen Eindrücke entscheidend, am besten die geschlossenen Freundschaften, die sie mit nach Hause nehmen. Diese prägen das Deutschlandbild in ihren Heimatländern. Dafür ist die echte Freude entscheidend, die wir selbst haben und überbringen müssen.

Deshalb habe ich grundsätzlich nicht das geringste Verständnis dafür, dass politische Gruppen – hier aktuell die Rechtsextremen – die WM zur politischen Agitation missbrauchen wollen.

(Beifall von der CDU)

Die WM darf kein Forum für extreme Ideologen sein. Diese Aktionen wollen nur das demokratische und tolerante Deutschland vor aller Welt in Misskredit bringen. Diese Aktionen haben bei uns grundsätzlich nichts zu suchen, schon gar nicht während der WM. Aus diesem Grunde teile ich auch die Entscheidung des Polizeipräsidenten von Gelsenkirchen, die geplante NPD-Demonstration zu untersagen, und hoffe, dass es auch dabei bleiben wird.

(Beifall von CDU und SPD)

Ich begrüße, dass wir heute den gemeinsamen Antrag aller vier Fraktionen dieses Hauses annehmen werden. Heute Morgen erreichte uns kurzfristig ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der glücklicherweise zurückgezogen worden ist. Ich freue mich über die Einsicht, dass zu diesem Thema alle Demokraten jetzt und auch in der Zukunft geschlossen zusammenstehen müssen.

(Beifall von CDU und FDP)

Deshalb ist auch nur ein gemeinsamer Antrag geeignet, die Geschlossenheit der Demokraten zu dokumentieren.

Mein Vorredner hat von der roten Karte für die Rechtsextremen gesprochen. Wir sind der Meinung: Jede Art von Extremismus muss von uns bekämpft werden, weil sie demokratiefeindlich ist. Für jede Art von Extremismus die rote Karte! Für alle!

(Beifall von CDU und SPD)