Moment! Wir halten zwei Vorgänge für kritisch. Den einen habe ich gerade genannt. Er betrifft diesen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen. Der andere Vorgang sind mögliche Äußerungen, die Sie getan haben, Herr Minister Pinkwart. Sie werden ja gleich die Gelegenheit nutzen, um darzustellen, was gesagt worden ist. Ich habe das noch einmal in dem Grußwort nachgelesen, soweit es mir schriftlich vorliegt. Dort haben Sie gesagt – ich darf mit Genehmigung der Präsidentin zitieren –:
„Dabei reicht die Forschung an Stammzellen auch in Bereiche, die ethisch umstritten sind. Da ist auf der einen Seite die verständliche Angst vor dem Eingriff der modernen Technik in das Wesen des Menschen. Dem steht auf der anderen Seite die Heilung schlimmer Krankheiten durch eben diese Technik als Chance gegenüber. Beides müssen wir klarsichtig und nüchtern ausloten und gegeneinander abwägen. Entziehen können wir uns dieser Diskussion jedenfalls nicht.“
So weit das Zitat; der Text geht dann noch weiter. Das ist etwas, dem wir uneingeschränkt zustimmen können.
Ich sage das auch bezogen auf die Dinge, die Sie in dieser Abwägung gegenüberstellen. Ich halte nichts davon, sich selbst in dieser Frage aufzuteilen und andere bewerten zu wollen.
Ich will das an meiner Person deutlich machen. Ich bin Mitte der 80er-Jahre 1. Vorsitzender der damals neuen Kommission „Mensch und Technik“ dieses Hohen Hauses gewesen. Solche Abstimmungen und Diskussionen, wie Sie sie jetzt dargestellt haben, Dr. Brinkmeier, haben wir damals auch erlebt: fraktionsübergreifend in großer Sachlichkeit – auch bei dem Versuch, etwas aus den üblichen Ritualen auszubrechen, die mit Abläufen dieses Parlamentes verbunden sind.
Ich sage auf der anderen Seite: Ich bin seit einigen Jahren stellvertretender Landesvorsitzender der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft und weiß aus Betroffenheit, was unheilbare Krankheiten sind und wie groß der Wunsch der Betroffenen und all derjenigen, die dazugehören – die Angehörigen, das medizinische oder wissenschaftliche Personal –, ist, nach Lösungen zu suchen und das in ein Verhältnis zu bringen, was das Ganze tragfähig macht. Das führt für uns, die wir – ob hier, im Bundestag oder auf europäischer Ebene – Entscheidungen zu treffen haben, zu der Frage, ob man das vor sich selbst rechtfertigen kann, und das vor dem Hintergrund, dass man als Abgeordneter auch aufgrund einer Programmatik gewählt worden ist.
Sie haben sich dann – ich bitte Sie dringend darum, das gleich aufzuklären, weil das etwas irritierend war – in einer Presseerklärung etwas anders geäußert. Ich darf aus der Pressemitteilung zitieren, die Sie gemeinsam mit dem Kompetenznetzwerk Stammzellforschung NRW herausgegeben haben. Dort heißt es:
„Innovationsminister Pinkwart sagte dazu: ‚Ich nehme die kritischen Hinweise aus der Wissenschaft ernst’“.
Sie beziehen sich in der Pressemitteilung auf etwas, was der Direktor des Max-Planck-Instituts ausführt:
„Um diese positive Entwicklung fortzuführen und weiterhin international konkurrenzfähig zu bleiben, muss in Deutschland jedoch ein forschungsfreundliches Umfeld und eine größere Flexibilität auf regulatorischer Ebene geschaffen werden.
„Danach bietet das in Deutschland geltende Stammzellgesetz keine hinreichende Rechtssicherheit für Forscherinnen und Forscher, die sich an europäischen und internationalen Kooperationen beteiligen wollen. Das gilt insbesondere auch für Forschungsvorhaben, die von der Europäischen Union mit erheblichen Ressourcen gefördert werden.“
Die österreichische Ratspräsidentschaft unternimmt seit einigen Monaten den engagierten Versuch, dort zu einer Verständigung zu kommen. Ich will jetzt nicht ins Detail gehen. Aber sie hat bei ihren letzten Bemühungen noch einmal festgestellt, dass es sich im Wesentlichen um drei Gruppen handelt: Die erste Gruppe liegt sehr nahe beim Vorschlag der Kommission, nämlich bestimmte Bereiche ziemlich rigide aus der Forschungsförderung auszuschließen. Die zweite Gruppe, zu der beispielsweise auch Deutschland, Italien und Polen gehören, sagt: Auf der Basis des geltenden Beschlusses – den Sie, Herr Kollege Brinkmeier, vorhin ausgeführt haben – wollen wir bei den Projekten, die gefördert werden, sehr rigide sein. – Die dritte Gruppe, für die stellvertretend Großbritannien, Schweden und Belgien stehen, will sich sehr stark lösen und sagt: Das therapeu
tische und reproduktive Klonen, Eingriffe in die menschliche Keimbahn und die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken sollen durch die EU finanziell gefördert werden können.
Wir wissen nicht, wie diese europäische Debatte ausgeht. Aber sie findet statt. Und wenn Sie das gemeint haben, sozusagen als Packende, dann ist das okay. Wir halten es aber für missverständlich, weil nämlich der Eindruck erweckt worden ist, Sie wollten im Grunde genommen mehr, und zwar eine Diskussion darüber beginnen – Sie haben den Kongress als Ausgangspunkt dafür genommen, das zu tun –, vom Grundsatz her an die Thematik heranzugehen. Wir haben uns gefragt: Ist das der richtige Zeitpunkt und ist es die richtige Vorgehensweise, so etwas ausgerechnet bei der Tagung des Kompetenznetzwerkes zu tun, desselben Kompetenznetzwerkes, das bekanntermaßen im Juli einen Bericht vorlegen wird, aus dem sich bisherige Ergebnisse und Erfahrungen ergeben, in dem möglicherweise Vorschläge zum weiteren Vorgehen gemacht werden und von dem wir glauben, dass er unter anderem eine wichtige Grundlage auch dafür ist – wenn man es denn will –, landespolitisch zu diskutieren, wie man sich in dieser Frage orientieren will?
Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin, das heißt: Wir sind der Auffassung, dass sowohl die Äußerungen am 15. Mai in Münster – Sie werden gleich die Gelegenheit nutzen, das darzustellen –, jedenfalls in der Wiedergabe, irreführend gewesen sind als auch, Frau Kollegin Löhrmann, der Antrag Ihrer Fraktion. Ich sage ganz deutlich: Wir haben kein Interesse daran, innerhalb von – ich überspitze es einmal – 55 Minuten über dieses Thema zu diskutieren.
Das geht nicht. Ich weiß, dass es von Ihnen nicht so gemeint ist. Ich glaube, dass wir insbesondere bei dem Vorlauf, den wir bei diesem und ähnlich gelagerten Themen gehabt haben, eine andere Kultur des Ablaufs und des Verfahrens brauchen.
Unser Vorschlag ist: Wir werden uns enthalten, wenn der Antrag aufrechterhalten bleibt. Wir fänden es besser, wenn er zurückgezogen würde. Wir würden, wenn der Bericht vorliegt und die Landesregierung das möglicherweise durch einen Bericht ihrerseits ergänzt, im Juli gerne die Gelegenheit nutzen – nach Vereinbarung eines vernünftigen Verfahrens –, hier im Hohen Hause diese Dinge zu diskutieren. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen, meine Herren! Liebe Frau Dr. Seidl, in Ihrem Antrag beziehen Sie sich auf eine Rede, die Minister Andreas Pinkwart auf dem Jahreskongress des Netzwerks Stammzellforschung im Mai dieses Jahres gehalten hat.
Der Minister hat bei diesem Anlass angeregt, die bestehende Stichtagsregelung noch einmal zu diskutieren. Er hat damit zu einer intensiv geführten und im Übrigen noch nicht abgeschlossenen öffentlichen Debatte – der Kollege Kuschke hat darauf hingewiesen – über die rechtlichen Grundlagen der Stammzellforschung einen Beitrag geleistet.
Diese Debatte ist im Übrigen doch genau das, was sich die Grünen von der Gründung des Netzwerks versprochen hatten, zumindest wenn ich Ihren Worten, die Sie im Rahmen einer Plenardebatte im Februar 2002 geäußert haben, glauben darf. Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin:
„Wir Grüne erwarten von diesem Netzwerk eine offene Debatte mit gesellschaftspolitischer Ausstrahlung. Verschiedene Ansätze der Forschung sowohl an adulten als auch an embryonalen Stammzellen sollen weiterentwickelt und überprüft werden.“
Wollen Sie heute, vier Jahre später, ein Ende der Debatte über dieses für die Zukunft unseres Landes wichtige und im Interesse der Menschen liegende Thema?
Die derzeitigen Regelungen bezüglich des Schutzes und im Übrigen auch des Imports embryonaler Stammzellen haben sich eben nicht in allen Bereichen bewährt, wie ich Ihrem Antrag entnehmen kann.
Am 13. September des Jahres 2004 hat der Nationale Ethikrat bekanntlich eine Stellungnahme zum Klonen zu Fortpflanzungszwecken und zum Klonen zu biomedizinischen Forschungszwecken veröffentlicht. In dieser Stellungnahme haben sich die 25 Mitglieder des Nationalen Ethikrats unter Beschränkung auf die Anwendung beim Menschen sowohl zu Fragen des Klonens als auch zur Forschung an embryonalen Stammzellen geäußert. Der Text enthält eine sorgfältige Zusammenstellung und Erörterung der verwendeten Argu
Der Ethikrat konnte sich ja nicht auf eine gemeinsame Stellungnahme verständigen. Allerdings lehnt nur ein Votum, das Votum A, jede Form des Forschungsklonens vollständig ab. Gut die Hälfte der Mitglieder des Nationalen Ethikrats spricht sich dagegen für eine reglementierte Zulassung des Forschungsklonens aus. Der damalige Bundeskanzler Schröder hatte sich diese Auffassung zu Eigen gemacht.
Das zeigt, wie notwendig eine Debatte über die Forschung an embryonalen Stammzellen ist. Jede Form von Debattierverbot schlägt Chancen aus.
Ich zitiere in diesem Zusammenhang mit Erlaubnis der Präsidentin die Stellungnahme des Nationalen Ethikrats:
„Mit dem Forschungsklonen verbindet sich die Hoffnung, in Zukunft schwere Krankheiten … und körperliche Schädigungen … heilen zu können. Verminderung oder Vermeidung von Leiden und Schmerzen stellt ein allgemein anerkanntes moralisches Gebot dar. Diesem Gebot entspricht die verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, Leben und körperliche Unversehrtheit zu schützen und folglich die Entwicklung medizinischer Heilmethoden zu ermöglichen.“
Etwas später im Text stellen die Wissenschaftler fest – ich zitiere auch das mit Erlaubnis der Präsidentin –:
„Ob sich die mit dem Forschungsklonen verknüpften Hoffnungen erfüllen werden, kann nicht vorab, sondern nur durch die Forschung selbst beantwortet werden. Diese Aussage gilt auch für andere Forschungsansätze zur Gewinnung von Stammzellen. Ungewissheit ist Ausgangspunkt der Forschung und kein Argument gegen ihre Zulassung.“
Dass es bei der Ausgangslage der Bewertung dieser Fragen unterschiedliche Positionen gibt, ist keine Nachricht wert. Das haben wir in unserem Koalitionsvertrag dokumentiert, und der Kollege Dr. Brinkmeier hat es hier noch einmal dargetan.
Ich kann für meine Fraktion und im Übrigen auch für meine Partei nur feststellen: Aus unserer Sicht ist die Stichtagsregelung in diesem Zusammenhang eine Sackgasse für den Forschungs- und Entwicklungsstandort Deutschland.
Das ist seit Jahren unsere Auffassung, und daran hat sich nichts verändert. Damit verbindet sich aber nicht, dass wir keinen Respekt vor anderen Haltungen hätten, die es in unserer Partei oder beim Koalitionspartner gibt.
Die für die deutschen Forscher einsetzbaren Stammzelllinien sind nicht dazu geeignet, auf dem international erreichten Erkenntnisstand weiterzuarbeiten. Deshalb schlagen wir eine rücklaufende Stichtagsregelung vor, die ebenfalls gewährleistet, dass Anreize zur missbräuchlichen Erzeugung von Embryonen vermieden werden.
Meine Damen und Herren, die FDP-Bundestagsfraktion plant in Kürze die Einbringung eines entsprechenden Gesetzentwurfs zur Forschung an embryonalen Stammzellen – aber nicht als Ende der Debatte, als Weisheit letzter Schluss, sondern als einen Debattenbeitrag, der vielleicht auch Positionsveränderungen bei anderen ermöglicht; denn auch das Ziel dieses Gesetzentwurfs, den ich hier avisieren kann, bleibt der Schutz des Embryos. Im Rahmen dieses Schutzes sollen nach unserer Auffassung aber zugleich die Bedingungen einer verantwortbaren Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen garantiert und Missbräuche dieser Forschung verhindert werden. Deshalb sollen die Vorschriften die Voraussetzungen regeln, unter denen solche Stammzellen gewonnen werden dürfen und welche Anforderungen an die Forschungszwecke gestellt werden.
Damit orientieren wir uns auch am zweiten Votum des Gutachtens des Nationalen Ethikrats, das sich – wie eben ausgeführt – der damalige Bundeskanzler und andere Mitglieder der rot-grünen Bundesregierung zu Eigen gemacht hatten. Wir wollen die Verwendung von sogenannten Blastozysten, also befruchteten Eizellen, die sich erst einmal geteilt haben, für die Gewinnung embryonaler Stammzellen zulassen, wenn diese für Forschungszwecke verwendet werden, die der Entwicklung oder Verbesserung möglicher Diagnose-, Präventions- oder Heilverfahren dienen.