Protocol of the Session on May 31, 2006

Die Stammzellenfrage ist ohne Zweifel eine Frage, die das Dasein des Menschen aufs Innerste betrifft. Die öffentliche Debatte läuft seit Ende der 90er-Jahre, in der Wissenschaft schon viel länger. Der nordrhein-westfälische Landtag hat vor fast genau fünf Jahren in einer der besten Debatten, die dieses Haus je erlebt hat, das Für und Wider der Stammzellenfrage abgewogen – ohne Fraktionszwang. Parallel fand im selben Jahr in dem in dieser Frage entscheidenden Gremium, dem Deutschen Bundestag, die Debatte statt. Am 30. Januar 2002 – wir haben es eben von Kollegin Seidl gehört – hat sich der Deutsche Bundestag für die Stichtagsregelung entschieden – auch ohne Fraktionszwang.

Die Landtagsfraktionen hatten diese Entscheidung seinerzeit zum Anlass genommen, ihre jeweilige Position mit Anträgen zu verdeutlichen. Dabei hatte man immer im Hinterkopf, die persönliche Meinung der einzelnen Fraktionsmitglieder nicht zu präjudizieren. Auch die CDU-Landtagsfraktion hatte damals einen Entschließungsantrag mit dem Titel: „Grundsätzliches Verbot des Imports menschlicher embryonaler Stammzellen nicht aufweichen“ eingebracht. Ich will aus diesem Antragstext einige Auszüge zitieren:

„Menschliches Leben beginnt mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle. Embryonen sind von Beginn an zukünftige Kinder zukünftiger Eltern. Der Rechtsstaat kann nicht auf den Schutz von Menschen in ihrem frühesten Entwicklungsstadium verzichten, ohne seine Grundlagen selbst infrage zu stellen.“

Ein weiteres Zitat aus diesem Antrag:

„Die Tötung von Embryonen zu Forschungs- oder zu Therapiezwecken beziehungsweise das reproduktive Klonen müssen auch zukünftig in Deutschland verboten bleiben.“

(Beifall von der CDU)

„Der Deutsche Bundestag hat sich damit“

mit der Entscheidung vom 30. Januar 2002 –

„nicht für, sondern gegen den Einstieg Deutschlands in die verbrauchende Embryonenforschung entschieden.“

Seinerzeit hatten wir als CDU-Landtagsfraktion den Landtag aufgefordert, vier Punkte zu beschließen, die ich ebenfalls zitieren will:

„1. Der Landtag stellt fest: In der Absicht, den Verbrauch weiterer Embryonen zur Gewinnung menschlicher embryonaler Stammzellen entgegenzuwirken, hat der Deutsche Bundestag am 30. Januar 2002 entschieden, den zurzeit“

das heißt zur damaligen Zeit –

„rechtlich unbeschränkt möglichen Import menschlicher embryonaler Stammzellen nach Deutschland für öffentlich wie auch für privat finanzierte Vorhaben grundsätzlich zu verbieten und nur ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen zuzulassen. Das grundsätzliche Importverbot soll gesetzlich festgeschrieben werden.

2. Der Landtag erwartet, dass der Deutsche Bundestag das Gesetz zum grundsätzlichen Verbot des Import menschlicher embryonaler Stammzellen umgehend verabschiedet, um für Forschung oder Entwicklung in Deutschland die notwendige Rechtssicherheit zu schaffen.“

Das ist seinerzeit geschehen.

„3. Der Landtag geht davon aus, dass der eindeutige Sinn … des Bundestagsbeschlusses vom 30. Januar 2002 im bevorstehenden Gesetzgebungsverfahren in keiner Hinsicht aufgeweicht und durch keine Bestimmung konterkariert wird.“

Da hatte man hier und da seine schlechten Erfahrungen mit Bundeskanzler Schröder gemacht.

„4. Der Landtag sieht öffentliche und private Forschungseinrichtungen in der Pflicht, dass sie sich streng“

ich wiederhole: streng –

„an die neue gesetzliche Regelung halten, in ihren Planungen keine zukünftige Aufweichung des Embryonenschutzes in Deutschland unterstellen und sich auf die Forschung an anderen als menschlichen embryonalen Stammzellen konzentrieren.“

Zu dieser Position steht die Fraktion der CDU weiterhin. Dabei gibt es zur ethischen Bewertung der Stammzellforschung bei uns wie bei Ihnen in den anderen Fraktionen unterschiedliche Auffassungen. Daher war seinerzeit die Abstimmung über das Stammzellgesetz nach einer sachgerechten und dem Thema angemessenen Debatte im Deutschen Bundestag von der Fraktionsdisziplin freigestellt.

Bei dieser schwierigen Thematik sollte es, wie ich eingangs erwähnt habe, auch nicht anders sein. Ich persönlich vertrete in dieser Frage eine sehr strikte Haltung – gerade, weil ich als jemand, der seinerzeit in den Biowissenschaften gearbeitet hat, weiß, was technologisch noch alles kommen kann und wie sich verschiedene Typologien von Wissenschaftlern und auch von einzelnen Menschen als „Nutzern“ – in Anführungsstrichen – verhalten werden. Aber bei allen notwendigen Diskussionen muss es Ziel der politischen Auseinandersetzung sein, dass Moral auch weiterhin Richtschnur für wissenschaftliches Handeln bleibt und nicht zum Luxusproblem für den Nichtwissenschaftler wird.

(Beifall von Manfred Kuhmichel [CDU])

Ich möchte aber auch betonen, dass diejenigen in der Union – auch diejenigen in unserer CDULandtagsfraktion –, die eine von der Fraktionsmehrheit abweichende Haltung vertreten, dies nicht aufgrund einer hemdsärmeligen Meinung oder gar aufgrund von Lobbyinteressen tun, sondern sehr abgewogen argumentieren und es sich mit ihrer Entscheidung nie leicht gemacht haben.

Das trifft genauso für Minister Pinkwart zu. In der Sache sind wir sicherlich unterschiedlicher Meinung. Dies haben wir ja auch im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Die FDP weiß auch, dass wir in aller Öffentlichkeit sofort einen Kontrapunkt setzen würden, falls sie durch die kalte Küche die Stammzellenfrage in ihrem Sinne vorantreiben würde. Aber die FDP tut dies nicht.

Insbesondere hat Minister Pinkwart das bei seinem Auftritt auf dem Kongress des Kompetenznetzwerks Stammzellforschung NRW in Münster nicht getan. Es ist nicht richtig, was Sie in Ihrem Antrag behaupten. Einige von uns waren auf diesem Kongress. Der Minister hat dort in völliger Offenheit auf die unterschiedliche Position zwischen

CDU und FDP in dieser Thematik hingewiesen und aus seiner FDP-Sicht, mit der wir nicht in allen Punkten übereinstimmen, einen Beitrag zur Auseinandersetzung geleistet, die auf der Ebene der Wissenschaft – gerade auch im Kompetenznetzwerk Stammzellforschung – längst geschieht. Er hat sich ausgesprochen fair verhalten. Keineswegs hat er, wie Ihr Antrag implizit unterstellt, eine Initiative der Landesregierung in Aussicht gestellt, vor der wir als Landtag uns nun zu schützen hätten.

Doch jetzt zu dem Antrag, den Sie als Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aus diesem Anlass eingebracht haben: In Ihrem Antrag ist der eigentliche Zweck Ihres Vorhabens ablesbar. Er soll einen Keil in die Koalitionsfraktionen treiben, wenn Sie auf die angebliche Forderung nach Wiedereröffnung einer Debatte auf Bundesebene durch Minister Pinkwart auf dem Kongress hinweisen. Es geht Ihnen nicht um die Sache.

(Beifall von CDU und FDP)

Frau Löhrmann, ich spreche Sie einmal als Fraktionsvorsitzende an. Versetzen wir uns zurück in die Zeit von vor fünf Jahren, als wir hier im Landtag die Stammzellendebatte geführt haben. Wie gesagt: Das war eine der besten Debatten, die wir hatten. Wir können uns alle noch sehr gut erinnern, wie dann Herr Möllemann mit einem Entschließungsantrag in die Debatte kam. Darin stand seinerzeit der schlichte Satz:

„Der Landtag begrüßt und unterstützt die von Ministerpräsident Clement anlässlich seines Israel-Besuchs vertretene Haltung zum Stammzellen-Kooperationsprojekt an den Universitäten Haifa und Bonn.“

Diesen Antrag hat Herr Möllemann damals eingebracht. Daraufhin tobte die Debatte noch stärker. Dann ging es nämlich von der wirklich sehr guten argumentativen Debatte weg und wieder hin zu einer parteipolitischen Debatte. Frau Löhrmann, Sie haben damals als Fraktionsvorsitzende dazu Stellung genommen.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Ja, ich weiß!)

Ich zitiere Sie. Sie haben gesagt:

„Herr Möllemann, was Sie jetzt vorschlagen, sind taktische Spielchen. Auf solche taktischen Spielchen lassen wir uns gar nicht ein.“

Genau das ist es, was ich Ihnen jetzt sage, Frau Löhrmann. Dieses Spielchen betreiben Sie jetzt hier.

(Beifall von der CDU)

Ich bin wirklich empört darüber, was hier passiert. Ich würde mich gar nicht wundern, wenn Sie sich im Vorfeld die Hände gerieben hätten nach dem Motto: Mal gucken, wie die sich jetzt verhalten werden. – Frau Löhrmann, mit dieser Haltung beerben Sie Herrn Möllemann. Das ist an dieser Stelle absolut unredlich. Ich bin über dieses Verhalten empört.

(Beifall von der CDU)

So nah wir uns sachlich in der Stammzellenfrage vielleicht auch stehen, muss ich sagen: Mit der Art und Weise, wie Sie diesen Antrag hier einbringen, schaden Sie der Sache ungemein. Sie schaden der Sache in einem hohen Maße.

(Beifall von der CDU – Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Sie sind aber sehr in Bedrängnis!)

Dieser Antrag entspricht nicht einem wirklich aufrechten Bedürfnis nach einer Lösung in dieser Frage, sondern dient ganz allein Ihrem parteipolitischen Spiel, andere zu ärgern. Damit schaden Sie der Sache ungemein. Dieses Spiel machen wir nicht mit. Wir lehnen Ihren Antrag ab.

(Beifall von der CDU)

Danke schön, Herr Kollege Brinkmeier. – Nun hat Herr Kuschke für die SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Brinkmeier, zunächst Respekt vor Ihren Ausführungen und auch Anerkennung, auch wenn ich nicht mit jeder Äußerung übereinstimme und Ihnen vorhalten muss, dass Sie den eingeschlagenen Pfad dann doch etwas verlassen haben, was die Frage von Schuldzuweisungen anbelangt.

Unsere Fraktion kann Ihnen auch nicht bei dem Votum folgen, das Sie für Ihre Fraktion hier angekündigt haben. Unser Votum wird wie folgt lauten: Wir werden uns in dieser Frage enthalten.

(Lachen von der CDU)

Moment! Angesichts der einleitenden Bemerkungen, die Herr Kollege Dr. Brinkmeier vorgetragen hat, kann man doch nicht über Voten lachen, die hier genannt werden.

(Beifall von der SPD)

Ich will für uns auch deutlich sagen, dass es uns lieber gewesen wäre, Frau Kollegin Löhrmann, wenn dieser Antrag in dieser Form zum jetzigen Zeitpunkt nicht gestellt worden wäre.

(Zurufe von der CDU: So ist es! Richtig!)