Protocol of the Session on May 18, 2006

(Widerspruch von Barbara Steffens [GRÜ- NE])

weil wir ganz einfach hingegangen sind und dem Kind einen Namen gegeben haben.

Die bisherige Debatte hat mir eines gezeigt: In der Sache scheinen wir nicht auseinander zu liegen. Insofern kann ich den Popanz nicht verstehen, den Sie hier teilweise aufgebaut haben.

(Beifall von der FDP – Hannelore Kraft [SPD]: Sie haben die Aktuelle Stunde bean- tragt, nicht wir!)

Meine Damen und Herren, für die Koalition der Erneuerung ist das Instrument des Kombilohns sicherlich nicht die oberste Priorität, wenn es darum geht, die Rekordarbeitslosigkeit, die Sie hinterlassen haben, zu beseitigen. Denn aus unserer Sicht ist die zentrale Herausforderung, dass wir wieder eine Wachstumsdynamik in unserer Wirtschaft auslösen und damit Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem ersten Arbeitsmarkt schaffen.

(Vorsitz: Vizepräsident Edgar Moron)

Die wissenschaftlichen Prognosen gehen davon aus, dass die nordrhein-westfälische Wirtschaft in diesem Jahr um 1,5 % wachsen wird. Gegenüber der Wachstumsrate des Jahres 2005 von 0,5 % ist hier zwar ein deutlicher Aufwärtstrend erkennbar, aber um positive Effekte auf dem Arbeitsmarkt zu erzielen, sind mindestens 2 % notwen

dig. Deshalb wird die Koalition der Erneuerung weiterhin alles dafür tun, dass sich die Wachstumsbedingungen für die Wirtschaft in NordrheinWestfalen verbessern.

(Beifall von der FDP)

Wir wissen sehr wohl, dass es auch bei einer nachhaltigen Belebung der Konjunktur Menschen geben wird, für die es sehr schwer ist, eine Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu finden. Dies gilt insbesondere für Langzeitarbeitslose, die aufgrund fehlender Berufsausbildung, aufgrund ihres Alters oder aufgrund einer Behinderung faktisch keine Chancen auf eine reguläre Beschäftigung haben. Für diese Zielgruppen ist das NRW-Kombilohnmodell ein erfolgversprechender Ansatz.

Aus Sicht der FDP möchte ich unterstreichen, dass wir keinen flächendeckenden Kombilohn wollen. Das NRW-Kombilohnmodell ist deshalb auf Tätigkeitsfelder begrenzt, die auf dem regulären Arbeitsmarkt bisher nicht zu besetzen sind. Es ist auf Personengruppen begrenzt, die aktuell keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Damit wollen wir vermeiden, dass bestehende Arbeitsplätze verdrängt werden und Mitnahmeeffekte entstehen.

Aber – um auch das ganz klar zu sagen –: Überhaupt kein Verständnis haben wir dafür, dass Bundesarbeitsminister Müntefering das NRWKombilohnmodell torpediert – und das nur, weil er anscheinend selbst kein eigenes Konzept auf den Weg bringen kann, da ihm offenbar die richtigen Ansätze noch völlig fehlen. Wenn wir uns seine bisherigen Einlassungen zu Kombilohn, Minijobs, Mindestlohn, Entsendegesetz und EU-Dienstleistungsrichtlinie anschauen, erweckt das ganz klar den Eindruck, dass wir das hier in NordrheinWestfalen deutlich besser hinbekommen.

Meine Damen und Herren, Herr Müntefering sollte seine Querschüsse schleunigst einstellen. Denn zum einen bewegt sich das NRW-Modell innerhalb des bundesrechtlich vorgegebenen Rahmens des SGB II, und zum anderen wird das Modell bereits in den ersten Städten Nordrhein-Westfalens umgesetzt. In Düsseldorf zum Beispiel sind 200 Arbeitsplätze geplant, die unbesetzte Zivildienststellen im Sozialdienst und im Umweltbereich kompensieren sollen. Diejenigen, die hier eine neue Beschäftigungschance erhalten, werden für die parteipolitischen Spielchen von Herrn Müntefering kein Verständnis aufbringen. – Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Jetzt hat noch einmal Arbeitsminister Laumann das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil ich gerne auf den Beitrag des verehrten Kollegen Schartau eingehen möchte.

Ich glaube, dass die Erkenntnis jetzt, nach einer bestimmten Laufzeit der Hartz-IV-Gesetze lautet – und da teile ich Ihre Auffassung –, dass wir mit Mitteln der Arbeitsmarktpolitik das Problem der Arbeitslosigkeit nicht lösen können.

(Dr. Axel Horstmann [SPD]: Das wussten wir schon vorher!)

Wir können es allenfalls sozialpolitisch ein Stück erträglicher machen. Ich habe in den vielen Jahren, in denen ich in der Arbeitsmarktpolitik tätig bin, die Arbeitsmarktpolitik vor Hartz erlebt, die die Philosophie hatte, die Menschen zu qualifizieren, damit darüber eine Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt gelingt. Ich kann mich an Jahre erinnern, in denen die Bundesagentur für Arbeit 600.000 bis 700.000 Förderfälle in Fortbildung und Qualifizierung finanziert hat.

Die Idee von Hartz war: Das machen wir nicht. Alle Arbeitsmarktinstrumente sind auf den ersten Arbeitsmarkt ausgerichtet, insbesondere Förderung von Selbstständigkeit, hohe Lohnkostenzuschüsse. In einigen Jahren wurden dafür über 3 Milliarden ausgegeben. Wir stellen fest, dass auch alle diese Instrumente zurzeit sehr zurückgefahren, teilweise abgeschafft werden, weil die Effekte im ersten Arbeitsmarkt nicht eingetreten sind.

Deswegen glaube ich, dass eine Veränderung bei Hartz, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, sein muss, denn wir können das, was wir arbeitsmarktpolitisch machen wollen, nicht zentral über Berlin steuern.

Ganz unten angesiedelt beispielsweise haben wir ein Konstrukt, was wir Arge nennen, bei dem aber zwischen den Beteiligten, den Kommunen und Arbeitsagenturen, nicht eindeutig rechtlich geklärt ist, wer den Hut auf hat und wo die Dinge oft nicht zielstrebig zusammenlaufen.

Es gibt viele Bereiche, in denen es funktioniert; aber was nützt die Arge, wenn sie ein Integrationsprogramm für einen Menschen entwickelt, aber zum Beispiel die Kommune die Schuldnerberatung nicht zur Verfügung stellt? Diese Rei

bungsverluste haben wir. Und wichtig für die Integration ist etwa auch die Zurverfügungstellung von Kindergartenplätzen, von Kinderbetreuungsplätzen: auch dies eine Frage, bei der eine kommunale Leistung und eine Arge-Leistung zusammenkommen müssen.

Deswegen halte ich es schon für wichtig, das Konstrukt der Arge zu überdenken.

Ich meine, dass die Idee „Optionskommune“ eine richtige ist. Aber natürlich kann nicht jeder in seinem Kreis machen, was er will. Wir brauchen eine Dienst- und Fachaufsicht. Aber diese liegt natürlich dann, wenn es sich um kommunale Einheiten handelt, aufgrund unserer Verfassung eher beim Land als beim Bund. Auch das gehört zur Wahrheit. Es ist also ganz wichtig, sich das einmal genau anzuschauen.

Ich möchte gerne einen weiteren Punkt nennen. Alle Maßnahmen, die ich in den vielen Jahren in der Arbeitsmarktpolitik kennen gelernt habe, gingen immer von Folgendem aus: Wir haben einen Menschen, dem es sehr schlecht geht – Voraussetzung für eine Förderung war ja auch schon vor vielen Jahren die Langzeitarbeitslosigkeit –, dem geben wir eine Maßnahme, und nach einem halben Jahr, spätestens nach einem Jahr ist die Maßnahme zu Ende, und er geht wieder in die Arbeitslosigkeit. Wenn er dann wieder so weit abgesackt ist, dass er Probleme hat, dann geben wir ihm die nächste Maßnahme.

Da sind wir wieder bei der Debatte über Kombilöhne. Wenn wir wirklich wollen, dass diese Menschen wieder an Arbeit teilhaben, muss es für eine bestimmte Klientel von Menschen – ein Beispiel habe ich eben genannt – eine dauerhafte Förderung geben, weil Maßnahmen für die Dauer von ein bis zwei Jahren nichts nützen. Das ist übrigens auch ein Grundgedanke des von uns vorgelegten Modells.

(Beifall von den GRÜNEN)

Frau Kollegin Steffens, ich sage Ihnen ganz offen: Ich bin schon seit Anfang der 90er-Jahre ein großer Anhänger von Integrationsunternehmen, um nur ein Beispiel zu nennen.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Wir auch! Dann kommen Sie zu uns!)

Ich halte eine Menge von diesen sozialen Betrieben. Eine Behindertenwerkstatt ist auch ein sozialer Betrieb. Wir brauchen aber nicht nur die Behindertenwerkstatt, wie wir sie heute kennen. Ich denke etwa an die vielen psychisch Erkrankten und an die Lernschwachen: Diese gehören doch nicht in eine Einrichtung wie die Behindertenwerk

statt. Sie gehören in meiner Vorstellungswelt irgendwo zwischen den normalen Arbeitsmarkt und die Behindertenwerkstatt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Mit den Programmen zur Integration in den ersten Arbeitsmarkt sind wir in der Privatwirtschaft hier und da vorangekommen. Der große Durchbruch war es aber auch nicht, wenn man einmal ehrlich ist.

Ich glaube deswegen, dass man ganz pragmatisch vorgehen muss. Ich bin davon überzeugt, dass wir die Integration von Menschen in eine Gesellschaft am Ende nie ohne Teilhabe an Arbeit hinbekommen werden. Das steht immer über allem, egal, ob man sich über Behinderte oder Lernbehinderte unterhält. Es ist ganz egal, was man macht: Wenn die Integration in den Arbeitsbereich nicht gelingt, dann ist das alles nicht rund. Das große Problem bleibt.

Wenn diese Debatte heute dazu beigetragen hat, dass viele einsehen, dass man mit vielen Einzelmaßnahmen – den Jugendbereich, der dazu dient, Menschen ausbildungsfähig zu machen, nehme ich aus dieser „Maßnahmenkritik“ bewusst heraus – keine Probleme lösen kann, hat sich die Stunde auf jeden Fall gelohnt. Man kommt dann aus dem Druck heraus,

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Und aus der Schwarz-Weiß-Malerei!)

man müsse diese oder jene Maßnahme machen, weil man als Arbeitsminister sonst eine Bewertung nach dem Motto bekommt: Was macht er in der Arbeitspolitik überhaupt? – Ich halte sehr viel von längerfristigen Maßnahmen.

Wir sollten eines erkennen – das hat mir die Entwicklung mit Hartz in den letzten Jahren sehr deutlich gemacht –: Die Probleme unseres Arbeitsmarktes sind nur zu lösen, wenn unser Land es schafft, die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze wieder zu steigern.

(Beifall von CDU und GRÜNEN – Rainer Schmeltzer [SPD]: Richtig!)

Wir können die Probleme des Arbeitsmarktes nicht mit Kleinstselbstständigkeiten lösen. Das geht nur in ein paar Nischen. Eine solch arbeitsteilige Gesellschaft wie die unsrige kann das mit Mitteln der Mikroökonomie nicht mehr. Das reicht als Einkommen für die Familie nicht. Die allermeisten Menschen benötigen die Form des sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisses, brauchen Teilhabe an Arbeit, um eine Verlässlichkeit für das Leben zu haben.

Ich gehöre zu den Leuten, die nicht der Meinung sind, dass uns am Ende die Deregulierung des Arbeitsrechtes weiterhilft. Die Leute brauchen auch eine Planbarkeit des Lebens.

Wenn wir wollen, dass diese Art von Arbeit wieder zunimmt,

(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)

müssen wir es gemeinsam schaffen, diese von der Finanzierung der Sozialkosten zumindest ein gutes Stück weit abzukoppeln. Da haben wir in unseren Parteien alle genug zu tun. Die soziale Sicherung des Landes wird zurzeit ausschließlich über diese Form der Arbeit finanziert.

(Beifall von CDU und GRÜNEN)

Wie sollen diese Arbeitsverhältnisse wieder zunehmen, wenn sie alleine der Packesel für Renten-, Arbeitslosen-, Pflegeversicherung und Krankenkasse ist?

Herr Minister.

Ich höre sofort auf.

Es fällt uns sagenhaft schwer, einen neuen Parameter zu finden. Aber wenn diese Form des Arbeitsverhältnisses wieder zunehmen soll, müssen wir das Gepäck dieses Arbeitsverhältnisses leichter machen, damit es den aufgrund der Globalisierung härter gewordenen Wettkampf um Arbeit gewinnt.