Protocol of the Session on July 6, 2005

Frau Ministerin Sommer, wenn Sie eben mehrmals betont haben, pragmatische und keine ideologische Bildungspolitik betreiben zu wollen, wenn Sie „schnell gehen“ im negativen Sinne und „weit gehen“ im positivem Sinne verwenden, müssen Sie sich leider heute schon an der Praxis Ihres Hauses, Ihrer Tätigkeit messen lassen.

Der Antrag der Grünen - Chaos für Schulen und Kommunen verhindern - ist am 22. Juni veröffentlicht worden. Sechs Tage später, am 28. Juni, ist von Ihnen per Pressemitteilung darüber informiert worden, dass wesentliche Inhalte der letzten, vor der Sommerpause und dem Wahltermin auf den Weg gebrachten Verordnung rückgängig gemacht werden sollen.

Die Verbändebeteiligung wurde von Ihnen am gleichen Tag eingeleitet. Und es wurde eine Frist von fünf Tagen gesetzt. Das hat zu Recht den Deutschen Städtetag - die Kollegin Schäfer hat es eben schon erwähnt - dazu verleitet, bezüglich des Beteiligungsverfahrens von einer Farce vonseiten Ihres Hauses zu sprechen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das kann man wahrlich nicht als pragmatische Vorgehensweise bezeichnen. - Zu den Inhalten des naturwissenschaftlichen Unterrichts werden wir ja gleich noch diskutieren. - Diese Rücknahme, Frau Ministerin Sommer, hat nun wirklich fern jeder fachwissenschaftlichen Debatte und aller fachwissenschaftlicher Forschungsergebnisse stattgefunden. Und ein solches Vorgehen kann man beim besten Willen nicht als pragmatisch betrachten.

Wir haben von Ihnen eigentlich andere erste Maßnahmen erwartet, sprich: unter anderem die Aussage, dass man und mit welchen Finanzmitteln man den Unterrichtsausfall verhindern möchte. Wenn Sie eben in Ihrem Beitrag lediglich sagten, Sie würden Lehrer einstellen, dann ist das etwas dürftig. Denn Sie werden nicht nur Lehrer einstellen müssen, sondern Sie werden dazu gezwungen sein, sie einzustellen, da allein die mit dem Schulgesetz beschlossene Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur auf zwölf Jahre in den nächsten fünf Jahren 3.600 bis 3.800 zusätzliche Lehrerstellen erforderlich macht.

Wenn Kollege Kaiser meint, dass man sich die vorliegenden Anträge hätte sparen können, dann ist das leider nicht der Fall. Man kann sie sich nicht ersparen, weil gerade die Praxis des Ministeriums diese Anträge bedauerlicherweise notwendig macht. Denn in der Tat ist zu befürchten, dass an den Schulen das Chaos ausbricht. Nachdem sich die Schulen und die Schulträger auf den integrierten naturwissenschaftlichen Unterricht vorbereitet haben, kann man nicht sagen, dass die erwähnte Pressemitteilung, also das Vorhaben der neuen Regierung, nicht zu Chaos führen würde.

Ich teile die in dem Antrag der Grünen dargelegten Ansichten, dass wir, wenn wir von der Landesregierung eine pragmatische Bildungspolitik erwarten können, dann aber auch die angekündigten Modifizierungen erst nach einer sorgfältigen schulfachlichen Diskussion durchführen dürfen, bei der wir die Evaluation der eingeleiteten Schulentwicklungsprozesse in vernünftigem Maße zu beachten haben. Und auch das Beteiligungsverfahren der Verbände muss nach den gesetzlich verbrieften Regeln erfolgen. Davon kann mit Blick auf diese 5-Tages-Frist wahrlich nicht die Rede sein. Das ist kein guter Start dieses Ministeriums, kein guter Start der neuen Ministerin!

(Beifall von SPD und GRÜNEN - Zurufe von der CDU: Och!)

Ich hoffe, dass in Zukunft ein anderes Denken Praxis wird.

(Zuruf von der CDU)

- Entschuldigen Sie, in einem weiteren Tagesordnungspunkt werden wir gleich noch über die inhaltliche Beurteilung dieser Maßnahmen reden.

Ich glaube nicht, dass wir, wollen wir im Sinne von Schülerinnen und Schülern handeln, in dieser Weise agieren können. Es wäre nicht im Sinne von Schülerinnen und Schülern, wenn wir ein solches Beteiligungsverfahren als Grundlage von

wesentlichen schulpolitischen Entscheidungen als zukünftige Praxis konstatieren müssten.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank. - Als Nächstes hat Kollege Ralf Witzel für die FDP-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich möchte zunächst zwei anwesenden Personen danken, und zwar unserer neuen Schulministerin, Frau Sommer, und der bisherigen Schulministerin Ute Schäfer.

Ministerin Sommer danke ich dafür, dass sie deutlich gemacht hat, dass sie ihre Bildungspolitik zukünftig klar auf der Grundlage der Koalitionsvereinbarung gestalten will und zu den von beiden Partnern verabredeten Punkten steht, was die damaligen Regierungs- und jetzigen Oppositionsfraktionen von Rot-Grün vorhin bei der Debatte schon in Zweifel gezogen haben.

Zweitens danke ich sehr herzlich unserer früheren Bildungsministerin Ute Schäfer für ihr Angebot, zukünftig hart in der Sache, aber sachlich um den besten Weg in der Bildungspolitik zu ringen. Das ist notwendig. Das ist auch die Aufgabe einer Opposition. Aber all das, was wir hier vom Verfahren her fair austragen müssen, wird bei uns nicht dazu führen, in der Sache eine falsche Politik unkorrigiert weiter ins Leere laufen zu lassen.

(Beifall von FDP und CDU)

Es gibt keinen Vertrauensschutz für rot-grünen Ballast der letzten zehn Jahre. Deshalb werden wir die Änderungen, die wir den Wählern in diesem Land versprochen haben, durchführen.

Ich danke unserer früheren Ministerin Ute Schäfer, die hier zu Recht darauf hingewiesen hat, dass die FDP im Bildungsbereich ihre Handschrift ganz maßgeblich eingebracht hat. Ich empfinde es als Kompliment, wenn Sie uns dazu gratulieren, dass unsere Handschrift sehr deutlich wird. Wir haben unsere Pläne fair und partnerschaftlich verabredet. Sie werden von beiden Partnern gemeinsam getragen. Zum Glück haben wir dabei an der einen und anderen Stelle Kollegen mitgenommen, die vielleicht vor fünf Jahren noch nicht alle der verabredeten Punkte akzeptiert hätten.

Wir haben partnerschaftlich vereinbart, dass wir einen Neustart in der Bildungspolitik dieses Landes wollen. Wir werden an unseren Schulen eine neue Kultur bekommen. Wenn wir unsere Pläne in den nächsten fünf Jahren - zugegebenermaßen

handelt es sich um ein Projekt für die gesamte Legislaturperiode - entsprechend umsetzen, sind wir nach fünf Jahren das Bundesland mit dem modernsten Bildungswesen in ganz Deutschland.

Wir werden eine Wettbewerbslandschaft von Schule mit Wahlfreiheiten für die Nutzer, mit ganz transparenter Dokumentation von Ergebnissen, mit Schulrankings haben. Da wird nichts mehr verschwiegen, nichts mehr verheimlicht, Daten werden nicht mehr unter den Tisch gekehrt. Es wird Bilanz gezogen. Eltern und Schüler wissen, für welche Angebote sie sich im Wettbewerb entscheiden. Wir zwingen Leute nicht mehr, viel Geld für Anwälte auszugeben, um sich aus obrigkeitsstaatlichen Strukturen herauszuklagen, sondern wir geben Menschen in unserem Land mehr Freiheit für mehr Bildungsqualität und bessere Auswahlchancen in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von FDP und CDU)

Deshalb geht es hier in der Tat um einen Prioritätenwechsel. Wir werden für den Umbau Zeit brauchen. Deshalb gibt es maßvolle Übergangsfristen. Das gilt vor allem für Fragen, die Sie in großem Streit diskutieren: Schuleinzugsbezirke bis 2008. Sie kennen doch unser Ihnen schon vor viereinhalb Jahren präsentiertes moderates Modell, das besagt, dass natürlich jeder weiterhin ein Anrecht darauf besitzt, den dem Wohnort nächsten Schulstandort zu besuchen, wenn er das möchte.

Ich bitte Sie, zum Ende zu kommen.

Ich komme sofort zum Ende. - Aber er muss es eben nicht mehr. Er erhält künftig mehr Entscheidungsoptionen.

Gerade das hat nichts mit der „Schule für Reiche“ zu tun. Im Gegenteil: Es bestehen faire Chancen für alle, sich die Schule frei auszusuchen, nicht nur für diejenigen, die bisher dafür mehr Geld ausgeben konnten.

Insofern freue ich mich auf den Neustart in der Bildungspolitik in Nordrhein-Westfalen. Wir werden häufiger Gelegenheit haben, …

Ich darf Sie bitten, zum Schluss zu kommen, Herr Witzel.

… Bilanz zu ziehen. Ich bin da ganz guter Dinge. - Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Witzel. - Als nächste Rednerin hat Kollegin Löhrmann das Wort. Die Technik hat übrigens falsche Redezeiten in das System eingespeist, und deswegen ist das nicht identisch mit der Ansage. Sie haben etwas über eine Minute zusätzlich zu der angegebenen Zeit, Frau Löhrmann.

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Frau Sommer, natürlich bieten auch wir Ihnen unsere Zusammenarbeit an und wünschen auch wir Ihnen, dass Sie im Sinne des Wohlergehens unserer Kinder und Jugendlichen eine gute Arbeit leisten. Ich wünsche mir dann aber auch - das sage ich ausdrücklich dazu -, dass die Angebote zur Zusammenarbeit nicht gleichzeitig mit der Ansage verbunden sind, das Programm strikt und starr durchzuziehen, weil dadurch das Kooperationsangebot in Frage gestellt würde.

(Zuruf von der CDU: Das war früher ganz anders! - Heiterkeit von der CDU)

Ich möchte noch drei Anmerkungen machen.

Erstens. Bei den Aussagen, die Sie zum Haushalt getroffen haben, ernten Sie die Früchte rot-grüner Politik. Rot-Grün hat nämlich einen Haushalt beschlossen, der Ihnen diese Stellen überhaupt ermöglicht, sodass es zu den Neueinstellungen, die Sie zum nächsten Schuljahr vornehmen wollen, kommen kann. Die Seite, mit der Sie jetzt regieren, hat diesen Haushalt abgelehnt, meine Damen und Herren.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Zweitens. „Geld statt Stellen“ haben Sie verteufelt wie der Teufel das Weihwasser. Aber diese „Geldstatt-Stellen“-Mittel sichern den Vertretungsunterricht.

(Zuruf von Bernhard Recker [CDU])

Insofern haben Sie diese glorreiche Ankündigung, die natürlich im Sinne der Schulen ist, auch RotGrün zu verdanken, die diesen Haushalt mit diesen Mitteln beschlossen haben. Das nur, damit das klar ist und im Protokoll steht.

Letzter Punkt: Unsere Schulen, insbesondere die Grundschulen, die Sie ja auch gut kennen, haben sich auf den Weg gemacht. Unsere Grundschulen und auch die Schulen, die jetzt die Naturwissenschaften integriert unterrichten wollen, möchten das zum großen Teil weitermachen. Wenn Sie Selbstständigkeit ernst meinen, müssten Sie zumindest zulassen, dass die Schulen, die das ger

ne fortsetzen möchten, die Gelegenheit haben, und nicht 11 Millionen € für beispielsweise Fortbildungskosten, Schulbücher in den Sand gesetzt sind.

Lassen Sie doch die Freiheit zu, und bremsen Sie nicht die Schulentwicklung! Denn auch in Bayern, Niedersachsen und Baden-Württemberg gibt es integrierten naturwissenschaftlichen Unterricht. Frau Schavan ist davon begeistert. Die CDU hat das hier früher auch gefordert. Wir haben das umgesetzt. Machen Sie also keine Symbol- und Schnellschusspolitik, die nicht im Sinne der Schulentwicklung, nicht im Sinne der Kinder und Jugendlichen ist und nicht dazu dient, international anschlussfähig zu werden! - Herzlichen Dank.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Löhrmann. - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wir kommen zur Abstimmung. Von den Fraktionen, die die Anträge gestellt haben, wurde jeweils direkte Abstimmung beantragt. Wir stimmen zunächst über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 14/12 ab. Wer für den Antrag ist, möge bitte die Hand heben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag mit den Stimmen von CDU und FDP gegen die Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.

Meine Damen und Herren, ich lasse jetzt über den Inhalt des Antrags der Fraktion der SPD Drucksache 14/18 abstimmen. Ich darf auch hier bitten aufzuzeigen, wer dem Antrag zustimmen möchte. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist auch dieser Antrag mit den Stimmen von CDU und FDP gegen die Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich lasse nunmehr über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 14/33 abstimmen. Wer dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich, die Hand zu heben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen von CDU und FDP gegen die Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.