Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach den teilweise recht abenteuerlichen Ausführungen von Frau Beer und Frau Schäfer
habe ich den Eindruck, dass Sie zumindest in der Einleitung des SPD-Antrages nicht so recht wissen, was Sie da überhaupt geschrieben haben und was Sie meinen. Denn hier steht:
„… haben alle Kinder und Jugendlichen Anspruch auf einen optimalen Zugang zur Bildung und auf bestmögliche individuelle Förderung“.
Was verstehen Sie denn unter „individueller Förderung“? Was verstehen Sie bloß darunter? Auch dazu brauchen wir die Aufhebung der Schulbezirksgrenzen.
Frau Schäfer, da Sie aus demselben Wahlkreis kommen wie ich, ist Ihnen ja auch der Ort Leopoldshöhe vertraut. Jetzt werde ich Ihnen einmal eine kleine Geschichte von dort erzählen. Dort gibt es eine Mutter - wohlgemerkt: nicht wohlhabend, allein stehend, mit zwei Kindern mit Teildefiziten, aber auch besonderen Begabungen. Der Leopoldshöher Schulleiter hat ganz klar gesagt: Ihre Kinder können wir hier nicht hinreichend beschulen. - Diese Mutter hat einen Antrag gestellt, unter Lügen und mit Trick 17 - wir wissen alle, wie so etwas passiert -, dass Betreuung am Nachmittag in der Nähe einer Grundschule in Herford möglich ist, um ihre beiden Kinder dort einschulen zu können. Genau darum geht es. Es geht nicht um Auslese, es geht nicht um Schulen für Reiche, es geht nicht um Aussortieren, es geht ganz klar darum, dass wir Eltern die Möglichkeit geben wollen, das für ihre Kinder passende Profil auszusuchen. Das besondere Profil kann eben auch sein, dass eine Schule etwas anbieten kann, was andere Grundschulen in der Regel nicht können. Hier müssen wir eine Öffnung wagen. Wir sind auch fest einschlossen, das so zu tun.
Sie selbst haben seinerzeit als rot-grüne Regierungsfraktionen die Schulen beauftragt, Schulprofile zu entwickeln. Verraten Sie mir bitte einmal, wozu Profile entwickelt werden sollen, wenn diese nicht frei wählbar sind! Das muss umgesetzt werden.
Ich kann nur sagen: Natürlich machen wir das mit den Kommunen gemeinsam. Die Kommunen werden darauf einsteigen. Es gibt Schulen, die sagen: Wir sind es leid, rumzutricksen und rumzumachen. Wir wollen endlich die Möglichkeit haben, das mit offenem Visier durchzusetzen. So wird es auch passieren. Seien Sie ganz sicher!
Sie schreiben in Ihrem Antrag weiter: Bildungsqualität bzw. die Chancen auf gute Bildung hingen davon ab, welchen Beruf und welche Ausbildung die Eltern hätten, über wie viel Geld die Eltern verfügten, in welchem Stadtteil sie lebten, aus welchem Land sie oder ihre Vorfahren kämen. - Ich bitte Sie: Was hat uns Pisa denn gesagt? 25 % aller Kinder gehören zur Risikogruppe.
Gerade Sie von Rot-Grün haben es jahre- und jahrzehntelang nicht geschafft, diesen Kindern faire Bildungschancen zu bieten. Was gehört dazu? Dazu gehört natürlich ein Deutschunterricht vor der Einschulung für die Sprachsicherheit. Dazu gehört, dass Kinder hinreichend Deutsch sprechen können, wenn sie in die Schule kommen.
Vor fünf Jahren noch, in einer der ersten Sitzungen des Schulausschusses des Landtags, wurde ich von der damaligen roten Ministerin für ein solches Vorhaben, dass Kinder Deutsch sprechen können müssten, wenn sie eingeschult würden, in die rechte Ecke gestellt.
Sie reden von Individualisierung. Sie reden von individueller Förderung. Sie reden von Chancengleichheit. Aber Sie meinen das nicht. So sieht es doch aus, nicht anders.
Wenn Sie die Gewichtung des Grundschulgutachtens anzweifeln und meinen, es sei nicht gut, die Gewichtung anzuheben, möchte ich Sie daran erinnern, dass heute mehr als 30 % der Schülerinnen und Schüler in die für sie falsche Schullaufbahn geraten. Das ist Fakt. Auch das hat Pisa festgestellt. Auch das ignorieren Sie.
Daran möchte ich erinnern. Statt bürokratischer Gängelung brauchen Schulen mehr Freiheit, um mehr Qualität entwickeln zu können. Sie brauchen Eigenverantwortung - allerdings bei verbindlichen Qualitätsstandards. Dafür werden wir sorgen.
Zum Antrag von Bündnis 90/Die Grünen: Ich muss mich sehr über Ihre Sorge wundern, dass im Schweinsgalopp übereilt ein Schulgesetz außer Kraft gesetzt werden "soll".
Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, wie Sie von Rot-Grün mit den FDPÄnderungsanträgen umgegangen sind.
Die entsprechende Sitzung des Schulausschusses liegt noch nicht sehr lange zurück. Daran möchte ich erinnern. Das war alles andere als ein faires Verfahren. Seien Sie ganz sicher: Wir als Regierungsfraktionen haben uns vorgenommen, mit Ihnen fairer umzugehen.
(Heiterkeit von SPD und GRÜNEN - Sigrid Beer [GRÜNE]: Fehlstart! - Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Da haben Sie einen Fehlstart hin- gelegt!)
Allerdings werden wir in der Sache unsere Standpunkte ganz klar vertreten. Dafür haben Sie, Herr Recker hat es schon gesagt, die Wahl ganz eindeutig verloren.
Wir werden das Schulgesetz in aller Ruhe überarbeiten. Auch ich danke der neuen Ministerin, Frau Sommer, sehr herzlich dafür, dass sie die dringlichsten Dinge, die wir versprochen haben, schnell auf den Weg gebracht hat.
Alles andere werden wir mit Verstand und Ruhe angehen. Wir nehmen im Moment zurück, was schnell zurückgenommen werden muss. Dann werden wir sehr sorgfältig das Schulgesetz überarbeiten, das noch von Rot-Grün auf den Weg gebracht wurde. Wir wollen den Schulen nämlich ein vernünftiges Konzept aus einem Guss geben.
Das Wort "nachbessern" muss endlich ebenso der Vergangenheit angehören wie die Tatsache, dass unsere Schulen alle paar Wochen mit irgendwelchen neuen Erlassen gequält worden sind. - Danke schön.
Nun spricht für die Landesregierung die Ministerin für Schule, Frau Barbara Sommer. Bitte schön, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer schnell gehen will, geht allein; wer weit gehen will, geht gemeinsam - so sagt ein afrikanisches Sprichwort. Schulpolitik ist eindeutig ein Langlauf mit vielen Etappen, die gut eingeteilt werden müssen. Mal geht es steil bergauf, mal bergab und immer wieder vorwärts.
Ich stehe heute zum ersten Mal vor Ihnen. Ich stehe am Start, um mich auf den Weg zu machen mit viel Freude und Begeisterung für diese Aufgabe, aber auch im vollen Bewusstsein der anstehenden Probleme. Ich habe einen weiten Weg vor mir, und ich freue mich über jede Unterstützung.
In diesem Zusammenhang sage ich herzlichen Dank an meine Vorgängerin. Frau Schäfer, ich weiß, Sie haben mit Warmherzigkeit Schulen geleitet. Dafür danke ich Ihnen. Meine Wertschätzung werde ich beibehalten. - Herzlichen Dank.
Am vorläufigen Ende des Weges steht ein Ziel: Unsere Schulen in Nordrhein-Westfalen müssen wieder Perspektiven bekommen.
Sie müssen Perspektiven für unsere Kinder bekommen. Das ist mein Ziel. Das ist unser Ziel, das Ziel der neuen Regierungskoalition.
(Martin Börschel [SPD]: In den nächsten fünf Jahren passiert doch nichts! - Zuruf von Ed- gar Moron [SPD])
Deshalb haben uns die Menschen in diesem Land gewählt. Dieses Vertrauen werden wir nicht enttäuschen.
Wir werden alle unsere Aktivitäten diesem Ziel unterordnen. Alle Vorschläge, die uns diesem Ziel näher bringen, werde ich aufnehmen. Aber ebenso werde ich alle Aktivitäten entschieden ablehnen, die nicht zielführend sind. Ich stehe, meine Damen und Herren, für eine pragmatische, nicht für eine ideologische Schulpolitik!
Dazu gehört das Schulgesetz - das wurde eben erwähnt. Ich kann wegen der Kürze der Zeit nicht mehr verhindern, dass es am 1. August 2005 in Kraft treten wird.
(Zuruf von der SPD: Gott sei Dank! - Zuruf von den GRÜNEN: Das ist auch gut so! - Weitere Zurufe von SPD und GRÜNEN)