Protocol of the Session on July 6, 2005

Ist eine Abgeordnete oder ein Abgeordneter im Raum, die oder der ihre bzw. seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, die Stimmen auszuzählen.

(Die Stimmen werden ausgezählt.)

Meine Damen und Herren, ich gebe Ihnen das Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. An der Abstimmung haben sich 184 Abgeordnete beteiligt. Mit Ja stimmten 74 Abgeordnete. Mit Nein stimmten 110 Abgeordnete. Damit ist der Antrag Drucksache 14/16 abgelehnt.

(Beifall von CDU und FDP)

Jetzt kommen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 14/39. Auch über diesen Antrag wird direkt abgestimmt. Wer spricht sich für ihn aus? - Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer ist dagegen? - Die übrigen drei Fraktionen. Enthaltungen? - Keine. Damit ist der Antrag abgelehnt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, damit kommen wir zu:

5 Chaos für Schulen und Kommunen verhindern - Schulentwicklungsarbeit von Kollegien, Schülerinnen und Schülern sowie Eltern wertschätzen

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 14/12

In Verbindung damit:

Auslese und unfairen Wettbewerb in NRW verhindern

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 14/18

Darüber hinaus gibt es einen Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP Drucksache 14/33 zum Thema „Bildungsreform auf solide Grundlage stellen“.

Ich eröffne die Beratung und gebe zunächst Frau Abgeordneter Beer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Frau Kollegin Beer.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die neue Koalition hat in ihrem Vertrag angekündigt, eine umfassende Novellierung des Schulgesetzes vorzunehmen, und damit über den Wahlkampf hinaus bei den Kommunen, Kollegien, Eltern sowie Schülerinnen und Schülern für Verunsicherung gesorgt.

(Unruhe)

Damit sind die Instrumente für mehr individuelle Förderung, Qualitätsentwicklung, Selbstständigkeit und Eigenverantwortung von Schulen, die im Schulgesetz verankert sind, …

(Anhaltende Unruhe)

Meine Damen und Herren, ich bitte um etwas mehr Ruhe und Aufmerksamkeit.

… infrage gestellt. Die neuen Stundentafeln der Sekundarstufe I bedeuten nämlich mehr Unterricht in allen Schulformen, der ab dem 1. August auch tatsächlich in den Schulen ankommt, während die Schulen auf die 4.000 neuen Lehrerstellen, die Sie versprochen haben, noch etliche Zeit warten dürften. Und wenn sie kommen, erreichen sie die Schulen nach Ihren bisher vorgelegten Plänen nur in homöopathischen Dosen.

Durch das neue Schulgesetz haben die Kommunen mit dem Instrument der Verbundschule die Möglichkeit, Bildungsangebote wohnortnah zu sichern. Etliche Schulträger wollen diese Chance ergreifen und sind nun durch Ihre Wahlkampfattacken, die nichts mit seriöser Schulentwicklungsplanung zu tun hatten, verunsichert.

(Beifall von den GRÜNEN)

Schaffen Sie endlich Planungssicherheit und stellen klar, dass diese Regelung Bestand hat!

Frau Kollegin Beer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Priggen?

Ja, natürlich.

Bitte, Herr Priggen.

Frau Kollegin Beer, ich frage, ob auch Sie es als unhöflich empfinden, wenn Herr Minister Laumann und eine Reihe anderer Regierungsmitglieder neuerdings immer, wenn vorne geredet wird, Gespräche am Rand führen, anstatt den Kolleginnen und Kollegen an dieser Stelle auch ein bisschen Raum zu geben.

(Beifall von GRÜNEN und SPD - Zurufe von der CDU: Oh!)

Ich empfinde das als Ausweis der neuen demokratischen Kultur in diesem Lande, die wir hier demonstriert bekommen.

(Lachen von CDU und FDP - Zuruf: Uner- hört!)

Die im vorgelegten Antrag aufgeführten Instrumente und Regelungen des neuen Schulgesetzes bedeuten mehr Durchlässigkeit, mehr Unterricht, mehr individuelle Förderung und mehr naturwissenschaftliche Grundbildung. Durch die Zeitungen geht die Meldung „Rüttgers will Weltspitze werden“. Allerdings war das nur in Bezug auf den Medienbereich postuliert. Der Schulteil des Koali

tionsvertrages kann damit auch gar nicht gemeint sein.

(Beifall von den GRÜNEN)

Nehmen wir nur die Abschaffung des naturwissenschaftlichen Unterrichts. Der Stellungnahme der Gesellschaft Deutscher Chemiker zu diesem Vorhaben ist an dieser Stelle kaum noch etwas hinzuzufügen. So wird ausgeführt, dass integrierter naturwissenschaftlicher Unterricht die Interessenlage der Schülerinnen und Schüler und die Leistungssituation positiv beeinflussen kann. Der rot-grünen Bildungspolitik wird hier ein hervorragendes Zeugnis ausgestellt; wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Zu Recht wird kritisiert, dass ein Zurück zu den alten Lehrplänen bedeutet, sich von der Orientierung an Kompetenzen und Standards für den mittleren Schulabschluss der KMK zu verabschieden. Das ist bildungspolitischer Rückschritt und provinzielles Denken statt Weltspitze, Herr Ministerpräsident.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wer die Schulen in ihrer Arbeit verunsichert, wer die Schulentwicklungsaufgaben der Kommunen behindert, wer die Kräfte des Verharrens und Unbeweglichkeit in der Schule stärkt, wie Sie das tun, der schadet dem Land.

Die Aufgabe verantwortungsvoller und zukunftsgerichteter Bildungspolitik liegt darin, die Durchlässigkeit im System zu erhöhen und Lernbarrieren abzubauen, anstatt demnächst schon 9jährige Kinder in die Schubladen eines starren Systems von Bildungsgängen zu zwingen, das die Chancen in dieser Gesellschaft unterschiedlich verteilt, das geprägt ist von sozialer Auslese und sozialer Vererbung von Bildungskarrieren.

Aber das alles wollen Sie noch toppen, indem Sie die Schulen unterschiedlicher Ausgangslagen, Chancen und Standortbedingungen mit externen Rankings überziehen. Darüber hinaus sind Sie dabei, bildungspolitischen Flurschaden mit Ihrem Vorhaben weiter zu mehren, die Schulbezirke der Grundschulen aufzuheben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Damit setzen Sie eine der zentralen bildungs- und gesellschaftspolitischen Errungenschaften in Deutschland, nämlich die allgemeine und gemeinsame Grundschule, aufs Spiel. Anstatt Schulen in der Qualitätsentwicklung kontinuierlich zu unterstützen, besteht Ihr Konzept in ihrer eindimensionalen Marktgläubigkeit, die Kinder zu einem Marktgut macht

(Beifall von den GRÜNEN - Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Das ist typisch FDP!)

und die soziale Spaltung dieser Gesellschaft befördert, statt zu integrieren. Ich zitiere an dieser Stelle sehr gerne den CDU-Kollegen Solf aus dem Protokoll des Schulausschusses vom 28.11.2001. Er fragte,

„was aus dem Viertel, aus der Gesellschaft werde, wenn sich die Kinder aus demselben Haus, aus demselben Viertel nicht einmal mehr durch die Grundschule kennen würden?"

Und er sagte weiter:

"Man sollte die Kinder vor Eltern schützen, die ihre Kinder als eine Art frei verfügbare Manövriermasse ansähen, die sie so verschieben könnten, wie sie es wollten.“

(Beifall von den GRÜNEN)

Die CDU-Kollegin Kastner führte zu Recht an:

„Integration im Stadtteil … zu leisten, sei eine Hauptaufgabe der Grundschule. Dabei sollte man es belassen.“

(Michael Solf [CDU]: Wo sie Recht hat, hat sie Recht!)

Angesichts des Koalitionsvertrages müssen Sie beide sich doch heute fragen, in welcher Fraktion Sie sind. Sie müssten die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. - Ich sage: Man muss die Kinder vor Politikern schützen, die sie als frei verfügbare Manövriermasse betrachten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn Ihre Beteuerungen von Freiheit und Eigenverantwortung der Schulen, die Sie in Ihrem Entschließungsantrag wiederholen, aufrichtig sind, dann lassen Sie die Schulen doch ihren Weg gehen, statt ihnen im Handstreich zu verbieten, integrierte Naturwissenschaften zu unterrichten. - Oder reicht die Freiheit nur so weit, wie Sie in der Koalition zu denken bereit sind oder können?