Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 4. Juli 2005 gemäß § 90 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu der genannten Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin vonseiten der antragstellenden Fraktion der SPD Frau Kraft das Wort. Bitte schön.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Fraktion hat diese Aktuelle Stunde
beantragt, um Klarheit über die Position der CDU in NRW in dieser wichtigen Steuerfrage zu erlangen.
Für eine Mehrwertsteuererhöhung sprechen sich zahlreiche Politikerinnen und Politiker aus der CDU/CSU aus, unter anderem die Ministerpräsidenten von Hessen und Sachsen, aber auch führende Vertreter der CDU-Bundestagsfraktion, etwa der Kollege Schauerte aus NordrheinWestfalen.
Auch das, was wir der Presse entnehmen können, ist durchaus widersprüchlich. Mit Erlaubnis der Präsidentin möchte ich zitieren.
Herr Rüttgers, sind Sie dafür, die Mehrwertsteuer zugunsten der Sozialkassen zu erhöhen? - Nein, Steuererhöhungen in der jetzigen Stagnation sind Gift für die Konjunktur.
Ich halte überhaupt nichts von einer Debatte über höhere Steuern. Ich halte erst recht nichts davon, diese Steuern dann gleich dreimal auszugeben: für die Rente, für die Gesundheit und für das Sozialsystem.
Am Montag, meine Damen und Herren, steht die endgültige Entscheidung an, ob diese Forderung auch Eingang in das Wahlprogramm der Union findet. Meine Partei, die SPD, hat sich in dieser Frage in ihrem Wahlmanifest bereits eindeutig festgelegt. Sie ist gegen eine Mehrwertsteuererhöhung in der gegenwärtigen Situation.
Für uns ist klar: Eine Anhebung der Mehrwertsteuer würde angesichts der derzeit schwachen Binnennachfrage in die falsche Richtung weisen und die sich abzeichnende wirtschaftliche Erholung nachhaltig gefährden. Sie wäre darum Gift für die Wirtschaft in unserem Land und damit auch für die Wirtschaft hier in NordrheinWestfalen.
Eine Anhebung der Mehrwertsteuer wäre aber auch und insbesondere sozial ungerecht. Sie würde überproportional die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen belasten und ganz beson
ders Familien, von denen wir wissen, dass sie einen Großteil ihres Einkommens für Konsum ausgeben müssen. Es gibt nicht wenige, die ihr gesamtes Familieneinkommen ausgeben müssen, damit sie überhaupt über die Runden kommen. Für sie bedeutet eine Preissteigerung durch Steueranhebung ganz konkret, dass sie sich noch weiter einschränken müssen, dass sie sich noch weniger leisten können, als das bisher der Fall ist.
Andere - auch das wissen wir - legen ihr Geld zurzeit lieber auf die hohe Kante; die Sparquote ist entsprechend hoch. Dafür gibt es viele Gründe. Die gefühlte Preissteigerung nach der Einführung des Euro ist einer davon. Die explodierenden Benzinpreise aufgrund der Preissteigerungen auf dem Weltmarkt spielen sicherlich auch eine große Rolle. Die wirtschaftliche Gesamtsituation trägt ebenfalls zur Kaufzurückhaltung bei.
Die eingeleiteten, aber notwendigen Reformen verunsichern die Menschen in unserem Land, und es wäre völlig falsch, in dieser Situation an der Preisspirale zu drehen. Wenn wir den Menschen das Gefühl vermitteln, dass sie für mehr privaten Konsum quasi bestraft oder abgezockt werden, dann erreichen wir keine Stärkung der Binnennachfrage, sondern das Gegenteil.
Das gilt ungeachtet langfristiger Notwendigkeiten für Strukturveränderungen in unserem Steuersystem. Aber darum geht es den Befürwortern dieser Steuererhöhung nicht, und darum geht es der CDU nicht. Sie wollen die Mehrwertsteuereinnahmen anders verfrühstücken: Es geht um die Finanzierung der Kopfpauschale. Es geht um die Gegenfinanzierung weiterer Steuererleichterungen für die gut, besser und sehr gut Verdienenden in unserem Land.
Diese Pläne lehnen wir ganz entschieden ab. Senkung des Spitzensteuersatzes plus Kopfpauschale plus Mehrwertsteuererhöhung - das wäre eine gigantische Umverteilung von unten nach oben. Und die ist mit uns nicht zu machen!
Zunächst zerschlagen Sie die bewährte Solidarversicherung. Der Generaldirektor und der Pförtner sollen dann den gleichen Betrag in die Krankenversicherung zahlen. Und dabei bleibt Ihnen dann noch eine Einnahmelücke von geschätzten 20 bis 25 Milliarden €. Sie wissen, dass Sie in der Öffentlichkeit bei den Wählerinnen und Wählern mit diesem unsoliden Konzept nicht durchkommen werden, wenn Sie keine Finanzierung anbie
ten können. Und darum lassen Sie die Katze jetzt endgültig aus dem Sack. Die nach Ihrem Konzept notwendigen Steuerzuschüsse zur Krankenversicherung sollen durch eine Mehrwertsteuererhöhung quasi erwirtschaftet werden - wiederum durch die kleinen Leute!
Im Ergebnis bezahlen dann die Schwächeren in unserer Gesellschaft die soziale Sicherung der Starken mit. Das System würde auf den Kopf gestellt und pervertiert.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der heutigen Aktuellen Stunde möchten wir die Möglichkeit eröffnen, dass der Landtag ein gemeinsames und eindeutiges Signal an die anderen CDU/CSU-regierten Länder und die Kanzlerkandidatin der Union sendet. Wir begrüßen es außerordentlich, dass der Ministerpräsident unseres Landes sich gegen eine Mehrwertsteueranhebung ausgesprochen hat.
Wir laden die Fraktionen hier im Haus ein, gemeinsam mit uns deutlich zu machen, dass mit Nordrhein-Westfalen eine Anhebung der Mehrwertsteuer nicht zu machen ist.
Ich habe mit Interesse der Presse entnommen, dass Sie, Herr Lindner, die Position auch für die FDP vertreten. Das ist bemerkenswert. Die Zeiten der demonstrativen Einigkeit bei den Verhandlungen der Koalition sind offensichtlich vorbei.
(Johannes Remmel [GRÜNE]: Die hat es noch nie gegeben! - Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Die Posten sind gerade verteilt! Jetzt geht der Zoff los!)
Die Regierung ist gerade eine Woche im Amt, da ziehen Sie schon gedanklich die Koalitionskarte, quasi eine Drohung schon mal vorweg. Die Öffentlichkeit wird gespannt beobachten, wie sich das weiterentwickelt. Dessen können Sie sich sicher sein.
Meine Damen und Herren, wir haben nicht nur diese Aktuelle Stunde beantragt, sondern wir haben auch einen Antrag gegen die Erhöhung der
Mehrwertsteuer für die Plenarsitzung in der kommenden Woche eingebracht. Bei der Abstimmung werden wir dann sehen, wer seinen Ankündigungen Taten folgen lässt.
Ich sage das ausdrücklich vor dem Hintergrund, dass der CDU-Bundesvorstand am kommenden Montag eine Erhöhung der Mehrwertsteuer als Programmpunkt beschließen will. Denn gerade eine breite Mehrheit im Landtag wäre wichtig, um diese falsche Weichenstellung noch zu korrigieren.
Ich fordere die CDU auf, ich fordere Sie auf, Herr Ministerpräsident, schon heute klar Position zu beziehen. Sie können nicht den Montag abwarten! Sie können sich nicht hinter Angela Merkel verstecken!
Der Ministerpräsident des größten Bundeslandes muss eine eigene Position beziehen und sie dann auch in den Gesprächen in der eigenen Partei durchhalten! - Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Kraft, Sie haben ja vieles charmant vorgebracht. Aber trotzdem: Viel Getöse und der beginnende Wahlkampf sind auf jeden Fall dabei gewesen. Wenn man nun einmal versucht, dieses Getöse und den Wahlkampf ein bisschen beiseite zu schieben, dann gibt Ihr Beitrag in einigen Nebensätzen doch den Blick auf ein Bild unseres Landes frei, das in der Tat zutreffend ist:
Wir haben in unserem Land ganz erhebliche Probleme und müssen etwas tun, um unsere Wirtschaft wieder in Gang zu bringen und Nordrhein-Westfalen von seinen 110 Milliarden € Schulden und von seinen 5,2 Milliarden € Haushaltsdefizit in diesem Jahr - so viel steht im Moment auf dem Papier; hinterher wird das Defizit sicherlich eher bei 8 Milliarden € liegen - zu befreien.
Sie haben insofern Recht, als über Sozialabgaben und Steuern diskutiert werden muss, und zwar vor dem Hintergrund einer desaströsen Finanzlage in unserem Land und vor dem Hintergrund einer desaströsen Wirtschaftslage.
Sie als SPD haben traditionell immer an mehr Steuern gedacht, an mehr Steuern als einfachen Weg zum Abkassieren und haben das in der Vergangenheit immer wieder unter Beweis gestellt.