Protocol of the Session on July 6, 2005

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Löhrmann, an einer guten Zusammenarbeit im Hauptausschuss sind wir natürlich sehr interessiert; das ist selbstverständlich. Aber dass Sie diesen Antrag auf Einsetzung einer Verfassungskommission ausgerechnet jetzt stellen, gleich am Anfang dieser Legislaturperiode deutliche Veränderungen und Korrekturen in unserer Landesverfassung vornehmen wollen, das hat uns - mit Verlaub gesagt - doch sehr erstaunt, haben Sie doch seit zehn Jahren hier jegliche Chance der Veränderung gehabt. Warum gerade jetzt und das auch noch deutlich gemacht am Beispiel des Kleingartenvereins? Das fanden wir doch ein bisschen erstaunlich.

In der vergangenen Legislaturperiode haben alle Fraktionen um verschiedene Verfassungsänderungen gerungen - Sie haben es ja eben auch angesprochen -, hart, aber im Ergebnis erfolgreich. Am Ende standen immer Formulierungen, von denen jeder sagen kann, dass eine breite Parlamentsmehrheit sie stützt und eine breite Parlamentsmehrheit gefunden wurde.

Wir sind darauf stolz, weil sich die Kolleginnen und Kollegen ihre Arbeit wirklich nicht leicht gemacht haben. Sie selbst haben die Themenfelder eben benannt: Tierschutz als Erziehungs- und Staatsziel, die Aufnahme von Kinderrechten, die Stärkung der plebiszitären Elemente und die Verankerung des Konnexitätsprinzips in der Landesverfassung. Was leider nicht gepunktet hat, das war ein Antrag aus dem Europaarbeitskreis, nämlich die Verankerung der europäischen Dimension in der Landesverfassung - ein für uns selbst bedeutendes Themenfeld.

In den Diskussionen wurde natürlich auch die Frage gestellt, ob es nicht sinnvoll wäre, unsere Landesverfassung einmal insgesamt durchzuforsten, ob alle Vorschriften noch form- und sachgerecht sind. An der ein oder anderen Stelle mag das sperrig sein. Sie haben es eben selbst benannt und ein Beispiel aufgezeigt. Aber das Beispiel der Förderung der Kleingartenvereine ist, finden wir, hier kein taugliches Objekt.

Im Ergebnis hat sich die nordrhein-westfälische Verfassung bewährt. Lassen wir es einmal Revue passieren! Auch im Kommentar zur Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen von Löwer/Tettinger aus dem Jahr 2002 heißt es:

Diese jüngste Entwicklung

- gemeint sind die Änderungen der letzten Legislaturperiode -

konnte freilich nichts mehr daran ändern, dass kein Bundesland in den 90er-Jahren eine größere Stabilität in seiner Verfassung zu verzeichnen hatte als Nordrhein-Westfalen.

Ich denke, wir sollten zuerst einmal abwarten, was die Föderalismuskommission in Berlin demnächst sagt. Die sollte ihre Arbeit schnellstens wieder aufnehmen. Dann wird es zu Ergebnissen kommen - da bin ganz sicher -, die sich auch in unserer Landesverfassung niederschlagen werden.

Christian Dästner schreibt in Band 12 der Schriften des Landtags „Konflikt und Konsens: 50 Jahre Landesverfassung Nordrhein-Westfalen“:

Auch nach 50 Jahren zeigt sich die nordrheinwestfälische Landesverfassung in guter Verfassung.

Auch in Zukunft wird es hier natürlich Anpassungsbedarf geben. Aber dazu gehört auch ein Kriterienkatalog. Die Würde der Verfassung verbietet es, dass wir sie zur Tagespolitik machen. Wir wollen das sehr behutsam aufgreifen. Dass die europäische Integration auch hier ihre Spuren hinterlassen hat, das steht für mich außer Frage.

Aber - ich wiederhole es -: Alle Änderungen müssen aus meiner Sicht sehr sorgfältig bedacht werden. Das gilt auch für die von Ihnen vorgeschlagene Volksabstimmung und für die geplante Arbeitsdauer von dreieinhalb Jahren.

Wir wollen die Verfassung nicht neu erfinden; das möchte ich deutlich machen. Angesichts unseres Verfassungsprinzips der repräsentativen Demokratie stelle ich auch hier eine interaktive Bürgerbeteiligung infrage. Sie und ich sind letztendlich gewählt worden, um unser Land für und mit den Bürgerinnen und Bürgern weiterzuentwickeln. Das wollen wir auch in Zukunft so beibehalten. Selbstverständlich werden wir das jetzt aufgreifen und intensiv im Hauptausschuss diskutieren. - Ich danke.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Frau Keller. - Als nächster Redner hat der Kollege Kuschke, SPD-Fraktion, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nicht zuletzt aufgrund der fortgeschrittenen Zeit nur einige wenige Anmerkungen! Die erste: Frau Kollegin Keller, so ungewöhnlich ist das Begehren der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nicht. Sie haben selbst darauf hingewiesen, dass gegen Ende der Legislaturperiode gerade bei den damaligen Oppositionsfraktionen keine Zustimmung zu dem Vorschlag der Landesregierung bestand, sozusagen über eine freiwillige Vereinbarung Dinge zu klären, die mit den Stichworten „Subsidiaritätskontrolle“ und „mehr Informationsrechte für das Parlament“ zu tun haben. Gut, die Rollen haben sich geändert, aber es ist durchaus zulässig, noch einmal daran zu erinnern, welchen Stand wir gegen Ende der Legislaturperiode hatten.

Die zweite Anmerkung - da klang bei Ihnen, Frau Kollegin Keller, durchaus etwas an, was ich aufgreifen will; mir liegt sehr daran, dass wir das auch im Hauptausschuss weiter diskutieren -: Es ist kein zulässiger Vergleich mit den Diskussionen, die wir um die EU-Verfassung gehabt haben, die so genannt wird, aber eigentlich keine ist. Ich denke, wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern, wenn wir uns auf ein solches Verfahren einlassen, klar machen: Warum machen wir das zum jetzigen Zeitpunkt? Wie begegnen wir den Fragen: Habt ihr eigentlich nichts Wichtigeres und anderes zu tun? In welchen Zusammenhang muss es eingeordnet werden? - Das sind Anforderungen an das Verfahren, über die man sich sicherlich unterhalten müsste.

Dritte Anmerkung - jetzt in Richtung des Antragstellers: Es taucht zwar nur in der Begründung auf, aber wenn wir uns einem solchen Verfahren öffnen, dann ohne einen Katalog von Festlegungen, von Inhalten, die man in besonderer Art und Weise angehen will. Ich denke, da stimmen Sie zu, Frau Kollegin Löhrmann.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Ich bin ge- sprächsbereit!)

Das muss man in offener Art und Weise angehen.

Ich denke, man muss im Hauptausschuss darüber sprechen: Wie kann ein transparentes, aber auch effektives Verfahren aussehen? Denn unter dem Aspekt „Europa“ - den Sie gerade angesprochen haben, Frau Kollegin Keller - kann es durchaus sein - wir sind einmal optimistisch -, dass doch schnellerer Handlungsbedarf besteht als auf einer Zeitachse bis 2008, die man sich hier vorgenommen hat.

Ich glaube - und das soll die vierte und letzte Anmerkung sein -, dass wir uns die Zeit im Hauptausschuss nehmen sollten, noch einmal über dieses Anliegen und auch über die Kriterien, die ich gerade genannt habe, zu sprechen. Ich vermute, wir werden keine Situation haben, wie es sie 1946/47 in Nordrhein-Westfalen gegeben hat, als die ersten Diskussionen um eine Landesverfassung stattgefunden haben. Unsere Landesverfassung ist aber relativ spät verabschiedet worden. Dass sie doch noch auf einer relativ kurzen Zeitachse zustande gekommen ist, hing damals mit einem Verfahren zusammen, von dem ich glaube, Herr Innenminister, dass wir es dieses Mal nicht mehr hinbekommen werden: Das Parlament hatte die Landesregierung gebeten, einen Entwurf vorzulegen. Ich glaube, da ist die Entwicklung des Selbstbewusstseins dieses Hohen Hauses weiter vorangeschritten. Wir freuen uns auf die Beratungen im Hauptausschuss. - Herzlichen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kuschke. - Als nächster Redner für die FDPFraktion der Kollege Dr. Orth.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Um es vorweg zu sagen: Auch wir Liberalen werden den Antrag der Grünen ablehnen. Ich sage: Willkommen in der Opposition, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen! Früher in der Regierung haben Sie nur Beauftragte gefordert, jetzt in der Opposition legen Sie einen drauf und fordern direkt ganze Kommissionen.

Wir wollen auch nicht sagen, welche Komma- oder Rechtschreibfehler Sie in Ihrem Antrag haben. Das haben Sie in den vergangenen fünf Jahren zur Genüge getan. Wir fanden das immer elendig und werden es hier nicht wiederholen.

Wir hätten uns gewünscht, dass Sie in den vergangenen Jahren mehr Elan in die Erneuerung unserer Gesetzeslage gesteckt hätten, anstatt jetzt mit einem solchen Antrag zu kommen. Warum haben Sie nicht die letzten Wochen dazu genutzt, beispielsweise an einem vernünftigen Schulgesetz mitzuarbeiten, das wir als neuen Entwurf der Grünen hätten beraten können?

Wenn Sie uns hier einen solchen Antrag präsentieren, hätten wir uns auch gewünscht, dass Sie ganz klar sagen: Wohin soll die Reise eigentlich gehen? Was wollen Sie eigentlich? Sehen Sie den Änderungsbedarf mehr darin, die Kleingärtner aus der Verfassung zu streichen, oder wollen Sie den Gartenzwerg zusätzlich schützen? Was wollen Sie? Jeder, der eine solche Kommission einsetzt, muss doch ein Ziel vor Augen haben. Sie haben das ein oder andere in Ihrem Wortbeitrag genannt; aber ich denke, hier hätten Sie konkreter werden müssen.

Wir haben in den letzten Jahren immer dann, wenn es nötig war, auch hier im Parlament …

Herr Dr. Orth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Remmel?

Nein danke, Herrn Remmel brauche ich nicht.

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Sie waren es doch, die beim letzten Mal die Nachhaltigkeit in die Verfassung haben wollten! Sie haben doch den Antrag gestellt!)

- Herr Remmel, regen Sie sich nicht auf.

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Das können wir genau nachgucken!)

In den letzten fünf Jahren

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Dummes Ge- schwätz ist das!)

haben alle vier Fraktionen gemeinsam die ein oder andere Änderung durchgebracht. Ich denke, immer dann, wenn man einen konkreten Anlass hat, kann man miteinander reden und einen Konsens finden. Das ist parlamentarischer Brauch, und das ist gut so. Da wird die Opposition auch einbezogen. Da müssen Sie keine Sorge haben,

Herr Remmel. Für Verfassungsänderungen brauchen wir Sie auch zukünftig.

(Carina Gödecke [SPD]: Sie brauchen uns nicht zu erklären, wie Parlamentarismus geht!)

Wir wollen aber nicht eine Diskussion der Diskussion wegen. Die Verfassung ist in gewisser Weise auch ein historisches Dokument. Wir sollten ein solches Dokument nicht immer mit dem Zeitgeist von heute lesen und sagen: Wir müssen es ändern. - Eine Verfassung hat auch einen gewissen Wert an sich. Sie zeigt, wie ein Staat gestartet ist, welche Wertvorstellungen man hatte. Man muss sie natürlich anpassen, wenn diese Wertvorstellungen im konkreten Verhalten nicht mehr praktikabel sind.

Wenn Sie Jurist wären, Herr Remmel, wüssten Sie: Wenn die Verstaatlichung in der Verfassung des Landes NRW steht, heißt das gar nichts; denn das Grundgesetz steht darüber. Insofern können wir da auch ganz gelassen sein. Wir begehen also keinen Gesetzesbruch, wenn wir jetzt nicht hergehen und jede Menge Industrie verstaatlichen. Sonst hätten Sie die letzten zehn Jahre ja auch permanent Verfassungsbruch begangen.

Wir möchten in den kommenden Jahren und vielleicht auch Jahrzehnten in einer Regierungskoalition immer dann, wenn es nötig ist, Änderungen auf den Weg bringen. In diesem Sinne werden wir auch die kommenden fünf Jahre gestalten. - Herzlichen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Dr. Orth. - Für die Landesregierung hat nun Minister Dr. Wolf das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit ihrem Antrag auf eine umfassende Verfassungsreform und Einsetzung einer Verfassungskommission wollen Sie sich, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, offenbar gleich zu Beginn der Legislaturperiode als treibende Kraft zur Erneuerung der Landesverfassung darstellen.

(Oliver Keymis [GRÜNE]: Wie beim letzten Mal!)

In den letzten zehn Jahren unter Ihrer Regierungsbeteiligung haben Sie allerdings viele Chancen verstreichen lassen, notwendige Änderungen gemeinsam mit FDP und CDU vorzunehmen. Be

reits in der letzten Legislaturperiode haben die Fraktionen der FDP und der CDU wichtige, überfällige Verfassungsänderungen angemahnt, die jetzt auch auf Ihrer Liste stehen. Entsprechende Gesetzentwürfe sind damals vorgelegt worden. Als Schlagworte seien hier nur die „Generationengerechtigkeit“, die „Integration der europäischen Dimension in die Verfassung“ und auch die „Parlamentsreform“ genannt. Hätten Sie damals diesen Verfassungsänderungen zugestimmt, wären weite Teile Ihres Antrags heute obsolet.

(Beifall von der FDP)

Es verwundert doch sehr, meine Damen und Herren, dass die Grünen dieses Thema nun mit so viel Verve für sich entdecken. Dieses Engagement haben Sie in den letzten zehn Jahren - das ist von Vorrednern auch schon gesagt worden - offensichtlich vermissen lassen.