Protocol of the Session on April 5, 2006

Ich möchte Ihnen von meinem Besuch einer Hauptschule in Pennenfeld berichten, die in einem sehr belasteten Gebiet liegt. Die höchst engagierte Schulleiterin sagte mir abschließend – das möchte ich zitieren –:

„Wir haben hier mit Schülern aus fast 20 Nationen harte Arbeit zu leisten, wobei vor allem das Sprachproblem ein großes Hindernis zur Verständigung darstellt. Stellen Sie sich bitte vor, unsere Schüler sollen eine adäquate Förderung in einem integrierten System mit Realschülern und Gymnasiasten erhalten – möglichst in einem Mammutsystem, in dem sie in der Anonymität verschwinden! Sie würden dort untergehen, sie wären dort der Rest. Hier aber kümmern wir uns um jeden, hier sind sie die Wichtigsten. Das sollte uns alle nachdenklich stimmen.“

(Beifall von CDU und FDP)

Ich glaube, dass unser Ansatz, es zu schaffen, dass jedes eingeschulte Kind die deutsche Sprache beherrschen muss, darum ganz wichtig ist. Das ist geradezu lebensnotwendig für diese Kinder. Aber ich erinnere auch hier daran, meine Damen und Herren, dass es noch nicht viele Jahre her ist, dass wir diese Forderung erhoben haben und in diesem Raum als ausländerfeindlich bezeichnet worden sind. Jeder weiß, dass das dringend notwendig ist. Aber auch das gehört zur Realität.

Die wichtigste Botschaft der Schulleiterin war: Die Hauptschulen gehören, bitte, nicht abgeschafft; sie gehören gestärkt. Gebt uns endlich die Rahmenbedingungen, dass wir eine Perspektive haben!

(Beifall von CDU und FDP)

Ich sage ebenso – und das gilt nicht nur für die Schüler der Hauptschule –: Wundern wir uns wirklich über das Verhalten vieler Schülerinnen und Schüler, wenn man der Schule – sprich: den Lehrern – jahrelang die Möglichkeit verweigert hat, das Arbeits- und Sozialverhalten ihrer Schüler kritisch zu begleiten und zu bewerten?

(Widerspruch von der SPD)

Wundern wir uns wirklich über diese Situation, wenn Fehlzeiten oder auch Fehlverhalten absolut keine Konsequenz hatten, meine Damen und Herren? – Die Schule muss doch in die Lage versetzt werden, sowohl positives Verhalten, als auch Defizite der Schüler aufzuzeigen. Junge Menschen brauchen Freiraum, aber sie brauchen auch Grenzen. Diese Botschaft war leider viele Jahre lang tabu.

Übrigens kostet die Reparatur dieser Defizite in späteren Jahren immense Summen und hat relativ wenig Erfolg. In der Schule müssen wir den

Grundstein legen. Das wird durch das Schulgesetz endlich vorbereitet. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von CDU und FDP)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir zur Aktuellen Stunde nicht vor. Ich schließe die Aktuelle Stunde.

Passend zum letzten Thema kommen wir zum nächsten Tagesordnungspunkt. Ich rufe auf:

3 Zweites Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (2. Schulrechtsänderungsgesetz)

Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 14/1572

erste Lesung

Zur Einbringung des Gesetzentwurfs erteile ich für die Landesregierung der zuständigen Ministerin Frau Sommer das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben gesagt: NordrheinWestfalen ist ein Land der Zukunft, ein Land der Chancen. Auf diesem Weg gehen wir heute einen großen Schritt vorwärts.

(Beifall von CDU und FDP)

Eine Schule ohne Neuerungen, so heißt es, kann nicht überleben. Mit dem Entwurf für ein zweites Schulrechtsänderungsgesetz schaffen wir nicht nur die notwendigen Neuerungen, damit unser Schulsystem überlebt. Vielmehr wird es zukunftsfähig, indem künftig jeder Schüler und jede Schülerin eine Chance erhält.

Mit dem Schulgesetz legt die Landesregierung das Fundament für ein neues, modernes, leistungsfähiges und gerechtes Schulsystem – ein neues Schulgesetz für unser Land zum Wohle unserer Kinder und Jugendlichen. Jeder Schüler und jede Schülerin wird Chancen und Talente nutzen und entfalten können und zwar unabhängig von der sozialen Herkunft. Wir werden alle Kräfte mobilisieren, um das auch den Zweiflern in unserem Land in den nächsten Jahren zu beweisen. Der Schlüssel zum Bildungserfolg heißt dabei: individuelle Förderung.

Wir werden kein Kind mehr zurücklassen – weder leistungsschwächere noch besonders begabte Kinder. Wir werden jedes Kind mitnehmen, insbe

sondere auch solche, die unter einfachen Bedingungen aufwachsen. Wir wollen, dass kein Kind verloren geht.

Allgemeinbildung rückt dabei als Grundlage lebenslangen Lernens wieder in den Mittelpunkt. Am Ende sollen alle Schulabgänger eine Zukunft haben, und eine Zukunft haben sie dann, wenn sie eine Berufsausbildung und ein Studium haben absolvieren können. Dafür soll eine gute, solide Schulausbildung die Grundlage bilden.

Unser Schulgesetz fußt auf drei klaren Prinzipien: mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Eigenverantwortung der Schule, mehr Leistung. Das ist die neue Richtung der Bildungspolitik des Landes.

In diesem Rahmen sollen die Schulen frei ihr eigenes pädagogisches Profil entwickeln und ihren Unterricht sowie ihr Schulleben weitgehend selbstständig und eigenverantwortlich gestalten. Wir wollen den Wettbewerb untereinander, aber wir wollen keinen Verdrängungswettbewerb. Schulen in einer sozial schwierigen Umgebung können auf unsere Unterstützung setzen.

(Beifall von CDU und FDP)

Da wir ein leistungsgerechtes Schulsystem wollen, werden wir das gegliederte Schulsystem durchlässig machen. Diese Durchlässigkeit des Systems ermöglicht Aufstieg. Jedes Kind, jeder Jugendliche hat den Anspruch, nach Maßgabe des Gesetzes gefördert zu werden. Förderung ist dabei für uns kein Lippenbekenntnis. Wir schaffen dazu mit dem Haushalt 2006 und auch in den nächsten Jahren die notwendigen personellen Rahmenbedingungen. Wir werden neue Lehrerstellen zur Verfügung stellen für den Aufbau von Vertretungsreserven, für individuelle Förderung und für den Ausbau des Ganztags an Grund-, Haupt- und Förderschulen.

Eine konsequente Umsetzung der individuellen Förderung beginnt für uns schon vor der Schule. Wir schaffen mit dem neuen Schulgesetz die Voraussetzungen dafür, dass Kinder bereits zwei Jahre vor der Einschulung auf ihre Sprachfähigkeit hin getestet werden. Förderung und Ausgleich von Schwächen müssen so früh wie möglich erfolgen. Deshalb kommt es besonders auf den Schulanfang an. Wir wollen, dass die Schulen den Unterricht künftig so gestalten und die Schüler so fördern, dass die Versetzung der Regelfall ist.

Wir haben heute schon vieles zur Hauptschule gesagt, meine Damen und Herren. Bitte lassen Sie mich das an dieser Stelle noch einmal deutlich machen: Ich kann mich nach den 14 Jahren meiner schulaufsichtlichen Tätigkeit nicht daran erin

nern, jemals einen Versetzungsantrag einer Hauptschulkollegin, eines Hauptschulkollegen in der Hand gehabt zu haben, weil sie oder er in eine andere Schulform wechseln wollte. Was meine ich damit? – In unseren Hauptschulen arbeiten engagierte Pädagogen, die sich oft bis zur Erschöpfung um ihre Schüler kümmern.

(Beifall von CDU und FDP)

Diese Lehrer müssen wir – so zeigt uns der Fall der Berliner Rütli-Schule – besonders unterstützen. Dieser Fall zeigt uns aber auch, wie wichtig und wie richtig unser Weg zum Aufbau der neuen Hauptschule NRW ist.

Ein weiterer Bereich, den wir grundlegend reformieren, sind die Gymnasien unseres Landes. Wir organisieren die Verkürzung des gymnasialen Bildungsgangs, also das Abitur nach zwölf Jahren. So wird die Stundentafel, die bislang für die Klassen 5 bis 9 188 Stunden vorsieht, um fünf Stunden erhöht. Auch dafür schaffen wir zusätzliche Stellen.

(Beifall von CDU und FDP)

Jedes Gymnasium und jede Gesamtschule kann mit unserem Modell „9 + 3“ Realschüler und Hauptschüler in die Oberstufe aufnehmen. Durch ein Mehr an Förderung wird es uns gelingen, auch mehr Schülerinnen und Schüler an Haupt- und Realschulen zum Übergang ins Gymnasium zu befähigen.

Wir haben ein neues Übergangsverfahren. Die Kritik, wir würden den Elternwillen bei der Grundschulempfehlung zu wenig berücksichtigen, ist nicht zutreffend. Denn der Elternwille wird künftig nur in sehr wenigen Ausnahmefällen zurückstehen. Es gibt doch den großen Konsens – das sind sicherlich weit über 90 % – zwischen Schulen und Eltern. Dann sind für Schülerinnen und Schüler die Empfehlung der Schule und die Wahl der Eltern völlig identisch.

Aber, meine Damen und Herren, der Elternwille zählt auch dann, wenn es um das Gutachten geht und wenn dieses Gutachten nicht eindeutig eine Schulform festlegt, sondern eine Schulform empfiehlt und eine andere mit Einschränkung. Der Elternwille zählt auch dann, wenn Lehrer im Prognoseunterricht nicht einer Meinung sind. Ich glaube, hier ist dem Elternwillen wirklich weitgehend Rechnung getragen.

(Beifall von der CDU)

Noch ein anderes Beispiel in diesem Zusammenhang: Trauen Eltern ihrem Kind weniger zu als

dessen Grundschullehrer, kann das Kind auch am Prognoseunterricht teilnehmen.

Mit dem Schulgesetz wollen wir über den Modellversuch „Selbstständige Schule“ hinaus die Eigenverantwortung für alle Schulen. Die Standards der Abschlüsse müssen dabei selbstverständlich gewährleistet werden. So wird es ab dem kommenden Schuljahr möglich sein, neue Modelle bei der Stellenbewirtschaftung, der Personalverwaltung, der Sachmittelbewirtschaftung und der Unterrichtsorganisation zu erproben. Schulen können auf diese Weise ihren Gestaltungsspielraum deutlich erweitern. Durch die Qualitätsanalyse, die im Gesetz verankert wird, beraten wir diese Schulen in ihrer Entwicklung.

Mehr Förderung, meine Damen und Herren, mehr Durchlässigkeit für die Schüler, mehr Freiheit und Qualität für die Schulen – mit dem neuen Schulgesetz sind wir auf einem guten, auf einem sicheren Weg.

Ich wiederhole: Unser Bildungssystem wird künftig dazu beitragen, Nordrhein-Westfalens Größe nicht nur über seine Fläche oder seine Bevölkerung zu definieren. Nordrhein-Westfalen ist ein Land der Chancen. Nordrhein-Westfalen ist Zukunft.

(Anhaltender Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank. – Meine Damen und Herren, Sie haben die Einbringung des Gesetzentwurfs gehört. Ich eröffne die Debatte. Als erster Redner hat der Abgeordnete Kaiser, CDU-Fraktion, das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich ganz herzlich bei Frau Schulministerin Sommer für die Vorstellung des neuen Schulgesetzes bedanken. Ich kann feststellen: Dieser Wurf ist gelungen; herzlichen Dank dafür, Frau Sommer!

(Lebhafter Beifall von CDU und FDP – La- chen und Widerspruch von der SPD)

Mit der Einbringung des neuen Schulgesetzes ziehen wir den Schlussstrich unter 39 Jahre sozialdemokratischer Schulpolitik.

(Beifall von der CDU – Widerspruch von der SPD)