Protocol of the Session on March 15, 2006

Es darf zu Recht bezweifelt werden, dass es diese Vertrauensbildung bei der Wirtschaft in die Politik dieses Landes bei Ihrer Regierungsbeteiligung tatsächlich gegeben hat.

(Beifall von der FDP)

Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass Sie diesen Antrag mitten in die Haushaltsberatung des Etats 2006 stellen und damit im Grunde genommen aufzeigen, dass Sie bundesweit auf Steuereinnahmen verzichten wollen, dann ist das nicht unbedingt ein Beitrag zur seriösen Problemlösung

der haushalterischen Probleme, die wir in diesem Land nicht erst seit gestern, sondern seit vielen Jahren haben. Dafür sind sicherlich unterschiedliche Entwicklungen verantwortlich.

Einig sein müssten wir uns allerdings in der Auffassung, dass die Maastricht-Kriterien wichtig für uns sind und wir sie auf Dauer wieder einhalten müssen. Wir sind in dieser Hinsicht jüngst wieder gemahnt worden und werden – wie beschrieb es heute eine Zeitung? – etwas an die Kandare genommen. Das muss in ein stimmiges Gesamtkonzept gebracht werden.

Sie fordern in Ihrem Antrag, dass sich die Landesregierung auf Bundesebene dafür einsetzen soll, dass auch in Deutschland der Modellversuch mit einer Absenkung des Mehrwertsteuersatzes auf arbeitsintensive Dienstleistungen angewandt wird. Das ist im Hinblick auf die Effekte am Arbeitsmarkt aus den Gründen, die Kollegin Walsken und Kollege Schittges dargestellt haben, sehr wohl in Zweifel zu ziehen.

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich habe die Wortmeldung gesehen, aber gestatte sie im Augenblick nicht.

Nicht, dann streiken Sie.

Das können wir nachher bilateral klären. – Es sind genügend Länder an diesem Modellversuch beteiligt, um herauszufinden, ob gewünschte Effekte erreichbar sind.

Es ist schon angesprochen worden. dass der Zwischenbericht der Kommission dafür wenig Anhaltspunkte gibt. Die Bundesregierung, und zwar auch die frühere von Rot-Grün getragene, hat sich in den vergangenen Jahren mit guten Gründen, wie ich finde, gegen die Beteiligung Deutschlands an diesem Modellversuch ausgesprochen. Sie hat darauf hingewiesen – das kann ich nur noch einmal unterstreichen –, dass es weder ordnungspolitisch noch aus haushalterischen und steuerrechtlichen Erwägungen sinnvoll und geboten ist, eine weitere Subvention einzuführen. Die Wettbewerbsverzerrungen, die dadurch entstehen könnten, die Abgrenzungsschwierigkeiten und neue Missbrauchsmöglichkeiten sind bereits genannt worden.

Als wesentliches Argument – das will ich an dieser Stelle hervorheben – muss man anführen,

dass es dadurch aber gerade Anhaltspunkte für Effekte am Arbeitsmarkt und zur wirksamen Bekämpfung der Schwarzarbeit gibt.

Ich würde mir wünschen, dass wir es schaffen, Deutschland als attraktiven Wirtschaftsstandort herauszubilden, und wir zu einer grundlegenden Reform unseres Steuersystems kommen. Es ist für die Wettbewerbsfähigkeit notwendig, dass wir zu einem einfacheren und transparenten Steuersystem kommen, das niedrigere Steuerbelastungen für die Bürgerinnen und Bürger insgesamt beinhaltet. Losgelöst, allein ein geringerer Mehrwertsteuersatz auf arbeitsintensive Dienstleistungen führt zudem lange nicht dazu, dass diese Steuervorteile tatsächlich an die Verbraucher weitergegeben werden.

Wir müssen unter dem Gesichtspunkt Beschäftigungsimpulse massiver an die Lohnnebenkosten und an die Einkommen- und Körperschaftsteuerherangehen, als wir das bislang tun.

Zum Schluss richte ich insbesondere an die Kolleginnen und Kollegen von SPD und CDU den Appell: So sehr ich gegen eine vom Effekt her nicht nachgewiesene Senkung des Steuersatzes für arbeitsintensive Dienstleistungen bin, so sehr halte ich auch die Anhebung der Mehrwertsteuer von 16 % auf 19 % für alle Umsätze für falsch. Diese Mehrwertsteuererhöhung ist Gift für unsere Konjunktur, Gift für Effekte am Arbeitsmarkt. Deswegen würde ich mich sehr freuen, wenn die Kolleginnen und Kollegen von SPD und CDU auch an dieser Stelle, der eigenen Argumentation und Logik folgend, auf eine solche weitere Steuererhöhung verzichten würden. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Frau Freimuth. – Für die Landesregierung spricht der Herr Finanzminister.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute über einen Vorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, einer Fraktion, die, als sie noch in der Regierungsverantwortung gestanden hat, genau diesen Vorschlag inhaltlich abgelehnt hat. Man kann natürlich sagen, Herr Priggen: Das Sein verändert das Bewusstsein. In der Opposition wird man klüger. Vielleicht hat es auch in der Zwischenzeit irgendwelche Entwicklungen gegeben, die Sie zu dieser Meinungsänderung gebracht haben. Ich kann diese allerdings nicht erkennen.

Zur Erinnerung: 1999 wurde die Sechste EGMehrwertsteuerrichtlinie erlassen und damit eine zunächst bis zum 31. Dezember 2002 befristete Sonderregelung geschaffen. Für bestimmte arbeitsintensive Dienstleistungen sollte der Regelsteuersatz reduziert werden, um die Schaffung neuer Arbeitsplätze und die Eindämmung der Schwarzarbeit zu erreichen. Von dieser Sonderregelung, die bis zum 31. Dezember 2005 verlängert wurde, hatten zuletzt elf EU-Mitgliedstaaten Gebrauch gemacht.

Die alte rot-grüne Bundesregierung hatte im Jahre 1999 beschlossen, an dem Experiment „arbeitsintensive Dienstleistungen“ nicht teilzunehmen. Sie bezweifelte, dass durch die Einführung eines ermäßigten Umsatzsteuersatzes die angestrebten Ziele verwirklicht werden könnten. Die damalige rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen hat diese Position – ich darf sagen: wie so vieles, was aus Berlin kam – kritiklos geteilt.

Die Frage, ob sich Deutschland an einem niedrigeren Steuersatz für arbeitsintensive Dienstleistungen beteiligt, stellt sich jetzt aufs Neue. Im Januar 2006 haben die Finanzminister der EU beschlossen, den ermäßigten Umsatzsteuersatz hierfür fortzuführen. Die Einigung beruhte auf einem Kompromissvorschlag des österreichischen Vorsitzes, dem auch Bundesfinanzminister Steinbrück zustimmte. Danach wird die Geltungsdauer der versuchsweise eingeführten ermäßigten Steuersätze für arbeitsintensive Dienstleistungen bis zum 31. Dezember 2010 verlängert.

Außerdem haben alle EU-Mitgliedstaaten, und zwar auch die, die wie Deutschland bisher nicht an dem Experiment teilgenommen haben, die Möglichkeit, bis Ende März – daher auch der Antrag heute, sicherlich noch zur rechten Zeit – die Anwendung der Sonderregelung bei der Europäischen Kommission zu beantragen.

Welche Position soll Deutschland in dieser Frage einnehmen? Da auf Grundlage der geänderten EU-Richtlinie noch einmal die Chance besteht, dem Experiment beizutreten, bedarf es sicherlich nochmals einer eingehenden Prüfung, ob die Einführung eines ermäßigten Steuersatzes das geeignete Mittel zur Schaffung neuer Arbeitsplätze und zur Eindämmung der Schwarzarbeit sein kann.

Unbestritten ist, dass arbeitsintensive Dienst- beziehungsweise Handwerksleistungen in besonderem Maße der Konkurrenz durch Schwarzarbeit beziehungsweise Schattenwirtschaft ausgesetzt sind. Diese Konkurrenz wird sich durch die geplante Erhöhung des Regelsteuersatzes bei der

Umsatzsteuer – da gebe ich Ihnen Recht, Kollegin Freimuth – von 16 auf 19 % wohl noch verstärken. Die Verlockung zur Einführung eines ermäßigten Umsatzsteuersatzes ist daher groß.

Es muss aber auch berücksichtigt werden, dass es bislang an eindeutigen Belegen dafür fehlt, dass ein ermäßigter Steuersatz tatsächlich positive Effekte im Hinblick auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Eindämmung von Schwarzarbeit hat. Sicherlich muss man auch die Erfahrungen von Frankreich ins Kalkül ziehen, aber auch da ist manche kritische Haltung angesagt.

Ein Bericht der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2003 bezweifelt, dass es zu diesen positiven Effekten tatsächlich kommen wird. Darüber hinaus wird in diesem Bericht deutlich gemacht, dass die mit der Ermäßigung des Steuersatzes verbundene Preissenkung oft zu gering ist, um dadurch positive Beschäftigungsimpulse zu erzielen. Nach den bisherigen Erfahrungen mit der Regel scheinen die Mitnahmeeffekte also größer zu sein als die positiven Effekte für mehr Beschäftigung und weniger Schwarzarbeit.

Bei dieser Sachlage muss ich als Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen, der in der Verantwortung für unseren Landeshaushalt steht, kritisch fragen, ob eine Regelung, die zu Steuerausfällen von geschätzt mehreren Milliarden Euro führen wird, durch das Prinzip Hoffnung solide gegenfinanziert wird. Ich bin der Kollegin Walsken dankbar, dass sie betont hat, dass Konsolidierung Vorrang vor Überlegungen hat, die zu vagen Ergebnissen führen.

Es sprechen gewichtige Gründe gegen die Annahme eines solchen Antrags. Die Umsatzsteuer ist nur ein Preisbestandteil unter vielen. Dass die gewährten Umsatzsteuerermäßigungen tatsächlich über Preissenkungen an die Verbraucher weitergegeben werden und damit der private Konsum stimuliert wird, ist ebenfalls zweifelhaft. Dies wäre aber eine Voraussetzung für positive Beschäftigungsimpulse oder ein Zurückdrängen der Schwarzarbeit.

Lassen Sie mich ganz deutlich sagen: Wir sind bereit, jede wirksame Maßnahme zu ergreifen, die zu mehr Beschäftigung in Deutschland führen kann, soweit dies solide darstellbar ist. Vor diesem Hintergrund befürworte ich die von der Bundesregierung beabsichtigte Einführung einer steuerlichen Ermäßigung für die Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen für Renovierungs-, Erhaltungs-, und Modernisierungsmaßnahmen im Rahmen des Einkommensteuerrechts, um auf

diesem Wege gezielt Beschäftigung im Handwerk anzustoßen.

(Unruhe – Glocke)

Ein Punkt, der in der Diskussion bisher zu wenig beleuchtet worden ist, ist die Konkurrenzfähigkeit unserer Handwerksbetriebe besonders in den grenznahen Regionen. Die geplante europäische Dienstleistungsrichtlinie wird zu einem verstärkten europäischen Wettbewerb zwischen inländischen und europäischen Dienstleistungsunternehmen führen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Festhalten Deutschlands an höheren Umsatzsteuersätzen gegenüber Mitgliedstaaten, die ihren Unternehmern anderen Bedingungen bieten, negative Auswirkungen auf die Wettbewerbssituation deutscher Unternehmer in Europa haben wird. So habe ich Sie, Herr Priggen, aus Ihrer räumlichen Nähe zu Belgien und Holland auch verstanden.

(Der Abgeordnete Reiner Priggen [GRÜNE] nickt.)

Unter diesem Eindruck wird die Landesregierung genau beobachten, welche beschäftigungspolitischen Effekte in den Mitgliedstaaten dadurch ausgelöst werden, dass sie von der Möglichkeit der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf arbeitsintensive Dienstleistungen Gebrauch machen.

Die Kommission hat insoweit in Aussicht gestellt, bis zum Ende des Jahres 2007 eine erneute Studie zu den Auswirkungen der reduzierten Steuersätze auf Wachstum und Beschäftigung vorzulegen. Wir werden die Entwicklung also sehr sorgfältig beobachten.

Im Namen der Landesregierung kann ich allerdings sagen, dass wir diesem Antrag nicht zustimmen werden. – Danke.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt Herr Dr. Bollermann das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz für arbeitsintensive Dienstleistungen beschäftigt Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und insbesondere das deutsche Handwerk nun schon seit mehreren Jahren.

Seit 1997 wird sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene zum Teil sehr kontrovers diskutiert. Bereits damals stellte die Kommission

in einem Bericht an den Rat des Europäischen Parlaments fest, dass ermäßigte Mehrwertsteuersätze im Allgemeinen ein sehr ungenaues Politikinstrument seien und sie nicht als Ersatz für unmittelbar auf den Arbeitsmarkt bezogene Maßnahmen eingesetzt werden sollten.

Trotz dieser Erkenntnisse wurde in einem Feldversuch in verschiedenen EU-Staaten erprobt, ob durch einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz örtlich begrenzte arbeitsmarktpolitische Wirkungen erzielt werden konnten.

2003 hat die Kommission die Erfahrungen der teilnehmenden Mitgliedstaaten analysiert und dem Rat einen Bewertungsbericht vorgelegt. Dieser Bericht macht deutlich, dass sich die Einführung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes weder spürbar auf die Schaffung von Arbeitsplätzen noch auf die Eindämmung der Schwarzarbeit ausgewirkt hat und dass die Haushaltsmittel – und das ist entscheidend – anderweitig zielgerichteter hätten verwendet werden können.

Auf die damaligen Erkenntnisse möchte ich aus Zeitgründen nicht vertiefend eingehen. Sie haben aktuell noch Gültigkeit und sind in der Debatte bereits von Frau Walsken, aber auch von Herrn Schittges genannt worden.

Nach Meinung unserer Fraktion ist zu erwarten, dass die Erkenntnisse des erneuten verlängerten Modellversuchs im Jahr 2010 mit dem am 2. Juni 2003 vorgelegten Bewertungsbericht deckungsgleich sein werden.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Michael Vesper)

In der Diskussion wird von verschiedenen Seiten hervorgehoben, dass die reduzierten Mehrwertsteuersätze innerhalb der EU zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen und Wettbewerbsnachteilen führen würden. Festzustellen ist, dass hinsichtlich der reduzierten Mehrwertsteuersätze davon auszugehen ist, dass die Nachbarländer Nordrhein-Westfalens den Mehrwertsteuersatz für einzelne Leistungen sicherlich senken werden. In den Niederlanden profitieren bisher zum Beispiel Schuhmacher, Frisöre sowie Zweiradmechaniker von der Ermäßigung. Es kann, meine Damen und Herren, zu Preisvor-, aber auch zu Preisnachteilen in den Grenzregionen kommen; Herr Priggen hat das Thema eben angesprochen. Fraglich ist jedoch, ob dadurch der Wettbewerbsdruck auf einzelne Handwerksbranchen signifikant steigen wird.

Kaum zu erwarten ist, dass Kleinreparaturen im großen Stil von niederländischen oder polnischen Unternehmern und Unternehmen ausgeführt wer

den dürften. Zum einen sind Such- und Informationskosten im Verhältnis zum Auftragsvolumen zu hoch, zum anderen werden die Vorteile der Haftungs- und Gewährleistungspflichten, denen ortsnahe Unternehmen verpflichtet sind, den marginalen Steuervorteil mehr als ausgleichen.