Protocol of the Session on January 19, 2006

(Anhaltender Beifall von CDU und FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Landesregierung hat mit dem Beitrag des Herrn Ministerpräsidenten ihr

Redekontingent um gut sechs Minuten überzogen. Nun steht allen vier Fraktion auch noch einmal dieses Redekontingent zur Verfügung. Als Erste hat sich die Vorsitzende der GrünenFraktion, Frau Löhrmann, gemeldet.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das verschafft mir ein bisschen mehr Zeit. Das freut mich sehr. Vielen Dank.

Herr Ministerpräsident, diese Mischung aus Werben und Diskussion einerseits und Attacke zur Abwehr andererseits zeigt mir einmal mehr, dass Sie immer noch zwei Rollen spielen, nämlich die des Ministerpräsidenten und die des Fraktionsvorsitzenden. Die CDU müsste doch allmählich in der Lage sein, das auseinander zu halten und selbst zu regeln.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Ich komme zu Ihrem werbenden Teil. Ich möchte mich zurückerinnern und Sie dabei mitnehmen. Damit kann ich auch einen Punkt von Herrn Laschet aufgreifen. Nach Pisa im Dezember 2001 mit erschreckenden Ergebnissen für die gesamte Bundesrepublik Deutschland, mit Nuancen, was die Bundesländer angeht – das möchte ich noch einmal betonen –, war Gelegenheit, in sich zu gehen, sich zu sammeln und alles zu diskutieren, um dann zu versuchen, neue Wege aufzuzeigen.

Meine Fraktion hat das unter meiner Federführung getan. Wir haben Überzeugungen über Bord geworfen, zum Beispiel was die Frage zentraler Abschlüsse angeht. Wir haben sogar noch vor der SPD beschlossen, wir sagen Ja, weil wir uns am skandinavischen System orientieren wollen.

Dafür haben wir uns aber auch erlaubt, diese Grundelemente des skandinavischen Systems, die individuelle Förderung, in den Mittelpunkt zu stellen und die Selbstständigkeit hochzuhalten, haben wir uns erlaubt, das zum Prinzip von Systemen zu machen und zu sagen: Inhalt und Form gehören zusammen. Ich habe bei Goethe gelernt, dass das zusammengehört. Also darf und muss man auch nach langen Jahren, in denen das nicht passiert ist, über Strukturen sprechen, weil Strukturen Lernen und Leistung von Kindern behindern. Das haben wir getan.

Wir haben uns erlaubt, das in unserem Wahlprogramm als Ziel mit dem Hinweis auf pragmatische Schritte zu formulieren. Dann waren leider Sie es mit Ihrer Partei – mit manchen von Ihren Leuten kann man super diskutieren, mit denen können

wir es auch hinbekommen; mit Herrn Laschet, glaube ich, könnte ich das schaffen –

(Zuruf von der CDU: Hört, hört!)

und schlimmer noch die FDP, die die alten Schützengräben-Formulierungen wieder herausgeholt haben. Sie haben mit der Einheitsschule angefangen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Bevor Sie geißeln, dass man nicht neue Wege geht, was wir ja getan haben, sollten Sie in sich gehen und darüber nachdenken, ob das nicht vielleicht ein Fehler war.

Ein Beleg, dass andere bereit waren, zeigt zum Beispiel der VBE, der Verband Bildung und Erziehung, ein durchaus konservativer Lehrerverband, in dem viele Menschen gerade aus Ihrer Partei, der CDU, Mitglied sind. Sie haben gesagt: keine alten ideologischen Debatten mehr! Uns war es ein Anliegen, dies nicht zu tun. Aber bitte öffnet nicht nur die Schulsysteme, öffnet nicht nur die Schleusen im System, sondern beseitigt die Blockaden in den Köpfen, wonach etwas, was alt ist, nicht zugelassen werden darf.

Als der Schulausschuss in Großbritannien, Schottland und Schweden war, hatte ich die große Hoffnung, dass der Geist des dortigen Schulsystems, der Kinder mitnimmt, ermutigt und zu guten, zu hervorragenden Leistungen führt, überschwappen würde.

Ich erinnere mich an nette Abende mit einigen Kollegen – ich will sie nicht nennen – aus der CDUFraktion.

(Unruhe und Zurufe von der CDU)

Ja, und da hatte ich den Eindruck

(Zuruf von Michael Solf [CDU])

Herr Solf, es ist mir sehr wichtig;

(Anhaltende Unruhe – Glocke)

vielleicht darf ich das so sagen –, dass dieser Geist von Pisa und von diesem anderen Lernen bei einigen übergesprungen wäre. Dann kam ein Wahlkampf dazwischen, den Sie aus meiner Sicht in dem Fall missbraucht haben, um solche Diskussionen zu verhindern. Ich bedauere das sehr. Ich bedauere das außerordentlich, weil es mir ein großes Anliegen ist, mit Ihnen diskutieren zu können und vielleicht sogar zu gemeinsamen Ergebnissen zu kommen.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich habe leider jetzt auch den Eindruck, dass Sie aufgrund der

Koalitionsvereinbarung mit der FDP und den Eckpunkten, die die FDP in den Vertrag hineingeschrieben hat – zum großen Teil waren diese Punkte gar nicht im CDU-Wahlprogramm enthalten –, nicht mehr weiter diskutieren können. Die Ministerin – auch diesen Eindruck haben wir sehr wohl – wäre bereit, mit uns weiter zu beraten.

Ich bedanke mich ausdrücklich, dass Sie, Herr Ministerpräsident, mir die Gelegenheit verschafft haben, das noch einmal im Kontext darzustellen. Ich würde mir wirklich wünschen: Halten Sie inne! Ziehen Sie Ihr Ding nicht einfach durch! Setzen wir uns noch einmal zusammen – im Sinne der Kinder von Nordrhein-Westfalen, im Sinne der Zukunftsfähigkeit unseres Landes, auch der ökonomischen Zukunftsfähigkeit unseres Landes. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Ministerpräsi- dent Dr. Jürgen Rüttgers: Es war mir ein An- liegen, Sie noch reden zu hören!)

Als nächster Redner hat noch einmal der Abgeordnete Witzel für die FDP-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Anknüpfend an die letzten Beiträge: Gerade weil es so wichtig ist, aus Pisa und von anderen zu lernen, darf man Pisa nicht als Steinbruch benutzen.

Wir alle wissen, dass die entscheidende Frage für Qualitätsentwicklung die ist, welche Ressourcen man für individuelle Förderung zur Verfügung stellt und wie man auch zu einem Klima von Lernmotivation und -animation beiträgt.

Dass es international integrierte Systeme mit guten wie auch mit katastrophal schlechten Ergebnissen gibt, hängt eindeutig nicht von der Schulform ab, wie im Übrigen auch Baumert und andere ganz ausdrücklich in ihren Fachbeiträgen darstellen. Als „Pisa-Papst“ für Deutschland ist Prof. Baumert sicherlich ein wichtiger Ratgeber auch in dieser Frage.

Sie können lernen – weil Pisa kein Steinbruch ist –, dass zwei Dinge, kombiniert mit individueller Förderung, in Skandinavien ganz wichtig sind, nämlich ein glasklares Bekenntnis zur Leistung und keine Vertuschung von Leistungen. In den skandinavischen Schulen sind die Anforderungen sehr hoch. Kinder lernen dort drei, vier Fremdsprachen, bevor sie auf die Hochschule wechseln. Es gibt dort nicht nur zentrale Aufgabenstellungen bei Abschlussprüfungen, sondern auch eine zentrale Korrektur. All diese Instrumente sind dort selbst

verständlich: die Stärkung der Kernkompetenzen – das, was wir auch zukünftig bei uns im Abitur machen.

Das heißt, wir orientieren uns an dem, was in Skandinavien vorbildlich ist, und an dem, was im gleichen kulturellen Kontext, nämlich im innerdeutschen Vergleich, die erfolgreichen Bundesländer machen, in denen diese Symboldebatten so nicht stattfinden.

Der zweite Punkt neben der Leistungsorientierung ist der Wettbewerb. Auch der ist da stark ausgeprägt. In den Ländern, die Sie genannt haben, in Großbritannien wie auch in Skandinavien, versteht niemand die bornierte deutsche Debatte über Schulbezirksgrenzen, über die Zuteilung von Schülern.

(Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Das kennen sie als Instrument nicht, weil sie der festen Überzeugung sind, dass hier Wettbewerbsprozesse zu den richtigen Ergebnissen führen.

Deshalb setzen wir auch auf mehr Selbstständigkeit von Schule. Frau Löhrmann, wir haben nur ein völlig anderes Verständnis als Sie. CDU und FDP haben hier in den letzten Jahren Anträge gestellt, Forderungen für mehr Selbstständigkeit von Schule aufgestellt. Dazu gehört zum Beispiel auch das Vertrauen – damit beantworte ich gerne die Frage von Herrn Link nach der Schulleiterstellenbesetzung – gegenüber ergebnisverantwortlichen Schulen vor Ort, für sich besser eine Entscheidung über die Besetzung von Schulleiterstellen treffen zu können, als wenn dies durch Parteibuchwirtschaft in kommunalen Gremien erfolgt. Dieses Vertrauen gehört auch dazu.

(Beifall von der FDP)

Wir haben uns Ihrem Verständnis von selbstständiger Schule widersetzt, was nämlich in der Debatte damals mit Gabriele Behler, der zuständigen Fachministerin, mit dem Aufschlag begann: Nun sind wir bald bei der notenfreien Schule.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Angela Freimuth)

Jede Schule kann mit großer Variationsbreite ihre Stundentafeln anpassen, umdefinieren, bestimmte Unterrichtsfächer für ein halbes Jahr direkt aussetzen. Das stimmt nicht mit unserem Verständnis von verlässlichem Unterricht überein.

Damit komme ich, Frau Präsidentin, zum Schluss. Ich wollte Ihnen noch eben einen Beleg nachliefern. Wir halten nach Wahlen das, was wir vorher versprochen haben. Dieses Versprechen möchte ich im werten Plenum nicht brechen.

Ich bin Ihnen nämlich noch die Erkenntnisse schuldig, die Edgar Moron zu diesem Thema hat, und zitiere aus der „Neuen Deutschen Schule“ vom 10. März 2005, etwas mehr als zwei Monate vor der Landtagswahl. Edgar Moron war ja in Bildungsfragen Ihr Vordenker.

Er hat zu Zeiten, als Sie alle noch Gift und Galle gespuckt haben, Zentralprüfungen gefordert. Da haben Sie gesagt: Das ist eine Minderheitenmeinung. Das gibt es mit der SPD niemals. – Ein halbes Jahr später war es dann so weit. Insofern messe ich dem schon eine Bedeutung zu, wenn der Fraktionschef das erklärt; das ist nicht irgendein Hinterbänkler.

In diesem Beitrag in der Fachzeitschrift, der auch an anderen Stellen sehr lesenswert ist, schreibt er:

„Selbstständigkeit bedeutet Konkurrenz der Schulen untereinander. Die Eltern müssen das Recht haben zu entscheiden, in welche Schule sie ihr Kind schicken. Das gilt auch für die Grundschulen.“

Ich glaube, dem ist nichts hinzuzufügen. – Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. – Als nächste Rednerin hat die Kollegin Schäfer für die Fraktion der SPD das Wort.