Protocol of the Session on December 14, 2005

(Marc Jan Eumann [SPD]: Sehr gute Anträ- ge!)

Die SPD-Fraktion hat bei ihrem Antrag leider zweierlei übersehen, Herr Eumann:

Zum einen lässt die weitere zeitliche Abfolge zur Beschlussfassung über den Entwurf der Dienstleistungsrichtlinie keine weitere Studie zu. Aus meiner Sicht gibt es hierfür auch keinen Bedarf, da jetzt konkretes politisches Handeln gefordert ist und entsprechende Mehrheiten im Europäischen Parlament für sachgerechte Positionen erzielt werden müssen.

Zum anderen übersieht der Antrag der SPDFraktion aber auch, dass es wenig hilfreich ist, wenn von Bundesländern versucht wird, Definitionen eines europäischen Dienstleistungsbegriffs vorzunehmen. Es ist ersichtlich, hiermit kommen wir politisch nicht weiter. Letztlich würde die Umsetzung des Antrags der SPD-Fraktion nur Zeit und Geld kosten. Beides haben wir nicht. Dafür trägt im Übrigen auch die bisherige Landesregierung die Verantwortung.

Der Antrag der Grünen ist inhaltlich wesentlich besser ausgearbeitet als der SPD-Antrag. Allerdings ist man leider der Versuchung unterlegen, sich zu einer Vielzahl von Themenbereichen zu äußern. Damit wird eine klare politische Zielsetzung, die noch Umsetzungschancen haben könnte, nicht erkennbar, Herr Priggen. Letztlich ist Ihr Antrag schön ausgearbeitet, mit viel Text versehen, aber unpraktikabel. Daher lehnen wir auch die Drucksache 14/879 der Grünen ab.

Die Europäische Volkspartei hat gemeinsam mit den Liberalen im Binnenmarktausschuss einige wichtige Änderungen des ursprünglichen Kommissionsentwurfs durchgesetzt:

In Art. 1 wurde die Regelung neu aufgenommen, dass die Bestimmungen der Richtlinie den Dienstleistungsverkehr zwar erleichtern sollen, aber bei gleichzeitiger Gewährung einer hohen Qualität der Dienstleistung. Verschiedene Bereiche von Art. 1 wurden ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen: die Liberalisierung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, Privatisierung von öffentlichen Einrichtungen, die solche Dienstleistungen erbringen, und das Arbeitsrecht, insbesondere die bestehenden Bestimmungen für die Beziehungen zwischen den Sozialpartnern.

In Art. 2 wird ausdrücklich erwähnt, dass die kommunale Daseinsvorsorge nicht eingeschränkt werden soll.

Außerordentlich bedeutsam ist ferner, dass die Entsenderichtlinie und die Richtlinie zur Anerkennung von Berufsqualifikationen als spezielle Richtlinien Vorrang vor der Dienstleistungsrichtlinie erhalten. Dies ist in Artikel 3 geregelt.

In den Artikeln 34 bis 37 soll eine Kernforderung des deutschen Handwerks umgesetzt werden. Danach wird „der Zielmitgliedstaat für die Kontrolle der Tätigkeit des Dienstleistungserbringens in seinem Hoheitsgebiet zuständig sein“.

Schließlich hat der Binnenmarktausschuss in seiner Mehrheit das Herkunftslandprinzip, also den Kernbereich der Richtlinie, in wesentlichen Punkten bereits verändert. Die Mitgliedstaaten sollen danach unter anderem die Möglichkeit erhalten, verbindliche Umwelt-, Sicherheits- und Sozialstandards durchzusetzen. Dies steht in Art. 16.

Hierzu muss man kritisch anmerken, dass diese Regelung noch keine klaren Konturen aufzuweisen hat. So bedarf es aus meiner Sicht klar erkennbarer und praktikabler Einschränkungen des Herkunftslandprinzips, damit auch künftig deutsche mittelständische Unternehmen in einem fairen Wettbewerb mit anderen Unternehmen der europäischen Mitgliedstaaten Dienstleistungen in Deutschland erbringen können. Hier bedarf es noch eines nachvollziehbaren und transparenten Verfahrens, um derartige Standards festzulegen.

Auch die Kontrollregelungen – das ist ein ganz wichtiger Punkt – für unsere Verwaltungsbehörden in Deutschland müssen insbesondere praktikabel sein. Denn leider mussten wir schon im Zuge der Osterweiterung der Europäischen Union

erfahren, dass Sozial- und Wettbewerbsstandards dann nichts helfen, wenn die Kontrollmöglichkeiten nicht praktikabel sind.

Sie können ganz sicher sein, dass sich meine Fraktion gemeinsam mit der Landesregierung, insbesondere mit Herrn Europaminister Breuer, nachdrücklich für die letztgenannten Regelungen einsetzen wird. Daher kommt es auf schnelles politisches Handeln und nicht mehr auf unpraktikable Beschlussanträge der Oppositionsfraktionen an. Wir lehnen den Antrag der SPD und den Antrag der Grünen ab. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Knieps. – Für die FDP spricht Herr Brockes.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir uns heute mit der Dienstleistungsrichtlinie beschäftigen, lautet die Kernfrage: Wollen wir die Dienstleistungsfreiheit, Ja oder Nein? Deshalb, meine Damen und Herren von den beiden Oppositionsparteien, ist es nicht der richtige Weg, wenn Sie, wie in Ihren Anträgen geschehen, zwar Ja sagen, aber anschließend eine Vielzahl von Punkten aufführen, die das Ja wieder einschränken, sodass wir de facto keine Dienstleistungsfreiheit haben. Das ist auch der Grund, weshalb wir Ihren Anträgen nicht zustimmen können.

Frau Sikora, Sie haben heute die gesamte Geschichte der Dienstleistungsrichtlinie aufgeführt. Es war vielleicht für den einen oder anderen Zuschauer, der neu in diesem Thema ist, interessant, dies einmal so vorgeführt zu bekommen. Aber wir sind heute bei einem anderen Stand als zur Zeit der Einbringung durch die Kommission. Da stimme ich Ihnen auch zu: In dem ursprünglichen Entwurf gab es doch eine Vielzahl von handwerklichen Fehlern und unsinnigen Vorschriften. Diese, meine Damen und Herren, sind aber aus unserer Sicht in dem aktuellen Entwurf, in dem Kompromiss des Binnenmarktausschusses fast alle abgearbeitet, und wir haben somit eine sehr gute Grundlage, die auch wirklich Dienstleistungsfreiheit schaffen kann. Die meisten Vorwürfe sind daher veraltet, meine Damen und Herren.

So entbehrt zum Beispiel das Argument, die Dienstleistungsrichtlinie sei ein Einfallstor für Billigarbeiter aus Osteuropa, jeder Grundlage. Ein polnisches Unternehmen, das eine Niederlassung in Deutschland, Frankreich oder sonst wo gründet, muss ohnehin die dort gültigen Lohn- und Sozialvorschriften einhalten. Auch für einen ledig

lich kurzfristig aus seiner Heimat entsandten Arbeitnehmer gelten die Mindestarbeitsbedingungen des Gastlandes.

Wie wichtig ein liberaler Dienstleistungsmarkt für die Wirtschaft und für Europas Ziel, den Anschluss an die Wachstumsraten in den USA zu halten, wäre, zeigen schon wenige Zahlen. Jenseits des Atlantiks wuchs die Produktivität im Dienstleistungssektor im Durchschnitt der letzten Jahre um 2,8 %; in der EU waren es gerade einmal 0,3 %. Meine Damen und Herren, Europa vergibt also eine große Chance.

Jetzt haben die Europa-Abgeordneten – wie ich schon sagte – sämtliche Fehler korrigiert und dabei auch die Ängste der Menschen berücksichtigt. Mit den vorgenommenen Änderungen am Herkunftslandsprinzip wird berechtigten Bedenken Rechnung getragen, ohne den Regelungszweck der Richtlinie auszuhebeln. Zusammen mit unseren Kollegen von der EVP und der CDU/CSU ist es der FDP im Europäischen Parlament gelungen, bei den beiden entscheidenden Punkten zu guten Regelungen zu kommen.

Der Anwendungsbereich der Richtlinie wird nicht nur über Gebühr eingeschränkt; das angewandte Recht richtet sich nach dem Geist der Verträge, die die Freiheit zur grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung bereits enthalten, wenn auch bisher leider nur auf dem Papier. Hier kann die Richtlinie endlich Abhilfe schaffen, indem sie einen funktionierenden europäischen Markt für Dienstleistungen nun auch praktisch ermöglicht. Hinzu tritt die Garantie für den Zielstaat, dass er wirkungsvoll seine Gemeinwohlinteressen sichern kann.

Im Ergebnis handelt es sich um das Prinzip der kontrollierten Dienstleistungsfreiheit. Dieses Prinzip erlaubt es den Dienstleistungsanbietern, ihre Leistungen frei von Schikanen europaweit anzubieten. Gleichzeitig versetzt es die Behörden der Mitgliedstaaten in die Lage, auf vernünftige Art und Weise zusammenzuarbeiten.

Die Richtlinie bietet zudem eine Reihe von Chancen, Bürokratie abzubauen und Verwaltungsstrukturen zu vereinfachen. Die vorgesehenen Überprüfungen von Zulassungs- und Kontrollverfahren in allen Mitgliedstaaten werden auch in Deutschland dazu führen, dass manch alter Zopf abgeschnitten werden kann. Das, meine Damen und Herren, ist gut, ist gut für Wachstum und Beschäftigung, denn kaum etwas behindert Unternehmen und Investoren so stark wie komplizierte Bürokratie und undurchschaubare Steuersysteme.

Nach dem Kompromiss im Europäischen Parlament – bzw. in dem Ausschuss – ist die Stunde der Wahrheit gekommen. Wer jetzt weiterhin gegen die Richtlinie wettert, gibt damit zu erkennen, dass er die Dienstleistungsfreiheit als solche und damit eine der Grundfreiheiten des Binnenmarktes ablehnt.

Ginge es nach den Sozialdemokraten, so würde der Markt für Dienstleistungen erst geöffnet, wenn die Vorschriften für Serviceanbieter in allen 25 EU-Staaten einander angeglichen wären. Das würde eine Flut neuer Richtlinien zur Folge haben. Jeder Berufsstand – vom Bauingenieur bis zum Unternehmensberater – bekäme sein eigenes dickes Paragraphenwerk. Statt zu einem Dienstleistungsmarkt Europa käme es zu einem Rückfall in die Kleinstaaterei.

Meine Damen und Herren, die einseitig auf Ängste abzielende und bewusst Panik schürende Kampagne, die gerade auch von den Gewerkschaften geführt wird, muss endlich ein Ende haben; denn mit der Angst vor dem Wettbewerb und dem zunehmenden Wunsch, sich in die Wagenburg zurückzuziehen, verspielen wir sowohl in Nordrhein-Westfalen als auch in Europa unsere Chancen auf Wachstum und Beschäftigung.

Gerade Nordrhein-Westfalen wird von der Dienstleistungsrichtlinie in hohem Maße profitieren. Viele hoch wettbewerbsfähige mittelständische Unternehmen wollen endlich die Wachstumschancen nutzen, die für sie im großen europäischen Markt zu erzielen sind. Diese Chancen sollten wir ihnen gewähren. – Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Brockes. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Thoben. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestern hat der Bundeswirtschaftsminister die Verabschiedung der Chemikalien-Richtlinie begrüßt. Auch das war ein langer Prozess. Auch hier hat sich das Land Nordrhein-Westfalen mit verschiedenen Aktivitäten einschließlich Planspielen eingebracht. Mein Eindruck ist: Bei der Dienstleistungsrichtlinie stehen wir vor vergleichbaren Problemen. Manche, die den Binnenmarkt für Waren und Güter als relativ unproblematisch gesehen haben, haben sich bei dem Entwurf der Dienstleistungsrichtlinie nicht richtig klar gemacht, welche Fußangeln bei der Freigabe des Exports und Imports von Dienstleistungen angetroffen werden.

Meine Damen und Herren, erwecken wir aber andererseits bitte nicht den Eindruck, dass das Abschotten von Dienstleistungsmärkten irgendetwas Positives in unserem Land bewirken würde. Ich glaube, wir müssen sehr aufpassen, dass wir nicht Chancen gerade auch kleiner und mittlerer Unternehmen, die Dienstleistungen anbieten, in unseren Nachbarstaaten verbauen.

Das bestätigt übrigens auch eine Studie durch das DIW und das Ifo-Institut, die der Bund in Auftrag gegeben hat. Leider liegt das Gesamtergebnis noch nicht vor. Erste Hinweise sind aber eindeutig: Auch kleine und mittlere Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen würden mit einer größeren Dienstleistungsfreiheit Chancen im Ausland haben.

Meine Damen und Herren, man erweckt allerdings den Eindruck, als ob wir jetzt schon den endgültigen Text hätten, zu dem wir uns einlassen – ablehnend oder zustimmend. Der aktuelle Beschlusstext des federführenden Binnenmarktausschusses liegt jedenfalls mir noch nicht in endgültiger Fassung vor. Es gibt zwar einige Beschlussvarianten oder Elemente, die herangezogen werden können. Das Dokument ist aber noch nicht da.

Zweitens können wir noch nicht vorhersehen, wie das Parlament, das voraussichtlich Ende Januar/Anfang Februar in die erste Lesung geht, über diese Richtlinie entscheidet. Erst dann wird die EU-Kommission den Text überarbeiten und einen neuen Entwurf vorlegen, über den auch der Ministerrat entscheiden wird.

Zum Antrag der Fraktion der SPD: Sachlich falsch ist die Aussage, dass die EU-Kommission das Herkunftslandprinzip aus dem Richtlinienentwurf herausgenommen habe. Das hat die SPD gewünscht. Es ist aber nicht passiert. Auch der unterstellte Zeitplan stimmt nicht mehr.

Wir werden uns selbstverständlich intensiv mit den Auswirkungen auf unsere KMUs befassen; da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Wir müssen aber erst wissen, worüber zu reden und endgültig zu entscheiden ist. Anlässlich der gestrigen Wirtschaftsministerkonferenz hat kein einzelner Wirtschaftsminister – auch keiner, der der SPD angehört – im Moment ein abschließendes Votum dazu abgeben wollen.

Von daher halten wir es für sinnvoll, die erste Lesung im EU-Parlament abzuwarten. Mit Sicherheit ergeben sich weitere Korrekturen – auch bei der Frage, wie das Herkunftslandprinzip am Ende ausgestaltet wird. Natürlich stimmt es, dass wir einige Elemente vortragen können: Welche

Dienstleistungsbereiche werden Bestandteil sein? Welche werden herausgenommen?

Meine Damen und Herren, zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Er ist etwas schwierig zu beraten. Die Grünen beziehen sich auf Abstimmungsergebnisse, die tatsächlich noch nicht endgültig vorliegen. Trotzdem möchte ich auf dem Weg zu abschließender Beratung einige grundsätzliche Anmerkungen aus der Sicht der Landesregierung machen.

Es ist richtig, dass der Anwendungsbereich der Richtlinie überarbeitet werden muss. Im Entwurfstext sind etliche Ausnahmen angeführt. Wir halten sie noch nicht für hinreichend. Grundsätzlich sollten sensible Bereiche vorerst ausgenommen werden.

Vielleicht wäre es ein pragmatischer Weg, die Bereiche, in denen man unstrittig weit übereinstimmend Vorteile sieht, in einem ersten Schritt sofort, möglichst zügig, in Kraft zu setzen und in einem zweiten Schritt die anderen nachzuziehen, wenn man Genaueres weiß.

Ich halte es zum jetzigen Zeitpunkt für durchaus sinnvoll, Gesundheitsdienstleistungen gänzlich aus dem Anwendungsbereich zu nehmen. Allerdings gibt es derzeit keine allgemein gültige Definition, was Gesundheitsdienstleistungen sind. Zudem sind die Gesundheitsmärkte in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich geregelt – insbesondere was das öffentliche Gesundheitswesen angeht. Das heißt: Auch wenn wir die gesundheitsdienstlichen Leistungen ausnehmen, werden wir nicht darum herumkommen, uns zu überlegen, wie wir diesen doch sehr dynamischen Markt zukünftig im Binnenmarkt begleiten wollen.

Gleiches gilt für die sozialen Dienstleistungen.

Bei den Dienstleistungen von allgemeinem Interesse – kurz: Daseinsvorsorge – ist unstreitig, dass diese nicht vom Anwendungsbereich betroffen sein sollen. Allerdings sind hier ebenfalls Klarstellungen erforderlich.

Auch bei den Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse gibt es noch keine Einigung.

Die Kommission will diese in der Richtlinie regeln. Das EU-Parlament ist hier noch nicht eindeutig. Der Binnenmarktausschuss soll sich für eine Belassung im Anwendungsbereich ausgesprochen haben. Hier besteht sicherlich noch weiterer Diskussionsbedarf.

Klar muss sein: Diese Dienstleistungen müssen zumindest vom Herkunftslandprinzip ausgenom

men werden; denn sie sind mit einer öffentlichen Gemeinwohlverpflichtung verbunden.