Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen 15. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch den Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Für die heutige Sitzung haben sich elf Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.
Thema: Falsche Weichenstellungen in der Bildungspolitik: Verstärkte Selektion und Abbau von Bildungsbeteiligung in Nordrhein-Westfalen verhindern
Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 12. Dezember 2005 zu der genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Gute Botschaften vor Weihnachten sehen anders aus als die Eckpunkte zum neuen Schulgesetz, die die Landesregierung aktuell vorgelegt hat. In nur sechs Monaten hat diese Landesregierung ihr gesamtes Vertrauenspotenzial in der Bildungspolitik verspielt.
Spätestens dann, wenn der Vorsitzende des Philologenverbandes in Nordrhein-Westfalen eine Pressekonferenz zum Stimmungstief in der Bildungspolitik abhält, muss sich diese Landesregierung fragen, ob sie den richtigen Kurs eingeschlagen hat.
turwissenschaften in Klasse 5 und 6 ab. Sie können die Zuordnung von 1.000 Lehrerstellen gegen Unterrichtsausfall nicht schlüssig begründen. Sie beginnen eine völlig überflüssige Diskussion um den Erhalt von Zwergschulen. Sie lassen letztlich die Schulen mit der Schuldzuweisung zum Unterrichtsausfall allein.
Ihre politische Maxime, Frau Sommer, ist schlicht: Mein Gesetz ist der Koalitionsvertrag. Hier wird brachial durchdekliniert, was im Frühjahr dieses Jahres in aller Eile beschlossen wurde, um eine Regierungsmehrheit für Jürgen Rüttgers zu bekommen. Pech für die Ministerin und ein großes Unglück für die Kinder und Eltern. Denn es geht in Wahrheit nicht um das so oft zitierte Wohl des Kindes. Das Maß aller Dinge ist der Koalitionsvertrag.
So beschreibt auch dieses Zitat aus der „Westdeutschen Zeitung“ vom 12. Dezember trefflich die lang erwarteten Eckpunkte des neuen Schulgesetzes in Nordrhein-Westfalen:
Ironie beiseite, denn es geht um unsere Kinder, es geht um unsere Jugendlichen in NordrheinWestfalen, es geht um deren Zukunftschancen, und es geht um den Elternwillen, die demokratische Kultur an unseren Schulen. Es geht auch um die Partner für die notwendige Qualitätsoffensive in unserem Bildungssystem in NordrheinWestfalen, ob es die Städte und Gemeinden sind oder ob es die Beteiligten in den Schulen selber sind, die wir bei der Umsetzung von Innovationen brauchen und mitnehmen müssen.
Wir waren bisher ganz gut gemeinsam unterwegs. Ich erinnere an unsere Maßnahmen aus der vergangenen Legislaturperiode: mehr Transparenz und fairen Wettbewerb durch Lernstandserhebungen, mehr individuelle Förderung von Kindern und Jugendlichen, Stärkung der Selbstständigkeit von Schulen, landesweite Prüfungen und das Abitur nach 12 Jahren, um international Anschluss zu finden.
Trotzdem, es bleibt unbestritten: Noch immer schaffen wir es nicht optimal, allen Jugendlichen die besten Chancen zu geben. Sie, meine Damen und Herren, mit Herrn Rüttgers an der Spitze, sind mit dem Wahlversprechen angetreten, hier mehr zu erreichen. Sie versprechen, alles zu verbessern, und legen jetzt diese Eckpunkte auf den Tisch. Was machen Sie? – Sie verschlechtern die
Chancen unserer Kinder und Jugendlichen, und Sie verspielen leichtfertig die Zukunftschancen für unser Land.
Tendenz: Die soziale Auslese wird verschärft, die Kommunen als wichtiger Partner werden bevormundet, die Verunsicherung und das Chaos an den Schulen nehmen zu, auch die Verunsicherung bei den Eltern nimmt zu. Wo bleibt denn jetzt in den Eckpunkten die konkrete Ankündigung zur vorzeitigen Einschulung? Auf einmal steht sie nicht mehr drin. Die Eltern wollen aber wissen, was Sie vorhaben und wann Sie damit anfangen. Dazu findet sich kein Wort mehr. Ist Ihnen vielleicht plötzlich aufgefallen, was ich Ihnen schon am Anfang des Schuljahres gesagt habe, dass damit zusätzliche Lehrerstellen verbunden sind? Haben Sie das mit dem Finanzminister abgestimmt?
Die Schule in Nordrhein-Westfalen wird zu einem Versuchslabor. Das Traurige ist, dass unsere Kinder und Jugendlichen die Leidtragenden dieser Klimakatastrophe an unseren Schulen sind, die Sie ohne jegliche Not in dieser Rekordzeit von nur sechs Monaten ausgelöst haben.
Das ist umso bitterer, als Sie, Herr Ministerpräsident Rüttgers, sich ständig als das soziale Gewissen der CDU bezeichnen. Es fragt sich nur, für wen und für welche Klientel. Hätten Sie, meine Damen und Herren, wenigstens einmal auf das gehört, was Ihnen die Bildungsforscher sagen, was unumstritten ist; dann wären Ihnen eklatante Fehler nicht unterlaufen. Exemplarisch lässt sich dieses Drama zum Schulgesetz am Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule festmachen. In Deutschland werden die Kinder schon jetzt mit zehn Jahren nach vier Grundschuljahren sortiert. Allerdings hatten die Gutachten dafür bisher Orientierungsfunktion. Jetzt werden sie verbindlich. Der Elternwille wird ausgehebelt.
Man könnte zu Ihrer Entlastung sagen, die Grundschullehrer kennen die Kinder ja und wissen, was richtig ist. Aber darin werden Sie durch die Realität widerlegt. Empirische Studien belegen, dass ein Schüler eines Vaters mit Hauptschulabschluss für eine fünfzigprozentige Wahrscheinlichkeit, auf ein Gymnasium empfohlen zu werden, rund ein Drittel mehr Testpunkte erreichen muss als ein Schüler eines Vaters, der das
Abitur hat. Wissen Sie, wie man das im Kontext der Pisa-Untersuchung genannt hat? – Sekundäre Selektion.
Anders ausgedrückt: Sie fördern mit Ihrer Politik eine Entwicklung, die dazu führt, dass unsere individuellen Bildungspotenziale noch weniger ausgeschöpft werden. Das ist Ihre Planung und diese – ich mag es gar nicht so nennen – „Philosophie“ zieht sich wie ein roter Faden durch all Ihre Eckpunkte. Das ist genau das Gegenteil von zukunftweisender Bildungspolitik. Das Zitat von Anja Clemens aus der „Westdeutschen Zeitung“ vom 12. Dezember 2005 passt an dieser Stelle wiederum gut – ich zitiere –:
„Bei ihrer Experimentierwut muss die Landesregierung aufpassen, dass es nicht zu einem großen Knall kommt. Denn die Opfer sind die Schüler.“
Meine letzte Bemerkung richtet sich an den Finanzminister. Er ist nun heute leider nicht hier, aber ich glaube, Herr Linssen kann den Kredit, den Kollegin Sommer verspielt, mit der Neuverschuldung gar nicht so schnell wieder aufholen. – Danke.
Danke schön, Frau Schäfer. – Als nächster Redner hat der Abgeordnete Klaus Kaiser von der CDU-Fraktion das Wort.
(Jochen Dieckmann [SPD]: Hallo, Herr Kai- ser! – Heiterkeit – Ralf Jäger [SPD]: Es kann nicht besser werden!)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Link, herzlich willkommen heute Morgen!
Ich muss mich schon sehr darüber wundern, Frau Schäfer, dass die SPD-Fraktion diese Aktuelle Stunde beantragt hat, denn wir kommen ja gar nicht umhin, zunächst noch einmal die Bilanz der rot-grünen Bildungspolitik zu beleuchten.
(Beifall von CDU und FDP – Lachen von SPD und GRÜNEN – Rainer Schmeltzer [SPD]: Dieser Textbaustein ist doch langsam überholt!)
Frau Schäfer, das Engagement, das Sie heute Morgen in Ihrer Rede so lautstark an den Tag gelegt haben, hätten Sie besser in 39 Jahren roter Bildungspolitik an den Tag gelegt.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: In der Öffentlich- keit sagen die Eltern der Schüler aber etwas anderes! – Weitere Zurufe von der SPD)
Wir sind ja in der Vorweihnachtszeit. Gemeinsam singen können wir aber später. Jetzt würde ich ganz gerne ausführen.
Lassen Sie mich zu den Ergebnissen Ihrer Schulpolitik Folgendes feststellen, damit wir dann darüber reden können:
Erstens. Bei dem Vergleichstest liegen die Leistungen, die Schülerinnen und Schüler aus Nordrhein-Westfalen erreicht haben, auf den hinteren Plätzen innerhalb Deutschlands – weltweit sowieso.