Protocol of the Session on March 25, 2010

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter der Enquetekommission! Werte Gäste! Nachdem ich bereits Mitglied in der Enquetekommission II „Chancen für Kinder“ war, habe ich mich besonders gefreut, auch in der neuen Enquetekommission mit dem Titel „Enquetekommission zur Erarbeitung von Vorschlägen für eine effektive Präventionspolitik in Nordrhein-Westfalen“ – kurz: Enquetekommission Prävention – mitarbeiten zu dürfen. Das gilt nicht zuletzt deshalb, weil wir gerade für den Bereich der sogenannten primären Prävention im Wesentlichen auf die Erkenntnisse aus der Arbeit der Enquetekommission II zurückgreifen konnten.

Gemäß unserem Einsetzungsbeschluss haben wir mit unserer Enquetearbeit in den Bereichen der primären und sekundären Prävention die folgenden zwei Fragen beantwortet:

Erstens. Welche Faktoren und Rahmenbedingungen führen dazu, dass Kinder und Jugendliche kriminell werden?

Zweitens. Wie kann man Kinder und Jugendliche vor einer solchen Entwicklung schützen?

Gefordert war von uns jedoch auch der Blick auf den Bereich der tertiären Prävention, das heißt, was man noch tun kann, wenn das Kind sprichwörtlich schon in den Brunnen gefallen ist, weil bereits eine Straftat verübt wurde.

Unsere Zielsetzung war, Verbesserungsvorschläge für die bestehenden Maßnahmen bei vorgegebenen Ressourcen im Umgang mit straffälligen jungen Menschen zu machen sowie neue, erfolgversprechende und nachhaltige Konzepte zu entwickeln.

Um neue Ansatzpunkte zu entwickeln, haben wir die Ist-Situation in Nordrhein-Westfalen genauestens analysiert. Erfolgreiche Modelle und Konzepte – auch außerhalb Nordrhein-Westfalens – konnten wir uns erklären und erläutern lassen. In Expertengesprächen wurden uns zahlreiche neue Ansatzpunkte präsentiert, die aus wissenschaftlichen Einsichten ableitbar waren.

Durch die außerparlamentarischen sachverständigen Mitglieder war in unserer Kommission die zielführende Verbindung von Praxis und Wissenschaft stets gewährleistet. Wichtig war die Berücksichtigung von Expertenmeinungen natürlich auch, um fraktionsübergreifende, fachlich begründete Handlungsempfehlungen für die Politik auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse zu erarbeiten, die zeitnah umgesetzt werden können.

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Wir können ein wenig stolz auf diesen Bericht sein: Es ist uns gelungen, einen gemeinsamen, ohne Sondervoten versehenen Bericht zu schreiben, der 35 Handlungsempfehlungen beinhaltet. Empfohlen werden jeweils realisierbare Maßnahmen für die unterschiedlichen Handlungsfelder, zum Beispiel in der Schule, in der Kinder- und Jugendhilfe, in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und in der Jugendstrafrechtspflege.

Dieser Bericht beinhaltet Empfehlungen, die weit über die Wahlperiode hinaus gehen. Dabei haben die jeweiligen Mitglieder der Kommission auch ihre eigenen Positionen des Öfteren infrage gestellt. Ich habe es als sehr wohltuend empfunden, dass bei allen Beteiligten die Bereitschaft bestand, sich in die Überlegungen und Gedanken des anderen Kollegen und Sachverständigen hineinzudenken, um zu überprüfen, ob nicht auch diese Position zu einer Lösung führen könnte.

Der hohe Respekt vor der Arbeit und der Meinung des anderen schuf jene Atmosphäre des Vertrauens, die notwendig ist, um Ergebnisse fraktionsübergreifend zu formulieren. Ideologische Vorurteile blieben weitestgehend außen vor.

Meine Damen und Herren, Prävention wirkt und zahlt sich letztlich aus. Deutlich betonen möchte ich deshalb die Wichtigkeit einer präventiven Vorgehensweise: Je früher eine Fehlentwicklung entdeckt wird und entsprechend gegengesteuert werden kann, desto besser wird dies für die betroffenen Jugendlichen und die Gesellschaft sein.

Nationale und internationale Studien unterstützen uns aber auch in der Bewertung, dass Prävention zu jedem Zeitpunkt wirkt, es also für präventive Maßnahmen nie zu spät ist.

Unter anderem haben wir uns mit dem Thema „Frühe Hilfen“ auseinandergesetzt und festgestellt, dass gerade die anlassunabhängigen aufsuchenden Angebote Wirkung zeigen. Sie erreichen alle Familien, ohne zu stigmatisieren, und tragen dazu bei, Eltern in ihrer Erziehungskompetenz zu stärken.

Die Bereiche formeller und nonformale Bildung im Zusammenhang mit Prävention sind von uns unter Inanspruchnahme zweier Expertisen beleuchtet worden. In diesem Zusammenhang verweise ich auf die gemeinsamen Empfehlungen der Enquetekommission II „Chancen für Kinder“.

Jugendarbeit wirkt nicht per se präventiv, unterstützt junge Menschen aber in ihrer persönlichen Entwicklung, indem sie sich an den Potenzialen der jungen Menschen und eben nicht an ihren Defiziten orientiert. Es ist immer schon wichtig gewesen, junge Menschen in ihrer Entwicklung zu eigenverantwortlichem Handeln durch Lob zu ermutigen. Die Zukunft der offenen und verbandlichen Jugendarbeit in Nordrhein-Westfalen muss sichergestellt werden.

Die besondere Aufmerksamkeit der Kommission wurde der Gruppe der mehrfach auffälligen Kinder und Jugendlichen zuteil. Hier müssen unter anderem Schule, Polizei, Jugendhilfe und Justiz verbindlich zusammenarbeiten. Die bereits heute mit Erfolg durchgeführten sogenannten Fallkonferenzen unter Beteiligung der Jugendlichen und der Eltern sollten zum Regelfall werden. Insgesamt ist eine koordinierte Vernetzung der Hilfsangebote erforderlich.

Wichtig ist, dass der junge Mensch langfristig und kontinuierlich begleitet wird, es also eine klare Fallverantwortlichkeit gibt. Diese Kontinuität muss auch aufseiten der Eltern eingefordert werden. Denn zu oft werden kostenintensive Maßnahmen der Jugendhilfe zum Nachteil der Jugendlichen abgebrochen.

Am Herzen liegt uns auch die Situation der jungen Volljährigen. Oft brechen Maßnahmen der Jugendhilfe mit Vollendung des 18. Lebensjahres ab, obwohl der Hilfebedarf noch gegeben ist. An dieser Stelle sollten junge Menschen mehr Unterstützung erfahren. Die Jugendhilfe muss Priorität vor der Jugendhaft haben. Hierin waren wir uns alle mit den Experten einig.

Im Dezember letzten Jahres hat die Änderung des Jugendstrafvollzugsgesetzes NRW die gesetzliche Grundlage für den Jugendstrafvollzug in freien Formen geschaffen. Jetzt geht es darum, zu schauen, inwieweit entsprechende Angebote in Jugendhilfeeinrichtungen eingerichtet und vorgehalten werden können. Die zurzeit vorhandenen Plätze zur U-Haftvermeidung sind nach unserer Auffassung deutlich aufstockbar.

Meine Damen und Herren, die Kommission weiß leider auch – und ist sich in diesem Punkt einig –, dass nicht allen jugendlichen Straftätern ein Gefängnisaufenthalt erspart werden kann. Aber auch bei einer Inhaftierung muss es für den jungen Menschen weitergehen. Dem Jugendlichen eine Perspektive für die Zeit nach der Entlassung zu geben, ist notwendig.

Im Hinblick auf den Erziehungs- und Fördergedanken im Jugendstrafvollzug sollten die dort Beschäftigten über entsprechende pädagogische Kenntnisse verfügen. Dies gilt jedoch nicht nur für die Beschäftigten im Allgemeinen Vollzugsdienst. Überall, wo Kinder und Jugendliche aufwachsen, leisten unsere Fachkräfte gute Arbeit, die durch eine gezielte Aus- und Weiterbildung speziell im Hinblick auf den Umgang mit den Schwierigen und Belasteten weiter unterstützt werden müssen. Die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Aus- und Weiterbildung aller Fachkräfte wurde uns auch durch eine Expertise belegt.

Meine Damen und Herren, Prävention gibt es nicht umsonst! Die Kommission hat sich viele Gedanken gemacht, wie die entsprechenden Kosten gerecht verteilt werden können. Letztlich profitieren alle

davon, wenn Kinder und Jugendliche ihr späteres Leben eigenverantwortlich bestreiten können und nicht straffällig werden.

(Beifall von CDU und Ewald Groth [GRÜNE])

Verhindert man durch bestimmte Fördermaßnahmen, dass ein Jugendlicher zum Intensivtäter wird, so spart die Gesellschaft Kosten in erheblichem Umfang.

Da Prävention auch Geld kostet, war die Frage der Finanzierung zu beantworten. Ergebnis unserer Überlegungen ist der Präventionsfonds. Als Anschub soll dieser zunächst unter anderem aus Landesmitteln gespeist werden. Später sollen Eigenanteile aller Nutznießer der Ersparnis einfließen. Für die Vergabe der Präventionsmittel muss es verbindliche Kriterien geben.

An dieser Stelle will ich es dabei belassen. Weitere Details können Sie dem Bericht entnehmen; bitte, lesen sie ihn.

Ich möchte an dieser Stelle eindringlich an alle appellieren und darum bitten, dafür Sorge zu tragen, dass die Erkenntnisse und Empfehlungen konsequent umgesetzt werden.

Wir haben es geschafft, fraktionsübergreifende Empfehlungen zu erarbeiten. Sie alle wissen, dass das bei der Komplexität des Themas, bei den Vorfällen zum Beispiel in München und in den Strafvollzugseinrichtungen während unserer Kommissionsarbeit und in Anbetracht des politischen Alltagsgeschäfts und der kommenden Landtagswahl nicht selbstverständlich war. Trotzdem haben wir es gemeinsam geschafft; und das ist gut für unser Land.

(Allgemeiner Beifall)

Meine Damen und Herren, ich danke dem Landtag für die Einsetzung dieser Enquetekommission. Mit der Umsetzung der Ergebnisse können wir die Situation vieler Menschen vor Ort verbessern.

Ich danke meinen CDU-Mitstreitern Gabriele Kordowski, Ursula Doppmeier und Wolfgang Schmitz. Als CDU-Sprecher habt ihr mich vorbildlich, menschlich und fachlich toll unterstützt. Als Vorsitzende hat Gabriele Kordowski neutral und zielorientiert die Kommission geleitet.

Ich danke den Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen für die ebenfalls konstruktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Mit den Sprechern der jeweiligen Fraktionen, Markus Töns, Horst Engel und Ewald Groth, haben wir nach meiner Auffassung ein gutes Bild der parlamentarischen Zusammenarbeit abgegeben.

(Allgemeiner Beifall)

Ich danke den Expertinnen und Experten von außerhalb, die uns mit ihren Vorträgen, Stellungnahmen und Expertisen wertvolle Denkanstöße und Diskussionsgrundlagen geliefert haben.

Ich danke den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Sie haben in vielen Arbeitssitzungen exzellente vorbereitende Arbeiten geliefert. Ohne diese Zuarbeit hätte der Bericht nicht pünktlich erstellt werden können.

(Allgemeiner Beifall)

Ich danke dem Kommissionssekretariat für die Aufbereitung unseres Berichts und einer umfassenden, sehr gelungenen Darstellung der Fachinhalte für eine breite Öffentlichkeit. Die Koordinierungsleistungen waren kompetent und verlässlich. Die organisatorische, administrative und fachliche Betreuung durch Lena Grawe und André Zöhren hätten für mein Empfinden nicht besser sein können.

(Beifall von der CDU)

Einen ganz besonderen Dank möchte ich allen sachverständigen Mitgliedern der Kommission, die ich zahlreich auf der Besuchertribüne sehe, aussprechen. Sie, meine Damen und Herren, waren ein Garant dafür, dass Praxis, Wissenschaft und Politik in der Lage waren, unter gegenseitiger Wertschätzung fachlich und sachlich an der Aufgabenstellung zu wachsen. Ohne sie hätten wir den Bericht nicht schreiben können.

Innerhalb der CDU hat als Sachverständiger Prof. Dr. Thomas Bliesener mitgearbeitet. Ich danke ihm ganz persönlich auch dafür, dass er die weite Anreise aus Kiel für die beratende Arbeit hier in Kauf nahm, und er seine reiche wissenschaftliche Arbeit in anschaulicher und verständlicher Weise vermittelte.

(Allgemeiner Beifal)

Hans Scholten, ein weiterer von uns benannter Sachverständiger, danke ich für die aufschlussreichen Einblicke in seine Arbeit und die damit verbundene Vermittlung des notwendigen Praxisbezugs. So waren wir immer nah an den Menschen. Ich danke auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und den Bewohnern des Raphaelshauses dafür, dass sie ihren Chef für diese wichtige Kommissionsarbeit freigegeben und unterstützt haben.

(Allgemeiner Beifall)

Meine Damen und Herren, jetzt muss die Umsetzung unserer Empfehlungen erfolgen. Das sind wir den Kindern und Jugendlichen in unserem Land schuldig. Lassen Sie uns gemeinsam ein Zeichen setzen. Jetzt ist die Gelegenheit dazu. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Allgemeiner Beifall)

Vielen Dank, Herr Kollege Tenhumberg. – Für die SPD-Fraktion spricht nun Herr Kollege Töns.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anderthalb Jahre Arbeit liegen hinter uns; gute Arbeit, finde ich. Insbesondere die Zusammenarbeit und das Klima in der Kommission waren gut. Der unbedingte Wille zur Einstimmigkeit, und das erstmalig in dieser Legislaturperiode – das kann man nicht häufig genug betonen –, haben diesen Bericht erst möglich gemacht.

Ich widerspreche Dir, Bernhard Tenhumberg, ungern an dieser Stelle, aber ich sage: Wir sollten nicht nur ein bisschen stolz sein, sondern wir können richtig stolz sein auf diesen Bericht, weil er wirklich gut geworden ist.