Protocol of the Session on March 25, 2010

(Heiterkeit von Christian Weisbrich [CDU])

Für die SPD-Fraktion kann ich nur sagen: Wir gucken nach vorne.

(Zurufe von der CDU)

Wir machen hier nicht Kultur, sondern wir machen hier Wirtschaft, Herr Weisbrich. Jetzt debattieren wir das Thema Wirtschaft und nicht Kultur.

(Zuruf von der CDU: Kulturlose Wirtschaft!?)

Kolleginnen und Kollegen, ich beginne mit Erlaubnis des Präsidenten mit einem Zitat. Unter der Überschrift „Längere Kernkraftwerkslaufzeiten lähmen die Umstrukturierung“ schreibt das „Handelsblatt“ am 12. März 2010:

Eine Verlängerung der Kernkraftwerkslaufzeiten hätte aus Sicht von Stephan Weil, Präsident des Verbandes Kommunaler Unternehmen (VKU) …, fatale Folgen. Er warnt vor einer Verzögerung des Umbaus der Energieerzeugungsstruktur in Deutschland und sieht den Wettbewerb auf dem Strommarkt in Gefahr.

Darum geht es heute. Wir wollen Wettbewerb. Oder will man längere Laufzeiten? Beides zusammen geht nicht. Wer für längere Laufzeiten von Atomkraftwerken ist, spricht sich gegen mehr Wettbewerb aus und zementiert die momentan wettbewerbsfeindlichen Strukturen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Hinzu kommt – darauf hat Stephan Weil besonders deutlich hingewiesen –: Wer für längere Laufzeiten von Atomkraftwerken ist, spricht sich konsequenterweise auch gegen Investitionen aus, beispielsweise in die Erneuerung eines Netzes – „Smart Grid“ genannt, Herr Weisbrich, und nicht „Wallenstein“.

(Heiterkeit von Svenja Schulze [SPD])

Kolleginnen und Kollegen, Laufzeitverlängerungen hätten in NRW ganz praktische, fatale Folgen. Wir waren – das hat Herr Brockes richtig beobachtet – beim Trianel-Kraftwerk, um uns dort über die neuesten Erkenntnisse zu informieren. Dort ist deutlich gesagt worden: Wenn es längere Laufzeiten gibt, muss alles neu berechnet werden. – Dieses Unternehmen hat ganz klare Berechnungsgrundlagen ohne Restlaufzeitverlängerung. Davon konnten wir

uns im Chemiepark hinsichtlich der Investitionen genauestens informieren.

Obwohl es in NRW kein AKW gibt, berührt der Atomausstieg ganz klar NRW-Interessen. Es geht um Vertrauensschutz derer, beispielsweise von Trianel, die im Vertrauen auf Verlässlichkeit und geschlossene Verträge investiert haben. Das gilt in gleichem Maße für Gaskraftwerke, für erneuerbare Energien und für Kohlekraftwerke.

Der monatelange Streit innerhalb der Bundesregierung zwischen Herrn Brüderle und Herrn Röttgen über Restlaufzeiten, Verlängerung ja oder nein, und Brückentechnologien – wir sehen, die Brücke wird jeden Tag länger – behindert diesen Ausbau ganz massiv.

Wenn wir jetzt einmal in die Medien schauen, in denen davon gesprochen wird, dass die Betriebslaufzeit von Kernkraftwerken 60 Jahre sein soll, wie dies vom Geschäftsführer der CDU-Fraktion geäußert worden ist, dann frage ich mich, ob die Bundesregierung wirklich von allen guten Geistern verlassen ist.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Will sie lieber die Strukturen, die wir heute haben, erhalten und will sie nichts in Netzausbau investieren? Wenn hier von Brückentechnologie gesprochen wird, wüsste ich genau, dass ich diese Brücke nicht nutzen würde, die nämlich jeden Tag länger oder kürzer wird und zeitweise ohne Teilstücke ist.

Ein Punkt ist mir wichtig, den viele selbsternannte Wirtschaftsspezialisten der Union vergessen haben. Wir konnten in der Enquetekommission einiges über Ölpreise lernen. Es gibt keinen zwingenden Zusammenhang zwischen Preisen und Kosten. Deshalb wird ein Barrel Öl, für das 5 Dollar Produktionskosten aufzuwenden sind, auch für 80 oder 100 Dollar verkauft. Da gibt es überhaupt keinen Zusammenhang zwischen Preisen und Kosten. Zu Ostern sehen wir das wieder deutlich an jeder Tankstelle.

Vergleichbares gibt es beim Strom. Der Strom aus abgeschriebenen Atommeilern kostet die Energiemultis nicht viel. Der Preis ist aber dennoch viel zu hoch. Es mangelt deutlich am Wettbewerb. Das ist der wahre Grund für hohe Strompreise.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Die Schwächung der Stadtwerke und einer dezentralen Energieversorgung wird so weiter manifestiert. Es würden Milliarden fehlen, die man sonst beispielsweise für den Netzausbau einsetzen könnte. Der Mittelstand wird geschwächt und der Wettbewerb behindert.

(Christian Weisbrich [CDU]: Welcher Mit- telstand baut Kernkraftwerke?)

Arbeitsplätze, Mittelstand und Wettbewerb würden davon nicht profitieren.

Frau Thoben hat noch vor einigen Tagen in der „WAZ“ die Ausschreibung zu Ökostadt NRW gelobt. Wenn Sie das ernst meinen, können Sie nicht für Restlaufzeitverlängerung sein.

(Ministerin Christa Thoben: Was? – Dietmar Brockes [FDP]: Gerade!)

Wenn es um konkrete Politik geht, ist hier Fehlanzeige.

Der Ausbau von erneuerbaren Energien wird behindert, obwohl Herr Röttgen noch heute in der „WAZ“ den Ausbau gelobt und das EEG als eines der besten Gesetze dargestellt hat. Wieder einmal mehr ruiniert Schwarz-Gelb Vertrauen in die Zuverlässigkeit von Politik und Vertragsabschluss. Das darf nicht wahr sein.

Deshalb sage ich erneut: Die nordrhein-westfälische Landtagswahl ist eine Richtungsentscheidung. Wir Sozialdemokraten wollen mehr Wettbewerb und nicht längere Restlaufzeiten. Das ist eindeutig und zuverlässig. Deswegen werden Sie am 9. Mai auch die Rote Karte bekommen. – Vielen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Stinka. – Jetzt hat Herr Brockes für die FDP-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Stinka, ich verstehe gar nicht, was Sie gegen Kultur haben.

(André Stinka [SPD]: Ich habe nichts dage- gen!)

Ich muss sagen: Ein bisschen mehr Kultur tut nicht nur in der Wirtschaft, sondern gerade auch in der Politik ganz gut – erst recht, wenn man sich die Debatten der letzen Tage noch einmal vor Augen führt.

(André Stinka [SPD]: Prost!)

Meine Damen und Herren, es ist schon interessant: Grüne, SPD und Stadtwerke beklagen jetzt bei diesem Antrag, dass sich die Rahmenbedingungen im Energiemarkt ändern könnten und wie furchtbar es ist, dass hier Veränderungen vorgenommen werden.

Genau die Gleichen – Grüne, SPD und Stadtwerke – haben bei dem Tagesordnungspunkt vier Punkte zuvor beklagt, dass die Rahmenbedingungen geändert werden müssten – natürlich in ihrer Hinsicht. Insofern ist es nicht ganz schlüssig, was Sie hier machen: Auf der einen Seite beklagen Sie die Veränderung von Rahmenbedingungen, auf der anderen Seite wollen Sie diese selbst ändern. Das ist absolut unlogisch.

(Reiner Priggen [GRÜNE]: Das sind zwei verschiedene Punkte!)

Es erweckt – gerade in Wahlkampfzeiten – ein bisschen den Eindruck von „Wünsch dir was“. Wenn ich mir auch etwas wünschen könnte, dann wäre das ein Produkt, das ich produziere und verkaufe, das jeder Mensch braucht, und mögliche Konkurrenten soll der Staat bitte vom Markt fernhalten – erst recht, wenn diese Konkurrenten in der Lage sind, dasselbe Produkt günstiger herzustellen als ich. – Also, so werden Sie mit Sicherheit nicht für mehr Wettbewerb sorgen.

Lassen Sie mich noch auf zwei weitere Punkte eingehen.

Herr Stinka, Sie haben gerade schon wieder das Märchen erzählt, die Kernkraft würde die erneuerbaren Energien ausbremsen. Das ist völliger Blödsinn.

(Svenja Schulze [SPD]: Das ist kein Mär- chen! – André Stinka [SPD]: Das ist Realität!)

Gerade noch einmal für die Damen und Herren auf der Besuchertribüne: Durch das ErneuerbareEnergien-Gesetz ist nämlich genau geregelt, dass Strom aus den erneuerbaren Energien abgenommen und bezahlt werden muss, egal zu welcher Zeit er produziert wird etc.

(Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Sie haben das nicht verstanden!)

Insofern werden dann andere Leistungen, insbesondere auch der Kernkraft, heruntergefahren.

Meine Damen und Herren, dank Ihrer Anträge haben wir ja heute schon zum dritten Mal über Kernenergie gesprochen. Deshalb lassen Sie mich zusammenfassend sagen: Gerade mit der Kernenergie wird ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz geleistet. Hätten wir die Kernenergie nicht, würden in Deutschland 150 Millionen t CO2 mehr pro Jahr ausgestoßen werden. Zudem sorgt gerade die Kernenergie für noch bezahlbare Strompreise. Wenn wir schon heute alle darüber klagen, dass die Preise zu hoch sind, dann würde dies noch deutlich schlimmer werden, wenn wir die Kernenergie aus dem Markt herausnehmen.

Insofern ergibt es absolut Sinn, in Berlin über eine längere Nutzung der friedlichen, sicheren Kernenergie in Deutschland nachzudenken. Darin, dass die Gewinne nicht allein den Stromkonzernen zur Verfügung stehen dürfen, sind wir uns in diesem Hause völlig einig. Deswegen lehnen wir diesen Antrag natürlich ab.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Brockes. – Jetzt spricht Frau Ministerin Thoben.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Stinka, Sie hätten bei der Veranstaltung zur Ökostadt dabei sein sollen. Dann hätten Sie mitbekommen, dass selbst dieses ungeheuer ehrgeizige Projekt am Ende bedeutet, dass diese Musterstadt 50 % ihres Energiebedarfs weiterhin beziehen muss. Sie braucht also Anlagen, die – da es in der Stadt kein Kraftwerk mehr gibt – offenkundig ja woanders hergestellt werden müssen.

(Zuruf von der SPD: Und das ist ein Beleg wofür? Was belegt das?)