Darüber hinaus ist nicht jedes Kind – ich will das gerne an diesem Beispiel noch einmal deutlich machen –, das drei wird, sauber. Nein, dort muss noch Reinlichkeitserziehung geschehen, und man muss die Kinder teilweise mit Engelszungen überreden, ihre Geschäfte auf dem Töpfchen zu machen. Das kostet enorm viel Zeit. Diese Zeit haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht, weil die Gruppen dafür einfach zu groß sind.
Sehr geehrter Herr Minister Laschet, in der besagten Gruppe mit zweieinhalb Mitarbeiterinnen bei 20 Kindern, sechs davon U3, sagte mir eine Kollegin, sie hätte gerne eine U3-Qualifizierung, eine Weiterbildung über fünf Wochen gemacht. Ich habe geantwortet: Das ist prima, aber Sie arbeiten doch schon mit den unter Dreijährigen. Darauf erklärte sie mir: Ja, aber das war nicht Bestandteil unserer Ausbildung. Ich hätte es gerne gemacht. Leider kostet die Ausbildung 1.500 €. Diese 1.500 € sind aus der Kindespauschale nicht zu entnehmen. Ich darf diese Weiterbildung nicht machen.
Dann hat sie ein bisschen Alarm geschlagen und sich geeinigt. Der Träger, die Einrichtung und sie selber bringen jeder 500 € mit. Die Kollegin selber bringt also 500 € mit, um die Maßnahme für die U3-Betreuung zu machen. Die Weiterbildungsmaßnahme dauert fünf Wochen. Als sie das Geld zusammen hatte, hat dann die Leitung gesagt: Ich schätze Ihr Engagement. Ich finde es gut, dass Sie das wollen. Aber ich kann Sie leider nicht gehen lassen. Denn wenn Sie gehen, sind nur noch anderthalb Kräfte in der Gruppe. Das kann ich nicht verantworten.
Die Zeitverträge, die im ganzen Land jetzt organisiert werden, und der Wettbewerb, den Sie wollten – Herr Minister Laschet, wenn Sie mir da noch einmal zuhören würden –,
Ja, für Sie stimmt das alles nicht. Ich habe Ihnen schon mehrfach angeboten, mein lieber Herr Minister Laschet: Wir fahren zusammen in die Einrichtungen.
Das Problem der Zeitverträge, der fragilen Arbeitsstrukturen und der Unplanbarkeit der Buchungen ist, dass die Kinder in einem Kindergartenleben drei bis vier Beziehungsabbrüche haben. Das ist Ihre Qualität. Sie haben drei bis vier unterschiedliche Erzieherinnen in einer Lebensphase. Jeder weiß, dass für ein Kind ein Jahr eine ganze Ewigkeit ist. Wenn in dieser Zeit Entwicklungsabbrüche organisiert werden – und das hat das KiBiz getan –, leidet natürlich die Qualität der Betreuung. Jeder in diesem Raum, inklusive der Besucher, weiß doch, dass Kinder vor allen Dingen stabile Bezugspersonen brauchen. Das haben Sie kaputt gemacht.
Aber, sehr geehrter Herr Minister, auch bei der Quantität sind Sie völlig gescheitert. An allen Orten im Land wird die Ausbaudynamik zurückgefahren, weil die Kommunen das Geld nicht mehr haben, um die Plätze zu bauen. Zwei Drittel der Ausbaukosten bleiben an den Kommunen hängen, Herr Minister.
Und man höre und staune: Die Stadt Aachen hat bei der Ausbaudynamik – alternativ waren 150 bzw. 100 Plätze im Angebot – die kleinere Ausbaudynamik gewählt: 100 Plätze pro Jahr. Damit wird die Stadt Aachen die 35 %, die als gesetzlicher Anspruch angenommen werden, nicht erreichen, meine Damen und Herren.
Das wäre ja nichts Besonderes, weil ganz viele Städte das momentan so machen. Es ist nur deshalb etwas Besonderes, weil Herr Minister Laschet in Person in Aachen als CDU-Vorsitzender Verantwortung getragen hat. Was schickt das für einen Impuls in die Landschaft, wenn der Minister dort, wo er politisch Verantwortung trägt, in Aachen, mit dafür sorgt, dass die 35 % in der eigenen Stadt nicht erreicht werden, weil die Ausbaudynamik auf 100
Ich kann Ihnen sagen: Im gesamten Ruhrgebiet, aber auch in der Peripherie wird überall zurückgefahren. Die Kommunen leiden extrem. Sie haben sie im Stich gelassen. Die Zahlen, die Sie sich wünschen, die 35 %, die ja auch im Gesetz verankert werden, werden nicht erreicht.
Das Perfide an der Situation ist, dass der Gewährträger des Gesetzes, mindestens diese 35 % – in Großstädten sind es eher 50 % und auf dem Land sind es ein bisschen weniger – zu erreichen, eben nicht das Land ist, sondern die Kommunen sind. Sie lassen sie in eine Katastrophe rennen, Herr Minister. Denn 2013 haben die Eltern einen gesetzlichen Anspruch. Die können sich einklagen. Wenn die Plätze nicht da sind, wird diese Katastrophe an den Kommunen hängen bleiben, Herr Minister. Dafür tragen Sie die Verantwortung.
Was aber nach meiner Überzeugung noch schlimmer ist: Dem Ministerpräsidenten traut in diesem Land kein Mensch mehr. Das wissen wir.
Aber mindestens genauso schlimm ist, Herr Minister, dass Ihnen niemand mehr zutraut, diese Ausbaudynamik bis 2013 aufrechtzuerhalten. Das traut Ihnen niemand mehr zu. Deshalb werden Sie am 9. Mai auch abgewählt. Sie hinterlassen familienpolitisch eine Katastrophe.
Die von Ihnen selbst an Qualität und Quantität gelegte Messlatte haben Sie nicht erreicht. Sie sind bei der Qualität komplett gescheitert. Es gibt keine individuelle Förderung. Viele Kinder bleiben auf der Strecke. Das ist nicht nur in den Kitas so. Das setzt sich auch im Schulsystem fort.
Schade, dass Herr Witzel nicht da ist, der Erich Honecker der Bildungspolitiker. Dem hätte ich das gerne auch noch einmal gesagt.
Herr Witzel, da sind Sie ja. Ich höre Sie gar nicht dazwischenrufen. Ich vermisse etwas, Herr Witzel.
Kommt noch? Schön. Wenn ich Sie sehe, Herr Witzel, denke ich auch immer an den lieben Gott. Ich denke dann immer: Herr, schmeiß Hirn vom Himmel. – Aber das ist ein anderes Thema.
Was übrigbleibt, ist: Die Qualität bei der Erziehung, bei der frühkindlichen Bildung ist auf der Strecke geblieben. Darunter leiden besonders die Kinder. Die Erzieherinnen leiden unter einer enormen Arbeitsbelastung. In jeder Einrichtung wird auf Reser
ve gefahren. Viel persönliches Engagement und auch ehrenamtliches Engagement und die unbedingte Liebe zu den Kindern halten dieses KiBiz momentan überhaupt nur noch aufrecht.
Die Eltern und deren Ansprüche bleiben natürlich auch auf der Strecke, weil die Quantität nicht erreicht wird. Viele Eltern, gerade alleinerziehende Mütter, Herr Minister, werden nicht die nötigen Plätze finden, weil Sie nicht in der Lage waren, mit den Kommunen die Kommunen so auszustatten, dass die Plätze geschaffen werden können.
Das ist die bittere Bilanz. Deshalb bin ich ganz sicher, dass wir ab dem 10. Mai dieses Ministerium so aufräumen werden und so viele Impulse bringen werden, dass wir bis 2013 eine deutlich höhere Dynamik entfalten können.
Wissen Sie, andere Länder wie Rheinland-Pfalz haben diese Dynamik entwickelt, und wir können es nicht.
Um das auch noch einmal deutlich zu machen: Es geht nicht nur um den U3-Bereich. Im Ü3-Bereich, bei den Drei- bis Sechsjährigen, hatten wir, als wir die Regierung verließen, eine Quote von deutlich über 90 %, nämlich 97 %. Sie liegt jetzt bei Ihnen bei etwas über 80 %. Das ist eine katastrophale Entwicklung. Dazu sollten Sie, Herr Minister, auch gleich noch Stellung nehmen.
Das ist ein Skandal, wie sich das entwickelt hat. Vor allen Dingen: Am Anfang waren die Ansprüche sehr hoch gesetzt. Jetzt können Sie – Sie sowieso, aber auch, wenn Sie noch einige huckepack nehmen – deutlich unter dieser Latte herlaufen und werden sie nicht erreichen. – Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, besonders Sie von der Opposition, es hätte mich schon sehr gewundert, hätten wir heute, am letzten Plenartag dieser Legislaturperiode, nicht über die Kinder- und Familienpolitik der Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen diskutiert.
Der vorliegende Antrag der SPD-Fraktion fordert, „die Legende vom ‚familienfreundlichsten Bundesland’“ zu beenden. Verbunden ist der Titel mit der
Unterstellung, dass wir Eltern, Träger und Kommunen und Fachkräfte nicht ernst nähmen. Ich habe nach den bisher erlebten Diskussionen – Herr Jörg hat mich eben lebendig an die letzte Ausschussdiskussion erinnert, wir haben aber auch bei einigen Wahlveranstaltungen diesbezüglich schon zusammen gesessen – wenig Hoffnung, dass die heutige Debatte bei Ihnen zu einem erhöhten Erkenntnisgewinn führt. Aber wie war das doch: Die Hoffnung stirbt zuletzt.
An sich muss es ziemlich unerträglich für Sie sein, die von uns in den vergangen Jahren erzielten Erfolge zu akzeptieren. Denn wer sich Jahrzehntelang quasi auf der Stelle bewegt hat, ist umso überforderter, wenn es andere ihnen nicht genauso nachmachen, sondern es besser machen. Haben Sie sich eigentlich schon einmal in einer stillen Stunde überlegt, welche Wirkung Ihre Reden bei den Eltern auslösen? – Auch wenn man manches dem Wahlkampf zuschreiben kann, so bleibt doch unter dem Strich eine unverantwortliche Angstmacherei, dass die Qualität nicht stimmt, und eine Verunsicherung, ob man einen Platz bekommt oder nicht.
Dieses Verhalten halte ich, ehrlich gesagt, für unzulässig. Vor allen Dingen nützt es weder den Eltern noch den Kindern und stellt darüber hinaus auch noch die Arbeit der Erzieherinnen in Zweifel.
Um alles das geht es Ihnen aber offensichtlich überhaupt nicht. Es geht Ihnen um die Vertuschung des eigenen Versagens bis vor fünf Jahren. Glauben Sie allen Ernstes: Wenn Sie unsere Erfolge klein reden, würden Ihre dann größer?
Warten Sie einen Moment, Frau Altenkamp. – Ich bin fest davon überzeugt, dass dieser Erfolg nicht eintritt. Denn viele Eltern – ich habe heute Morgen noch mit einer jungen Mutter darüber gesprochen – haben längst erkannt, dass sich dank unserer Politik etwas verändert hat und dass sich auch weiterhin etwas verändern wird.