Protocol of the Session on March 24, 2010

Der Professor erläutert dann:

Das bedeutet: Wenn das Land Mittel von 100 hat, … hat das Land einen Anspruch von 50 und kann 50 behalten. Verfügte das Land im darauffolgenden Jahr aber nur noch über Mittel im Umfang von 50, wären diese 50 vorab für die Kommunen reserviert. Das heißt: Die vom Land wahrzunehmenden Aufgaben – Justiz, Polizei, Lehrer, Schulen etc. – könnten nicht mehr wahrgenommen werden.

Der Professor fährt fort:

Es völlig klar ist, dass das so laufen würde. Es kann also nicht sein, dass eine Reservierung für eine bestimmte Gruppe erfolgt. Denn wenn es allen schlechtgeht, kann nicht eine Gruppe vorab einen Ansatz in einer konkret bezifferten Höhe fordern, wodurch die Gestaltungsspielräume im Übrigen absinken würden.

Meine Damen und Herren, dieser Aussage bzw. dieser Analyse ist an Klarheit nun wirklich nichts mehr hinzuzufügen. Bei genauem Hinsehen bricht damit Ihr Kartenhaus der Verweigerungsargumente zusammen. Was übrig bleibt, ist die traurige Erkenntnis, wie sie der Bundesvorsitzende der SPD bereits ungeniert formuliert hat: Für die Oppositionsparteien kommt erst die Partei, dann das Land. – Schade, meine Damen und Herren, ich würde mir wünschen, Sie würden der Verfassungsänderung zustimmen.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Weisbrich. – Für die SPD-Fraktion spricht nun Herr Kollege Moron.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ob Sie es glauben oder nicht: Wir debattieren hier über die Änderung der Landesverfassung. Dazu braucht man eine Zweidrittelmehrheit. Wenn wir uns umschauen, stellen wir fest, dass der Landtag an diesem Thema offenbar kein richtiges Interesse hat.

Vielleicht liegt es aber auch daran, dass die Entscheidungen schon getroffen sind und die Diskussi

onen mittlerweile einen Stand erreicht haben, bei dem der eine oder andere glaubt, man wisse sowieso, was jetzt hier passiert.

Herr Finanzminister, Sie haben uns gestern in der zweiten Lesung geraten, die SPD-Fraktion bzw. die Opposition möge sich das Ganze noch einmal überlegen. Dabei habe ich das Lachen in Ihrem Auge gesehen, weil Sie sowieso nicht daran geglaubt hatten – ich im Übrigen auch nicht –; es war ja eher eine rhetorische Volte. Aber Sie haben damit den Eindruck erweckt, als hätten Sie einen guten Vorschlag unterbreitet und die Opposition müsse sich doch nur noch einmal Gedanken darüber machen, um zum gleichen Ergebnis wie Sie zu kommen.

Das ist ein Irrtum, Herr Finanzminister. Sie haben uns hier einen Vorschlag zur Änderung der Landesverfassung vorgelegt, nach dem ab 2020 auch in der Landesverfassung gilt, dass keine neue Nettokreditaufnahme mehr erfolgen darf. Umgangssprachlich nennt man das Schuldenbremse.

Herr Kollege Groth von den Grünen hat gesagt, dass das Ganze im Grunde ein Ablenkungsmanöver ist – das ist es auch. Es ist das Ablenkungsmanöver genau von der Debatte, die wir hier gerade geführt haben, nämlich über die Haushalts- und Finanzlage des Landes Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Von dieser soll es ablenken.

So haben Sie das Ganze auch gemeint. Sie haben sich gesagt: Bei der Debatte können wir eigentlich nur gewinnen – entweder stimmt die Opposition zu, dann haben wir uns durchgesetzt. Das ist dann immer ein Erfolg der Regierung und der sie tragenden Fraktionen. Oder die Opposition lehnt es ab und wir können behaupten, sie sei für Verschuldung, obwohl Sie zur gleichen Zeit kräftig in den Schuldentopf hineingreifen und dem Land Nordrhein-Westfalen den höchsten Schuldenstand unserer Geschichte bescheren.

Ich sage Ihnen: Bei diesem Spiel werden wir nicht mitmachen; denn die Schuldenbremse brauchen wir gar nicht einzuführen, es gibt sie bereits. Sie ist durch das Grundgesetz eingeführt, nämlich durch das, was der Deutsche Bundestag dort an Änderungen in Art. 115 und 119 beschlossen hat.

(Zustimmung von Ewald Groth [GRÜNE])

Deshalb sage ich Ihnen: Dieser Gesetzentwurf, den Sie uns vorgelegt haben, ist auch von seinem Inhalt und seiner Regelungsdichte völlig unzureichend. Das ist uns auch in der Anhörung, die wir hier im Landtag, in genau diesem Raum, durchgeführt haben, noch einmal sehr deutlich bestätigt worden.

Ich möchte Herrn Dr. Tappe von der Universität Münster zitieren, der uns vorgetragen hat, die Regelung, wie Sie sie vorgelegt haben, sei „recht mager“:

Denn streng genommen ist ihr Regelungsgehalt null. Deswegen kann sie meines Erachtens auch kein positives Signal setzen, weder für den Kapitalmarkt noch für andere Länder, denn alle für die Landesverfassung geplanten Neuregelungen sind schon unmittelbar im Grundgesetz enthalten.

Und er fügt hinzu:

Zweitens. Die Spielräume, die das Grundgesetz den Ländern gibt, werden

durch Ihren Vorschlag, Herr Finanzminister –

überhaupt nicht ausgeschöpft, und zwar weder in zeitlicher noch in sachlicher Hinsicht.

Deshalb sagen wir: Dieser Vorschlag zur Änderung der Landesverfassung, wie Sie ihn vorgelegt haben, kann von uns nicht mitgetragen werden, weil er in sachlicher Hinsicht qualitativ nicht unseren Ansprüchen genügt. Darüber sind wir enttäuscht.

Und wir fühlen uns in dieser Annahme bestätigt, weil Sie zu keinem Zeitpunkt – weder Sie, Herr Minister, noch das Ministerium oder die Landesregierung noch die sie tragenden Koalitionsfraktionen – den Versuch unternommen haben, mit uns, mit den Oppositionsfraktionen von Grünen und SPD, in einen sachlichen Dialog über die Ausgestaltung eines neuen Artikels 83 der Landesverfassung einzutreten. Das haben Sie zu keinem Zeitpunkt versucht.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Uns ein paar Unterlagen zu überlassen und zu sagen „Beschäftigen Sie sich mal damit!“, ist ja wohl keine hinreichende Beteiligung.

Deshalb sagen wir Ihnen: So kann man an die Änderung der Landesverfassung nicht herangehen. Das ist ausgeschlossen.

In der nächsten Wahlperiode werden die Mehrheitsverhältnisse anders sein. Da wird vielleicht der eine, der jetzt in der Regierung sitzt, in der Opposition sitzen und umgekehrt. Warten wir es mal ab. Ob alles so bleibt, Herr Weisbrich: Selbst Sie als notorischer Optimist glauben nicht mehr daran. Das ist nun einmal so. Die Dinge nehmen eben ihren Lauf. Es wird also einen neuen Landtag geben.

Und in diesem neuen Landtag wird die SPD Fraktion in der Rolle der, so hoffe ich, stärksten Regierungsfraktion an Sie herantragen, die Landesverfassung an das Grundgesetz anzupassen, aber nicht mit dem Ziel, die sogenannte Schuldenbremse einzuführen, sondern Regelungen, wie wir im Land Nordrhein-Westfalen mit dieser Schuldenbremse umgehen wollen und müssen. Darum geht es doch.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Was bedeutet das denn letztlich, meine Damen und Herren, wenn man so etwas in die Landesverfassung hineinschreibt? – Es kann doch ernsthafter

weise nicht so sein, dass man in eine Situation hineinkommt, in der es überhaupt nicht mehr möglich ist, noch einmal in eine Nettokreditaufnahme einzutreten. Denn in einer Zeit, in der wir uns in einer schwierigen Rezession befinden, brauchen wir Instrumente, um den Konsum und die Nachfrage anzustoßen. Dann muss man unter Umständen sogar in eine Kreditaufnahme hineingehen. Diese Möglichkeit sieht das Grundgesetz für den Deutschen Bundestag auch vor, nur nicht für uns. Deshalb müssen wir über landesgesetzliche Regelungen reden, die das erlauben. Solche landesgesetzlichen Regelungen enthält der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf im Augenblick aber leider nicht.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Viel wichtiger, meine Damen und Herren, als die Änderung der Landesverfassung – das ist auch das Ergebnis unserer Anhörung gewesen – ist die Frage, wie die Politik mit dem Thema Neuverschuldung umgeht, Herr Finanzminister.

Da hat Herr Professor Korioth, ein Ordinarius der Universität München, eine sehr interessante Formulierung gefunden, die ich zitieren darf:

Auch in Zukunft wird es darauf ankommen, dass es der Politik gelingt, das Schuldenaufnehmen zu verhindern. Anders formuliert: Eine Schuldenbremse funktioniert nur dann, wenn man keine Schulden aufnimmt, obwohl es dafür gute Gründe gibt.

Genauso ist das. Hier wird von Ihnen ein großer Popanz aufgebaut, aber in Wirklichkeit ist das nichts weiter als ein Paravent, hinter dem sich etwas ganz anderes verbirgt. Das ist wirklich ein Popanz.

Deshalb müssen wir, meine Damen und Herren, ernsthaft an das Thema herangehen. Wir müssen uns damit beschäftigen. Wir werden Ihnen eigene Vorschläge vorlegen, wie die Schuldenbremse aus unserer Sicht aussehen soll. Wir müssen in der Tat eine Finanzplanung haben, vielleicht sogar einmal eine Art Kassensturz im Land Nordrhein-Westfalen machen: Wo stehen wir finanziell? Was können wir uns noch erlauben? – Und wir müssen uns – das ist zwingend erforderlich, wenn wir eine Landesverfassung ändern – darüber verständigen, was im Begleitgesetz im Einzelnen geregelt wird. Wir machen doch keinen Blindflug in einer solchen Angelegenheit.

Außerdem – das ist der letzte Punkt, den man noch erwähnen muss – müssen wir über die Kommunen reden. Ja natürlich, die Kommunen gehören zum Land Nordrhein-Westfalen dazu. Sie sind unsere Arme und Füße. Wir stehen auf ihnen. Sie arbeiten für uns. Das Land Nordrhein-Westfalen ist ohne seine Kommunen nichts.

Deshalb sage ich Ihnen: Wenn wir über Finanzen des Landes reden, reden wir auch gleichzeitig über die Finanzen der Kommunen. Das muss berück

sichtigt werden. Ob das eine Regelung ist, wie sie von der Fraktion der Grünen vorgeschlagen wurde, bei der ich – das darf ich sagen – auch einige Bedenken habe, ob man das so machen kann: Aber wir müssen darüber reden, wie wir die Kommunen dabei berücksichtigen. Man muss nicht alles so übernehmen, wie das darin steht. Da muss manches noch durchdacht werden. Aber wir müssen darüber reden, und zwar zusammen mit den Kommunen, wie wir das optimal regeln. Das alles haben wir bisher nicht geleistet.

Herr Finanzminister, es ist der Versuch, von einer für Sie schwierigen Debattenlage abzulenken. Das verstehe ich. Die große Verschuldung, die Sie mit zu verantworten haben – nicht alleine, aber Sie haben sie mit zu verantworten –, drückt Sie jetzt in diesem Wahlkampf. Deshalb möchten Sie gerne über eine Schuldenbremse in der Landesverfassung reden und möchten der SPD den Bonbon ankleben, Sie wolle gar nicht auf Schulden verzichten.

Dazu sage ich Ihnen: Das ist misslungen. Die veröffentlichte Meinung reagiert nicht darauf. Der Landtag glaubt Ihnen das nicht, und die Öffentlichkeit auch nicht.

Die Schuldenbremse haben wir, aber die Frage, um die es geht, lautet: Wie gehen wir mit Ausnahmen, mit Abweichungen von der Schuldenbremse um? – Das ist die entscheidende Frage. Dazu haben Sie einen Vorschlag gemacht, den wir für ungeeignet halten. Wir werden einen neuen Vorschlag vorlegen und dann hoffentlich zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen.

Herr Dr. Linssen, wir beide werden als Landtagsabgeordnete dem neuen Landtag nicht mehr angehören. In zehn Jahren werden hier immer noch Politiker sitzen, die schwierige Entscheidungen über das Schicksal dieses Landes zu treffen haben werden. Wir können ihnen in dieser wichtigen Frage keine so schlechte Landesverfassungsregelung hinterlassen, wie Sie sie vorgeschlagen haben.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Ich würde mich freuen, wenn auch Sie in der nächsten Legislaturperiode an einer solchen Lösung beratend mitwirken würden. Vielleicht fragt man auch mich; das alles kann möglich sein. Aber das, was Sie vorgeschlagen haben, Herr Linssen, war eine schlechte Arbeit und hat einen anderen Zweck erfüllt. Wir lassen uns nicht auf dieses Gleis führen. Wir werden deshalb, meine Damen und Herren, den Gesetzentwurf zur Verfassungsänderung heute ablehnen. Aber wir bieten Ihnen an, in der neuen Wahlperiode mit uns gemeinsam über eine vernünftige Regelung in der Landesverfassung zu reden.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)