Protocol of the Session on March 23, 2010

(Ralf Witzel [FDP]: Wir haben den Sozialin- dex 2005 gegen Ihren Willen eingeführt!)

Dass die Sie nicht interessieren, Herr Witzel, ist mir völlig klar. Mich interessieren aber diese Menschen, und da streichen Sie 320 Stellen: 200 an Grundschulen, 120 an den Hauptschulen, bei den Schwächsten, bei den Kleinsten.

(Ralf Witzel [FDP]: Demografische Anpas- sung!)

Ich nenne das erbärmlich, Herr Witzel!

(Beifall von der SPD)

Das ist Ihre Bilanz in Sachen zusätzlicher Lehrkräfte: Unter dem Strich sind es fünf verlorene Jahre für die Schulen in diesem Land.

Zweites Beispiel: Sie behaupten, Sie hätten den Unterrichtsausfall reduziert. Fakt ist: Sie haben seit 2005 den Druck im Schulsystem und auf Schulen und Lehrkräfte massiv erhöht. Es fallen trotzdem Millionen Stunden Unterricht aus. Das ist relativ einfach zu erklären: Wenn 5.000 Lehrkräfte im System fehlen, dann müssen auch entsprechend Unterrichtsstunden ausfallen. Denn wenn kein Lehrer da ist, wird auch kein Unterricht erteilt. Das hat selbst Herr Breuer, einer der diversen Pressesprecher des Schulministeriums, eingesehen und verstanden. Auch das ist in der Zeitung nachzulesen. Kein Lehrer erteilt keinen Unterricht – so einfach ist das. Dadurch alleine fallen schon 5 Millionen Stunden aus.

Nehmen Sie das Beispiel der Kopfnotenkonferenzen, ein unsinniges Konstrukt, das Sie eingepflegt haben. Allein durch diese Konferenz entsteht ein weiterer Unterrichtssausfall von 1 Million Stunden, und da ist noch kein Lehrer krank geworden.

Wenn man sich das einmal anschaut, was Sie 2005 versprochen haben, Herr Rüttgers. Bei den Millionen Stunden Unterrichtsausfall, die wir jetzt haben, haben Sie sich doch schon lange von Ihren Wahlkampfmärchen 2005 – Unterrichtsgarantie, Unterrichtssicherungsgesetz – verabschiedet. Feige, still und heimlich haben Sie das beerdigt. Selbst der Landesrechnungshof und die Prüfungsämter fangen an, das zu untersuchen. Die glauben Ihnen Ihre Statistiken nicht, die Menschen glauben Ihnen Ihre Statistiken nicht, und wir glauben Ihnen Ihre Statistiken nicht.

(Beifall von der SPD)

Besonders beschämend und bedrohlich finde ich die Tatsache, dass wir mittlerweile fast 10 % weniger Lehramtsstudenten in Nordrhein-Westfalen haben als noch vor fünf Jahren. Das ist Ihre Regierungsverantwortung, das ist Ihre Bilanz, und die ist wirklich bitter.

Drittens – jetzt wird die Sache rund –: Sie behaupten, Sie hätten seit fünf Jahren kleinere Klassen in Nordrhein-Westfalen geschaffen. Fakt ist: Jeder fünfte Schüler in Nordrhein-Westfalen sitzt in Klassen mit 30 oder mehr Mitschülern. Das sind landesweit 500.000 Schülerinnen und Schüler.

(Zuruf von Ingrid Pieper-von Heiden [FDP])

Da können Sie den Kopf schütteln und noch so laut dazwischen brüllen. Das sind Zahlen Ihrer Landesregierung. Da brauchen Sie nur einmal die Antwort auf die Große Anfrage nachzulesen.

(Beifall von der SPD)

500.000 Schülerinnen und Schüler, jeder fünfte in Klassen mit 30 oder mehr Schülern. Die Klassen

frequenz hat sich seit 2005 eben nicht bzw. nur marginal verändert, und zwar um 0,1. Das heißt, in jeder zehnten Klasse sitzt mittlerweile ein Schüler weniger. Respekt, das ist eine tolle Leistung!

Fakt ist: Diese Landesregierung hat all die Zahlen, die ich gerade genannt habe, mehrfach eingeräumt. Das ist auch logisch: Wenn Sie keine zusätzlichen Lehrkräfte eingestellt haben – und das haben Sie nicht –, dann kann es auch keine kleineren Klassen geben; so einfach ist das. Und wenn es keine kleineren Klassen gibt, dann ist es nicht verwunderlich, dass Ihre Qualitätsanalyse in dem Bericht aus Dezember 2009 zu dem Ergebnis kommt, dass an drei Vierteln aller untersuchten Schulen keine individuelle Förderung stattfindet.

Unterm Strich bedeutet das: fünf verlorene Jahre für unser Land.

(Zuruf von Rudolf Henke [CDU])

Abschließend ist zu sagen, dass die von Ihnen vorgelegte bildungspolitische Abschlussbilanz verheerend ausfällt. Am 9. Mai werden die Bürgerinnen und Bürger ihre Bilanz ziehen.

Sie haben Angst vor diesem Wahltermin. Das kann ich auch verstehen, angesichts der bildungspolitischen Bilanz ist das völlig zu Recht so. Deshalb werden Sie nervös, aggressiv oder polemisch. Das ist nicht schön oder gar feiner Stil, aber durchaus nachvollziehbar. Es wird Sie aber nicht retten.

Sie können sich ebenso wie die Menschen in Nordrhein-Westfalen darauf verlassen: In fünf Jahren wird es in NRW kleinere Klassen, mehr Lehrer und weniger Unterrichtsausfall geben – aber nicht mit Ihnen, sondern mit Rot-Grün, mit der SPD und mit Hannelore Kraft. – Glück auf!

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Link. – Für Bündnis 90/Die Grünen erhält Frau Abgeordnete Beer das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Ministerin, ich muss mich ein bisschen wundern: Ich gehe davon aus, dass eine Ministerin einen Plan über die Jenaplanschule hat. Wenn sich eine Ministerin hier hinstellt und die Mär von der MammutSchule transportiert, dann finde ich das äußerst bedenklich; denn Sie müssten wissen, dass in der Jenaplanschule von Jahrgang 1 bis zur Klasse 13 gerade einmal 435 Schülerinnen unterrichtet werden und es die Jenaplanschule schafft, 60 % zur Hochschulreife zu bringen.

(Zustimmung von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Genau das plant aber die Grundschule Pannesheide in Herzogenrath, wo ich gemeinsam mit dem Kollegen Billmann auf dem Podium gesessen habe.

Frau Ministerin wusste es nicht. – Gut, dann haben wir etwas zur Bildungsvermehrung in NordrheinWestfalen beigetragen.

Lassen Sie mich aber heute mit einem anderen Running Gag beginnen, der einem in der letzten Woche schon überall auf der didacta begegnet ist und mit großem Vergnügen weitergetragen wurde: Ministerin Sommer hat versprochen, dass demnächst die Klassen kleiner würden. Antwort: Wie viel Quadratmeter dürfens denn sein?

(Lachen und Beifall von den GRÜNEN)

Dieser Witz zeigt sehr deutlich, was die Menschen in den Schulen von den Ankündigungen der Landesregierung halten. Offensichtlich haben sie die Erfahrung gemacht, dass die Realität in den Schulen ganz anders aussieht als das Bild, das die Hochglanzbroschüren der Landesregierung zeichnen wollen, und dass Statistiken und Zahlen eher als Vernebelungstaktik herangezogen werden, statt für die notwendige Transparenz zu sorgen.

Dieses Prinzip liegt leider auch der Beantwortung der beiden Großen Anfragen zugrunde. Das kennen wir aber schon aus den vergangenen Jahren: Erst kommt das große Weihrauch-Intro, danach werden die Informationen scheibchenweise in die folgenden Antworten hineingegeben. Aufgabe der geneigten Leserin oder des geneigten Lesers ist es dann, dass Puzzle wieder zusammenzusetzen. Wer das akribisch tut, der merkt: Holla, da ist nicht viel mit Weihrauch. Dann wird nämlich klar, warum es in den Schulen die Besetzungsprobleme gibt und warum Ihre Statistiken leider vielfach Makulatur sind. Es wird auch klar, warum es keine 4.000 IFUV-Stellen gibt – also Stellen für individuelle Förderung gegen Unterrichtsausfall und für Vertretungsaufgaben.

Es gibt eine dreifache Vernebelungsstrategie. Sie packen nämlich erst einmal Äpfel und Birnen zusammen. 1.250 Stellen sind allein dem Schüleraufwuchs in den Berufskollegs geschuldet, allein 1.000 davon gleich am Anfang der Legislatur – da gab es übrigens auch die Wirtschaftskrise noch nicht, die jetzt immer herangezogen wird, weil man da angeblich nachsteuern musste und so alles nicht hat vorhersehen können. Heute erzählen Sie uns, die Lehrerbedarfe am Berufskolleg hätte man nicht absehen können und dass im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise Schülerinnen vermehrt den Weg in die Sek II gegangen seien statt in die Ausbildung. So viel zu Ihren konsistenten Argumentationslinien.

Es gab also mehr Schülerinnen im System. Es gibt mehr OGS-Plätze. Es ist löblich, Frau Ministerin, dass Sie das weitergeführt haben, was Rot-Grün angefangen hat und was kommunal – gerade von der CDU vor 2005 – vielfach noch ausgebremst worden ist. Dazu: Ganztag an Haupt- und Förderschulen sowie an einigen Realschulen. Bei den Gymnasien haben Sie den Ganztag gezwungenermaßen nachschieben müssen, da Sie die Folgen

der Zwangsschulzeitverkürzung vollkommen unterschätzt haben. Jetzt haben alle Gymnasien die Zwangsschulzeitverkürzung, aber nur ein Sechstel Ganztagsangebote für einen oder zwei Jahrgänge. Der Rest hat nur die Krücke der pädagogischen Übermittagbetreuung anstatt einer vernünftigen Ausstattung an die Hand bekommen.

(Ralf Witzel [FDP]: Die, die das wollen! Jeder so, wie er das wollte! Das ist individuell!)

Ganztag ist eine zusätzliche Aufgabe und verändert nicht die Klassengrößen. Die FDP behauptet aber noch ganz dreist in ihrem Wahlprogramm, die Klassen seien kleiner geworden.

(Zurufe von der FDP)

In den Unterrichtsparametern haben Sie die Lehrerversorgung damit nämlich nicht fundamental erweitert. Sie haben den Schulen viel mehr Aufgaben gegeben. Das ändert eben nichts an Klassengrößen.

Das gilt auch für den Fakt Englisch in der Grundschule; nach eigenen Angaben macht das 800 Stellen. Oder 1.200 Stellen für vorgezogene Einschulung. Oder 1.900 Stellen für die Erweiterung der Stundentafel in der S1. Hinzu kommen mit dem Löwenanteil 2.400 Stellen allein für den „G8“Umbau und den Ausbau der Stundentafel für das Gymnasium –alles zusätzliche Aufgaben. Aber nicht um einen Schüler oder eine Schülerin sind die Klassen dadurch kleiner geworden.

Dazu kommt, was Sie geflissentlich verschweigen: Circa 1.000 Stellen müssen Sie aufwenden, um die kleinen Hauptschulen zu versorgen, zusätzlich zum Ganztag.

Was dies alles überhaupt noch an Bildungsmehrwert schaffen kann, dazu hat Herr Pinkwart sich auch geäußert, bevor man ihn zurückgepfiffen hat, als er nämlich den Hauptschulen ihre Überlebenschancen abgesprochen hat, weil dort nicht die notwendige Bildungsqualität erzeugt wird.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Wenn ich das alles einmal zusammenrechne, dann bin ich schon bei mehr als 13.000 Stellen. Hinzu kommen noch die 900 Stellen Vertretungsreserve, die Sie nur umgewandelt haben; das sind auch keine neuen Stellen. Hinzu kommt noch die Rückgabe der Vorgriffsstellen.

Sie können ja beklagen, Frau Ministerin – der Staatssekretär hat das ja auch schon mehrfach getan –, dass diese Rückgabe nun in Ihre Zuständigkeit gefallen ist. Aber diese Stellen müssen dann auch mitgezählt werden, wenn es um die Lehrerversorgung und die Ausstattung der Schulen geht. Leider machen Sie das in Ihren Statistiken nicht. Wir haben in der Großen Anfrage auch nur die Angabe von 2.581 Stellen für das Schuljahr 2009/2010. Für 2008 – da haben Sie es ein bisschen strecken

können – müssen Sie auch zurückgeben. Für 2010/2011 müssen Sie ebenfalls zurückgeben. Dann sind wir schon bei ca. 3.000 Stellen für diesen Zeitraum, die noch obendrauf zu rechnen sind.

Jetzt bin ich schon bei Bedarfen von 18.581 Stellen. Das ist zu dem, was Sie angeben, was Sie im System belassen und neu geschaffen haben, schon ein Stellenleck von ca. 1.000 Stellen bei optimistischen Berechnungen. Ihre angeblichen zusätzlichen 4.000 IFUV-Stellen sind immer noch nicht dabei. Die sind einfach nicht da; die fehlen auch den Schulen. Und dabei reden wir jetzt die ganze Zeit nur über Lehrerstellen und noch gar nicht einmal darüber, ob auf diesen Stellen auch wirklich Menschen sitzen.

Sehr geehrte Frau Ministerin, neben Ihrer Stellenarithmetik, die man so trefflich auseinander nehmen kann, müssen wir auch noch einmal auf das Steuerungsversagen der Landesregierung zu sprechen kommen. Wir haben gestern das zweite Treffen gehabt, was die Umsetzung der UNKonvention für Nordrhein-Westfalen angeht. Der Kollege Hollstein hat auf dem Inklusionskongress in Köln ganz kühn behauptet: Zum nächsten Schuljahr wird jeder Wunsch nach gemeinsamem Unterricht erfüllt. – Gestern haben wir gelernt, dass das nicht so ist, dass es keine Rechtsgrundlage dafür gibt, dass es keine Stellenausweitungen im GU gibt.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Anspruch und Wirklichkeit!)

Da werden die Eltern getäuscht. Sie werden das merken, und Sie werden das vor Ort einklagen.