Protocol of the Session on March 10, 2010

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen, der 145. Sitzung des Landtags von NordrheinWestfalen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich 14 Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Vor Eintritt in die Tagesordnung hat Herr Sagel angekündigt, einen Antrag zur Geschäftsordnung zu stellen. Ich bitte Sie, Herr Sagel, nach vorne zu kommen und das zu tun.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben in den letzten Wochen eine große öffentliche Debatte über die Käuflichkeit von Politik erlebt. Von den Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ist eine Aktuelle Stunde zu der Thematik „Wann legt der Ministerpräsident alle Sponsoren offen?“ beantragt worden, die wir auf Platz 2 der heutigen Tagesordnung finden.

Es ist bekanntermaßen nicht möglich, Anträge zu einer Aktuellen Stunde zu stellen. Ich selber hatte fristgerecht einen Antrag vorgelegt, der unter Punkt 14 der Tagesordnung aufgeführt ist und den Titel trägt: „Politik darf nicht käuflich sein: Verbot von offener und verdeckter Einflussnahme von Konzernen und Lobbyisten“. Da es aus meiner Sicht dringend notwendig ist, nicht nur grundsätzlich über diese Thematik zu diskutieren, wie dies in der Aktuellen Stunde vorgesehen ist, sondern auch zu erörtern, welche Konsequenzen sich daraus ergeben, bitte ich darum, meinen Antrag von Platz 14 der Tagesordnung auf Platz 3 der Tagesordnung vorzuziehen, damit man die ganze Angelegenheit im Kontext diskutieren kann. Wie gesagt: Es ergeben sich aus dem, was wir hier erörtern, zwangsläufig Konsequenzen. Ich bitte Sie, meinem Anliegen zu folgen. – Danke schön.

Danke schön, Herr Sagel. – Gibt es eine Widerrede? – Das ist nicht der Fall.

Dann lasse ich über diesen Antrag zur Änderung der Tagesordnung abstimmen. Wer diesem Antrag folgen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Herr Sagel. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der Rest dagegen, also ist der Antrag von Herrn Sagel abgelehnt.

Wir treten nun in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein.

1 Mehr Teilhabe und Chancengerechtigkeit für alle Kinder in Nordrhein-Westfalen, Runder Tisch „Hilfe für Kinder in Not“ – Zweiter Bericht

Unterrichtung durch die Landesregierung

Entschließungsantrag der Fraktion der SPD Drucksache 14/10805

Mit Schreiben vom 2. März 2010 hat der Chef der Staatskanzlei mitgeteilt, dass die Landesregierung beabsichtigt, den Landtag in der heutigen Plenarsitzung über das genannte Thema zu unterrichten. Ich gebe den Hinweis darauf, dass der Bericht zur Arbeit des runden Tisches mit Vorlage 14/3261 vorliegt.

Ich eröffne die Beratung und gebe Herrn Minister Laumann das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! NordrheinWestfalen ist ein gutes Land für Kinder. Politik für Kinder – das ist ein Schwerpunkt der Landesregierung. Die Landesregierung wird nicht hinnehmen, dass soziale Herkunft, Familieneinkommen oder Bildung der Eltern über die Zukunft der Kinder in Nordrhein-Westfalen entscheiden. Kinder brauchen mehr denn je die Unterstützung der ganzen Gesellschaft.

Die meisten Kinder in Nordrhein-Westfalen leben in sicheren sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen. Das heißt nicht, dass ich die Augen vor der wachsenden Anzahl von Kindern aus einkommensarmen Familien verschließe. Denn im Gegensatz zu der Vorgängerregierung belassen wir es nicht bei statistischen Angaben. Sie müssen immer daran denken, dass die letzte rot-grüne Regierung ihren letzten Armuts- und Reichtumsbericht nicht einmal im Plenum diskutieren ließ.

Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen geht das Thema Kinderarmut sehr offen an. Wir haben das Thema in aller Breite mit den Beteiligten im Land in fünf Regionalkonferenzen erörtert.

Mir war nach der Erstellung des ersten Armuts- und Reichtumsberichtes eines klar: dass man als Sozialminister mit den Zahlen und den Problemen erst einmal offen umgehen muss, um überhaupt eine Veränderung zu erreichen. Ich kann mich gut hineindenken, dass es einer Regierung nicht leicht fällt, mit diesen Zahlen offen umzugehen. Es war manchmal schon sehr schwierig, das in den fünf Regionalkonferenzen zu vertreten.

Ich will im Vorfeld meines Berichtes deutlich machen, worum es geht, wenn wir über Armut reden.

Kinderarmut hat folgende Gesichter: Erstens grundsätzlich immer die Arbeitslosigkeit der Eltern; zweitens das Aufwachsen bei einem alleinerziehenden Elternteil; drittens die Anzahl der Kinder im Haushalt; und viertens das Bestehen einer Zuwanderungsgeschichte. Zwar ist die Anzahl der Kinder aus einkommensarmen Familien in absoluten Zahlen gesunken – von 815.000 im Jahre 2005 auf 755.000 im Jahre 2008 –, aber die Armutsquote liegt immer noch bei 24 %. Im Vergleich: Die Armutsquote der Gesamtbevölkerung liegt bei 13,9 %. Das heißt, Minderjährige tragen nach wie vor ein überdurchschnittlich hohes Armutsrisiko.

Seit der Einführung der bedarfsorientierten Grundsicherung nach dem SGB II im Januar 2005 ist die SGB-II-Quote der Kinder unter 15 Jahren kontinuierlich gestiegen, bis sie im März 2007 mit 479.815 Kindern 18 % erreicht hat. Im August 2009 lag die SGB-II-Quote der Kinder mit 17,3 % etwas niedriger. In absoluten Zahlen heißt das, dass wir trotz der Finanzkrise heute mit rund 443.000 Kindern fast 37.000 Kinder weniger im SGB-II-Bezug haben. Der Vergleich zu 2005 zeigt, dass wir besser geworden sind. Wir sind auf dem richtigen Weg.

(Beifall von CDU und FDP)

Meine Damen und Herren, diese Zahlen nehmen wir sehr ernst. Wir werden auch in Zukunft das Thema Kinderarmut in den Mittelpunkt unserer Politik stellen und auch in den Mittelpunkt unserer Politik stellen müssen. Auch den von Armut betroffenen Kindern und Jugendlichen eine faire Chance auf Teilhabe zu geben ist für uns nicht nur eine moralische Verpflichtung, sondern auch eine sinnvolle und notwendige Investition in die Zukunft unseres Landes.

Das zeigt sich nicht zuletzt an den zahlreichen Maßnahmen und Angeboten für Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Lebensverhältnissen. Beispielhaft will ich hier nur nennen:

Zum 1. August 2008 ist das neue Kinderbildungsgesetz in Kraft getreten. Mit dem KiBiz wird Folgendes sichergestellt: Die Betreuung der Kinder unter drei Jahren wird deutlich ausgebaut. Bis zum 1. August 2013 werden wir den Rechtsanspruch für Kinder ab Vollendung des ersten Lebensjahres erreicht haben. Schon heute stehen 58.242 Plätze in Kindertageseinrichtungen und 16.245 Plätze in der Kindertagespflege, die landesseitig gefördert werden, zur Verfügung. 2005 waren es nur 11.800 Plätze. Wir haben heute also das Sechsfache.

(Beifall von CDU und FDP)

Inzwischen arbeitet ein dichtes Netz von ca. 2.400 Kindertagesstätten als Familienzentren. Damit erhalten Eltern passgenaue Angebote. Auf diese Weise können auch bildungsferne Familien erreicht werden.

Ich persönlich finde es im Übrigen bei meinen Besuchen in den Familienzentren der Kindertagesstätten immer sehr interessant, zu sehen, dass sie mit ihrer Arbeit in weiten Bereichen Bevölkerungsgruppen erreichen, die andere soziale Einrichtungen schon länger nicht mehr erreichen. Und darüber freue ich mich letzten Endes doch.

(Beifall von CDU und FDP)

Die Sprachförderung für Kinder in den Tageseinrichtungen ist deutlich verbessert worden. Der Sprachstand von allen Kindern wird zwei Jahre vor der Einschulung erfasst. Insgesamt nehmen derzeit 70.000 Kinder an solchen Maßnahmen teil. Die Landesregierung stellt zusätzliche finanzielle Mittel in Höhe von 345 € pro Kind und Jahr bereit. Insgesamt betragen die Haushaltsmittel hierfür 28 Millionen €.

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Wer hat Ihnen das gesteckt?)

Damit sind die Weichen gestellt, dass alle Kinder beim Eintritt in die Schule über ausreichende Sprachkenntnisse verfügen.

Die Förderung von in Armut aufwachsenden Kindern in der Schule ist eine besondere Aufgabe, der sich die Landesregierung durch zahlreiche Maßnahmen, die zur Verbesserung der Situation beitragen, gestellt hat.

Die Landesregierung hat kontinuierlich in allen Schulformen die Ganztagsplätze ausgebaut. Im Schuljahr 2004/2005 gab es 343.124 Ganztagsplätze. Im Schuljahr 2010/2011 gibt es aktuell 607.691 Ganztagsplätze. Das ist ein deutlicher Schritt nach vorne. Damit werden Kindern mehr Bildungschancen eröffnet und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert.

Der Übergang von der Schule in den Beruf ist besonders wichtig. Hier sind die Bereiche Arbeitsmarkt, Schule und Jugendsozialarbeit besonders gefordert. Dieses gilt auch für die Unternehmen und die Betriebe.

Die Landesregierung hat zentrale Maßnahmen initiiert, die gerade diesen Übergang verbessern helfen. Das Projekt BUS zielt darauf ab, benachteiligte Jugendliche an Haupt-, Gesamt- und Förderschulen, deren erfolgreicher Abschluss gefährdet ist, zu unterstützen. Im letzten Pflichtschuljahr werden schulisches Lernen und betriebliche Erfahrung kombiniert. Das BUS-Angebot gibt es derzeit an 300 Schulen. In den sogenannten BUS-Klassen werden 3.600 Schülerinnen und Schüler auf den Übergang in den Beruf vorbereitet. 3.400 Betriebe kooperieren mit diesen Schulen.

Wir haben das Werkstattjahr eingerichtet, an dem Jugendliche ohne Ausbildungsverhältnis teilnehmen können. Die Jugendlichen sollen zusätzlich zu den schulischen Ausbildungszeiten praktische Ausbildungseinheiten im Betrieb absolvieren. Es

werden jährlich rund 28 Millionen € für 5.000 Teilnehmer eingesetzt.

Gesundheit und Armut hängen direkt zusammen. Wer arm ist, dessen gesundheitliche Entwicklung ist auch beeinträchtigt. Die Landesregierung hat gerade in diesem Bereich wichtige Akzente gesetzt, zum Beispiel die finanzielle Förderung von Mittagsmahlzeiten. Mit dem Landesfonds „Kein Kind ohne Mahlzeit“ bekommen landesweit 82.000 Schulkinder aus ärmeren Familien jeden Tag ein Mittagessen im Rahmen der Ganztagsangebote.

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Trotz schwieriger Haushaltslage haben wir den Landesfonds „Kein Kind ohne Mahlzeit“ verlängert und um 19,3 Millionen € aufgestockt. Die Einführung dieses Landesfonds war unbedingt notwendig. Allerdings dürfen solche Probleme eigentlich gar nicht erst entstehen. Nordrhein-Westfalen beteiligt sich deshalb am EU-Schulobst- und EU-SchulmilchProgramm.

Die Situation von Alleinerziehenden muss verbessert werden. 18 % der Bedarfsgemeinschaften in Nordrhein-Westfalen bestehen aus Alleinerziehenden. Das heißt, fast jede fünfte Bedarfsgemeinschaft ist ein alleinerziehender Haushalt. Der Anteil der Kinder, die bei einem alleinerziehenden Elternteil aufwachsen, nimmt zu: 1996 waren es 10,5 %, 2008 waren es 14,8 %. Ich möchte allerdings hinzufügen: Das heißt auf der anderen Seite auch, dass Gott sei Dank immer noch 85 % aller Kinder bei beiden Elternteilen aufwachsen. Auch das muss man zur Relativierung dieser Zahl dazusagen.

Kinder von Alleinerziehenden sind überdurchschnittlich häufig von Einkommensarmut betroffen. Diese Zahlen machen es deutlich. Wir müssen uns insbesondere um die alleinerziehenden Mütter und Väter kümmern. Sie haben es besonders schwer, mit den Folgen von Armut zu leben und ihren Kindern eine ausreichende Förderung zuteilwerden zu lassen.

Es ist eine wichtige Voraussetzung zur Verbesserung ihrer Situation, durch bessere Rahmenbedingungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf die Möglichkeit zu eröffnen, dass Alleinerziehende ein existenzsicherndes Einkommen erzielen. Deshalb haben wir seit 2005 zum Beispiel insgesamt 264.567 Plätze in Ganztagsschulen gefördert. Denn das ist die einzige Möglichkeit für Alleinerziehende, Kinder und Berufstätigkeit miteinander zu verbinden.

Was ich überhaupt nicht verstehe, ist, dass die gleichen Zahlen schon in den Armuts- und Reichtumsberichten der alten Landesregierung standen, Sie aber trotzdem nichts für das Angebot im Ganztagsbereich getan haben.

(Beifall von CDU und FDP – Britta Altenkamp [SPD]: Herr Laschet, haben Sie ihm das auf- geschrieben? Das ist ja furchtbar!)

Vor allem junge Mütter gehen häufig ohne Ausbildung in die Familienphase. Danach gelingt es ihnen allzu oft nicht mehr, den Anschluss an den Arbeitsmarkt zu finden. Deshalb werden junge Mütter und Väter seit dem Ausbildungsjahr 2009/2010 auf eine betriebliche Erstausbildung in Teilzeit vorbereitet. In 16 Arbeitsmarktregionen des Landes werden bei 30 Trägern zurzeit bis zu 400 Teilnehmerplätze angeboten.

Das läuft so ab, dass wir erstens zusammen mit den Handwerks- sowie mit den Industrie- und Handelskammern Teilzeitausbildung bei den Unternehmen bekannter machen wollen.

Zweitens wollen wir einer jungen Mutter in den ersten Monaten der Ausbildung – wir denken dabei an sieben Monate; es kann aber auch länger gehen – über einen Träger eine Hilfe zur Verfügung stellen, damit sie Ausbildung, Haushalt und Babyversorgung unter einen Hut bekommt. Ich glaube, dass wir damit eine gute Maßnahme entwickelt haben, die wir über das Land finanzieren, um Teilzeitausbildung für ganz junge Mütter möglich zu machen. Denn ohne Berufsausbildung ist es schwer, später ein Einkommen zu erzielen, das ein Leben außerhalb des SGB II und damit außerhalb der Armutsgrenzen ermöglicht.

Arbeitspolitische Förderangebote werden gezielt zur Unterstützung von Berufsrückkehrerinnen genutzt. Dazu gehört insbesondere der Bildungsscheck in Nordrhein-Westfalen, den wir auch für Berufsrückkehrerinnen geöffnet haben. Dieses großartige, unkomplizierte, unbürokratische Förderinstrument ist in seiner Breite in ganz Europa so nicht wiederzufinden.

Aber eines muss man doch sehen: Die Alleinerziehenden sind nicht schlechter ausgebildet als andere Eltern, sondern genauso gut. Hier sind auch ganz deutlich die Arbeitgeber in die Pflicht zu nehmen, dass mehr Alleinerziehende eingestellt werden. Es ist doch unmoralisch, wenn auf der einen Seite gefordert wird, dass die Leute mehr Kinder bekommen sollen, und sie auf der anderen Seite auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt werden.

(Britta Altenkamp [SPD]: Richtig!)