Ein modernes ganzheitliches Bildungsverständnis erfordert auch, schulische und außerschulische Angebote besser zu vernetzen. Das ist mein Dauerkampf mit der Schulministerin. Es ist kein wirklicher Kampf. Aber ein Jugendminister muss dazu sagen – das sagt auch der ganze Bericht –: Bildung findet nicht nur in der Schule statt. Da sind wir uns einig.
Aber ich sage es trotzdem immer wieder. Bildung ist gerade das, was Jugendverbände, was Offene Türen, was Jugendkulturarbeit leistet. Das erhöht die Kreativität von Kindern, das erhöht das Selbstwertgefühl. Es bietet vielen Kindern Chancen, auch dann zu einem Selbstbewusstsein zu kommen, wenn sie in der Schule vielleicht nicht die besten Noten haben. Insofern ist der offene Ganztag genau die Kombination, auch außerschulische Bildungsinhalte in die Schule hineinzubringen.
Zum Kinder- und Jugendbericht gehören auch die kulturelle Bildung, die Arbeit mit modernen Medien, die Kooperationsangebote mit Schulen, die besonderen Angebote für Jungen und Mädchen. Wir haben in dieser Wahlperiode die Landesinitiative Jungenarbeit gestartet, weil sie zum Teil die Bildungsverlierer sind und man ganz bewusst einen Blick auf die Jungen richten muss.
Neben der Bildungsfunktion hat die Jugendarbeit eine große soziale Bedeutung. Sie baut Benachteiligungen ab, ist ein idealer Ort für Integration und bietet Kindern und Jugendlichen viel Freiraum für die persönliche Entwicklung.
Wer den Kinder- und Jugendbericht und die Antworten auf die Große Anfrage liest, sieht, welche positiven Entwicklungen es gibt. Dazu gehören auch ein wirksamerer Kinder- und Jugendschutz, eine auf die Bedürfnisse junger Menschen ausgerichtete Ausbildungs- und Arbeitsmarktpolitik sowie eine zuverlässige Förderung von jungen Menschen mit Behinderung.
Die Leistungen der Landesregierung in all diesen Bereichen füllen mehr als die 250 Seiten, die Ihnen vorliegen. Ich könnte 250 Minuten gebrauchen und nicht zwölf Minuten, um all die Erfolge vorzutragen. Es waren fünf gute Jahre für die Kinder- und Jugendarbeit in Nordrhein-Westfalen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Walter Kern, der Anteil der Ausgaben für Kinder und Jugend gemessen am Haushalt war noch nie so gering wie in diesem Jahr. Als Sie angefangen haben, hatte das Land 110 Millionen € Schulden, jetzt sind es 135 Millionen €.
Milliarden, Entschuldigung. Ihr wart alle so aufgeregt und nervös, jetzt habe ich mich tatsächlich mit Milliarden und Millionen vertan.
Damals gab es ein großes Versprechen an die Jugendverbände, nämlich – dafür hat der Ministerpräsident persönlich geradegestanden –: Wir erhöhen den Landesjugendplan wieder auf 96 Millionen €. Das wären jetzt 15 Millionen € mehr. Vom Gesamthaushalt, um das deutlich zu machen, hättet ihr 0,0026 % mehr ausgeben müssen, um euer Wahlversprechen zu halten. Das ist nicht passiert. Warum? – Weil die Jugendpolitik in dieser Regierung keine Rolle spielt, meine Damen und Herren.
Auch der Bertelsmann-Vergleich zeigt ganz deutlich: Pro Kind wird in Nordrhein-Westfalen zu wenig Geld ausgegeben. Die Bertelsmann Stiftung steht ja nicht in dem Verdacht, besonders sozialdemokratisch oder grün gefärbt oder gar von der Linkspartei gesteuert zu sein.
Herr Witzel, zu Ihnen und den Gesamtschulen – jetzt telefoniert er –: Ich befürchte, Sie sind als kleines Kind mal mit voller Wucht gegen eine Gesamtschule gelaufen. Irgendetwas muss da passiert sein.
Anders kann ich mir nicht erklären, wie Sie hier Daten und Fakten durcheinanderbringen. In Nordrhein-Westfalen finden 15.000 Kinder – das ist der heutige Stand – keinen Platz an einer Gesamtschule. Das ist Ihre Politik.
Es gibt Halbtagszulassungen von Gesamtschulen. Keine Regierung in ganz Deutschland bekämpft die Gesamtschulen derart wie diese schwarz-gelbe Landesregierung.
Ja, ich lasse die Frage gleich zu. Bis zum 9. halten wir noch durch. Ich möchte nur noch einen Vergleich ziehen: Herr Witzel, Sie erinnern mich häufig an Erich Honecker.
Ich sage Ihnen: Sie sind der Letzte, der die Tür zu- und das Licht ausmacht. Sie sind auf einem falschen Dampfer.
Herr Kollege, es wäre schön, wenn Sie uns mal sagen könnten, wie viele Gesamtschulen in diesem Land zwischen 2000 und 2005 und wie viele zwischen 2005 und heute gegründet wurden.
Lieber Herr Kollege, es kommt nicht nur darauf an, dass es einen erheblichen Elternwillen im ganzen Land und einen erheblichen Drang nach Gesamtschulen gibt. Ich habe kritisiert, lieber Herr Kollege, dass Sie den Elternwillen nicht aufnehmen,
dass Sie Gesamtschulstrukturen bekämpfen, dass Sie Gesamtschulen im Halbtag genehmigen. Das ist die Kritik, die ich gerade formuliert habe.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch einmal kurz auf den Bericht eingehen und speziell die Situation der Jugendlichen herausarbeiten: Jugendliche drängen nach Anerkennung und Respekt, wie wir übrigens meistens auch. Sie wollen Respekt für ihre Leistungen und Anerkennung beispielsweise durch einen Studienplatz oder eine Lehrstelle. Tausende von Jugendlichen finden diese Anerkennung und diesen Respekt in unserer Gesellschaft nicht. Sie finden keine Lehrstelle und gehen von Maßnahme zu Maßnahme.
Wenn Sie in unserer Gesellschaft keinen Respekt und keine Anerkennung finden, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann suchen sie dies eben außerhalb
unserer Gesellschaft. Sie versuchen, sich Anerkennung und Respekt dadurch zu erwerben, dass sie vielleicht länger trinken oder länger zuschlagen können als andere usw. Das ist eine schwierige Situation, der wir uns auch hier im Parlament gemeinsam stellen müssen. Ich habe den Eindruck, dass der Situation falsch begegnet wird, wenn man sagt: Wir müssen die Hauptschulstrukturen stärken.
Das führt nicht zu dem gewünschten Ergebnis, den Jugendlichen mit Anerkennung und Respekt zu begegnen.
Aber nicht nur die Jugendlichen, die Hauptschulen besuchen, sind in einem Dilemma, sondern zum Beispiel auch auf Gymnasien gibt es einen erheblichen Leistungsdruck, liebe Kolleginnen und Kollegen. In Deutschland werden 4 Milliarden € für Nachhilfe ausgegeben. Bei den Grundschülern wird angefangen, Nachhilfe zu geben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist krank.
(Ralf Witzel [FDP]: Was Sie da vortragen, ist doch unlogisch! Bei Grundschulen haben wir doch nur eine Schulform!)
Diese Jugendlichen haben keine Zeit mehr, ihre Freizeit zu gestalten. Diese Jugendlichen fehlen uns an allen Ecken und Kanten. Der Minister hat gerade zu Recht darauf hingewiesen – darin stimmen wir völlig überein –, dass man 70 % dessen, was man lernt, außerhalb der Schule lernt. Wenn wir nur auf Schule, auf Leistung und auf Druck setzen, kommen wir bei den von mir gerade genannten Problemen nicht weiter.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es ist auch abenteuerlich, dass wir unter Tagesordnungspunkt 4 den dramatischen Anstieg von psychischen Erkrankungen bei Jugendlichen diskutieren und anschließend hier bei der Debatte über Schulsysteme so tun, als ob alles in Ordnung wäre. Das ist falsch.
Die Jugendlichen, die sich in der Knochenmühle Schule bewegen, kaum Freizeit haben und wirklich um ihre Existenz bangen, fehlen uns natürlich in der ehrenamtlichen Arbeit, bei den Jusos, bei der Jungen Union, bei der Kirche und bei den Jugendverbänden.
Hören Sie sich doch bitte einmal die Klagen an. Leider setzen Sie sich ja nicht mehr mit den Jugendverbänden zusammen. Tun Sie das einmal. Sie haben 75 Millionen € über die Legislaturperiode versprochen, aber arbeiten in Bezug darauf, wie es denn weitergehen soll, mit ihnen nicht mehr inhaltlich zusammen.