Protocol of the Session on February 3, 2010

Dabei wäre es so einfach gewesen, die im Grundsatz von allen gewollte Schulzeitverkürzung in NRW handwerklich sauber und im Konsens umzusetzen; denn wir haben Ihnen 2005 Vorüberlegungen und Planungen hinterlassen. Die wollten Sie aber bewusst nicht annehmen; eine Kontinuität in dieser Frage war von Ihnen nicht gewollt. Da Sie aber für diesen bewussten Bruch verantwortlich sind, stehen Sie heute bewusst, allein und zu

Recht im Regen, ja tragen auch allein die Verantwortung für die Folgen Ihres Turboabiturs.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Unsere Positionen zur Frage der Schulzeitverkürzung schließen nahtlos an das an, was für die SPD auch schon im Jahre 2004 galt. Ich rufe Ihnen das gerne einmal in Erinnerung: Wir wollten und wir wollen eine Schulzeitverkürzung. Wir wollten und wir wollen ein Abitur nach zwölf Schuljahren möglich machen. Aber – das sage ich hier ganz akzentuiert und deutlich, meine Damen und Herren von CDU und FDP – so, wie Sie es gemacht haben, machen wir es nicht.

Wir wollten und wir wollen mit dem Modell „10 plus 2“ eine Schulzeitverkürzung, die in der Oberstufe ansetzt und die eben nicht Kinder ab dem fünften Schuljahr, eben nicht Zehnjährige belastet.

(Beifall von der SPD)

Wir wollten und wir wollen auch an Gymnasien ein Abitur nach 13 Jahren möglich machen. Doch unsere Pläne haben Sie, wie gerade erwähnt, 2005 verworfen; den Grundgedanken unserer Schulzeitverkürzung haben Sie pervertiert. Herausgekommen bei Ihrem schwarz-gelben Regierungsmurks ist das berühmt-berüchtigte Turboabitur. Heute sehen sich infolge der von Ihnen verantworteten Politik Kinder einem Arbeitspensum von mehr als 40 Wochenstunden gegenüber, die Hausaufgabenzeiten einmal mit eingerechnet. Und 40 Wochenstunden für Schulunterricht und Hausaufgaben, meine Damen und Herren von CDU und FDP, das ist mehr, als so mancher Erwachsener in seinem Beruf zu leisten hat.

Sie haben hier einen immensen Druck – ich sage bewusst: ohne Not – an den Schulen aufgebaut, und das ohne Kompensation für Schülerinnen und Schüler und ohne verbesserte Rahmenbedingungen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Die Kinder an den Gymnasien in diesem Land haben Sie in einen faktischen Ganztag gezwungen, ohne echte schulische Ganztagsangebote und ohne insbesondere ein schulisches warmes Mittagessen für alle Kinder zu schaffen.

Wie haben Sie auf die zunehmenden Elternproteste reagiert? Ihr erster Vorschlag „Samstag statt Ganztag“-Unterricht führte zu viel Protest,

(Widerspruch von Bernhard Recker [CDU])

zu viel Gelächter, ja vor allem zu Unverständnis in der Schulgemeinde und bei allen am Schulleben Beteiligten und landete rasch in der Fragenkiste.

Der zweite Tiefschlag von Schwarz-Gelb war die Verschlankung der Lehrpläne. Auch diese Idee war mit heißer Nadel gestrickt, wenig durchdacht und in der Umsetzung schwierig und fehlerhaft. Die Lehre

rinnen und Lehrer fühlten sich allein gelassen. Und wieder einmal gab es keine Hilfestellung seitens der Landesregierung, sondern stattdessen Lehrerschelte.

(Ute Schäfer [SPD]: Genau!)

Meine Damen und Herren von CDU und FDP, Sie haben bereits bei der Einführung Ihres Turboabiturs die vorgetragenen Bedenken und Einwände von Wissenschaftlern, Verbänden und Experten aus der Praxis schlichtweg ignoriert. Die Kritik an der Umsetzung Ihrer Schulzeitverkürzung, Ihres Turboabiturs kam dann schneller aus den Schulen, von der Basis an Sie heran, als Sie es sich vielleicht erträumt und vorgestellt haben. Aber erst als der Druck zu groß wurde, haben Sie eine Vielzahl von untauglichen Versuchen unternommen, den Schaden zu begrenzen; ich habe Ihnen gerade zwei Beispiele genannt.

Neue Kernlehrpläne und Ganztagsausbau auf Kosten und zulasten der Kommunen sind nur zwei weitere Beispiele. Der Erfolg all Ihrer Rettungsversuche hielt sich bislang jedenfalls deutlich in Grenzen. Ablesbar ist das beispielsweise an dem deutlichen Zulauf, den die Gesamtschulen in diesem Land seit Einführung Ihres Turboabiturs mit zwölf Jahren am Gymnasium und ausschließlich dort haben. Die Eltern in NRW erkennen nämlich im Gegensatz zu Ihnen ganz deutlich, dass Kinder unterschiedlich schnell lernen und dass manches Kind sehr wohl erst nach 13 Jahren das Abitur schaffen kann, und dies auch wirklich schaffen kann, wenn man ihm auch 13 Jahre Zeit dafür gibt.

Diese 13 Jahre wären ohne Probleme und ohne größeren Aufwand auch an Gymnasien möglich. Diese Option haben Sie aber bewusst nicht gewollt. Sie wollten die Abkapselung des Gymnasiums vom restlichen Schulsystem. Diese Option haben Sie ausgeschlossen – ein weiteres Beispiel für eine Politik, die in Ihre Verantwortung fällt.

Ich frage mich also: Warum wundern Sie sich, dass Ihnen die Wählerinnen und Wähler in der Schulpolitik nicht länger folgen –

(Lachen von Klaus Kaiser [CDU])

nach fünf Jahren einer Politik, die durch Argumentationsresistenz, Herr Kaiser, Wegesehen und Realitätsverkennung geprägt war?

(Lachen von Klaus Kaiser [CDU])

Reden Sie doch einmal mit den Betroffenen an den Gymnasien in diesem Land! Fragen Sie doch einmal vor Ort, was man vom Turboabitur hält! Und lassen Sie sich nicht von Verbandsfunktionären Sand in die Augen streuen!

(Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren von CDU und FDP, meine Damen und Herren von der Landesregierung, Sie sind zu Recht nervös; denn infolge Ihrer Politik –

da bin ich mir ziemlich sicher – werden Ihnen die Wählerinnen und Wähler am 9. Mai die Quittung erteilen und diese Landesregierung abwählen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Link. – Jetzt hat Herr Solf für die CDUFraktion das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In drei Monaten und wenigen Tagen ist Landtagswahl. Und Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, haben ein Riesenproblem.

(Lachen von der SPD)

Sie haben sich nämlich durch Ihre Politik so weit in den Keller gefahren, dass Sie in unserem Land keine Chance haben, ohne die Hilfe der Linken an die Macht zu kommen.

(Beifall von CDU und FDP – Ute Schäfer [SPD]: Ach, du liebe Zeit! – Weitere Zurufe von der SPD)

Das wissen Sie, und Sie sagen es auch hinter vorgehaltener Hand.

(Marlies Stotz [SPD]: Zum Thema!)

Sie lügen nicht so, wie es Frau Ypsilanti getan hat, aber laut die Wahrheit sagen Sie auch nicht;

(Heiterkeit von der SPD – Zuruf von der SPD: Jetzt kriegt er Angst!)

denn dann bräuchten Sie am 9. Mai gar nicht mehr anzutreten.

Was also tun? Wie wäre es mit einem ehrlichen und sachlichen Wahlkampf? Aber das, meine Damen und Herren von der SPD, scheinen Sie sich nicht zuzutrauen. Wenn es dazu eines Beweises bedurft hätte: Mit diesem Antrag, den wir hier diskutieren, erbringen Sie ihn.

Der Antrag macht auch klar, wo Ihr Problem liegt. Blicken Sie auf die letzte Seite und schauen Sie den Namen an, mit dem das alles endet. Es ist Ihr Name, Frau Schäfer, die Unschuld vom Lipper Land,

(Heiterkeit und Beifall von der CDU)

nach dem Motto: Ich soll mal Schulministerin gewesen sein? Davon weiß ich ja gar nichts.

(Heiterkeit von der CDU)

Aber Sie waren Schulministerin dieses Landes – bis die Wählerinnen und Wähler Sie vor fünf Jahren abgewählt haben. Und Sie waren nicht irgendeine Ministerin in einer Landesregierung, die insgesamt abgewirtschaftet hatte, sondern Sie hatten das Poli

tikfeld zu verantworten, in dem es 2005 am allerübelsten aussah: die Bildungspolitik.

(Beifall von der CDU)

Nirgendwo stand Nordrhein-Westfalen schlechter da. NRW musste sich schämen, und das war zu einem ganz wesentlichen Teil Ihre Schuld. Schauen Sie auf die damaligen Abiturientenzahlen. In Ihrer Ministerzeit war der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und schulischem Kompetenzerwerb so groß wie in keinem anderen Land innerhalb und außerhalb Deutschlands.

(Beifall von der CDU)

Das war Ihr Skandal, den gerade die Migrantenkinder erleiden mussten. Wie vielen Tausenden von Migrantenkindern hätten Sie das Trauma schulischen Scheiterns ersparen können, wenn Sie unseren Forderungen nach frühzeitiger Sprachförderung gefolgt wären!

(Beifall von der CDU)

Stattdessen haben Sie uns der Germanisierung geziehen. Sie haben die schwierigen Probleme nicht anpacken wollen, sich in schulideologischen Fragen verzettelt und die Dinge schöngeredet.