Wenn man sich die Rede des Ministerpräsidenten ansieht – das Manuskript ist verteilt worden –, dann stellt man fest, dass von dem, was zur Energiepolitik im Kommissionsbericht steht, dort gar nichts auftaucht. Das ist ja ganz interessant.
Der Lord Dahrendorf wird rauf und runter zitiert. Der taucht im Energieteil nicht auf. Dann fängt die Rede des Ministerpräsidenten zu dem Bereich Energie mit folgenden Worten an: Vor kurzem war ich in Abu Dhabi. Ich war fasziniert von der visionären Ökostadt Masdar City, konzipiert von Sir Norman Forster. – Ich sage dann immer: Reisen bildet. Aber ich war vor Kurzem in Lemgo.
Da muss ich sagen: Das, was da geschaffen worden ist, ist visionär. Das ist eine normale 40.000Einwohner-Stadt in Nordrhein-Westfalen, kein Burj al Arab, Tausend Meter hoch, sondern zwei-, dreigeschossige Häuser, wenn es hoch kommt. Aber 73 % Kraft-Wärme-Kopplung in der Stromversorgung und Wärmepreise, die unter den Gaspreisen liegen – das ist eine Leistung, das ist visionär.
Und ich war in Oerlinghausen, gar nicht weit weg. Die haben hervorragende Stadtwerke; Peter Blome ist der Geschäftsführer. Die haben in Oerling
hausen Nahwärmenetze; das ist eine typische Ein- und Zweifamilienhausgegend. Von Peter Blome stammt der Spruch: Kraft-Wärme-Kopplung, Nahwärmenetze sind Häuserkampf. Da muss man die Hausbesitzer gewinnen, man muss sie von den Angeboten überzeugen.
Wenn man dann weiterfährt durchs Land, nicht zu Lord Dahrendorf, sondern von mir aus zu Lord Kubendorff oder Landrat Kubendorff, der Landrat des Kreises Steinfurt, dann erfährt man: Die haben das Ziel, 2050 energieautark zu sein.
So, wie die unterwegs sind, glaube ich, dass die das im Kreis Steinfurt auch schaffen, wenn man sich anguckt, was die machen.
Wenn man dann im Kreis Steinfurt nach Saerbeck geht, nicht nach Abu Dhabi, dann erlebt man, dass alle vernünftigen Parteien im Rat den Bürgermeister bei dem Ziel, Saerbeck 2030 energieunabhängig zu machen, inklusive Treibstoffproduktion und allem, was dazu gehört, unterstützen. Das sind hervorragende Beispiele. Da muss ich mir nicht irgendwelche Wolkenkratzer im arabischen Raum anschauen; das kann ich in NRW sehen.
Ein weiteres Beispiel ist Münster. Das Gebäudemanagement ebenso die Stadtwerke der Stadt Münster liefern seit Jahren eine hervorragende, exzellente Arbeit in dem Bemühen, Münster ökologisch nach vorne zu bringen. Auch im Verkehrsbereich gibt es eine ganz tolle Bilanz.
Wenn ich jetzt nach Rheinberg gehe und mir ansehe, welches Ziel die Verwaltung und der Bürgermeister dort hinsichtlich der Gebäudesanierung haben, dann sage ich: Das ist ein richtiger Vorstoß. Das gibt es ja nicht nur in Westfalen.
Auch die Trianel und das Gebäudemanagement in Aachen sind hervorragende Wege, wo man zusammen wirklich etwas schafft. Das sind keine Visionen wie in Masdar City. Der Ministerpräsident wird ja von manchen politisch als Reinkarnation von Johannes Rau gesehen. Als ich das mit dem Burj al Arab gelesen habe, habe ich mich gefragt, ob er jetzt nach vier Jahren als Reinkarnation von Wolfgang Clement kommt. – Bitte nicht. Bitte bleiben Sie an der Stelle bodenständig und gucken Sie, was in Nordrhein-Westfalen ist.
Seite 20 des Skripts des Ministerpräsidenten – und er hat das eben auch wortwörtlich gesagt – steht:
Wir werden zusammen mit den großen Unternehmen der Energiewirtschaft und mit führenden wissenschaftlichen Instituten wie dem Wuppertal Institut für Umwelt, Klima und Energie an einem Konzept arbeiten, wie die Stadt der Zukunft in einer ökologischen Industrieregion aussehen kann.
Alle, die ich eben aufgezählt habe, Lemgo, Oerlinghausen und auch alle anderen, können das nur als Drohung empfinden. Ich verstehe überhaupt nicht, dass die Landesregierung sagt: Mit den großen Energieversorgern werden wir die Stadt der Zukunft bauen. In so eine Zukunftskommission hätten Lemgo, Oerlinghausen, Saerbeck, Steinfurt, Münster und Aachen gehört und nicht Herr Großmann von RWE, wenn wir die Städte ökologisch orientieren wollen. Das wäre das Richtige gewesen.
Und die werden es an der Stelle als Drohung empfinden. Das richtige Zukunftskonzept für 2025 wäre gewesen: Wir wollen 50 % des Altgebäudebestandes in den nächsten 15 Jahren energetisch sanieren. Das wäre das richtige Signal gewesen.
In Kooperation mit dem Handwerk, mit dem Baugewerbe würden wir sichere Beschäftigung schaffen, sicher für die Baugewerbe, die in den nächsten Jahren in die Knie gehen werden, weil die Kommunen das Geld nicht mehr so wie in der Vergangenheit ausgeben können.
Einfach als Bilanzbetrachtung: Nordrhein-Westfalen gibt etwa 10 bis 12 Milliarden € im Jahr für Öl- und Gasimporte im Jahr zum Heizen und Fahren aus. Wenn wir es schaffen würden, in den nächsten 15 Jahren die Hälfte des Gebäudebestandes zu sanieren, vor allen Dingen die großen Mietwohnungsbestände, dann würden wir auch aus sozialpolitischer Sicht die Mietnebenkosten senken,
und wir würden nicht mehr 3 bis 4 Milliarden € für Öl und Gas ins Ausland liefern müssen. Das wäre visionär und revolutionär. Wir wären dann auch der Ort in der Bundesrepublik, wo neues Bauen, wo neue Technologie entwickelt würde, und wir könnten die Technik und das Know-how auch verkaufen.
Sie fordern, wir sollten uns zum Chemiestandort bekennen. Ich habe zwar ein Problem mit Bekenntnissen. Aber wissen Sie, was in der Sache das richtige Bekenntnis wäre? – Ein solches ambitioniertes Programm zur Gebäudesanierung! Schließlich würde das bedeuten, dass die Grundstoffe dafür, nämlich bestehende und zu entwickelnde Dämmmaterialien, aus der Chemieindustrie kämen. Dann hätten Sie auch die IG BCE an Ihrer Seite. Mit einer solchen Programmatik könn
ten wir in der Praxis viel besser ein Bekenntnis zur Chemieindustrie als wichtigem Partner in der Frage der ökologischen energetischen Modernisierung ableisten als nur mit reinen Lippenbekenntnissen.
Ein wirklich visionäres Zukunftskonzept gerade für die Metropole Ruhr wäre doch gewesen: Wir wollen das, was in Lemgo heute Alltag ist, bis 2025 im Ruhrgebiet zum Standard machen.
In Lemgo gibt es – das muss man sich einmal vorstellen – 73 % Kraft-Wärme-Kopplung. Das Ruhrgebiet hat 10 %. Dort machen wir doch etwas Absurdes. Im gesamten Ruhrgebiet ist der Gebäudebestand aufgrund der Nachkriegsbauten energetisch schlechter als anderswo in der Bundesrepublik. Dieses Ruhrgebiet umstellen wir – das soll ja weiter gemacht werden – mit einem Kranz von Kraftwerken, die alle 60 % der Energie verschwenden und in die Umgebung abgeben. Innerhalb dieses Kranzes beheizen wir alle Gebäude mit importiertem russischem Erdgas. Das ist energetisch, ökologisch und ökonomisch ein einziger Unsinn.
Die bisher 10 % in der Metropole Ruhr nach Lemgoer Vorbild zu 73 % zu machen, ist der beste Anwendungsraum dafür. Das wäre etwas, was nach vorne geht. So etwas schaffen Sie aber nicht mit den großen Energieversorgern. Das kriegen Sie mit Stadtwerken, Mittelständlern, Handwerksunternehmen und der Gebäudewirtschaft hin. Auf genau diesen Weg müssten wir kommen.
Wenn wir eine Zukunftskommission fragen, wie NRW in den Jahren ab 2025 aussehen sollte, wäre es doch notwendig – ich spreche nur für diesen Bereich –, die Diskussion um Ressourcenverknappung und Klimaschutz in einer ganz anderen Größenordnung zu führen. Der Bundespräsident hat in seiner letzten Berliner Rede von der Notwendigkeit einer ökologischen industriellen Revolution gesprochen. Damit hat er völlig recht.
Was müssen wir tun? Die Bundeskanzlerin – Parteivorsitzende des Ministerpräsidenten – sagt, dass wir unsere Emissionen bis 2050 um 80 % reduzieren müssen. In 40 Jahren brauchen wir also einen Rückgang um 80 %.
Bestimmte Bereiche können wir nicht gegen null bringen; denn es gibt prozessbedingte Emissionen, die man nicht wegbekommt. Wir können die Stahlindustrie zwar optimieren, kriegen sie aber nicht emissionsfrei. Wir können Chemie, Zementherstellung, Landwirtschaft und Verkehr optimieren und dort Energie besser einsetzen und einsparen, bekommen diese Bereiche aber nicht emissionsfrei. Wir werden also Restemissionen haben.
Andere Bereiche können wir allerdings emissionsfrei bekommen. Das müssen wir schaffen. Bei den Gebäuden ist das am allereinfachsten. In zehn Jahren dürfen Neubauten – das schreibt die EU vor – nur noch als Passivhäuser gebaut werden. In den drei Dekaden danach werden wir auch den Bestand umstellen müssen. Insofern ist das das Mögliche. Das Gleiche gilt für den Verkehr und die Stromerzeugung.
Es wäre wirklich visionär und revolutionär, dazu die Etappen über die nächsten Dekaden aufzuzeigen. Ich kann nur sagen: Wenn es wirklich eine Zukunftskommission sein sollte und nicht nur um Propaganda ging, dann hat diese Kommission zumindest im Energiebereich völlig versagt.
Meine Vorstellung von einer Zukunftskommission nach dem 9. Mai dieses Jahres wäre Folgende: Es wird sie geben, meinetwegen speziell für den Energiebereich. An dieser Zukunftskommission sind die Stadtwerke Lemgo, Landrat Kubendorff und andere beteiligt. Dann diskutieren wir, wie wir diese ökologische industrielle Revolution in Nordrhein-Westfalen in den Städten hinbekommen und die Metropole Ruhr zu einem Vorzeigeprojekt machen können.
Bei dieser Zukunftskommission sind auch die IG BCE, die Chemieindustrie und vor allen Dingen das Handwerk dabei; denn das sind diejenigen, die uns an dieser Stelle nach vorne bringen. Es sind nicht Herr Großmann und die RWE. Die sind – das ist leider die bittere Bilanz – an dieser Stelle eher hinderlich, als dass sie förderlich wären.
Insofern appelliere ich an Sie: Lassen Sie uns daran arbeiten, dass wir nach dem 9. Mai 2010 eine solche Zukunftskommission einsetzen können – nur für ein halbes Jahr und nicht für die nächste Landtagswahl, sondern mit Ergebnissen noch in diesem Jahr, die wir dann umsetzen –, anstatt lediglich mit Verspätung hier ein bisschen Weihrauch in die Landschaft zu schütten. – Danke schön.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich mir hier die Redner der SPD anhöre, kann ich Ihnen nur empfehlen, etwas intensiver darauf zu hören, wie sich Ihr Parteifreund Helmut Schmidt zum Thema Visionen äußert –