Gesamtschulen im Land nicht ausbremsen und Eltern nicht entmutigen – trotz der Tatsache, dass sie ihnen systematisch den Ganztag vorenthält.
Im Gegenteil: Die Bewegung schwappt in alle Regionen über. Und deswegen müssen jetzt auch die regionalen Handlanger ausschwärmen. Einer sitzt rechts neben mir; das ist Herr Krautscheid. Letzte Woche, Herr Krautscheid, war ich nämlich im RheinSieg-Kreis bei den Eltern in Sankt Augustin und in Siegburg, die dort ihre Kinder für eine neue Gesamtschule anmelden wollen.
Es ist ein offenes Geheimnis, Herr Krautscheid, dass Sie alle Hände voll zu tun haben, bei den Gesamtschuldiskussionen vor Ort und bei der CDU in Alfter, in Eitorf, in Much, in NeunkirchenSeelscheid, in Ruppichteroth, in Windeck den Finger darauf zu halten, damit nicht zu deutlich wird, dass sie längst nicht mehr auf Landesregierungslinie sind. Sie haben doch Ihren eigenen Laden nicht mehr unter Kontrolle, Herr Krautscheid.
Schließlich fühlt sich der Regierungspräsident Lindlar berufen, den Kommunen wie Morsbach das Leben bei Gesamtschulneugründungen schwer zu machen. Vielleicht ist er dazu von der Landesseite auch noch einmal ermutigt worden. Herr Winands schafft das Geschäft auch nicht mehr alleine.
Wo war denn dieser treue Statthalter der Landesregierung und Sachwalter der kommunalen Finanzen, als die Kommunen Hauptschulausbau- und Umbauplanungen vorgenommen haben, die ins Leere laufen, weil diese Schulen jetzt wieder geschlossen werden müssen,
Der große Skandal ist doch, dass diese Ganztagsschulplätze an Hauptschulen – schauen Sie nach Bad Salzuflen, schauen Sie nach Hemer – dann noch nicht einmal auf die Neugründungen der Gesamtschulen übertragen werden dürfen. Sie bauen Ganztagsschulplätze ab. Sie enthalten den Eltern, die ihre Kinder an Gesamtschulen unterbringen wollen, diese Plätze vor. Das ist ein bildungspolitischer Skandal. Ideologischer geht es in diesem Land nicht mehr.
Fantasie und Flexibilität kommen nur ins Spiel, wenn es darum geht, Gesamtschulen zu verhindern. Dann werden schulgesetzliche Vorhaben, Frau Ministerin, ja ganz gerne ungeheuer dehnbar gemacht.
Nehmen wir doch mal das Beispiel Schalksmühle. Die Gemeinde wollte eigentlich ein Gemeinschaftsschulmodell. Das hat man ihr massiv ausgeredet
und angeboten, eine Verbundschule nach § 83 dann zu genehmigen, wenn Hauptschule und Realschule auch nur die Mindestzügigkeit erreichen. Mit dem geltenden Recht hat das allerdings nichts zu tun; denn danach müssten mindestens 80 Schülerinnen pro Jahrgang dauerhaft gesichert sein. Das ist aber mitnichten der Fall. Trotzdem wird fleißig genehmigt. Aber in Morsbach versucht man, Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Das ist zweierlei Maß in diesem Land, und das ist Ihre Verantwortung.
Schalksmühle ist ja nur ein Beispiel für Kleinstverbundschulen wie Kleinsthauptschulen, die enorme Ressourcenprobleme bekommen werden und die notwendige Bildungsqualität vor Ort nicht erbringen. Eltern wissen, dass gerade die Gesamtschule Kindern die Schullaufbahn offen hält, dass dort auch jene Kinder reüssieren und erfolgreich sind, denen das Abitur nicht in die Wiege gelegt worden ist.
Herr Witzel, Sie dürften gar nicht mehr den Mund aufmachen, wenn wir über Qualitätsvergleiche in diesem Land reden!
In Morsbach, ja, Herr Krautscheid; ich weiß, dass Sie das genau kennen, denn Sie müssen ja da unten die Landkarte abarbeiten.
In Morsbach wird jedoch trotz der hohen Zustimmungsraten der Eltern für eine Gesamtschule vom Regierungspräsidenten gegen die Gemeinde weiter gerichtlich ins Feld gezogen. Das ist eine sehr durchsichtige Maßnahme: Damit soll das Anmeldeverfahren torpediert werden.
Der Ministerpräsident gefällt sich ungemein bei seiner Zuhörtour und preist sich wegen des Ganztagsausbaus. Auch da ist er von Eltern schon auf die Verweigerung des Ganztags an den Gesamtschulen angesprochen worden und hatte darauf keine Antwort.
Warum können noch nicht einmal diese Eltern in einem kompletten System starten, Frau Ministerin? Legen Sie uns das hier noch einmal dar. Eltern, die den Ganztag wollen, Schulen, die ein pädagogisches Konzept haben, dürfen nicht starten. Auf der anderen Seite müssen Sie doch schulaufsichtlich Schulen quasi in den Ganztag hineinbewegen, die innerlich noch nicht einmal bereit sind, das zu tun, damit Sie auf der Landesebene Ihre Zahlen bei den Realschulen und Gymnasien erreichen.
Die Schulpolitik bleibt die Achillesferse der Landesregierung. Die Kommunalverantwortlichen laufen parteiintern, gerade bei der CDU, Sturm.
Deswegen will ich Ihnen zum Schluss ein Zitat von Ole von Beust aus seinem Interview vom 7. Januar ans Herz legen.
Das Thema Bildung als solches beschäftigt mich schon seit 30 Jahren. Ich war ja mal Vorsitzender der Schülerunion und glühender Verfechter der Dreigliedrigkeit des Schulsystems. Je länger ich mich mit dem Thema befasse, und das ging schon lange vor Schwarz-Grün los, umso mehr bin ich der Überzeugung, dass unser jetziges System falsch ist. Dieser alte bildungspolitische Ansatz, wonach es drei Grundtypen gibt – den handwerklich Begabten mit wenig Intellekt für die Hauptschule, den mäßig handwerklich Begabten mit mehr Intellekt, der auf die Realschule geht, und den wenig handwerklich Begabten, aber dafür sehr intelligenten Schüler, der Abitur macht –, diese Dreiteilung ist Ausdruck veralteten ständischen Denkens. Das passt nicht mehr in die Zeit.
Recht hat der Mann! Ich glaube, wir legen das den Kollegen aus der CDU-Fraktion einfach noch einmal in die Fächer.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Liebe Morsbacherinnen und Morsbacher, ob nun auf der Tribüne oder vielleicht über das Internet! Es gibt ein Sprichwort, das besagt: Menschen, die man nur halb kennt, kennt man gar nicht. – Ich sage Ihnen, Frau Hendricks, Frau Beer: Das gilt auch für Sachverhalte. Sachverhalte, die man nur halb kennt, kennt man ebenfalls nicht.
Vielen von Ihnen wird heute die Gemeinde Morsbach zum ersten Mal ins Bewusstsein gerufen. Bevor wir uns daher im Folgenden mit der Gemeinde Morsbach beschäftigen, gestatten Sie mir einige wenige Sätze zu dieser Gemeinde.
Morsbach liegt an der Südspitze des Oberbergischen Kreises und damit gleichzeitig an der Grenze des Landes Nordrhein-Westfalen zu Rheinland
Pfalz. Rund 12.000 Menschen leben dort. Sie gestalten das kulturelle und soziale Leben in Morsbach mit einer beispielhaften ehrenamtlichen Tätigkeit in einer Vielzahl von Vereinen und Projekten. Es gibt zwei Grundschulen an drei Standorten mit rund 500 Schülerinnen und Schülern, eine Hauptschule mit 231 sowie eine Realschule mit 436 Schülerinnen und Schülern. „Normalität“ werden Sie jetzt vielleicht sagen. Aber: Alle genannten Schulen verfügen über besondere Qualitäten, auf die ich später zurückkommen will.
Heute haben wir nun eine von SPD und Bündnis 90/Die Grünen beantragte Aktuelle Stunde zur Schullandschaft in Morsbach, zur Einrichtung einer Gesamtschule – und einen Antrag, der in der Überschrift von „Willkür“ spricht und als Imperativ – wohlgemerkt an den Landtag gerichtet – die sofortige Genehmigung einer Gesamtschule fordert.
Erstens. Als Abgeordneter dieses Wahlkreises, als jemand, der die Debatte um die Einrichtung dieser Gesamtschule mehr als zwei Jahre lang verfolgt hat, weise ich den Vorwurf der Willkür gegenüber den Morsbacher Eltern entschieden zurück.
Im Antrag von SPD und Grünen wird nicht gesagt, wem Willkür vorgeworfen wird. Ich weise dies jedoch für alle im Verfahren beteiligten Parteien zurück.
Zweitens. Ihre Aufforderung an den Landtag, also an dieses Plenum, die Gesamtschule sofort zu genehmigen, muss ich so verstehen, dass Sie dem Gesetzgeber auferlegen wollen, der Exekutive, in diesem Falle der Bezirksregierung, einen Befehl ohne gesetzliche Grundlage zu geben.
Wenn dem nicht so ist, können Sie diesen Teil gerne zurücknehmen. Ihrer Begründung für die Aktuelle Stunde fehlt dann allerdings die Überschrift – und damit wohl auch der letzte Inhalt.
Meine Damen und Herren der Opposition, welchen Zweck verfolgen Sie eigentlich mit der heutigen Aktuellen Stunde? Wenn Ihnen dieses Thema, die Zukunft der Schullandschaft Morsbach, so am Herzen liegt, wie Sie heute vorgeben, warum haben Sie dann nicht sofort nach Ablehnung des Antrages auf Errichtung einer Gesamtschule am 19. Dezember 2008 eine Aktuelle Stunde beantragt?
(Beifall von der CDU – Ute Schäfer [SPD]: Sollten wir an Weihnachten eine Sitzung ab- halten? – Hannelore Kraft [SPD]: Wahr- scheinlich eine Sondersitzung!)
Ihrer Begründung ist zumindest eine Frage zu entnehmen. Diese Frage lautet: Die betroffenen Eltern zuerst, aber auch alle anderen Bürgerinnen und Bürger fragen, was da passiert. Wieso wird das Gerichtsurteil angezweifelt und hierdurch das Anmeldeverfahren – Klammer auf: angeblich; Klammer zu – blockiert?