Protocol of the Session on December 1, 2005

Meine Damen und Herren, die Länder müssen Bildungsstaaten sein. Diese Kernkompetenz gilt es auszubauen. Das ist richtig. Die jetzt vereinbarten Regelungen gehen jedoch in eine völlig falsche Richtung. Sie gefährden die Verbesserungen im Bildungsbereich. Bestes Beispiel: Das kommunalfreundliche Ganztags-Schulprogramm der rot-grünen Bundesregierung läuft aus. Zukünftig darf es so etwas laut Grundgesetz nicht mehr geben.

Es muss Sie doch nachdenklich machen, dass diese Einigung unisono abgelehnt wird: von der Wirtschaft, von der Wissenschaft, von Eltern- und Lehrerverbänden und einer riesigen Mehrheit der Bevölkerung. Die Menschen spüren offensichtlich, dass Pisa auch eine nationale Antwort braucht.

Deutschland braucht zukünftig mehr und nicht weniger Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern, wenn wir den Rückstand unseres Bildungssystems gegenüber anderen OECDStaaten aufholen wollen. Gerade vor dem Hintergrund der jüngsten Pisa-Ergebnisse ist es verantwortungslos, ein Zusammenwirken zwischen Bund und Ländern zur Verbesserung der Situation an Schulen und Hochschulen durch eine Änderung des Grundgesetzes auszuschließen. Notwendig wäre das Gegenteil.

Die Zuständigkeiten in Bund und Ländern müssen sich über eine nationale und Bildungs- und Wissenschaftsagenda über gemeinsame verbindliche Ziele verständigen, die anschließend in den jeweiligen Kompetenzfällen in großer Freiheit in konkretes Handeln im Bund, Ländern, Kommunen und Bildungseinrichtungen umgesetzt werden. Jetzt stärkt man indirekt die viel gescholtene „Hinterzimmerpolitik“ des kleinsten gemeinsamen Nenners der Kultusministerkonferenz. Dass es sich ein Nationalstaat von dem Potenzial der Bundesrepublik Deutschland leistet, keine verbindliche gemeinsame Bildungsplanung mehr vorzusehen, ist ein Treppenwitz der Geschichte.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, diese Einigung im Bildungsbereich ist ein Armutszeugnis für unser Land in der Phase des Übergangs in die Wissensgesellschaft, dies eben nicht nur aus bildungspolitischer Sicht, sondern aus sozialpolitischer und aus ökonomischer Sicht. Wir werden so nicht Anschluss finden an die OECD-Staaten – nicht bei Pisa, aber auch nicht bei der wirtschaftlichen Entwicklung.

Ich sage es an dieser Stelle frank und frei: Ich bin entsetzt, dass die SPD das so verhandelt und ein SPD-Parteitag dem ohne Wenn und Aber zugestimmt hat. Wissen Sie, was mir das zeigt? Sie haben im Grunde genommen kein bildungspolitisches Gesamtkonzept und keine Gesamtstrategie. Sie nehmen sich Diskussionsprozesse vor und fassen Beschlüsse auf Ihren Parteitagen, die aber nicht mit dem kompatibel sind, was Sie konkret vereinbart haben.

Das unterscheidet uns. Deswegen bin ich stolz auf meine Partei. Wir haben eine durchdeklinierte Gesamtkonzeption, die die ganze Partei begriffen und beschlossen hat – von Kiel über Düsseldorf bis Stuttgart, von der Kommunalpolitikerin aus Aachen und Herford bis hin zu Joschka Fischer. Dafür haben wir in der Föderalismuskommission auch gestanden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, dass die neue große Koalition nicht prinzipienfest ist, sieht man allein daran, dass die Aufhebung der Mischfinanzierung auf der einen Seite als große Errungenschaft gepriesen, im Kinder- und Jugendbereich aber neue geschaffen wird – offensichtlich nur, um hier etwas vorweisen zu können. Ich mache es konkret: Der Bund will mit den Ländern nach Wegen suchen, das letzte Kindergartenjahr kostenlos anbieten zu können. Das ist eine wunderbare Ankündi

gung. Entscheidend wird aber wohl sein, wer das dann bezahlen soll.

(Beifall von den GRÜNEN – Ministerpräsi- dent Dr. Jürgen Rüttgers: Richtig!)

Damit bin ich beim Verhältnis des Bundes zu den Städten und Gemeinden. Es fehlen greifbare Maßnahmen und eine in sich stimmige Gesamtstrategie zur Stärkung der Städte im demographischen und wirtschaftlichen Wandel. Die Städte brauchen bessere Mitwirkungsrechte an der Gesetzgebung des Bundes und auskömmliche Einnahmen. Auf beide Herausforderungen reagiert die große Koalition aber unentschlossen und mutlos. Die Städte brauchen ein verfassungsrechtlich gesichertes Anhörungsrecht, wie wir es schon lange fordern. Es muss sichergestellt werden, dass die Interessen der Kommunen bei der Bundesgesetzgebung frühzeitig und angemessen berücksichtigt werden. Vor allem brauchen die Städte eine Reform der kommunalen Finanzen. Ziel bleibt eine Verstetigung der Einnahmen der Kommunen und die Stärkung der Steuerkraft strukturschwacher Städte und Gemeinden. Die Ankündigung, diese Gemeindefinanzreform auf irgendwann zu verschieben, zeugt einmal mehr von Ihrer Entscheidungsschwäche.

Entscheidungsschwäche und Halbherzigkeit beweisen Sie auch bei der Reform des öffentlichen Dienstes. Statt die auf dem Tisch liegenden Reformpläne der Bull-Kommission anzugehen, damit endlich die althergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums auf den Prüfstand kommen, einigt man sich nur auf die kleine Reform des öffentlichen Dienstes, die der Ministerpräsident genannt hat.

(Zuruf von Dr. Gerhard Papke [FDP])

Die Folge davon wird ein Besoldungswettlauf nach unten sein. Statt unsere Beschäftigten endlich nach Leistung zu bezahlen, werden sie nach Kassenlage der Bundesländer bezahlt.

Meine Damen und Herren, last but not least einige Anmerkungen zur Umweltgesetzgebung. Auch hier waren und sind wir Grüne Sachwalter guter Strukturen und Ergebnisse.

(Lachen von Dr. Gerhard Papke [FDP])

Die „Rheinische Post“ von gestern bescheinigt den Deutschen, beim Umweltschutz vorn zu sein – Zitat –:

„Deutschland hat das Zeug zum Vorbild. Das Land habe überdurchschnittliche Fortschritte bei der Reduzierung der Emissionen und Siedlungsabfälle erzielt und verfüge über eine fort

schrittliche Abfallpolitik. Der Gesetzgeber fördere das Energiesparen und den Ausbau erneuerbarer Energiequellen. Der Wasserverbrauch liege 15 % unter dem Wert von 1991.“

Das zeugt zum einen von einer guten Regierungspolitik der Grünen in Bund, Ländern und Gemeinden. Solche Erfolge sind aber offensichtlich auch wegen unserer föderalen Strukturen, wie wir sie heute haben, möglich. Was jetzt vereinbart ist – Sie können es in Artikel 72 Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 –, öffnet diese Strukturen und macht sie unverbindlich. Dann endet man schnell bei dem Motto: Mein Auto fährt auch ohne Wald.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich bin gespannt, ob jetzt nach Basta-Manier durchregiert wird oder zur Umsetzung ein offener Gesetzgebungsprozess zur Mitgestaltung mit fachlicher Beratung stattfindet. Das wäre angesichts der Bedeutung und im Sinne eines konstruktiven Miteinanders zwingend erforderlich. Ein erster Schritt dazu wäre – dazu lade ich Sie herzlich ein –, wenn Sie sich nach Roman Herzog eine Ruck geben und unserem Entschließungsantrag zustimmen würden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Löhrmann. – Als nächster Redner hat Kollege Dr. Papke für die Fraktion der FDP das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Löhrmann, ich muss Ihnen attestieren: Das waren unterhaltsame 10 bis 15 Minuten, die Sie uns geboten haben.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Das ist doch auch mal was! Das wird Ihr Beitrag wahr- scheinlich nicht!)

Ich habe mich gelegentlich gefragt, ob Sie aus einem politischen Paralleluniversum kommen. Denn was Sie hier dargestellt haben, hat über weite Strecken mit der Realität und dem Verhandlungsstand nichts zu tun. Aber Sie können jetzt ja auch völlig losgelöst von Verantwortung durch die Weltgeschichte turnen, denn Sie fragt ja keiner mehr. Sie sind raus. Sie sind in keiner Landesregierung mehr. Sie sind gerade aus der Verantwortung im Bund abgewählt worden. Machen Sie weiter so mit diesem interessanten vielfältigen Sammelsurium grüner Versatzstücke. Machen Sie sich aber auch klar: Sie sind für das abgewählt wor

den, was Sie hier wieder in Teilen dargestellt haben.

(Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Aber das nur by the way, Frau Löhrmann.

Zum Thema, meine sehr verehrten Damen und Herren: Der Föderalismus hat sich in Deutschland grundsätzlich bewährt. Er verknüpft die strukturelle Vielfalt der einzelnen Länder mit der solidarischen Verantwortung für das staatliche Ganze. Dennoch ist der Föderalismus in der bestehenden Form dringend reformbedürftig. Der bestehende kooperative Föderalismus ist durch eine zunehmende Vermischung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern gekennzeichnet. Er lähmt politisches Handeln. Das ist der Ausgangspunkt der mit neuer Dynamik und neuem Tempo vorangetriebenen Überlegungen zur Reform des Systems.

Bund und Länder haben sich in den zurückliegenden Jahren mehr und mehr gegenseitig blockiert. Das führt zu einem Verlust von Effizienz und Leistungsfähigkeit aller – sowohl des Bundes als auch der Länder. Wir müssen kritisch festhalten, dass die grundgesetzliche Formel von der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland viel zu lange als Begründung einer schleichenden Nivellierung der Bundesländer herhalten musste.

Wir als FDP-Landtagsfraktion wollen, dass diese Fehlentwicklung in einen echten Wettbewerbsföderalismus umgekehrt wird. Vielfalt und Wettbewerb statt Gleichmacherei muss die Leitlinie der Föderalismusreform sein. Es ist wichtig, das von vornherein in den Blick zu nehmen.

Herr Kollege Papke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kuschke?

Herr Kollege Kuschke, lassen Sie mich vielleicht zunächst einige Gedanken entwickeln, dann werden Sie noch ausreichend Zeit haben, Ihre Fragen zu formulieren.

Ein Beispiel, wie durch mehr Wettbewerb alle profitieren, haben wir in den letzten Jahren bei der Schulpolitik erlebt. Die Pisa-Studien und die Debatte über die unterschiedlichen Bildungsergebnisse der Bundesländer haben eben erst im direkten Vergleich der Bildungsergebnisse die Schwachstellen deutlich gemacht, gerade auch in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von Ralf Witzel [FDP])

Das ist ein sehr plastisches Beispiel dafür, wie der Wettbewerb das Miteinander der Länder belebt und wie deutlich wird, wo einige Länder besser als andere sind und wo nachjustiert werden muss.

(Ralf Witzel [FDP]: So ist das!)

Das ist ein Beispiel, von dem zu wünschen ist, dass es auf andere Politikfelder ausgedehnt wird.

Deshalb wollen wir im Übrigen auch in der Bildungspolitik, wo die Länder schon ein erhebliches Maß an Eigenständigkeit haben, noch mehr Länderkompetenzen und noch mehr Wettbewerb der Bildungssysteme. Das wollen wir nicht als Selbstzweck, sondern im Interesse der Schülerinnen und Schüler. Diese werden letztlich diejenigen sein, die davon profitieren. Wir sind ja dabei, das mit dem neuen Schulgesetz umzusetzen, was wir an Konsequenzen ziehen aus den verheerenden Bildungsergebnissen, die wir in Nordrhein-Westfalen attestiert bekommen haben, nicht zuletzt durch die Pisa-Vergleichsstudien im innerdeutschen Bereich.

Deutschland, meine Kolleginnen und Kollegen, muss sich international im Wettbewerb um die besten Lösungen behaupten. Das wollen wir auch zwischen den Bundesländern. Wir wollen den Wettbewerb um die besten Lösungen zum Wohle des gesamten Landes.

Das Ziel meiner Fraktion besteht deshalb in einer umfassenden Föderalismusreform. Wir wollen kein Reförmchen in Trippelschritten, das den Namen Reform nicht verdient.

Herr Kollege Kuschke, ich habe Ihnen aufmerksam zugehört. Mich hat schon frappiert, dass Sie in dieser Debatte allen ernstes mehr Tempo einfordern. Von Nordrhein-Westfalen ist doch in den zurückliegenden Jahren im Allgemeinen und von Ihnen in Ihrer persönlichen Verantwortung in der Landesregierung doch gar nichts gekommen.

(Beifall von Ralf Witzel [FDP])

Sie haben heute sogar ein Föderalismusreformbegleitgesetz angekündigt. Wir sind darauf sehr gespannt. Wir freuen uns sehr, wenn sich die Opposition konstruktiv einbringt. Deshalb sind wir sehr gespannt, welche Eckpunkte Sie uns in einem Föderalismusreformbegleitgesetz demnächst vorlegen werden. Wir werden Sie dann aber auch an den Ansprüchen, die Sie gerade formuliert haben, messen.

Herr Kollege Papke, der Abgeordnete Kuschke hat sich noch

einmal zu einer Zwischenfrage gemeldet. Lassen Sie die zu?

Na, dann legen Sie einmal los, Herr Kuschke.