Protocol of the Session on December 1, 2005

(Beifall von CDU und FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Vereinbarungen der Berliner Koalition stellen in meinen Augen einen erheblichen Fortschritt dar. Wir können damit die föderale Ordnung modernisieren. Wir stärken die eigenständige Verantwortung des Bundes und der Länder. Weil die Verantwortlichkeiten

künftig klarer voneinander abgegrenzt werden, stärken wir zugleich die parlamentarische Demokratie.

Künftig werden wir mehr von dem, was NordrheinWestfalen betrifft, hier in Düsseldorf zu entscheiden und vor unseren Wählerinnen und Wählern zu verantworten haben. Wir wollen die Entscheidungen dorthin holen, wohin sie im Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger gehören, nämlich in die Parlamente der Länder.

(Beifall von CDU und FDP)

Das ist keine Last, sondern ein maßgeblicher Beitrag zu mehr Selbstbestimmung und mehr Selbstverantwortung und damit zu mehr Demokratie. Die Abgeordneten der Landtage werden die politischen Gewinner der Föderalismusreform sein.

(Beifall von Werner Jostmeier [CDU])

Der Föderalismus in Deutschland hat Zukunft, liebe Kolleginnen und Kollegen, und das ist gut für Nordrhein-Westfalen.

(Lang anhaltender Beifall von CDU und FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben die Unterrichtung gehört. Wir treten jetzt in die Debatte ein. Als erster Redner hat Herr Abgeordneter Kuschke, SPDFraktion, das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, ich finde es gut und richtig, dass Sie die Unterrichtung zur Föderalismusreform angemeldet haben: Aber ich füge ganz klar hinzu: Wir hatten etwas mehr erwartet, als ausschließlich das zu erfahren, was wir bisher schon haben nachlesen können.

(Beifall von der SPD)

Darauf, dass die Koalitionsfraktionen, insbesondere die CDU-Fraktion, diese erweiterte Nachrichtensendung so beklatscht und nicht bemerkt haben, was Sie nicht erwähnt haben, komme ich noch zurück.

Wir wissen, dass Sie in der entsprechenden Arbeitsgruppe mitgewirkt haben, aber erlauben uns auch den Hinweis: 80 bis 85 % der Vereinbarungen stammen aus dem Jahr 2004. Dieses Ergebnis hatten wir über die Föderalismusreformkommission schon einmal erreicht.

Wir hätten uns auch gewünscht, Herr Ministerpräsident, dass Sie einige Irritationen ausräumen. Denn wir haben ja noch gestern in einigen Pressemitteilungen nachlesen können, dass Sie etwa

in der „Frankfurter Rundschau“ Kritik an der Vereinbarung geübt haben. Wir haben in der „FAZ“ nachlesen können, dass Sie angedeutet haben, es müsste eine neue Bund-Länder-Kommission her. Was ist das für eine Kommission, von der dort geschrieben wird? Worin bestehen Ihre Kritikpunkte? Wie weit geht Ihre Kritik an der Verabredung? – Diese Punkte sind ungeklärt.

Aber wir haben auch eine Gesamtschau und eine Bewertung aus nordrhein-westfälischer Sicht und den Hinweis auf die schwierigen Punkte, die es in der Verabredung gibt, erwartet. Dies ist jedoch nicht geschehen.

Sie haben den Bildungsbereich angesprochen, aber die folgenden Fragen nicht beantwortet: Wie stellen wir uns zukünftig die Mitwirkung im Bundesrat und in Europa vor? Wie soll das angesichts des Flickenteppichs, den es an bildungspolitischen Vorstellungen der Länder gibt, vor sich gehen? Wie wird es zukünftig möglich sein, vergleichbare Lebensverhältnisse insbesondere im Bildungsbereich sicherzustellen? Wird es zukünftig einheitliche Bildungsstandardserhebungen geben?

Sie haben Wohnungsbau und Hochschulbau angesprochen, aber ausschließlich erwähnt, dass es gut sei, dass die Mischfinanzierung beendet werde. Herr Ministerpräsident, wie sieht denn die Finanzierungsgrundlage aus, wenn die Mischfinanzierung entfällt?

(Beifall von der SPD)

Das muss der zuständige Minister beantworten; damit komme ich auf Herrn Wittke mit seinem „In die Büsche schlagen“ zurück. Wer hat sich denn hier in die Büsche geschlagen? Der soziale Wohnungsbau wird bis 2008 vom Bund finanziert, danach nicht mehr. Im Hochschulbau ist eine Finanzierung bis 2013 sichergestellt und danach nicht mehr. Diese Grundlagen müssen doch geklärt werden. Und wir erwarten eine Antwort der Landesregierung darauf, wie das zu erfolgen hat.

(Beifall von der SPD)

Herr Ministerpräsident, den entscheidenden Punkt haben Sie, wenn ich das richtig sehe, mit zwei Sätzen erwähnt. Sie haben davon gesprochen, dass mit der Föderalismusreform, mit der Koalitionsvereinbarung nun die Stunde der parlamentarischen Demokratie geschlagen hat. Ich sage Ihnen: Das geht nicht ohne Weiteres, nicht selbstverständlich, und das kommt nicht, ohne dass etwas dazu beigetragen wird.

Meines Wissens haben Sie vor dem Landkreistag ausgeführt – das haben Sie vorhin sinngemäß

wiederholt –, dass die Rolle des Bundesrates und der Ministerpräsidenten reduziert und die Rolle der Länder und der Landtage gestärkt werde. Aber wo sind denn die konkreten Umsetzungsschritte?

Meine Damen und Herren, wir brauchen die Stärkung der Landtage, um eine größere Bürgernähe und Transparenz zu erreichen und damit die föderative Demokratie dauerhaft zu sichern. Die effektiven Mitgestaltungsmöglichkeiten des Landtags in europäischen Angelegenheiten müssen gestärkt werden. Zur Verbesserung der Abläufe zwischen Parlament und Regierung sind die Einführung und Wahrung von Unterrichtungspflichten gegenüber dem Landtag in Bundes- und Europaangelegenheiten notwendig. Darüber hinaus hat die Landesregierung das Landesparlament unverzüglich zu unterrichten, wenn Bundesgesetze den Ländern das Recht zur Verordnungsregelung einräumen.

Jetzt könnten Sie von der CDU-Fraktion eigentlich alle klatschen, weil das nämlich aus einem Antrag aus der vergangenen Legislaturperiode stammt, den Sie selbst eingebracht haben,

(Beifall von der SPD)

und der erste, der diesen Antrag unterschrieben hat, war Dr. Jürgen Rüttgers.

(Zuruf von Helmut Stahl [CDU])

Wir erwarten, Herr Ministerpräsident, Herr Stahl, dass Sie an dem festhalten, was Sie damals formuliert haben, und dass ganz klare Absprachen getroffen werden, wie das zu erfolgen hat. Was bedeutet denn Europatauglichkeit der Länder und des Landesparlamentes? Welche Verfahrensabläufe müssen geklärt werden? Das ist etwas, was bereits in den Erläuterungen zur Koalitionsvereinbarung dargestellt wurde, aber auch dort mit dem klaren Hinweis, dass das konkreter Regelungen bedarf, die im Landtag und auf der Bundesebene getroffen werden müssen.

Sie haben nicht erwähnt, dass wir es teilweise mit kompletten Gesetzen zu tun haben werden, die auf den Weg gebracht werden müssen. Wir werden ein neues Pressegesetz brauchen, weil das Presserechtsrahmengesetz wegfällt, Herr Ministerpräsident. Das heißt, hier sind Hausaufgaben zu machen, die sich aus der Koalitionsvereinbarung ergeben. Diese müssen aber nicht in Berlin oder von der Ministerpräsidentenkonferenz, sondern konkret von der Landesregierung und von diesem Hohen Hause gemacht werden.

(Beifall von der SPD)

Herr Ministerpräsident, das heißt für uns ganz klar: Die Begleitung der Berliner Koalitionsvereinbarung, die wir -genauso wie Sie – unter dem Strich begrüßen, kann nur durch ein Föderalismusreformbegleitgesetz erfolgen.

(Zurufe und Widerspruch von der CDU)

Wie stellen Sie sich das denn vor? Glauben Sie, das fällt vom Himmel? Wollen Sie das alles dem Ministerpräsidenten oder der Landesregierung überlassen, die teilweise noch gar nicht festgestellt haben, wo Handlungsbedarf besteht?

(Beifall von der SPD)

Wir werden es hier mit einem Artikelgesetz zu tun haben müssen. Im Augenblick haben wir den Eindruck, dass sich die Landesregierung nicht besonders beeilt, Herr Ministerpräsident, das auf den Weg zu bringen. Von daher wollen wir als SPD-Landtagsfraktion Ihnen gerne behilflich sein. In Kürze werden wir dazu Eckpunkte vorlegen, damit wir Ihnen die Arbeit etwas erleichtern.

Meine Damen und Herren, es besteht überhaupt kein Zweifel daran – ich unterstreiche das, was der Ministerpräsident dazu gesagt hat –: Es war nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine wichtige historische Entscheidung, auf ein föderales System zu setzen. Ich füge hinzu – Sie werden mir insoweit sicherlich nicht widersprechen –, dass wir damals eine Tradition hatten, an die wir wieder anknüpfen konnten. Diese wurde spätestens zwischen 1933 und 1945 brutal unterbrochen. Natürlich hatten wir es nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges mit erheblichen Bedenken gegenüber einer ausschließlich zentral verfassten Ordnung zu tun.

Wir haben aber gut daran getan, zu einem föderalen System zu kommen, und wir tun gut daran, daran festzuhalten, und zwar auch in einer Zeit, in der über das System nicht unbedingt nur Lob geäußert wird. Es gab in den vergangenen Monaten viele kritische Fragen dahin gehend, ob nicht vieles in der Bundesrepublik Deutschland deshalb zu lange dauere, weil wir dieses föderale System haben. Nein, meine Damen und Herren, das dauert nicht wegen des föderalen Systems so lange, sondern deshalb, weil wir in der Vergangenheit keine klare Abgrenzung von Kompetenzen und Zuständigkeiten gehabt haben.

Wenn wir uns in Europa umschauen, stellen wir fest: Während in unserem eigenen Land diese Kritik durchaus vorhanden war und ist, gibt es andere Länder, die sich daranmachen, genau dieses föderale System zu übernehmen, das heißt, Regionen zu stärken. Wir reden im europäischen Zu

sammenhang von Nordrhein-Westfalen, von den Bundesländern als Regionen mit Gesetzgebungskompetenz, die innerhalb des europäischen Konzerts noch einen besonderen Stellenwert haben.

Diesen Stellenwert, meine Damen und Herren, können wir nach dem Ergebnis der Föderalismusreform stärken. Wir können den Föderalismus zu einem attraktiven System, zu einer attraktiven Staatsform gestalten, ihn noch attraktiver machen, zu einem Vorbild, einem Beispiel für andere, aber das nur dann, wenn diese Landesregierung, meine Damen und Herren und Herr Ministerpräsident, ihre Hausaufgaben macht. Das ist unabdingbar.

Ich möchte die Punkte noch einmal nennen.

Punkt 1: Wir erwarten, dass Sie als Landesregierung und dass dieses Parlament in den Fragen, in denen wir Klärungsbedarf haben, was die Auswirkungen auf Nordrhein-Westfalen anbelangt, klare Grundlagen vorlegen, auch in der Frage der Finanzierung.

Punkt 2: Wir erwarten, dass möglichst schnell diejenigen Gesetzentwürfe auf den Weg gebracht werden, bei denen wir durch den Wegfall der Rahmengesetzgebung Handlungsbedarf haben. Ich habe als wichtiges Beispiel das Pressegesetz Nordrhein-Westfalen genannt.

Und wir erwarten drittens, dass Sie im Gespräch mit diesem Parlament eindeutig zu Vereinbarungen über Pflichten zur Unterrichtung kommen, über die frühzeitige Einbeziehung des Parlaments. Wenn das nicht geschieht, ist diese Föderalismusreform keine Stunde der parlamentarischen Demokratie, sondern sie stärkt weiter die Kompetenzen der Landesregierungen, meine Damen und Herren. Das ist unbestreitbar.

Viertens: Wir erwarten dann in der Tat, aktiv an der zweiten Stufe der Föderalismusreform mitwirken zu können, was die Finanzverfassung anbelangt. Aber ich sage auch vor dem Hintergrund von Debatten, die wir in der vergangenen Legislaturperiode erlebt haben: Wir erwarten dann natürlich, dass die Interessen Nordrhein-Westfalens auch eindeutig und überzeugend in diese Verhandlungen eingebracht werden.

Herr Ministerpräsident, vielen Dank für diese Informationsviertelstunde. Sie wäre aber eigentlich nicht nötig gewesen. Wir erwarten die notwendige Begleitung dieses Föderalismusreformprozesses durch die Landesregierung.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das Wort hat nun für die CDU-Fraktion Herr Abgeordneter Jostmeier.