Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Seit wenigen Tagen hat die Bundesrepublik Deutschland eine neue Regierung. Als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz habe ich mich in den Berliner Koalitionsverhandlungen dafür eingesetzt, dass ein neuer Anlauf zur Föderalismusreform unternommen wird.
Föderalismus war eines der großen Erfolgsprinzipien, durch die Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg Demokratie und Freiheit wiedererlangt hat. Im Laufe der Jahrzehnte – wir wissen das – haben sich Fehlentwicklungen eingeschlichen. Diese Probleme machen es uns heute schwer, unser Land auf die großen Herausforderungen der Globalisierung, der Wissensgesellschaft und des demographischen Wandels einzustellen.
So, wie wir die soziale Marktwirtschaft als ökonomische Ordnung wiederbeleben müssen, und so, wie wir die ökonomische Ordnungspolitik um eine soziale Ordnungspolitik ergänzen müssen, so müssen wir auch den Föderalismus als politische Ordnung wiederbeleben.
Föderalismus setzt voraus, dass man sich zu klaren Ordnungsprinzipien bekennt: Selbstbestimmung, Selbstverantwortung, Wettbewerb, Offenheit und Vielfalt. Wir müssen den Föderalismus wieder zu einer Ideenschmiede unserer Demokratie machen. Wir müssen neu lernen, Politik von
In diesem Sinne enthält die in der Koalitionsvereinbarung beschriebene Föderalismusreform eine neue Zuordnung der Verantwortlichkeiten in Deutschland. Künftig wird der Bund Verfahrensregelungen treffen können, ohne dass allein deswegen ein Gesetzentwurf der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Nur wenn der Bund in Ausnahmefällen wegen eines besonderen Bedürfnisses Verwaltungsverfahren zwingend regeln will, dann bleibt die Zustimmungspflicht erhalten.
Neu ist die Zustimmungspflicht aber für Bundesgesetze mit erheblichen Finanzauswirkungen auf die Länder. Das ist auch gut so, damit die Länder nicht ohne Zustimmung im Bundesrat mit Kosten belastet werden können.
Summiert man die Wirkungen dieser beiden Vorschriften, so wird der Anteil der zustimmungspflichtigen Gesetze von derzeit 60 auf 35 bis 40 % reduziert werden.
Im Bereich der Gesetzgebungskompetenzen bekommen die Länder im Gegenzug wieder deutlich mehr Gestaltungsfreiheit.
Ganz wichtig ist in diesem Zusammenhang das Bildungswesen. Der Bund wird anstelle der Rahmengesetzgebungskompetenz im Hochschulwesen künftig nur noch eine konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit für die Hochschulzulassung und die Hochschulabschlüsse haben.
Nach den neuen Bestimmungen können die Länder in diesen Punkten von Bundesgesetzen abweichen. Der weitaus größte Teil der Hochschulgesetzgebung kann also künftig allein von den Ländern gestaltet werden. Das passt in das Konzept eines auf Freiheit und Verantwortung aufbauenden Hochschulwesens.
Jedes Land kann im Rahmen dieser neuen Möglichkeiten den Hochschulen mehr Autonomie geben. Wir werden genau dies mit unserem Hochschulfreiheitsgesetz tun, meine Damen und Herren.
Mit der Abschaffung der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau wird dieser Bereich allein Landessache. Das komplizierte Verfahren der Rahmenplanung entfällt. Die bisherigen Finanzmittel des Bundes bleiben den Ländern überwiegend erhalten.
Für die Abschaffung dieser Gemeinschaftsaufgabe stehen den Ländern jährlich Festbeträge aus dem Haushalt des Bundes zu, die sich aus dem Durchschnitt der Finanzierungsanteile des Bundes im Referenzzeitraum 2000 bis 2003 ermitteln.
Ich will in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Verhandlungen über diesen Punkt zwischen den Ländern bereits abgeschlossen waren, bevor die neue Landesregierung ins Amt gekommen ist.
Nach dieser Regelung wird dem Land bis 2013 ein Festbetrag in Höhe von jährlich 107 Millionen € garantiert, der – das ist allerdings gut – wesentlich flexibler eingesetzt werden kann. Gegenüber den Verhandlungen der Föderalismuskommission zum Jahresende 2004 haben wir dann noch Verbesserungen erreicht. Aber noch einmal: Das Ergebnis stand schon fest.
Im Umweltrahmenrecht, das insbesondere den Naturschutz, die Landschaftspflege, die Bodenverteilung, die Raumordnung und das Wasserhaushaltsrecht betrifft, erhält der Bund anstelle der bisherigen Rahmengesetzgebungskompetenz die volle konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit. Damit soll sichergestellt werden, dass EUVorgaben künftig rasch umgesetzt werden können. Auch wird der Bund – ich begrüße das ausdrücklich – ein einheitliches Bundesumweltgesetzbuch verwirklichen können.
Den Ländern wird dafür im Gegenzug eine umfassende Abweichungsbefugnis eingeräumt, die ihnen die Möglichkeit zur eigenständigen rechtlichen Ausgestaltung unter Beachtung der EUVorgaben eröffnet. Wird also bei einer Umsetzung dieser Vorhaben durch den Bund statt einer reinen 1:1-Umsetzung der EU-Vorschriften draufgesattelt – ein Punkt, den wir ja kennen und der uns in den letzten Jahren mehrfach Schwierigkeiten gemacht hat –, werden die Landtage das korrigieren können.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, diese Abweichungsgesetzgebung ist ein verfassungsrechtlich neuer Typ der Gesetzgebung. Er bedeutet, dass die Länder auf den Gebieten der Abweichungsgesetzgebung wirksam Gesetze erlassen können, selbst wenn der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit bereits Gebrauch gemacht hat. Das Landesgesetz gilt dann anstelle des Bundesgesetzes in dem betroffenen Land. Es gilt das zuletzt erlassene Recht.
Mit dieser Abweichungsbefugnis haben wir also in Zukunft die Möglichkeit, Besonderheiten, die es in Nordrhein-Westfalen gibt, zum Beispiel die starke und bundesweit einzigartige Rolle der Kreise bei
Das Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat als betroffenes Ressort bereits eine Projektgruppe gebildet, die die erweiterten Handlungsmöglichkeiten des Landes zurzeit prüft und analysiert.
Diese Abweichungsbefugnis wird beschränkt durch in der Verfassung näher beschriebene sogenannte abweichungsfeste Kerne. In diesen eng begrenzten Bereichen haben die Länder dann diese Möglichkeit der eigenständigen und abweichenden gesetzlichen Regelung nicht.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bedeutsam ist auch, dass die Länder wieder die Gesetzgebungskompetenz für die eigenen Landes- und Kommunalbeamten im Dienst-, Besoldungs- und Versorgungsrecht erhalten. Diese Kompetenz ist angesichts der hohen Personalkosten im Landeshaushalt nicht nur wichtig für eine eigenverantwortliche Haushaltspolitik, sondern auch nötig, um die Verwaltungsmodernisierung im Land erfolgreich voranzubringen.
Verwaltungsmodernisierung kann sich nicht auf Aufgabenkritik, Aufgabendelegation und Behördenstrukturen beschränken, sondern muss auch die Personalfragen mit umfassen.
Es geht dabei nicht – wie gelegentlich befürchtet wird – um einen Absenkungswettlauf in der Beamtenbesoldung. Ich will das ausdrücklich feststellen. Vielmehr können wir künftig dem Leistungsgedanken im öffentlichen Dienst besser Rechnung tragen. Das liegt im Interesse der Beamten selbst.
Wir wissen: Die Regelungen im Besoldungs- und Laufbahnrecht müssen flexibler werden, damit wir wirklich guten Beamten wieder echte Leistungsanreize bieten können. – Die Vorschläge von Otto Schily und Peter Heesen weisen in diese Richtung.
Aus dem Bereich der bisherigen konkurrierenden Gesetzgebung werden verschiedene Kompetenzen mit besonderem Regionalbezug in die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder überführt.
Wir werden dann hier im Land gemäß der Koalitionsvereinbarung von CDU und FDP die Ladenöffnungszeiten an Werktagen freigeben können. Die Landesregierung wird hierfür im nächsten Jahr zeitnah nach der Änderung des Grundgesetzes einen Gesetzentwurf vorlegen.
Wir können künftig hier im Landtag auch selbst über das Gaststätten- und Spielhallenrecht, über das Lärmrecht, über das Versammlungsrecht, über das Notariatswesen, über das Heimrecht und nicht zuletzt über den Strafvollzug entscheiden.
Im Gegenzug werden die Länder im gesamtstaatlichen Interesse einige Kompetenzen in die ausschließliche Zuständigkeit des Bundes überführen, unter anderem das Waffen- und Sprengstoffrecht, das Melde- und Ausweiswesen und das Kernenergierecht. Hier sind Bereiche betroffen, für die einheitliche Lösungen auf Bundesebene wichtig und regionale Lösungen der einzelnen Länder kaum sinnvoll sind.
Zur Regelung der Kompetenzen des Bundeskriminalamtes bei der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus erhält der Bund die ausschließliche Gesetzgebung. Meine Damen und Herren, mir ist bewusst, dass das ein umstrittener Punkt ist. In dieser Frage mussten die Länder dem Bund im Interesse einer Gesamtlösung entgegenkommen, weil ohne diesen Eckpunkt für den Bund Kompromisse an anderer Stelle schwierig geworden wären. Immerhin haben die Länder erreicht, dass das konkrete Bundesgesetz, das die Kompetenzen des Bundeskriminalamtes festlegt, der Zustimmungspflicht des Bundesrates unterliegt, sodass die Länder ihre Argumente weiterhin geltend machen können.
Ein wichtiger Bestandteil der Föderalismusreform ist die Übertragung der bisherigen Mischfinanzierung im Bereich der Verkehrsfinanzierung und der Wohnungsbauförderung auf die Länder. Die vorgesehene Kompensation gibt uns die Chance, bei strikter Beibehaltung der Zweckbindung für einen unbürokratischeren und effizienteren Mitteleinsatz zu sorgen.
Werte Kolleginnen und Kollegen, ich bin froh, dass wir bei den Verhandlungen die Interessen der Kommunen an einer wichtigen Stelle zu 100 % durchsetzen konnten. Es wird ein striktes Verbot einer Aufgabenübertragung und damit der Kostenabwälzung durch den Bund geben.
Es gilt der Grundsatz: Wer zahlt, schafft an, und wer anschafft, der zahlt. – Solche Aufgabenübertragungen sind künftig nur durch das Land möglich. Hier in Nordrhein-Westfalen greift dabei das Konnexitätsprinzip. Das heißt: Wenn das Land bei den Kommunen bestellt, muss es auch bezahlen. – Dieses wichtige Prinzip wird, so meine ich, jetzt durch die Föderalismusreform wasserdicht gemacht.
Meine Landesregierung versteht sich als fairer Partner der Kommunen. Sie wird den Kommunen auf Bundesebene weiterhin ein starker Anwalt sein.
Werte Kolleginnen und Kollegen, die Koalitionsvereinbarung zur Föderalismusreform ist – das ist meine Gesamtbewertung – ein guter Kompromiss. Allerdings müssen weitere Schritte folgen.
Unbefriedigend bleibt nach wie vor die föderale Finanzverfassung. Dafür brauchen wir eine zweite Föderalismusreform. Ich werde mich dafür einsetzen, dass die Länder das Angebot des Bundes annehmen, rasch die Lösungswege für entsprechende Grundgesetzänderungen zu klären und mit der Bundesseite das Verfahren zu besprechen, wie wir das Ganze zu Beginn des Jahres 2006 anpacken können.
Inhaltlich geht es bei dieser zweiten Stufe der Föderalismusreform nach meiner Einschätzung um mehrere Punkte.
Erstens. Wir brauchen einen weiteren Abbau der Mischfinanzierungen. Mit dem Abbau der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau kann es nach meiner Auffassung nicht getan sein.
Zweitens. Gleiches gilt für die Frage der eigenen Steuergesetzgebungskompetenz der Länder. Werte Kolleginnen und Kollegen, für mich ist nicht einsehbar, wieso die Länder nicht mindestens die Gesetzgebungskompetenz für die Steuerarten haben sollen, deren Erträge ihnen alleine zufließen.
Das ist auch ein wichtiger Punkt; denn ein wahrer Gestaltungsföderalismus wird ohne eigenständige, durch die Länder zu regelnde Steuerarten kaum erreichbar sein.
Drittens. Auch über den bundesstaatlichen Finanzausgleich werden wir sprechen müssen. Wir brauchen einen modernen Finanzausgleich, der wirtschaftliches Wachstum und solide Staatsfinanzen nicht bestraft, sondern belohnt.