Protocol of the Session on December 1, 2005

Gerade in dieser Zeit ist nicht damit zu rechnen, dass aus öffentlichen Kassen – sei es der Bundeshaushalt, sei es der Landeshaushalt, seien es die kommunalen Haushalte – tatsächlich noch effektiv Mittel für die Wohnungspolitik zur Verfügung gestellt werden können. In den unproblematischen Fällen, über die die Kommune zu entscheiden hat, ist es durchaus berechtigt, Mieter von Sozialwohnungen, die über ein hohes Einkommen verfügen, mit heranzuziehen, um anderen soziale Wohnungsbedürfnisse zu erfüllen.

Der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion leistet all dies. Die Mieter werden sofort und nicht erst nach und nach in den Fällen entlastet, in denen eine Entlastung für sie sozial angemessen ist und es die Stabilität von Stadtquartieren erfordert. Wir stärken die kommunale Selbstverwaltung und sorgen dafür, dass ein Teil der Mieter in Sozialwohnungen die Wohn- und Stadtentwicklung auch auf eine finanziell angemessene Art und Weise unterstützt. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Horstmann. – Für die CDUFraktion hat jetzt Herr Sahnen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Horstmann, wenn man Sie so reden hört, hat man den Eindruck, dass Sie schon seit 20 Jahren in der Opposition sind und überhaupt keine Initiativen entwickeln konnten. Warum haben Sie denn nicht schon in Ihrer 39-jährigen Regierungszeit die Möglichkeiten genutzt, entsprechende Reformen durchzuführen?

(Dr. Axel Horstmann [SPD]: Wenn Sie mir zugehört hätten, hätten Sie es auch verstan- den!)

Sie tun so, als wenn das an der CDU gescheitert wäre. Das ist ja wohl nicht der Fall.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, das Thema Ausgleichsabgabe hat uns in den letzten fünf bis zehn Jahren im Landtag schon mehrfach lange beschäftigt. Unsere Initiativen von CDU und FDP sind mit den bekannten Argumenten – in früheren Debatten kam allerdings auch immer noch das

Neidargument hinzu – immer abgelehnt worden. Jetzt wird der Wille der Koalitionsfraktionen ganz konkret in Regierungshandeln umgesetzt. Das Landeskabinett hat in der vergangenen Woche einen entsprechenden Gesetzentwurf beschlossen, der uns alsbald zugeleitet wird und den wir gemeinsam beraten können.

In diesem Zusammenhang muss aber auch darauf hingewiesen werden, dass durch die Verweigerung bereits in bestimmten Stadtteilen soziale und bevölkerungsmäßige Probleme entstanden sind. Das gilt natürlich gerade für die Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf. Um das zu steuern, hätte man schon wesentlich eher zu diesem Instrumentarium greifen müssen.

Die soziale und bevölkerungsmäßige Entwicklung in bestimmten Stadtteilen und die deutlichen Veränderungen auf dem Wohnungsmarkt sind für die neue Regierungskoalition und für die neue Landesregierung der Anlass, diese Ausgleichsabgabe bis Ende 2009 in Stufen komplett abzuschaffen.

Ich möchte ganz kurz die wichtigsten und zielführenden Gesichtspunkte einer Abschaffung der Ausgleichabgabe darstellen.

Erstens. Wir wollen mit der Abschaffung einen Beitrag zur Stabilisierung von Wohnsiedlungen und Stadtquartieren leisten, die häufig durch überforderte Nachbarschaften gekennzeichnet sind. Wir halten das Anliegen der Wohnungswirtschaft für berechtigt, dass durch die Erhaltung von gemischten Bevölkerungs- und Sozialstrukturen Wohnquartiere stabilisiert werden. Nur dann, wenn alle Einkommensgruppen in Wohnsiedlungen vertreten sind, besteht die Chance einer sozialen Ausgewogenheit. Soziale Ausgewogenheit ist die Grundlage für ein vernünftiges Miteinander im Zusammenleben der Menschen.

Damit wollen wir die Bemühungen der Städte und Gemeinden und der Wohnungswirtschaft um eine Stabilisierung von schwierigen Stadtteilen und Wohnsiedlungen wirkungsvoll unterstützen. Wir wollen Gettoisierungen in Stadtteilen und Wohnquartieren vermeiden und treten für eine gesunde Mischung von Bewohnern mit unterschiedlichen Einkommen ein. Wenn aber Haushalte mit mittleren Einkommen – um solche Haushalte handelt es sich in der Regel – durch eine Ausgleichsabgabe weiter belastet bleiben, besteht die Gefahr, dass sie wegziehen. Das können wir ganz konkret beobachten, weil darin das Problem in verschiedenen problematischen Stadtteilen liegt. Der freie Markt bietet ihnen nämlich häufig Wohnungen an, die wesentlich preisgünstiger als die Sozialwohnungen sind.

Meine Damen und Herren von Rot-Grün, wie ernst nehmen Sie eigentlich Ihre eigenen Bekundungen, wenn es um die Lösung von sozialen und wohnungswirtschaftlichen Problemen in bestimmten Stadtteilen geht? Am 9. November – also erst vor wenigen Wochen – hatten wir in diesem Haus eine große Einigkeit darüber, dass das Projekt „Soziale Stadt“ weiterentwickelt werden soll. Wir alle sind uns einig, dass gerade in den Großstädten zu hohe Anteile von Migrantenhaushalten, von sozial benachteiligten und finanziell schwachen Haushalten sehr häufig die Ursache für schwierige Wohnverhältnisse sind.

Springen Sie über Ihren Schatten und streichen Sie mit uns gemeinsam in Stufen die Ausgleichsabgabe, damit stabile Wohnverhältnisse geschaffen und Nachbarschaften gefestigt werden!

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Röken?

Bitte sehr.

Herr Kollege Sahnen, Sie sprechen von Rot-Grün. Ist Ihnen noch nicht aufgegangen, dass dies ein Antrag der SPDFraktion ist und dass die Positionen von Rot und Grün auf diesem Feld durchaus differenziert sind? Ist Ihnen das nicht aufgefallen, oder nehmen Sie Ihren Wortbeitrag von vor einem Jahr?

Herr Kollege Röken, entschuldigen Sie, wenn ich das jetzt etwas undifferenziert in einen Topf geworfen habe. Jedenfalls war bisher immer die erkennbare Linie, dass Rot und Grün auf diesem Gebiet gemeinsam gehandelt haben. Ich bitte um Nachsicht, wenn ich dabei möglicherweise Ihre Position nicht genau dargestellt habe. Zumindest handelte es sich bisher immer um ein gemeinsames Handeln von RotGrün.

Zweitens. In allen Reden ist in den letzten Jahren immer wieder deutlich herausgearbeitet worden, dass Bürokratieabbau der Schlüsselbegriff für eine wirtschaftliche Belebung in Deutschland ist. Bürokratieabbau bildet einen roten Faden in der Politik, wie Sie von der neuen Landesregierung eingeleitet worden ist. In der gestrigen Regierungserklärung der Bundeskanzlerin Merkel ist ebenfalls Bürokratieabbau ein ganz zentraler Punkt gewesen.

Die Abschaffung der Ausgleichszahlung ist für uns ein konkreter Schritt, um einen Bürokratieabbau im Wohnungswesen zu ermöglichen. Für die CDU-Landtagsfraktion ist die ersatzlose stufen

weise Abschaffung des Fehlbelegungsrechts der richtige Weg, um bürokratischen Aufwand abzuschaffen. Mit einem hohen bürokratischen Aufwand werden zurzeit noch die wenigen Fehlbeleger von Sozialwohnungen von den Städten und Gemeinden erfasst und mit Abgabebescheiden belegt.

Von den zurzeit etwa 8,4 Millionen Wohnungen sind ca. 830.000 öffentlich geförderte Wohnungen oder Sozialwohnungen, wie wir sagen. Davon sind im Jahre 2004 92.000 Mieter mit der Fehlbelegerabgabe belastet worden. Im Jahr 2005 sind es noch 70.500. Allein aufgrund der Einkommensentwicklung und der Gegebenheiten ist also schon eine deutliche Entspannung eingetreten. Wir können feststellen, dass es wenig Sinn macht, hier noch zu versuchen, den Kammerjäger zu spielen.

Der Bürokratieaufwand besteht darin, dass die gesamte Mieterschaft in den vorhandenen 830.000 Mietwohnungen des sozialen Wohnungsbaus einer aufwendigen Überprüfung unterzogen werden muss, um halt die wenigen Überschreiter der Einkommensgrenzen zu ermitteln. Der Personal- und Sachkostenaufwand steht in keinem angemessenen Verhältnis zu den erzielbaren Erträgen der Fehlbelegerabgabe. So gesehen ist Ihr Vorschlag lediglich ein Beitrag zu einer weiteren Verfestigung des hohen Bürokratieaufwandes im Wohnungswesen.

Abschließend ist zu sagen, dass eine Annahme Ihres Gesetzentwurfes einen wesentlichen Beitrag zur Steigerung der Bürokratie leisten würde und der Gesichtspunkt der Stabilisierung von Stadtteilen und Wohnquartieren aufgegeben oder zu wenig berücksichtigt würde. Wir werden alle Kraft daran setzen, dass die Vorstellungen der Wohnungswirtschaft, die Mieter und die Städte und Gemeinden nicht weiter zu belasten, durchgesetzt werden und dass wir bei diesem Thema weiterkommen.

Wir wollen jedenfalls, dass sowohl Ihr Gesetzentwurf als auch der vom Kabinett in der vergangenen Woche verabschiedete Gesetzentwurf im Ausschuss gemeinsam beraten werden. Das halten wir für den richtigen Weg.

Auffallend war auch, dass das Stichwort Fehlbelegerabgabe mehrfach in sehr ablehnender Form angesprochen wurde. Der ausdrückliche Wunsch aller Gesprächsteilnehmer war immer wieder, zu einer Regelung zu kommen. Das legt uns zumindest auch die Wohnungswirtschaft sehr nahe. – Vielen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Sahnen. – Als nächster Redner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Becker das Wort.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute erneut über die zukünftige Ausrichtung der sozialen Wohnungsbaupolitik in diesem Land. Angesichts der Debatten der letzten Wochen und unter Berücksichtigung der heutigen Debatte mache ich mir durchaus Sorgen.

Dieses Land war in den letzten Jahren beim sozialen Wohnungsbau Vorreiter in der Bundesrepublik. Wesentliche Akzentsetzungen in der sozialen Wohnungsbaupolitik wurden hier in NordrheinWestfalen entwickelt.

Große Sorge mache ich mir deswegen, weil wir Stück für Stück davon abrücken. Meine Damen und Herren, ich nenne hier bewusst einmal die ehemalige Wohnungsbauministerin Ilse Brusis, die für eine andere Politik stand und die in der Sozialpolitik und bei den Gewerkschaften ihre Wurzeln hatte und hat.

Die soziale Wohnungsbaupolitik wurde auch durch Michael Vesper konsequent und kontinuierlich fortgeführt und um die Themen kosten- und flächensparendes Bauen erweitert.

Andere Bundesländer haben uns um die Wohnungsbaupolitik, die wir in der Vergangenheit umgesetzt haben, beneidet. Vor wenigen Wochen haben wir hier im Landtag im Rahmen einer Aktuellen Stunde über die Bedeutung des Städtebauförderungsprogramms „Soziale Stadt“ intensiv gesprochen. Dort haben alle Fraktionen deutlich gemacht, wie wichtig dieses Feld und wie wichtig die finanziellen Grundlagen für den sozialen Frieden in den Städten sind.

Umso bedauerlicher ist das Handeln der Landesregierung in diesem Bereich. Bauminister Wittke und die ihn tragende FDP/CDU-Landesregierung ruinieren die soziale Wohnungsbaupolitik und werden damit in die Geschichte des Landes eingehen.

Denn neben der Fragestellung Ausgleichsabgabe sind der Verkauf der LEG-Wohnungen und die Rückführung der Mieterschutzrechte wichtige Themen. Man muss alles zusammen betrachten, meine Damen und Herren. Ich glaube nicht, dass man das jeweils isoliert machen kann, und deswegen komme ich für unsere Fraktion zu dem Ergebnis: Der dritte Sargnagel würde eingeschlagen, wenn Ihre Vorstellungen umgesetzt würden.

Es ist absurd, dass zumindest theoretisch auch der Bauminister nach seinen Vorstellungen ohne Ausgleichsabgabe in eine Sozialwohnung eingezogen sein könnte und dann, wenn er Minister würde, keinerlei Ausgleichsabgabe bezahlen müsste.

Meine Damen und Herren, wir werden uns mit dem notwendigen Ernst und mit dem notwendigen Widerstand mit dieser Position auseinander setzen. Mit unserer Position sehen wir uns erneut im Einklang mit kommunalen Spitzenverbänden, in diesem Fall mit dem Städtetag.

Das Aufkommen aus der Ausgleichsabgabe trägt in erheblichem Maß zur Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus in NRW bei. Seit 1984 ist der Bau von Sozialwohnungen mit fast 1,5 Milliarden € aus dem Aufkommen finanziert worden. 24.500 Wohnungen sind auf diese Art und Weise gefördert worden. Im Wohnungsbauprogramm 2005 ist der Finanzierungsbeitrag aus der Ausgleichsabgabe mit rund 45,4 Millionen € noch höher als der Finanzierungsbeitrag aus dem Bundeshaushalt mit 44 Millionen €. Der Einsatz dieser Mittel trägt also zur Stabilisierung gefährdeter Wohngebiete und zur Eindämmung der Stadtflucht bei.

Angesichts der rapide sinkenden Sozialwohnungsbestände und der Aufgabe der Sicherung der sozialen Stabilität in den Städten des Landes kann auf das Aufkommen nicht verzichtet werden.

Meine Damen und Herren, der hier heute in dem Gesetzentwurf der SPD-Fraktion vorliegende Vorschlag ruft bei uns ein zweigeteiltes Echo hervor. Eine Kommunalisierung der Ausgleichsabgabe ist aus unserer Sicht ein sehr interessanter und höchstwahrscheinlich auch richtiger Vorschlag. Ich gehe davon aus, dass wir im Ausschuss Bauen und Verkehr eine Anhörung zu diesem Thema durchführen werden und das dann noch näher zu klären ist.

In dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die Kommunen ermächtigt, die Gebiete, in denen eine Ausgleichsabgabe erhoben werden soll, selbst zu bestimmen. Das ist aus unserer Sicht logisch und folgerichtig.

Nicht akzeptabel ist unserer Auffassung nach aber der Vorschlag einer bis zu 60-prozentigen Überschreitung der Einkommensgrenzen. Würde dies umgesetzt, hätte es eine weitere Kannibalisierung der Ausgleichsabgabe zur Folge, die Herr Wittke für den sozialen Wohnungsbau nach wie vor dringend benötigt.

An einer Stelle hat der Minister ja Recht: Die Erhebung der Ausgleichsabgabe nimmt schon kon

tinuierlich ab. Sie hat auch in der Vergangenheit kontinuierlich abgenommen, und zwar, weil schon die jetzige Ausgleichsabgabe Ausnahmen zulässt und ermöglicht, dass in Absprache mit den Kommunen immer wieder einzelne Wohnquartiere herausgenommen werden. In Extremfällen ist es sogar bis zu ganzen Stadtteilen gegangen.

Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund der konjunkturellen Lage und auch des angespannten Wohnungsmarktes für untere Einkommensschichten in einigen Städten dieses Landes ist es in den Städten der südlichen Rheinschiene besonders notwendig, dass noch Mittel für den sozialen Wohnungsbau aus der Ausgleichsabgabe eingenommen werden.

An der Stelle ist das Vorhaben der Landesregierung zu verurteilen. Aber auch das Vorhaben der SPD ist aus unserer Sicht nicht zielführend, denn es bleibt sehr wenig übrig. Wenn Sie Ihren Vorschlag umsetzen, dann ist zwar positiv, dass die Kommunen darüber entscheiden dürfen, was noch verwendet wird, aber negativ ist, dass nicht mehr so viel zu verwenden ist.

Meine Damen und Herren, wir freuen uns auf die Anhörung. Das wird eine spannende Diskussion. In der Tat: An dieser Stelle waren Rot-Grün nie einer Meinung, sondern hat Kompromisse geschlossen, und an der Stelle sind SPD und Grüne auch jetzt nicht einer Meinung. Es wird sehr interessant sein, zu sehen, welche Position sich in der Anhörung als richtig erweisen wird. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Vielen Dank, Herr Kollege Becker. – Jetzt hat für die FDPFraktion der Kollege Rasche das Wort.