Nordrhein-Westfalen steht da mit der dichtesten Wissenschafts- und Forschungslandschaft: 67 Hochschulen, 14 Fraunhofer-Institute, 12 MaxPlanck-Institute, 60 Technologie- und Gründerzentren. In Nordrhein-Westfalen ist mit der RWTH Aachen eine der neun deutschlandweiten Eliteuniversitäten angesiedelt. Darüber hinaus gibt es fünf Graduiertenschulen, sieben Exzellenzcluster, die das Land zu einem hervorragenden Bildungsstandort machen.
Und wir haben ein Viertel der in Deutschland ansässigen innovativen ausländischen Unternehmen, was jungen Menschen nach dem Abschluss des Studiums Perspektiven bietet, sodass sie mit viel
Zuversicht ihr Studium in Nordrhein-Westfalen in Angriff nehmen und erfolgreich abschließen können. Offen stehen ihnen auch der Übergang in die Selbstständigkeit und Existenzgründungen.
Jetzt gibt es die hier beschriebene Diskussion, die im Übrigen auch aufseiten der Studentenschaft sehr unterschiedlich ist. Insofern macht es auch Sinn, sich sehr differenziert anzuschauen, wer hier welche Interessen hat.
Es gibt die Ihnen bekannte Absolventenbefragung der Ruhr-Universität Bochum, der sich entnehmen lässt, dass die Mehrheit der Studenten dort die Einführung der neuen Studienstruktur Bachelor- und Mastersystem ausdrücklich positiv bewertet. Die Anzahl der Studenten, die ihr Studium innerhalb der Regelstudienzeit abschließt, hat sich im Vergleich Master mit Diplom von 25 % bzw. 27 % auf immerhin 49 % fast verdoppelt. Auch bei der häufig kritisierten Studierbarkeit kommt diese Studie zu positiven Ergebnissen. Insofern sollten Sie ausdrücklich sehen, dass in der Absolventenbefragung auch Unterschiede liegen, je nachdem, auf welche Quelle man sich beruft.
Das für uns Entscheidende ist neben der Hochschulautonomie natürlich die Absolventenquote. Da müssen Sie einfach anerkennen, dass sich der von allen Seiten bei der Umstellung beabsichtigte Vorteil des Systems ganz eindeutig zeigt. Wir wollen gegen überlange Studienzeiten vorgehen. Wenn jetzt deutlich wird, dass sich Verbesserungen in Form einer höheren Erfolgsquote einstellen und das neue System es sehr wohl auch mehr Studenten ermöglicht, innerhalb der Regelstudienzeit faktisch ihr Studium abzuschließen, dass also die Regelstudienzeit nicht nur ein Stück Papier ist, sondern auch tatsächlich immer mehr mit Leben gefüllt wird und immerhin auch hier ein Anstieg in Nordrhein-Westfalen von 21% auf über 28 % zu verzeichnen ist, dann sind es diese Verbesserungen zumindest wert, über die Vorteile des Systems genauso zu reden.
Ich darf daran erinnern, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass die ursprünglichen Ziele des Umstellungsprozesses – mehr internationale Vergleichbarkeit der Abschlüsse, Verkürzung der Studiendauer, größere Berufsorientierung – richtig und wichtig und auch damals in einem großen Konsens verabredet worden sind, und zwar auch mit denen, die sich heute sehr schnell einen schlanken Fuß machen, wenn an der einen oder anderen Stelle nicht alles im genauen Doing der Umstellung so funktioniert.
Darum hat das Land zu Recht das gemacht, was man tun muss. Man muss halt berechtigte Anregungen aufnehmen. Deshalb ist der Moderationsprozess, der, initiiert vom Land, zwischen Land und nordrhein-westfälischen Universitäten stattgefunden hat und in das Memorandum zum Bologna
Wir können die Vorwürfe, die von der Opposition erhoben werden, nicht nachvollziehen. Die Selbstverpflichtungen der Hochschulrektoren und die stärkere Berücksichtigung einer exzellenten Lehre sind gerade kein Akt der Ignoranz – wie man uns vorwirft –, sondern zeigen, wie problembewusst und realitätsnah von denen, die in der politischen Verantwortung stehen, agiert worden ist.
Ich möchte ausdrücklich sagen: Es gibt von uns keine Pauschalschelte der Studenten. Wir bewerten auch die Proteste der jungen Menschen differenziert.
Da gibt es einige linke Spinner, denen es nicht um die Inhalte geht, sondern die gegen alles protestieren. Da kann man auch einmal fragen, was denn nun genau zur aktuell anstehenden Frage der Studiengangstruktur gerade die Antifa-Initiativen auf irgendwelchen Blockierungsmärschen machen.
Aber es gibt sehr wohl auch ernst zu nehmende junge Menschen, die Anregungen für Verbesserungen haben, wie das bei jeder großen Systemreform ist. Damit hat niemand von uns ein Problem. Mit den Menschen reden wir, wir hören uns auch die Sorgen dieser jungen Menschen an.
In einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess nach einem solch großen Schritt einer Systemreform greifen wir das Ganze auf und sind der festen Überzeugung, dass wir in ein paar Jahren die Diskussion, die wir heute führen, in diesem Umfang und in dieser Intensität nicht mehr haben werden.
Diesen erfolgreichen Weg wollen wir weitergehen, gemeinsam mit den Hochschulen und in einem System der Hochschulfreiheit. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. – Für die Fraktion der Grünen spricht nun Frau Kollegin Dr. Seidl.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Witzel und auch Herr Kollege Dr. Brinkmeier haben gerade in der Debatte so getan, als ob es den Bildungsstreik in NordrheinWestfalen gar nicht gegeben hätte.
Aber wenn wir uns jetzt die Chronologie dieses Bildungsstreiks seit Juni dieses Jahres anschauen, muss man sagen, dass es in der Tat ein Skandal ist, dass die schwarz-gelbe Landesregierung und allen voran dieser Wissenschaftsminister erst jetzt, Monate nach den ersten Protesten der Studierenden in den Hochschulen, reagiert.
Was musste in der Zwischenzeit alles passieren, Herr Pinkwart? – Ich will das gerne noch einmal benennen: Mehr als 50.000 junge Menschen sind im Juni in einer landesweiten Aktion in NordrheinWestfalen auf die Straße gegangen, um gegen die aktuelle Bildungspolitik der Landesregierung zu protestieren.
In den vergangenen Wochen und Monaten haben überall dezentrale Aktionen stattgefunden. Das wissen Sie auch, ich kann es aber gerne noch einmal aufzählen: In Münster, in Bielefeld, in Paderborn, in Köln, in Aachen, in Siegen, eigentlich überall wurden Rektorate und Hörsäle besetzt. Und in der vergangenen Woche waren es wieder einmal mehrere tausend, die sich vor den Türen des Bonner Wissenschaftszentrums versammelt haben. Warum denn? – Um ihrem Unmut Luft zu machen! Sie blenden das in der Debatte völlig aus.
Erst unter massivem Druck der Studierenden und der Presseöffentlichkeit hat diese Landesregierung die berechtigte Kritik der Studierenden auch ernst genommen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Es ist richtig, wenn jetzt auch unter dem bundesweiten Druck Kultusminister und Hochschulrektoren gemeinsam handeln wollen und auch lobenswerte Ziele verlautbaren, um die Qualität von Studium und Lehre zu verbessern, und eine Reihe von begrüßenswerten Forderungen aufgestellt werden.
Interessant ist in diesem Zusammenhang nur, dass kurz nach der gemeinsamen Sitzung der HRK in Bonn Frau Wintermantel, die Chefin der HRK, einen offenen Brief an die Mitglieder der Ministerpräsidentenkonferenz richtet. Hier heißt es knapp und kurz – ich zitiere –:
Deshalb appellieren wir nachdrücklich an Sie, die kommende Sitzung der Ministerpräsidentenkonferenz zum Anlass zu nehmen, die Studienplätze endlich auszufinanzieren. Sorgen Sie dafür, dass die Maßnahmen zur Verbesserung der Situation der Studierenden auch Wirklichkeit werden! – Zitat Ende.
Deshalb fragen wir Minister Pinkwart heute, wie er denn die Beschlüsse der KMK in NordrheinWestfalen umsetzen will. Wie wollen Sie erreichen, dass die Studienreform flächendeckend greift? Erklären Sie uns doch einmal Ihren Plan der Implementierung und Evaluierung der gemeinsam formu
lierten Ziele! Wie wollen Sie erreichen, dass die Prüfungsbelastungen an den Hochschulen tatsächlich reduziert werden? Wie wollen Sie die Anerkennung der Prüfungsleistungen von Hochschule zu Hochschule verbessern? Und wie wollen Sie für Nordrhein-Westfalen erreichen, dass innovative Konzepte des Lehrens und Lernens in den Studiengängen auch wirklich greifen? Wie wollen Sie das erreichen? Wie sieht Ihr Plan aus, Herr Minister?
Neben einer Umsetzungsstrategie geht es aber auch um die Frage der Finanzierung als Dreh- und Angelpunkt. Die HRK berechnet den Mehrbedarf, der durch die Umstellung auf die neuen Studiengänge entsteht, mit einem fünfzehnprozentigen Aufschlag auf die Lehrkapazität. Daraus ergibt sich ein zusätzlicher Mehrbedarf für 2011 bis 2020 in Höhe von 30 Milliarden €, was einem jährlichen Durchschnitt von 3 Milliarden € entspricht und nicht eben durch den Hochschulpakt II ausfinanziert worden ist.
Jetzt fordern Sie als stellvertretender FDPBundesvorsitzender, bis 2020 soll der Bund 4 Milliarden € ausgeben, um 5.000 neue wissenschaftliche Mitarbeiterstellen und Juniorprofessuren zu schaffen. – Ja, aber das ist doch ein typischer Taschenspielertrick: Ihre schwarz-gelben Steuergeschenke auf Bundesebene kosten unser Land ein Vielfaches dessen – das wissen Sie auch –,
Die Leidtragenden in diesem Prozess sind am Ende die jungen Menschen, deren Zukunft hier für kurzsichtige Klientelpolitik aufs Spiel gesetzt wird. Denn schließlich fehlen dem Land alleine durch die erste Stufe des Verschuldungsbeschleunigungsgesetzes mindestens 600 Millionen € jährlich, die dringend für eine bessere Bildung gebraucht werden. In den weiteren Stufen können es bis zu 2 Milliarden € werden. Wenn Sie nur zum Ausgleich mehr Personal im Gegenwert von 100 Millionen € als große Errungenschaft preisen, dann können Sie entweder nicht rechnen oder Sie versuchen, die Menschen in diesem Land für dumm zu verkaufen.
Trotz aller Sonntagsreden, Herr Minister Pinkwart, hat sich an den schlechten Studienbedingungen an den Hochschulen bislang eben nichts verändert.
Deshalb fordern wir Sie heute auf, konkrete Maßnahmen für eine Kurskorrektur im Bologna-Prozess einzuleiten. Leiten Sie – das haben wir häufiger schon gesagt – eine Bologna-Konferenz in die Wege! Treffen Sie im Anschluss konkrete Zielvereinbarungen mit den Hochschulen! Und last, but not least: Setzen Sie sich auf Bundesebene für das von der HRK geforderte Ziel eines 15%-igen Aufschlags auf die Lehrkapazität auch wirklich ein! Denn ohne
eine verbesserte Betreuungsrelation werden wir die Qualität von Studium und Lehre nicht wirklich wirksam verbessern können. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Seidl. – Als Nächster spricht der fraktionslose Abgeordnete Herr Sagel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Studierenden honorieren das in der Form, dass sie zu Zehntausenden auf die Straße gehen.
Zu Zehntausenden gehen sie auf die Straße, ja, auch wenn Sie es noch nicht wahrgenommen haben. Kollege Witzel hat es gerade aus seiner Sicht dargestellt:
„linke Spinner“. Mich würde übrigens interessieren, Herr Minister, ob Sie dem zustimmen, was Ihr Kollege Witzel von der FDP gerade gesagt hat, ob die Studierenden, die in Nordrhein-Westfalen gerade auf die Straße gehen, auch für Sie „linke Spinner“ sind. Sie haben sich ja kürzlich zumindest etwas bewegt, indem Sie Gespräche angeboten und die, soweit ich weiß, auch durchgeführt haben.
Mich würde interessieren, ob Sie das, was Herr Witzel zum Besten gegeben hat, so unterschreiben würden. Es ist eine sehr besondere Art und Weise, wie Sie mit den Studierenden in NordrheinWestfalen umgehen, Herr Witzel. Aus meiner Sicht sagt Ihr Umgang mit den jungen Leuten etwas über Ihr Menschenverständnis aus.
Es ist auch sehr interessant, wenn Sie Erfolge, mit denen Sie – weiß Gott! – überhaupt nichts zu tun haben, als Ihre Erfolge reklamieren. Bei anderen Themenbereichen wollen Sie mit der Vergangenheit nichts zu tun haben und zeigen mit dem Finger darauf. Wenn es aber um die Frage geht, wie viele Hochschulen es gibt, und darum, dass es jetzt eine Eliteuniversität in Aachen gibt, dann sind das auf einmal Errungenschaften, die vor allem auf die FDP in Nordrhein-Westfalen zurückzuführen sind. Das ist schon ein sehr merkwürdiges Geschichtsverständnis, das Sie hier an den Tag legen.
Das will ich Ihnen auch einmal deutlich in Richtung FDP, der großen freiheitlichen Partei in NordrheinWestfalen, sagen, deren Vertreter die Studierenden, die für ihre Interessen auf die Straßen gehen, beschimpfen. Ich glaube, dass Sie in den vergangenen Wochen sehr deutlich die Quittung für Ihre Bildungspolitik in Nordrhein-Westfalen erhalten haben.