Protocol of the Session on November 4, 2009

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Weil Sie wissen, dass Sie damit eine soziale Schieflage produzieren, argumentieren Sie, dass Sie mit Ihren Maßnahmen den Aufschwung unterstützen und deshalb neue Schulden aufbauen. Das ist eine Illusion – die Kollegin hat es gerade dargestellt –, das gehört ins Reich der Märchen oder der VoodooÖkonomie zu glauben, dass sich ein Aufschwung, den man über Schulden finanziert, selbst finanziert. Das wird nicht der Fall sein.

Was heißt das für Nordrhein-Westfalen? Kritik an den Steuerplänen kommt aus allen Bundesländern mit Ausnahme Nordrhein-Westfalens und Bayerns. Herr Ministerpräsident, Sie stellen die Interessen des Landes Nordrhein-Westfalen hintenan. Sie trauen sich nicht, vor der Landtagswahl einen Konflikt mit Berlin zu fahren. Sonst könnte das schöne Spiel der Verschleierung der wahren Absichten schon bald zu Ende sein. Sie planen eine Wählertäuschung mit Ansage. Sie stellen auch noch Ihre Parteiinteressen über das Wohl des Landes, und das ist unverantwortlich, Herr Ministerpräsident.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Dann sagen Sie bei den Steuern: Der Finanzminister spricht von 885 Millionen in 2010. – Sagen Sie den Menschen die Wahrheit! Ab 2011 sind es nach Ihren Plänen pro Jahr 2,5 bis 3 Milliarden weniger für den Landeshaushalt Nordrhein-Westfalen – bei einem Gesamtvolumen von 50 Milliarden.

Das ist das Schreckliche für dieses Land, dass Sie uns nicht sagen – ich erwarte das heute von Ihnen – , wie Sie das gegenfinanzieren wollen. Eines sage ich Ihnen auch, Herr Ministerpräsident: Wenn Sie in der Öffentlichkeit sagen, ja, es gebe Steuermindereinnahmen, aber auf der anderen Seite kämen wir auch mehr Geld vom Bund für die Bildung, betreiben Sie ein finanzpolitisches Hütchenspiel, das dazu führen wird, dass wir in der Bildung keinen Millimeter vorankommen, wenn Sie das gegenrechnen. Das ist fatal für die Zukunft unseres Landes.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Eine andere Argumentationslinie ist entlarvend. Sie sagen: Na ja, das mit den Verwerfungen, die ich aufgezeigt habe, wird erst einmal gar nicht so kommen; erst einmal ändert sich gar nichts. – Mit diesem Koalitionsvertrag haben Sie soziale Sprengsätze gelegt. „Erst einmal“ ist bald vorbei; wartet nur ab bis Mai! Das ist meine Antwort auf Ihr: Erst einmal ändert sich gar nichts.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben Sie doch angeblich so viel erreicht, Herr Ministerpräsident. Dabei ist der Koalitionsvertrag von einer ablehnenden Haltung zum Schutz vor Lohndumping und Mindestlöhnen geprägt. Allgemeinverbindlichkeitserklärungen wird es in der Praxis nicht geben, weil nicht mehr die Tarifparteien, sondern die Politik darüber entscheiden wird. Die Vorschriften über Mindestlöhne werden auf den Prüfstand gestellt; die Hürden sind ganz hoch gelegt. Jetzt setzt sich der neoliberale Ansatz durch, und dann gibt es bald keinen Schutz mehr gegen Hungerlöhne.

(Zurufe von der CDU: Och!)

Und Sie weiten die prekäre Beschäftigung aus; auch das ist fatal. Statt den jungen Menschen endlich mehr Sicherheit zu geben, gehen Sie den Weg Richtung Kettenverträge und der Ausweitung von befristeter Beschäftigung, und Sie weiten die MiniJobs aus. Das ist der falsche Weg für unser Land, Herr Ministerpräsident.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Die Menschen haben die Formulierung begriffen, die Sie verklausuliert in Ihrem Koalitionsvertrag niedergelegt haben – ich zitiere –:

Weil wir eine weitgehende Entkoppelung der Gesundheitskosten von den Lohnzusatzkosten wollen, bleibt der Arbeitgeberanteil fest.

Das ist neue, moderne Umschreibung für das Wort Kopfpauschale. Da sage ich: Hut ab vor Ihrem Kollegen Herrn Söder, der gestern ganz offen von der geplanten Kopfpauschale geredet hat. Die Menschen wissen, was auf sie zukommt, und die Menschen werden Ihnen dafür die Quittung ausstellen. – Vielen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Danke schön, Frau Kraft. – Für die CDU spricht Kollege Weisbrich.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir ein paar Vorbemerkungen.

Frau Kollegin Löhrmann, Ihre Aussage, der Ministerpräsident hätte heute eine Regierungserklärung zu Ihrem verqueren Antrag abgeben müssen, kann ich unter demokratischen Gepflogenheiten überhaupt nicht nachvollziehen. Die Bundeskanzlerin hat noch keine Regierungserklärung abgegeben. Das wäre wohl das Letzte an Stillosigkeit, wenn der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen vor der Bundeskanzlerin eine Regierungserklärung abgibt

(Zurufe von der SPD)

zu Themen, die in der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zu regeln sind. Das als erste Bemerkung; das kann nicht sein.

(Beifall von CDU und FDP – Lachen und Zu- rufe von SPD und GRÜNEN)

Frau Kollegin Kraft, Ihnen möchte ich, so leid es mir tut, eines bescheinigen: Sie triefen vor Gift und Galle, und Sie sollten sich noch einmal überlegen, ob Sie den Stil der Verleumdung, Ihre eigene Fantasie auf andere Menschen zu übertragen, zur Grundlage Ihrer Politik machen. Das war schon ziemlich starker Tobak.

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)

Sie wollen über Steuern reden. Dann reden wir doch mal über Steuern, aber nicht in so wolkigen Floskeln, sondern ganz konkret, damit die Menschen wissen, um was es geht und was vielleicht die Motive für Koalitionsvereinbarungen sind.

(Zuruf von Ursula Meurer [SPD])

Ich denke, die Bürger in Deutschland haben noch nie in ihrer Geschichte mehr Steuern gezahlt als heute. Ich will das auch belegen.

1970 betrugen die kassenmäßigen Steuereinnahmen aller Gebietskörperschaften 79 Milliarden €. 2000 waren sie schon bei 467 Milliarden € angelangt, und heute – Stand 2008 – liegen wir bei 561 Milliarden €.

Allein die Lohnsteuer stieg in diesem Zeitraum von 18 Milliarden auf 142 Milliarden €.

(Edgar Moron [SPD]: Die Einkommen sind doch gestiegen!)

Die Umsatzsteuer erhöhte sich von 19 Milliarden auf 176 Milliarden € und die Gewerbesteuer von 5 Milliarden auf 41 Milliarden €.

Damit auch klar ist, wer die Goldesel des Finanzministers sind: Aktuell zahlen die obersten 26 % der Steuerpflichtigen 80 % der Lohn- und Einkommensteuer.

(Edgar Moron [SPD]: Weil sie auch entspre- chend verdienen! Das ist doch logisch!)

Zu diesem obersten Viertel – man höre und staune – zählt schon, wer mehr als 37.500 € jährlich verdient.

(Edgar Moron [SPD]: Das sind unsere Sor- genkinder, die obersten Zehntausend!)

Umgekehrt trägt die untere Hälfte der Einkommensbezieher fast nichts zum Steueraufkommen bei.

(Edgar Moron [SPD]: Warum denn? – Gisela Walsken [SPD]: Weil sie nichts verdienen!)

Sie zahlt ganze 4,3 % der Lohn- und Einkommensteuer. Allerdings verfügt sie auch nur über ein Jahreseinkommen von 23.000 € oder weniger.

Dass eine Umverteilung von unten nach oben überhaupt nicht möglich ist, sollte Ihnen anhand dieser Zahlen klar sein. Das ist auch in keiner Weise beabsichtigt.

(Beifall von CDU und FDP – Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund dieser Zahlen muss man schon fragen, warum der Staat mit seinen gigantischen Einnahmen niemals auskommt und was an dem Gerede von Steuerlöchern und Steuergeschenken für die sogenannten Besserverdiener, das Sie hier ja auch angestimmt haben, dran ist.

Ich kann Ihnen nur eines sagen: Das Grundübel ist, dass der Staat seinen Bürgern in der Vergangenheit stets mehr versprochen hat, als er zu halten in der Lage war.

(Dieter Hilser [SPD]: Das müssen Sie ja gut wissen! – Zuruf von Achim Tüttenberg [SPD] – Weitere Zurufe von der SPD)

Grundlage für diese Versprechungen waren falsche Steuerschätzungen. Wurden dann überzogene Einnahmeerwartungen nicht erreicht, taten sich plötzlich völlig unvorhersehbare Steuerlöcher auf. Diese Steuerlöcher waren kassenmäßig niemals Einnahmerückgänge, sondern stets verfehlte Einnahmeschätzungen.

Wenn ich als Bürger mein künftiges Einkommen schätze und diese Werte dann nicht erreiche, muss ich mich in meinen geplanten Ausgaben bescheiden und meine Ansprüche zurückfahren.

(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

Der Staat ist in aller Regel in die Verschuldung ausgewichen.

Gerade von Sozialdemokraten und anderen Linken wird flankierend noch Neid auf angebliche Steuergeschenke für Unternehmen und Besserverdiener geschürt. Das klingt nach sozialer Gerechtigkeit, Frau Kraft, ist aber genau das Gegenteil.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Wer profitiert denn?)

Meine Damen und Herren, soziale Gerechtigkeit beruht darauf, dass Solidarität und Subsidiarität zueinander in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Es macht keinen Sinn, zu fordern, dass immer weniger Leistungsträger immer mehr Menschen den Bezug von Transfereinkommen ermöglichen.