Protocol of the Session on September 10, 2009

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Frau Monheim. – Für die SPD spricht nun die Kollegin Frau Veldhues.

(Vorsitz: Vizepräsident Edgar Moron)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sage mir, wo Du aufwächst, und ich sage Dir, welche Startchancen Du als junger Mensch hast. – Eine zynische Formulierung, aber sie trifft die Realität in Nordrhein-Westfalen. Die Lebenschancen in unserem Land sind ungleich verteilt. Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst. Daher wird die Forderung immer lauter, dass das Land seiner Verantwortung endlich gerecht werden sowie Stellung beziehen und handeln muss.

Frau Monheim, ich gebe Ihnen recht, dass auch Einzelfälle uns bewegen, betroffen machen und zu Änderungen drängen sollten. Denn meist steht zwar ein Einzelfall im Raum, aber aus dem Schreiben der Bezirksregierung ist ersichtlich, dass es sich nicht um den Fall des Herrn Sowieso handelt, sondern um eine generelle Aussage.

Im Augenblick erleben wir im ganzen Lande die paradoxe Situation, dass wohlhabenden Städten ermöglicht wird, ihren Bürgerinnen und Bürgern mit

sogenannten freiwilligen Leistungen Dienste anzubieten. Dagegen müssen arme Städte und Gemeinden soziale Projekte zurückfahren oder gänzlich einstellen. Diese Entwicklung wird im Augenblick durch landesgesetzliche Maßnahmen massiv gefördert.

Lassen Sie mich ein Beispiel anführen. Die jetzige Regelung der Elternbeiträge für Kindertagesstätten verdeutlicht diesen Unsinn sehr plastisch. Es ist nicht mehr die Einkommenssituation der Familie entscheiden. Entscheidendes Kriterium ist vielmehr die Finanzkraft der Stadt, in der die junge Familie lebt. Die Folgen kennen Sie; das ist ja durch die Medien gegangen. In Düsseldorf können alle Eltern ihre Kinder kostenlos in den Kindergarten schicken. Eine Wuppertaler junge Familie dagegen zahlt bei einem Jahreseinkommen – ich bitte darum, ganz genau zuzuhören – von 12.500 € monatlich 27 € Kindergartenbeitrag.

Die Alternative wäre, das Geld einzusparen und das Kind nicht in die Kita zu schicken. Das ist eine bildungs- und sozialpolitische Schieflage ersten Grades. Das ist nicht mein Fazit, sondern dieses Fazit zieht der Caritasverband im Erzbistum Köln.

Der Wegfall der Grundschuleinzugsbezirke kommt noch dazu. Familien mit geringem und mittlerem Einkommen haben keine Ausweichmöglichkeiten.

Wenn Kinder den Kindergarten und die Schule durchlaufen haben und versuchen, ihren Eintritt ins Berufsleben zu meistern, dann kann es nicht sein, dass der Wohnort ein entscheidendes Kriterium ist. Gerade Menschen mit Behinderung oder Menschen mit Migrationshintergrund haben einen besonders schweren Start ins Berufsleben. Wir alle fordern Handwerk, Wirtschaft und die öffentliche Hand auf, ihrem Vorbildcharakter gerecht zu werden.

Wir freuen uns über jeden Ausbildungsplatz, der in den Kommunen auch über den Bedarf hinaus geschaffen wird. Wenn Kommunen gerade jungen Menschen mit einem Handicap den Einstieg ins Berufsleben erleichtern, dann hilft das tatsächlich weiter. Deswegen begrüßen wir es, dass Städte sich dieser sozialpolitischen Herausforderung stellen. Der Innenminister muss handeln. Jeder einzelne Fall ist ein Fall zuviel. Wir sehen aber an der ganzen Problematik, wie sehr die Lebenschancen und die Lebenswirklichkeit in unserem Lande verbessert werden müssen.

Herr Innenminister, auf der Homepage Ihres Hauses habe ich gelesen:

Gemeinden und Gemeindeverbände brauchen für ihr Handeln zum Wohl der Bürgerinnen und Bürger und als Grundvoraussetzung der kommunalen Selbstverwaltung eine aufgabenadäquate Finanzausstattung.

Wohl wahr! Jetzt erwarten wir von Ihnen aber auch eine entsprechende Weichenstellung. Daseinsvor

sorge gilt allen Bürgern in allen Kommunen. Deswegen fordern wir Sie auf, klar Stellung zu beziehen, damit Kommunalverwaltungen und Kommunalparlamente sich engagiert einsetzen können, auch jungen Menschen mit Handicap eine Startchance ins Leben zu ermöglichen. Das muss gesetzlich einwandfrei geregelt werden.

Der Einzelfall zeigt deutlich, dass Handlungsbedarf bei Ihnen besteht. Stellen Sie sich nur einmal vor, Sie müssten einem jungen Menschen erklären, dass er, weil er in einer überschuldeten Gemeinde lebt, einen Ausbildungsplatz nicht annehmen kann. Verdeutlichen Sie das einem jungen Menschen einmal. – Das schafft Motivation! Das baut Politikverdrossenheit ab!

Im Sozialausschuss dieses Hauses hören wir häufig die Auffassung unseres Ministers Laumann, dass die Politik für Menschen mit Behinderung für ihn die – ich zitiere wörtlich – „Königin der Sozialpolitik“ ist. Schauen Sie jetzt nicht weg und flüchten Sie sich nicht in vage Andeutungen, Herr Laumann. Gestern hieß es vonseiten des Ministerpräsidenten in Andeutungen, dass es in einigen wenigen Ausnahmen möglich sein könnte. Jetzt heißt es, Flagge zu zeigen.

Wir unterstützen den vorliegenden Antrag und kämpfen dafür, dass die Forderung nach gleichen Lebenschancen im Lande NRW nicht zur Sprechblase verkommt.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf die engagierte Diskussion im Ausschuss. – Danke schön.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Veldhues. – Jetzt hat Herr Dr. Romberg für die FDP-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Grünen ist ein Beispiel dafür, dass gut gemeint nicht immer gut gemacht bedeutet und dass eine vermeintlich soziale Forderung zum Wohle einer bestimmten Gruppe sich bei näherem Hinsehen eher als Symbolpolitik der unvernünftigen Sorte entpuppen kann.

Die Grünen behaupten, dass die Bezirksregierung den Kommunen mit Nothaushalt in NordrheinWestfalen die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen in der kommunalen Verwaltung als freiwillige Leistung untersagt. Außerdem sind die Grünen der Auffassung, dass das Land Jugendliche mit Behinderung bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz im Stich lässt.

Beides ist grundlegend falsch. Ministerpräsident Rüttgers hat bereits in der gestrigen Haushaltsdebatte klargestellt, um welchen Sachverhalt es tatsächlich geht.

Betroffen sind eben nicht die Kommunen mit Nothaushalten an sich, sondern nur diejenigen, denen Überschuldung droht oder die bereits überschuldet sind. Zurzeit sind das – Frau Monheim hat es eben gesagt – drei Kommunen im Land. Außerdem wird die Ausbildung in diesen Kommunen nicht an sich untersagt, sondern nur dann, wenn sie über das hinausgeht, was zur Aufrechterhaltung der kommunalen Aufgabe notwendig ist.

Das hat Ministerpräsident Rüttgers gestern ziemlich deutlich dargestellt. Ich zitiere die „dpa“-Meldung: Selbst Kommunen, die überschuldet oder von Überschuldung bedroht seien, dürfen ausbilden. – Dies gilt zunächst einmal aber nur für die Pflichtaufgaben, etwa Feuerwehr.

Wenn man bedenkt, was Haushaltsschulden in solcher Höhe gerade aus sozialer Sicht bedeuten, dann ist es mir ein Rätsel, warum die Grünen hier mit zweierlei Maß messen. Was haben überschuldete Haushalte gerade für die nachfolgenden Generationen, für deren soziale Infrastruktur zu bieten? Was kann eine solche Kommune aktuell und vor allem künftig für seine Bürger leisten, die auf kommunale Angebote in den Bereichen Gesundheit, Wohnen, Arbeiten, Soziales angewiesen sind? Das wird aus naheliegenden Gründen äußerst überschaubar sein. Wenn Sie das ignorieren und stattdessen den Standpunkt vertreten, es müssten noch weitere freiwillige Aufgaben übernommen werden, dann ist das in höchstem Maß alles andere als nachhaltig und letztendlich unsozial.

(Beifall von der FDP)

Bedenklich ist auch, dass es bei den Grünen offenbar einige Wissenslücken gibt, was das Engagement der schwarz-gelben Landesregierung auf diesem Gebiet angeht.

(Beifall von der FDP)

In diesem Jahr hat das Land gemeinsam mit der Regionalagentur der Bundesagentur für Arbeit ein Konzept zur Integration von Förderschülern, von Lernbehinderten auf den Ausbildungsmarkt festgelegt. Dessen Ziel ist es, durch Beratung und Lotsensystem die Chancen auf einen Ausbildungsplatz zu verbessern.

Außerdem hat das Land ein zusätzliches 100Plätze-Programm zur Ausbildung von jungen Menschen mit Behinderungen sowie jungen Erwachsenen aufgelegt. Angesprochen sind vor allem diejenigen, die große Probleme haben, einen für sie passenden Platz zu finden. Die Ausbildungen erfolgen zum größten Teil in Betrieben des ersten Arbeitsmarktes. Inzwischen gibt es dafür den dritten Durchgang.

Ich erinnere daran, dass es die Landesregierung war, die ein umfangreiches ressortübergreifendes Programm für Menschen mit Behinderungen mit der Zielsetzung „Teilhabe für alle“ ins Leben gerufen

hat, das insgesamt 50 Projekte und alleine 2009 ein Haushaltsvolumen von 186 Millionen € umfasst.

Ferner unterstützt die Landesregierung gemeinsam mit den Landschaftsverbänden Integrationsunternehmen in Nordrhein-Westfalen, um Menschen mit Behinderungen eine weitere Möglichkeit im ersten Arbeitsmarkt zu eröffnen. Auch dort wird ausgebildet.

Darüber hinaus gibt es ein Bundesprogramm „job – Jobs ohne Barrieren“, mit dem ebenfalls Betriebe unterstützt werden, Menschen mit Behinderungen auszubilden oder zu beschäftigen.

Angesichts dieser Beispiele ist es wirklich lächerlich, wenn die Grünen in ihrem Antrag so tun, als müssten sie alle anderen erst noch von der großen Bedeutung von Ausbildungsplätzen und Arbeitsplätzen überzeugen und als wäre in diesem Land nichts geschehen.

(Beifall von der FDP – Ralf Witzel [FDP]: Grü- ne Wichtigtuerei!)

Das Engagement der schwarz-gelben Koalition für Menschen mit Behinderungen ist sehr groß und wird durch diese Äußerungen höchstens diskreditiert. Aber es spiegelt nicht die Realität im Land wider. Und diese sollten Sie anerkennen. – Danke schön.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Dr. Romberg. – Für die Landesregierung erhält Herr Innenminister Dr. Wolf das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist der durchsichtige Versuch, die berechtigten Interessen von behinderten Menschen für eine politische Kampfansage an die Landesregierung zu instrumentalisieren.

(Beifall von der FDP – Barbara Steffens [GRÜNE]: Das ist unverschämt!)

Alleine die Behauptung, dass ganze Regionen des Ruhrgebiets und des Bergischen Landes als Ausbildungslandschaft ausdörren, ist offenkundig falsch. Das ist ja bereits vorgetragen worden.

Selbstverständlich begrüßen wir es, wenn auch die öffentliche Hand Ausbildungsplätze zur Verfügung stellt, wobei das aber natürlich eine originäre Aufgabe der Wirtschaft ist. Aber wir haben das immer auch als unsere Aufgabe angesehen; das wollen wir auch so.

Allerdings endet das bei § 82 GO NRW. Und Gesetze, die man selber beschlossen hat, sollte man einhalten. Es geht hier darum, dass rechtlich nicht verpflichtende Aufwendungen nicht getätigt werden dürfen. Das ist der Grundsatz. Deswegen kann nur

sehr behutsam mit den Dingen umgegangen werden.

(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

Hören Sie doch erst einmal zu! – Der Appell, sich in der Ausbildung zu engagieren, kann sich von daher nicht in gleichem Maße an die richten, die in finanziellen Nöten sind. Dabei unterscheiden wir allerdings – genau wie Frau Monheim zu Recht ausgeführt hat – sehr wohl zwischen Nothaushaltskommunen und solchen, die sich bereits in der Überschuldung befinden respektive bei denen die Überschuldung droht. In diesen Fällen ist es genau wie bei einem Wirtschaftsunternehmen, das in Insolvenz gerät. Dann ist eine solche Möglichkeit nicht mehr gegeben. Das ist der Grundsatz nach § 82 GO NRW. Es ist doch völlig klar, dass sich jemand, wenn er insolvent ist, nicht noch mit Personal vollsaugen darf. Ihm muss, gerade wenn in den Kommunen im interkommunalen Vergleich nicht selten zu viel Personal vorhanden ist, gesagt werden, dass das nicht geht.

Allerdings – das möchte ich betonen und das ist auch von Herrn Romberg hinreichend dargestellt worden – räumen wir der beruflichen Integration von Menschen mit Behinderungen einen hohen Stellenwert ein. Deswegen sind diesbezüglich im Rahmen der Konsolidierung der letzten Jahre auch keine Kürzungen erfolgt. Die von Dr. Romberg erwähnten Programme sprechen ja für sich.