Protocol of the Session on November 30, 2005

Was dort über Kompetenzentwicklung und Lernprozesse ausgeführt worden ist, dem kann ich mich nur anschließen, bis auf einen grundlegenden Punkt, Herr Witzel: Das gilt nämlich nicht nur für den zweiten Bildungsweg, sondern auch für die allgemeinbildenden Schulen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wertschätzung der Vielfalt, Gleichwertigkeit statt Gleichmacherei in Abschlüssen - das ist die notwendige Botschaft. So muss das Verfahren auch ausgestaltet werden. Die Verunsicherung bei den

Abendgymnasien muss ausgeräumt werden. Der vorliegende Antrag ist deshalb aus unserer Sicht richtig und wichtig.

Mir liegt jedoch auch daran, deutlich zu machen, dass es nicht nur Klärungsbedarf im Bereich des zweiten Bildungsweges in Bezug auf die teilzentralen Abiturprüfungen gibt, sondern dass sich massive Probleme auch in den allgemeinbildenden Schulen ergeben. Das parteiübergreifend gewollte teilzentrale Abitur muss so vorbereitet werden, dass die Schüler/innen uneingeschränkte Chancen auf Erfolg haben. Dazu bedarf es einer ausreichenden Vorbereitung durch die Lehrkräfte, und die Schüler/innen dürfen nicht das Gefühl haben, dass sie im ersten Jahrgang als Versuchskaninchen herhalten sollen. Auch hier gilt: Gleichwertigkeit statt Gleichartigkeit oder Gleichförmigkeit.

Aufwand, Stand und Zeitbedarf der Vorbereitung wurden sowohl vor der Wahl im Ministerium nicht realistisch genug, zu optimistisch eingeschätzt als auch nach der Wahl nicht ausreichend vorangebracht. Deshalb ist jetzt eine klare und mutige Entscheidung gefordert. Verunsicherung bei Schüler/innen und Lehrkräften muss ausgeräumt werden, Entschleunigung und Sorgfalt helfen, zentrale Prüfungen zu einem Erfolg für die Schüler/innen und die Schulen zu machen und nicht auf das Teaching to the Test zu reduzieren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zunächst sollten sich die Schulen auf die Vorbereitungen zum teilzentralen mittleren Bildungsabschluss im Jahre 2007 konzentrieren können und das erste teilzentrale Abitur dann fundiert im Jahre 2008 durchführen. Das ist unser Aufschlag.

Ich sage hier ausdrücklich, dass es gut ist, dass die gerade nach Pisa bildungspolitisch richtige Linie von der Ministerin gehalten worden ist, auch die Gymnasien von Anfang an in die Prüfungen zum mittleren Bildungsabschluss einzubeziehen. Dann muss jetzt aber Zeit sein, den Prozess hin zu erfolgreichen teilzentralen Prüfungen im Abitur konzentriert und fundiert auf den Weg zu bringen. Es wäre besser, von der vorherrschenden Symbolpolitik abzulassen und sich endlich auf die wirklichen Aufgaben zu konzentrieren.

Ruhe in die Schule, Schluss mit den Belastungen des Schulklimas durch Klarstellungen zu Beratungstagen und Fortbildung mit Anerkennung der entsprechenden Schulkonferenzbeschlüsse! Wie unsinnig ist es zu sagen, mit dem neuen Schulgesetz liege das in Händen von Eltern und Lehrkräften vor Ort, und jetzt genau die von beiden Grup

pen getragenen qualifizierten Entscheidungen vom Tisch zu wischen.

Tragen Sie bitte Sorge, dass sich der Tonfall auf den verschiedenen Ebenen der Schulverwaltung gegenüber den Schulen ändert!

(Beifall von den GRÜNEN und Michael Solf [CDU])

Ich bin der Überzeugung, dass die bisherigen Vorbereitungen auf das Zentralabitur in den Schulen nicht umsonst sind, sondern dass sie im weiteren Prozess vor Ort genutzt werden können. Die überwiegende Zahl der Schulen und Schüler/innen, die bisher jedoch nicht ausreichend vorbereitet sind - sowohl im Abendgymnasium wie auch in den allgemeinbildenden Schulen -, müssen ernst genommen werden, von uns allen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Beer. - Jetzt spricht Herr Witzel von der FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der uns heute plenar vorgelegte Antrag der SPD-Landtagsfraktion enthält viele Zielbestimmungen, von denen ich vermute, dass sie von allen Landtagsfraktionen geteilt werden. Er rekurriert auf verschiedene Ansätze, die auch von allen Fraktionen vor der Landtagswahl im Frühjahr dieses Jahres mit Blick auf die Zukunft der Weiterbildungskollegs verfolgt worden sind.

Ich kann heute für die FDP-Landtagsfraktion uneingeschränkt erklären, dass die Zielperspektiven, die Zielsetzungen und Anforderungen, die wir seinerzeit im Frühjahr formuliert haben und wie sie auch im einleitenden Teil der Darstellung der Ausgangslage von der SPD noch einmal referiert werden, selbstverständlich auch zukünftig Gültigkeit haben.

Wir wollen Weiterbildungskollegs stärken. Wir sagen weiterhin: Wenn wir auf der einen Seite in unserem Bildungswesen eine frühe Differenzierung haben, die wir selbstverständlich weiterhin nach Leistungshomogenität wollen, ist es eine logische Folge, dass wir auf der anderen Seite eine besondere Verpflichtung haben, dazu beizutragen, dass es faire Chancen für alle Teile der Gesellschaft gibt, auch in späteren Lebensphasen Abschlüsse nachzuholen.

Jeder Mensch ist individuell und unterschiedlich in seinem Lernverhalten und seiner persönlichen

Entwicklung. Deshalb ist es uns wichtig, dass wir auch zukünftig den Bereich des zweiten Bildungsweges stärken und Menschen ebenfalls in späteren Lebensphasen die Nachholung von Abschlüssen und Berechtigungen für die weitere persönliche und berufliche Entwicklung ermöglichen.

Deshalb haben wir immer dafür plädiert - und tun das auch heute als FDP-Landtagsfraktion -, dass es eine zielgruppengerechte Ausgestaltung bei den Zentralprüfungen gibt. Im Frühjahr ist auf Initiative der FDP im Zusammenwirken mit dem Ring der Kollegs eine Zusage seitens der Administration entstanden, dass man elementaren Anforderungen auch zukünftig in dem Rahmen nachkommen will, wie es für die Ausgestaltung des Prüfungsverfahrens sachgerecht ist.

In einem wegweisenden Memorandum haben sich seinerzeit die Landesorganisationen des Rings der Abendgymnasien, der Abendrealschulen und Kollegs zu einer Resolution zur zukünftigen Steuerung und Standardsicherung im Bereich der Weiterbildungskollegs durchgerungen. Die darin manifestierten Handlungsempfehlungen aus der beruflichen Praxis sind aus unserer Sicht unverändert unterstützenswert. So fordern die Dachorganisationen unter anderem die Durchführung zentraler Abschlussprüfungen auf der Basis einer eigenen Obligatorik, einer schulformspezifischen Ausrichtung und Aufgabenstellung im bisherigen Halbjahresrhythmus, die Modularisierung von Lehrgängen, die Erstellung von Prüfungsaufgaben unter Berücksichtigung fachinhaltlicher Schwerpunktsetzungen und von erwachsenpädagogischen Spezifika im ZBW, die Stärkung der Schulautonomie und Selbstständigkeit für administrative Vertretungen und die Gleichwertigkeit statt Gleichartigkeit von Unterrichts- und Prüfungsgegenständen des ZBW im Vergleich zu Jugendschulen. Daran hat sich nichts geändert.

Wir haben allerdings volles Vertrauen, dass die Zielsetzungen, die auch von der SPD bei der Abbindung des Antrags im letzten Teil eingefordert werden, vom Ministerium frühzeitig sachgerecht umgesetzt werden.

Sie erheben in dem Antrag drei Forderungen, die Sie hier noch einmal referiert haben, Frau Schäfer. Zum einen ist dies die adäquate schulformspezifische Ausrichtung. Das sehen auch wir so. Nicht wir von den jetzigen Koalitionsfraktionen sind diejenigen gewesen, die den schulformspezifischen Bezug in der Vergangenheit in Frage gestellt hätten. Das waren doch eher andere.

Zum Zweiten fordern Sie die Beibehaltung des Halbjahresrhythmus bei Prüfungsverfahren. Das Ministerium hat in den letzten Tagen erneut bestätigt, dass wir an diesem Grundsatz selbstverständlich auch zukünftig festhalten.

Drittens erwarten Sie die adäquate Berücksichtigung von ZBW-Spezifika auch bei der zukünftigen Formulierung von Prüfungsaufgaben. An den Stellen, an denen dies notwendig ist, wird sicherlich auch die neue Landesregierung diesem Anspruch gerecht werden.

Insofern trennt uns nicht die Zielperspektive Ihres Antrags, und es trennen uns auch nicht die Anforderungen, die Sie für das zukünftige Prüfungsverfahren formulieren. Ich stelle mir viel eher die Frage, ob es dieses Antrags bedurft hätte. Sicherlich wird Ihnen gleich auch Frau Ministerin Sommer darlegen, dass sie trotz des lückenhaften Vorbereitungsstandes der Prüfungen, den sie von der Vorgängerregierung vorgefunden hat, jetzt mit Hochdruck daran arbeitet, sachgerecht für die jeweiligen Bildungsgänge zum Nutzen und Wohle der Schüler das umzusetzen, was noch administrativ auf den Weg gebracht werden soll.

Insofern muss ich in aller Ehrlichkeit sagen: Weil noch nicht bis zur letzten Formulierung jedes Halbsatzes alle Details stehen, kann es sein, dass wir gemeinsam zu dem Ergebnis kommen, dass an einzelnen Stellschrauben im Interesse der Schüler und im Interesse der Validität der Prüfungen noch Optimierungen notwendig sind. Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Das, was Sie hier als Vorgängerregierung in der Vorbereitung hinterlassen haben, war so umfänglich nicht. Insofern: Ein bisschen Zeit dauert es schon - auch wenn es schnell gehen soll -, aber ich habe keinerlei Zweifel, dass wir getragen von dem gemeinsamen Ziel, das Beste für den zweiten Bildungsweg zu wollen, hier auch zu einer sachgerechten Ausgestaltung kommen.

Ein letzter Hinweis an die SPD: Sie haben sachlich richtig vieles von den Anforderungen, die wir vor dem Politikwechsel für den zweiten Bildungsweg formuliert haben, wiederholt. Wichtig sind aber auch die Auslassungspunkte an den Stellen, wo Sie etwas weggelassen haben. Weil mir jetzt die Zeit fehlt, das noch näher auszuführen, nur der Hinweis auf diesen Umstand. Sie finden in der entsprechenden Landtagsdrucksache, auf die Sie verweisen, viele Hinweise darauf, wie die Schlagkraft des zweiten Bildungsweges in den letzten zehn Jahre unter Rot-Grün abgebaut wurde, wie sich seinerzeit die Schüler-Lehrer-Relationen massiv verschlechtert haben und wie die Unter

richtsversorgung gelitten hat. All das ist in Landtagsdrucksachen dokumentiert.

Insofern: Wenn Sie sich heute für die Stärkung des zweiten Bildungsweges einsetzen, freut mich das. Das ist auch notwendig. Aber verdrängen Sie nicht ganz die Versäumnisse, die Sie in den letzten zehn Jahren auf diesem Feld zu verantworten haben. - Vielen Dank.

Herr Witzel, würden Sie noch eine Zwischenfrage von Frau Schäfer zulassen?

Aber sicher doch.

Herr Witzel, Sie haben eben die Notwendigkeit dieses Antrages angezweifelt. Ich möchte Sie fragen, ob Ihnen ein Schreiben des Ministeriums für Schule und Weiterbildung an die Bezirksregierung aus dem September 2005 bekannt ist, in dem tatsächlich Angaben über die Obligatorik in den Anforderungen für die zentralen Prüfungen gemacht werden. Darin wird ganz deutlich, dass das durchaus ganz eng an die Vorgaben für die Gymnasien und die Gesamtschulen angelegt sein soll. Ich denke, da besteht ein großer Unterschied zwischen einer Erwachsenenpädagogik und einer Jugendpädagogik.

Frau Schäfer, uns verbindet das gemeinsame Ziel, hier zu sachgerechten Lösungen für den zweiten Bildungsweg zu kommen. Insofern sollten wir auch nicht jeden einzelnen Schriftwechsel aus dem Ministerium missverstehen. Dass es natürlich auch eine Koppelung und Anlehnung an die Verfahren geben muss, wo wir ja gemeinsam der Auffassung sind, dass sie auch gleichwertig zu den Zentralprüfungen in anderen Bildungsgängen sein sollen, wird, glaube ich, von uns allen nicht bestritten.

Warum ich vielleicht die Notwendigkeit dieses Antrags in Zweifel ziehe, wonach Sie gefragt hatten, und Vertrauen zur sachgerechten Umsetzung seitens des Ministeriums habe, liegt in den Forderungen begründet, die Sie, ohne jetzt Bezug auf einen bestimmten Schriftwechsel zu nehmen, konkret aufstellen, nämlich - erstens - die schulformspezifische Ausrichtung, zweitens die Beibehaltung des Halbjahresrhythmus im Prüfungsverfahren und drittens die Berücksichtigung von ZBW-Spezifika. Ich bin sehr sicher, dass Ihnen Frau Ministerin Sommer gleich darlegen wird, dass das in guten Händen ist und das weitere Verfahren in diesem Sinne umgesetzt wird. Deshalb: Haben Sie ein bisschen Vertrauen zu dem,

was wir auf den Weg bringen. Wie gesagt: Einiges ist noch im Prozess.

Ich glaube, wenn wir uns alle dafür stark machen, den zweiten Bildungsweg voranzubringen, dann können wir einiges auf den Weg bringen. Versäumnisse aus der Vergangenheit gibt es; diese wollen wir ausräumen.

Durch konsequentes Handeln werden wir hier wie auch an anderen Stellen des Bildungssystems in den nächsten Jahres einiges nach vorne bringen. - Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Danke schön, Herr Witzel. - Als Nächstes redet Frau Ministerin Sommer für die Landesregierung.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion der SPD fordert eine verlässliche Standardisierung des zweiten Bildungsweges in Nordrhein-Westfalen. Dieses Ziel wird von der Landesregierung nachdrücklich unterstützt.

(Beifall von Sylvia Löhrmann [GRÜNE] und Ralf Witzel [FDP])

Sie begründen Ihre Forderung mit den besonderen Rahmenbedingungen des Unterrichts mit berufserfahrenen Erwachsenen sowie mit dem Ziel, Bildungschancen unabhängig von der sozialen Herkunft zu verbessern. Die Landesregierung trägt dem bei der Vorbereitung des Abiturs mit zentral gestellten Aufgaben im Weiterbildungskolleg Rechnung.

Das bedeutet für uns konkret: Auch im Zentralabitur 2008 wird es im Halbjahresrhythmus zwei Prüfungstermine für die Weiterbildungskollegs geben. Die Weiterbildungskollegs erhalten eigene Vorgaben und Aufgaben, die Besonderheiten berücksichtigen: Übereinstimmung mit den für die Weiterbildungskollegs gültigen Richtlinien und Lehrplänen, quantitative Reduktion in Fächern mit geringerem Unterrichtsvolumen, spezifische fachliche Ausprägungen im gesellschaftswissenschaftlichen Aufgabenfeld sowie zuletzt angemessene Inhalte für erwachsene Studierende.

Mit dieser Verfahrensweise gehen wir in der Orientierung am Bildungsgang weiter als andere Bundesländer, die in der Regel gleiche Aufgaben für gymnasiale Oberstufe und zweiten Bildungsweg vorsehen. Lediglich Hessen teilt zurzeit unsere Auffassung. Dort gibt es auch unsere Leitlinie, die Folgendes beinhaltet: Übereinstimmung so

weit wie möglich, Anpassung an den spezifischen Bildungsgang so weit wie nötig.

Ganz auf dieser Leitlinie hat auch die frühere Landesregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage des Herrn Abgeordneten Ralf Witzel, FDP, festgestellt, dass die inhaltlichen Vorgaben für die Weiterbildungskollegs - ich zitiere -, „soweit dies unter den besonderen Voraussetzungen des Bildungsgangs möglich ist, mit denen des ersten Bildungswegs übereinstimmen sollen“.

Auch meine Vorgängerin hat also nicht auf ein völlig eigenes Verfahren gesetzt, sondern darauf abgehoben, dass eine verlässliche Standardisierung für den zweiten Bildungsweg nur in einem vernetzten System der Qualitätssicherung im Abitur möglich ist. Die Herstellung von echter Chancengleichheit bedeutet die individuelle Förderung aller Studierenden während des Bildungsgangs. Die entsprechende Gestaltung der Lernprozesse liegt nach wie vor in der Verantwortung der Lehrkräfte. Und ich weiß, Lehrerinnen und Lehrer in den Weiterbildungskollegs erfüllen diese Aufgabe mit fundiertem Fachwissen, Kreativität und besonderem Engagement.

Abschlussbezogene Verfahren der Standardsicherung beziehen sich aber nicht auf die spezifischen Bedingungen einzelner Schulformen, sondern machen Lernergebnisse im schulformübergreifenden Vergleich transparent. Hierzu werden wir selbstverständlich mit den Vertreterinnen und Vertretern des zweiten Bildungswegs weiter im Gespräch bleiben.