Protocol of the Session on June 26, 2009

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Rainer Schmeltzer [SPD]: Wie die FDP im Ganzen!)

Die zweite Frage, die in dem Zusammenhang von hohem Interesse ist, lautet: Wer hat’s denn bezahlt? – Sie begründen Ihr Thema der Aktuellen Stunde damit, dass das Land pauschal 2,38 Milliarden € zur Verfügung gestellt habe. Das hat es nicht zur Verfügung gestellt, liebe Kolleginnen und Kollegen! Aus Landesmitteln zur Verfügung gestellt – ich danke dem Kollegen Engel für den Hinweis auf die richtige Zahl – wurden nur 711 Millionen €. Das ist immerhin ein netter Betrag; der ist auch wichtig gewesen. Allerdings werden von diesem Betrag 464 Millionen € für die Hochschullandschaft abgezogen. Zusätzlich sind – ich bitte, ein besonderes Augenmerk darauf zu richten – 170 Millionen € als zweckgebundene Investitionen für die Krankenhäuser abzuziehen. Das wäre in Ordnung gewesen, wenn Sie – ich war gestern Abend noch in der Aufsichtsratssitzung eines Krankenhauses – nicht vorher mit der Verdopplung der Krankenhausinvestitionen unseren Kommunen 330 Millionen € aus der Tasche gezogen hätten.

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Rainer Schmeltzer [SPD]: Länderpolitik ist das!)

Bei dieser Operation ergibt sich also ein Negativsaldo in Höhe von 160 Millionen € zulasten der Kommunen. Zieht man die beiden Beträge von den 711 Millionen € ab, bleibt es bei einer Summe von 77 Millionen € an originärem Landesanteil an der Finanzierung.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Hört, hört!)

Und von diesem Landesanteil sollen die Kommunen beinahe 300 Millionen € im Rahmen der Rückzahlung erstatten. Insoweit stellen Sie, was die Finanzen angeht, eine sehr fragwürdige Rechnung auf.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Was ich einräumen muss, aber auch gerne einräume, ist, dass die Technik nicht nur, aber auch in Nordrhein-Westfalen gelungen ist. Das gilt auch für Rheinland-Pfalz. Dies kann man heute in der Financial Times nachlesen. Allerdings stellt sich das im Lande sehr unterschiedlich dar.

Ich selbst bin nah dran. In meiner Vaterstadt Mönchengladbach hat Oberbürgermeister Norbert Bude über alle Parteigrenzen hinweg vernünftig gehandelt. Es ist zum einstimmigen Ratsbeschluss gekommen. Wir haben die erste Tranche tatsächlich gut eingesetzt. Ich muss aber zur Kenntnis nehmen, dass sich zum Beispiel in Heinsberg in der Beziehung noch gar nichts getan hat. Die Gremien dort haben zu diesem Thema noch nicht einmal getagt.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Wer hat denn das Sagen in Heinsberg?)

Insoweit ist es gut und richtig, dass wir heute einen Appell ausbringen.

Lassen Sie mich zu der entscheidenden Frage kommen: Warum machen Sie das heute Morgen in der Art und Weise, denn viel Neues haben wir nicht gehört? Kann es sein, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Sie von Ihrer Untätigkeit in Bezug auf die Strukturprobleme unserer Städte und Gemeinden ablenken wollen,

(Beifall von der SPD)

dass Sie das Weihrauchfass so sehr schwenken und sich in Selbstlob ergehen,

(Unruhe bei der CDU)

dass die Bürgerinnen und Bürger womöglich vergessen, dass diese Landesregierung unseren Kommunen ungefähr 2 Milliarden € aus der Tasche gezogen hat?

(Beifall von der SPD)

Ich kann Ihnen den Vorwurf nicht ersparen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass es heute hier eine Selbstinszenierung ist. Wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind bereit – das haben wir durch unser Abstimmungsverhalten gezeigt –, Verantwortung für dieses Investitionsprogramm zu übernehmen. Aber wenn Sie sich und Ihren Ministerpräsidenten heute Morgen sozusagen in Form eines fraktionsübergreifenden Geburtstagsgeschenkes zum Robin Hood ernennen wollen, dann kann ich Ihnen nur sagen: Das verfängt nicht! Dieser Ministerpräsident ist im Verhältnis zu den Kommunen nicht mehr und nicht weniger als die Rhein-Ruhr-Ausgabe des Räuber Hotzenplotz. – Vielen Dank.

(Heiterkeit und Beifall von SPD und GRÜ- NEN)

Danke, Herr Körfges. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Herr Becker.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als die Tagesordnung für die heutige Sitzung des Landtags gekommen ist, habe ich mich zunächst einmal gefragt, was der eigentliche Anlass für die heutige Aktuelle Stunde ist, und habe die Aktualität nicht recht erkennen können.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Das sollte ein Geburtstagsgeschenk sein!)

Wenn man sich fragt, was in der Zwischenzeit passiert ist, kommt man zu dem Ergebnis, dass eigentlich noch nicht viel abgeflossen ist. Insofern ist für großes Selbstlob noch nicht besonders viel Grundlage geschaffen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Würden Sie sich einmal bei den Kämmerinnen und Kämmerern erkundigen, würden Sie feststellen,

dass es bisher faktisch überhaupt noch nicht zu einem Mittelabfluss gekommen ist. Das ist nicht Ihre Schuld, das ist aber auch kein Ruhmesblatt. Insofern wäre ich dankbar, wenn der Finanzminister und der Innenminister uns in der nächsten Zeit einmal vorlegen würden, was an konkretem Mittelabfluss, der Grundlage dieses Selbstlobes sein könnte, zustande gekommen ist.

Meine Damen und Herren, ich möchte darüber hinaus festhalten, dass wir ausdrücklich der Auffassung sind, dass sich das kommunale Konjunkturprogramm des Bundes ganz wesentlich – nämlich positiv – von dem restlichen Konjunkturprogramm unterscheidet. Sie wissen, dass wir an der Abwrackprämie deutliche Kritik haben. Wir halten sie – um es vorsichtig zu sagen – nicht für besonders klug. Da wurde eher ein Fass ohne Boden geöffnet. Aber: Im kommunalen Bereich ist ein Konjunkturprogramm vernünftig. Deswegen haben wir das auch begrüßt.

Ich habe es zwar schon an verschiedenen Stellen gesagt, begrüße aber noch einmal ausdrücklich die Art und Weise, in der die Mittel in NordrheinWestfalen durchgereicht werden. Auch daran habe ich keine Kritik. Auch die kommunalen Spitzenverbände haben daran keine Kritik; das ist ja auch mit denen zusammen erarbeitet worden. Das ist vernünftig, übrigens auch für die Nothaushaltskommunen.

Damit war es das dann aber auch. Ich frage noch einmal: Was ist Anlass für diese Aktuelle Stunde? Der Kollege Körfges hat es eben gesagt: Offensichtliches Selbstlob! Das haben Sie heute nun schon mehrfach gemacht; wir können Ihnen die Protokolle dazu zeigen. Sie können das vor der Kommunalwahl natürlich noch mit zwei weiteren Aktuellen Stunden belegen. Das bringt aber überhaupt nichts, weil das das eigentliche Problem nicht lösen wird. Das will ich Ihnen gerne noch einmal erläutern.

Das Konjunkturprogramm für die Kommunen hat im Wesentlichen zwei Gründe: Erstens – das wissen wir – ist in den Kommunen ein erheblicher Investitionsrückstand. Das hat auch etwas mit Ihrer Politik zu tun. Zweitens ist das Konjunkturprogramm deswegen bei den Kommunen angesiedelt worden, weil man weiß, dass es dort am schnellsten an die Räder kommt, dass es am schnellsten in Handwerk und Mittelstand wirkt und da insofern von seiner konjunkturellen Wirkung her eine besonders intelligente Ansiedlung ist – übrigens eine bedeutend intelligentere Ansiedlung als jeder Vorschlag, der jemals von Liberalen gekommen ist, zum Beispiel die Vorschläge zur Steuersenkung und eben wieder der große Ruf des großen Kommunalexperten Engel an die Kämmerer in Nordrhein-Westfalen, sie mögen doch mehr sparen und umkehren. Das haben wir in den letzten Jahren immer wieder gehört.

Die versammelten Fachexpertinnen und Fachexperten sind ganz anderer Meinung und wissen, dass

alle Steuereinsparungen und alle Steuersenkungen in dieser Situation in die Katastrophe führen. Hören wir uns einmal um: Ihr Wunschkoalitionspartner in Baden-Württemberg faselt heute Morgen schon wieder von Mehrwertsteuererhöhung, interessanterweise übrigens von einer Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel. Das ist eine sozialpolitisch besonders große Großtat. Davon redet der Mann, Oettinger heißt er, Sie müssten ihn kennen. Und mit genau denen wollen Sie in eine Koalition.

An der Stelle sage ich ganz deutlich: Jeder, der glaubt, dass die FDP Steuern senkt, der irrt sich. Die FDP ist die Partei, die im Bund in all den Jahren die meisten Steuererhöhungen mitbeschlossen hat.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das wird auch dieses Mal so sein, wenn sie in die Regierung kommt. Lassen Sie das Gerede vorher: Das ist die Lüge von heute, die sich morgen zeigen wird, sollten Sie jemals regieren.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Die müssen aber nicht in die Koalition!)

Zurück zum Thema! Ich will Ihnen ganz deutlich sagen: Das, was Sie hier in Nordrhein-Westfalen gemacht haben, wird auch durch das Konjunkturprogramm überhaupt nicht aufgehoben. Es in der Tat richtig: Sie haben den Kommunen in NordrheinWestfalen in diesen Zeiten 2 Milliarden € strukturell entzogen. Damit man einmal greifen kann, was das in der Praxis bedeutet, will ich Ihnen ein paar Zahlen dazu nennen: Wir haben in Nordrhein-Westfalen in den letzten vier Jahren die Kassenkredite bei den Kommunen von 10,2 auf 14,8 Milliarden € gesteigert.

(Widerspruch von Bodo Löttgen [CDU])

Das ist das Problem: dass man Ihnen die Wahrheit immer wieder erzählen kann, Sie sie aber trotzdem nicht begreifen, Herr Kollege.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Weiter: Das sind bundesweit 50 % aller Kassenkredite. 50 % aller Kassenkredite in Nordrhein-Westfalen – um das noch einmal herunterzubrechen – werden zu mehr als der Hälfte im bergischen Städtedreieck und im Ruhrgebiet aufgenommen. Das hat etwas mit Strukturpolitik zu tun, Herr Kollege Engels. Ich will es Ihnen an einer weiteren Zahl deutlich machen: Die Kommune Oberhausen nimmt bei einem Hebesatz von 475 bei der Gewerbesteuer pro Kopf gerade einmal 500 € ein. Bei einem Hebesatz von 460 nimmt Düsseldorf gerade einmal 1.700 € pro Kopf ein. Das sagt etwas über Strukturen aus. Das macht deutlich, dass Sie Hebesätze erheben können, wie Sie wollen.

(Beifall von Ewald Groth [GRÜNE])

Ich sage Ihnen noch etwas: Sie können überhaupt nicht mehr so viel einsparen, wie Sie denen mit Ihrem „Mentalitätswandel“ immer wieder vorgeben.

Selbst wenn sie alle freiwilligen Leistungen kürzen und dramatisch im Personalbestand kürzen würden, hätten sie noch nicht einmal die Zinsaufwendungen für ihre Schulden bedient. Das, meine Damen und Herren, müsste Ihnen eigentlich zu denken geben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das ist auch – ich betone: auch – maßgeblich ein Ergebnis Ihrer verfehlten Politik hier in den letzten drei bis vier Jahren. Denn wer in einem solchen Steuerhoch, wie wir es in den Jahren 2007 und 2008 hatten, den Kommunen nur einen Bruchteil von den Mehreinnahmen gibt, die ihnen eigentlich zustehen, der sorgt auch dafür …

(Minister Dr. Helmut Linssen: Alles gelogen! – Ewald Groth [GRÜNE]: Das ist die Wahrheit!)

Seien Sie vorsichtig! Das ist nicht gelogen, das ist die Wahrheit. Sie müssten sich mit den Kämmerinnen und Kämmerern Ihrer eigenen Partei auseinandersetzen. Sie müssten sich mit der Mehrheit des Städte- und Gemeindebundes – die ist CDU – auseinandersetzen. Sie müssten sich mit der Mehrheit der Städte auseinandersetzen – die in weiten Teilen auch CDU ist –, an Stellen, wo die das Sagen haben. Erst recht müssen Sie sich mit dem Landkreistag auseinandersetzen, dem Herr Engel etwas zuruft.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Der Landkreistag hat gestern in Bergheim getagt. Gucken Sie einmal nach, wo die Kämmerer in den Landkreisen herkommen: Die kommen fast alle aus der CDU.

Deswegen sage ich Ihnen, die behaupten, das sei eine Lüge, noch einmal: Setzen Sie sich mit Ihren Parteifreunden auseinander und erzählen sie nicht so etwas vor diesem Auditorium. Außer Ihren eigenen Leuten hier im Landtag glaubt das keiner.