Protocol of the Session on June 25, 2009

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Wir fordern eine Korrektur des Bologna-Prozesses und der Zwangsschulzeitverkürzung für mehr eigenverantwortliches Lernen und Leben, für mehr Mobilität und Chancengleichheit sowie mehr Demokratie in allen Bildungseinrichtungen. Das heißt, wir wünschen uns, dass der Ministerpräsident dieses Landes nicht nur von Humboldt redet, sondern ihn auch in die Tat umsetzt. – Herzlichen Dank.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Seidl. – Für die SPD-Fraktion erhält Frau Dr. Boos das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 50.000 Studierende, Schülerinnen und Schüler – das ist eine beeindruckende Zahl von jungen Menschen, die ihren Willen in der vergangenen Woche kundgetan haben.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

50.000 junge Menschen waren es, die auf die Straße gegangen sind, um ihren Unmut über die aktuelle Bildungspolitik in diesem Land auszusprechen. Was ich fast noch wichtiger finde: Diese jungen Menschen haben nicht nur gesagt, wogegen sie sind; das ist oft leicht. Viel schwieriger ist es zu formulieren, was man stattdessen will. Aber genau das ist bei dem Bildungsstreik geschehen.

Wir haben es mit jungen Menschen zu tun, die Bildung wollen und dafür kämpfen, dass sie sie auch bekommen. Ich frage Herrn Rüttgers als Verantwortlichen:

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Der ist direkt weggeblieben!)

Was könnte für unser Land besser sein als junge Menschen, die Ihre Bildungschancen einfordern?

(Beifall von der SPD)

Spontan sagt man erst einmal: Nichts könnte besser sein. – Aber es fällt einem noch eine andere Antwort ein, nämlich eine Bildungspolitik, die so gut ist, dass der Streik nicht nötig gewesen wäre.

Junge Menschen setzen auf Bildung als Menschenrecht. Darüber können wir uns alle freuen. Entsprechend hat die SPD den Bildungsstreik von vornherein unterstützt. Frau Ministerin Sommer hingegen untersagt die Teilnahme und macht es Schülern und Schülerinnen schwer.

(Ute Schäfer [SPD]: Hört, hört!)

Herr Minister Pinkwart zeigte sich an dieser Stelle den Studierenden gegenüber offen. Er diskutierte in Münster mit Studierenden. Die Argumentation für seine Politik schien aber nicht ganz gelungen. Ich zitiere aus den „Westfälischen Nachrichten“ vom 17. Juni 2009 mit Erlaubnis des Präsidenten:

Das Argument Pinkwarts, auch zu seiner Zeit hätte es schon überfüllte Hörsäle gegeben, war verbales Öl ins Feuer der Studierenden.

(Lachen von den GRÜNEN)

Ihm wurde von sieben Klausuren in einer Woche und von zeitgleichen Abgabeterminen für schriftliche Arbeiten berichtet. Dazu dann noch für die Studiengebühren nebenbei zu arbeiten, sei einfach zu viel, so die Argumentation der Studierenden.

Die Landesregierung und die zuständigen Minister rühmen sich seit vier Jahren, dass sie die gesamte Bildungslandschaft verbessert und umgekrempelt haben. Einen landesweiten Bildungsstreik als Antwort zu bekommen, zeigt deutlich, in welche Bildungskrise die Landesregierung unser Land gesteuert hat.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, dass Bundesbildungsministerin Schavan die Forderungen des Streiks als gestrig bezeichnet.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Gründe für diesen Streik gibt es genug; das hat Frau Seidl gerade schon ausgeführt. Es geht um die Behebung des Lehrermangels, die Umsetzung des Turboabiturs, um verbindliche Grundschulempfehlungen, um Kopfnoten usw.

Im Hochschulbereich gibt es aber zwei besondere Problemlagen, die sich herauskristallisieren: einerseits die Umstellung der Studienabschlüsse auf Bachelor und Master und andererseits die Studiengebühren. Bei den neuen Studienabschlüssen Bachelor und Master gibt es eine Menge Schwierigkeiten, die in den letzten Jahren nicht weniger wurden.

Rein formal ist der Bologna-Prozess umgesetzt worden. An den Hochschulen selbst gibt es bei der Umsetzung aber eine Menge Baustellen. Hierunter leiderndie Studierenden. Die Landesregierung arbeitet nicht daran, diese Baustellen loszuwerden. Eine inhaltliche Überarbeitung des BolognaProzesses ist dringend nötig. Die Studierenden haben Recht, das einzufordern.

Die Landesregierung hat die Hochschulen in eine gewollte strukturierte Verantwortungslosigkeit entlassen. Sie gibt den Hochschulen keine Hilfestellung und lässt damit die Studierenden im Regen stehen. Verantwortungslos ist die aktuelle Hochschulpolitik deshalb, weil sie blindlings die Verantwortung für fast alle Fragen von sich schiebt.

Die Verantwortungslosigkeit ist deshalb strukturiert, weil dahinter ganz klar eine Ideologie, ein Plan steckt, nämlich der Plan, sich als Landesregierung aus dem Hochschulsektor so weit wie möglich zurückzuziehen, der Plan, keine notwendigen Gestaltungsinitiativen zu ergreifen. Sicher steckt auch der Gedanke dahinter, den Protest von Düsseldorf und der Landesregierung abzulenken und ihn an den Hochschulen zu kanalisieren. Aber der aktuelle Bildungsstreik hat gezeigt, dass dieses Ziel offensichtlich nicht erreicht wurde.

Wir als SPD befürworten die Umsetzung des Bologna-Prozesses, um einen europäischen Bildungsraum zu erreichen. Wir haben aber nie Zweifel daran gelassen, dass wir die derzeitige Hochschulpolitik, die diesen Prozess nicht gestaltet, ablehnen. Sie führt innerhalb des Bologna-Prozesses dazu, dass Auslandsaufenthalte problematischer und weniger

werden. Sie führt dazu, dass die BachelorStudiengänge völlig verschult sind. Es handelt sich nur noch um die Vermittlung des Lernstoffs.

Vom humboldtschen Zitat haben wir gerade schon etwas gehört. Wissenschaft braucht Kreativität, Wissensdurst und Engagement. Eine Studienreform zur Verbesserung der aktuellen Lage ist nötig aber nicht im Plan der Landesregierung vorgesehen. Der Bildungsstreik ist also nachvollziehbar.

Der zweite große Themenkomplex, um den sich die Proteste drehen, sind natürlich die Studiengebühren. Das haben auch unsere jungen Menschen verstanden. Es werden gerade Kinder und Jugendliche vom Studium abgehalten, deren Eltern selbst keine akademische Ausbildung haben. Studiengebühren fördern eine soziale Spaltung, an der niemand Interesse haben kann.

(Walter Kern [CDU]: Das ist unglaublich!)

Dass die Studienanfängerzahlen im Moment recht hoch sind, liegt an den starken Jahrgängen. In Hessen wurden die Studiengebühren bereits wieder abgeschafft. Seitdem ist die Zahl der Studienanfänger und Studienanfängerinnen um 17 % gestiegen. In NRW sitzen die Studierenden in überfüllten Hörsälen und müssen einen Kredit aufnehmen, um ihre Studiengebühren finanzieren zu können. Gegen diese Gebühren zu streiken, macht also deutlich Sinn.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Demnächst werden 60.000 Akademiker mit mehr als 5.000 € Schulden in ein ungewisses Berufsleben geschickt. Mit dieser Zukunftsperspektive können junge Menschen nicht zufrieden sein.

Andererseits müssen aber einzelne Hochschulen vom Minister angemahnt werden, die Studiengebühren doch endlich zeitnah auszugeben. Da ja mittlerweile in jedem Hörsaal ein Beamer vorhanden ist – so frotzeln die Studierenden –, gibt es eben keine zeitnahen Verwendungsmöglichkeiten. Mit dieser Politik verspielt die Landesregierung viele Zukunftspotenziale. Dieser Bildungsstreik ist völlig nachvollziehbar.

Wenn sich der Ministerpräsident so gerne mit seiner Nachfolge von Johannes Rau rühmt, so sei klar: Johannes Rau wäre niemals auf die Idee gekommen, mit Studiengebühren neue Hürden aufzubauen

(Ute Schäfer [SPD]: Richtig!)

und die Bildungschancen an den Geldbeutel der Eltern zu knüpfen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Frau Kollegin, beachten Sie Ihre Redezeit.

Schaffen Sie die Gebühren ab, zeigen Sie Gestaltungswillen und eröffnen Sie mehr Bildungschancen! – Vielen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Boos. – Für die CDU-Fraktion erhält der Abgeordnete Dr. Brinkmeier das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Demonstrationsrecht ist eines der wichtigsten Grundrechte bei uns in der Demokratie. Politik ist gut beraten, aufmerksam zu registrieren, wer wofür oder wogegen demonstriert. Die Kollegen von SPD und Grünen haben eben ihre Sicht der Dinge zum Thema Bildungsstreik zum Besten gegeben.

Für die CDU sage ich Folgendes: Auch wir haben uns genau angeschaut, wer da in der letzten Woche auf den Straßen war und welche Themen wie behandelt wurden. Auf die Inhalte gehe ich gleich noch ein.

Zunächst ein Wort zu den Akteuren: Im Gegensatz zu Ihnen, Frau Kollegin Seidl, differenzieren wir ziemlich genau, wenn es um die Akteure geht, die sich dort beteiligt haben. Im Wesentlichen kann man drei Gruppen festmachen, die in der Aktionswoche sehr aktiv waren.

Zum einen waren da diejenigen, die aufrecht und ernsthaft auf die Straße gingen, um aus ihrer Sicht auf Fehlentwicklungen und Missstände aufmerksam zu machen. Hier lohnt sich sicherlich der Dialog, den wir auch betreiben. Eine sachliche Auseinandersetzung – da sind wir uns sicherlich alle einig – kann tatsächlich alle weiterbringen. In diesem Sinne befürworte ich es sehr, dass Bundesbildungsministerin Schavan für den 7. Juli zu einer Konferenz hierzu eingeladen hat. Das ist die erste Gruppe, die wir auch sehr ernst nehmen.

Zum anderen ist da noch eine zweite Gruppe, das waren die Schülerinnen und Schüler, die zahlenmäßig vielleicht sogar die größte der drei Gruppen war. Mein Kollege Recker wird sich gleich auch noch mit den schulpolitischen Aspekten beschäftigen. Nur so viel sei gesagt – das bestätigt auch alle Lebenserfahrung –: Ein nicht unerheblicher Teil dieser Schülerinnen und Schüler hatte überhaupt nichts dagegen, ein, zwei Tage nicht im Klassenzimmer sitzen zu müssen. Das ist die Lebensrealität.

(Beifall von der CDU – Widerspruch von der SPD – Marc Jan Eumann [SPD]: Unglaub- lich!)

Es hat mich sehr gefreut, dass Sie sich jetzt empören, das habe ich nämlich erwartet. Bitte empören Sie sich weiter.