Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Bildung ist zweifellos die soziale Frage der Gegenwart. Das Verdienst dieses Bildungsstreiks ist es, uns alle – die politische und die allgemeine Öffentlichkeit – auf dieses wichtigste Politikfeld erneut aufmerksam gemacht zu haben. Ralf Dahrendorf, der unlängst verstorbene große Liberale, hat bereits in den 1960er-Jahren gesagt, dass Bildung ein Bürgerrecht ist. Daraus leitet sich selbstverständlich ab, dass es der Staat zu einem seiner zentralen Handlungsfelder machen muss, allen beste Bildungschancen zu eröffnen.
(Beifall von der FDP – Demonstrativer Beifall von Martin Börschel [SPD] – Martin Börschel [SPD]: Richtig!)
Das ist klar. Dieser Bildungsstreik und diejenigen, die dort demonstriert haben, verdienen Respekt dafür, dass sie in dieser Weise unsere politische Debatte bereichert und angeregt haben. Aber Respekt für eine Demonstration heißt eben noch nicht, dass man sich jede einzelne Forderung zu Eigen machen könnte, meine Damen und Herren.
Ganz im Gegenteil: Die Perspektive, die hier aufgemacht worden ist, führt uns gerade von einer Politik, die Chancen für alle bietet, weg. Ich werde das gleich an einigen Beispielen noch einmal deutlich machen.
Es ist falsch, den Eindruck zu erwecken, wie das die Initiatoren des Bildungsstreiks gemacht haben, man könnte ein Bildungssystem ohne eigene Anstrengungen der Lernenden organisieren.
Es ist falsch, ein Bildungssystem zu fordern, das vor allen Dingen auf den Staat setzt und nicht auf die Einsatzbereitschaft, die Anstrengungsbereitschaft, die Lernbereitschaft des Einzelnen.
Es ist auch falsch, von Chancen zu sprechen, in Wahrheit aber Garantien zu meinen. Das sind Chancen nämlich nicht. Chancen sind immer nur Türen, die geöffnet werden. Durch die Tür hindurchgehen muss jeder Einzelne. Dafür braucht er Möglichkeiten, Rahmenbedingungen, aber auch individuelles Leistungsvermögen.
Von Grünen und SPD ist heute Morgen in dieser Debatte der Versuch unternommen worden – das ist intellektuell beschämend –, aus einer bundesweiten Demonstration eine nordrhein-westfälische Besonderheit zu machen.
Sie haben den Versuch unternommen, den Bildungsstreik ausschließlich auf Nordrhein-Westfalen und auf all das, was Sie die letzten Jahre immer schon kritisiert haben, zu beziehen. Sie haben übersehen – Kollege Brinkmeier hat darauf hingewiesen –, dass auch in Mainz demonstriert worden ist. Sie haben übersehen, dass in Hamburg und Bremen, wo die Grünen in der Regierung sitzen, demonstriert worden ist. Das ist unredlich, was Sie hier machen!
Sie versuchen, ein billiges parteipolitisches Süppchen zu kochen, und das fällt allen auf der Tribüne auf.
Was die Repräsentativität angeht, muss man auch sagen: Wir leben in einer Demokratie, und in einer Demokratie entscheiden Mehrheiten.
In einer Demokratie wird nach Allgemeinwohl entschieden. Hier haben – bei allem Respekt – 30.000 Schüler von 3 Millionen Schülern demonstriert: 1 %. Das ist aus meiner Sicht kein repräsentatives Stimmungsbild.
Ich füge ein Weiteres hinzu. Ich habe mit Schülern aus meinem Wahlkreis gesprochen, die sich in den Bildungsstreik eingliedern wollten. Die waren überrascht, als sie gesehen haben, für was sie eigentlich im Einzelnen demonstrieren.
Natürlich demonstrieren Schüler immer für ihre Chancen, für ihre Rechte, für mehr Lehrer. Aber die Gymnasiasten aus Bergisch Gladbach, mit denen ich gesprochen habe, hätten niemals demonstriert, wenn sie gewusst hätten, dass sie in Wahrheit gegen das gegliederte Schulsystem demonstrieren sollen. Dafür wären die niemals auf die Barrikaden gegangen.
Da sind manche hinters Licht geführt und in ihrem Einsatz missbraucht worden für die Ziele linker und altlinker Gruppen, die sie in Wahrheit nicht unterstützen. Auch das muss gesagt werden.
Ich mache noch einige wenige inhaltliche Anmerkungen zu den zentralen Forderungen, weil wir sie vielfach diskutiert haben.
Studienbeiträge: Wir haben in Nordrhein-Westfalen durch ganz konkrete Maßnahmen, durch die Studienbeiträge, erreicht, dass den Hochschulen mehr Geld zur Verfügung steht – Geld, das nicht für die Verbesserung der Lehre zur Verfügung stehen würde, wenn es aus dem Landeshaushalt käme.
Denn Sie wissen, mit jedem Euro aus dem Landeshaushalt müssen zusätzliche Kapazitäten, sprich: Studienplätze, geschaffen werden. Mit privatem Geld wie den Studienbeiträgen kann die Lehre verbessert werden. Das werden auch die Studierenden in Hessen erleben. Sie werden erfahren, dass sich durch die Abschaffung der Studienbeiträge ihre Lernbedingungen ganz konkret verschlechtern werden.
Übrigens hat schon Peter Glotz, der große SPDBildungspolitiker, gesagt: entweder eine gute Ausbildung gegen eine mäßige Gebühr oder ein beschissenes Studium umsonst.
Das war Peter Glotz. Schauen Sie bitte Ihre eigenen bildungspolitischen Autoritäten an, was die Ihnen zu diesen Fragen sagen, was die sagen, was wirklich sozialverantwortliche Politik ist!
Noch ein Satz zu Bologna: Wer hat denn die Bologna-Dokumente unterschrieben, wenn sich die SPD hier einen solch schlanken Fuß macht? Wer war denn? Es war 1999 Ute Erdsiek-Rave, die schleswig-holsteinische Bildungsministerin – SPD –, die die Bologna-Dokumente unterschrieben hat. Sie verkennen, dass an den Hochschulen in NordrheinWestfalen, an denen unterdessen über 75 % der Studiengänge umgestellt worden sind, immense konzeptionelle Arbeit geleistet worden ist, auch Inhalte zu aktualisieren. Das hätte es ohne diesen Prozess nicht gegeben. Er ist also im Interesse der Studierenden, weil er zu neuen Inhalten und neuen Methoden führt.
Das heißt nicht, dass schon alles fertig ist, dass wir nicht auch noch Defizite haben, an denen zu arbeiten ist. Ich nenne die Mobilität in Europa. Das muss verändert werden. Da muss es noch weitere Synchronisationen zwischen den Hochschulstandorten
Das sagen die Studierenden übrigens selbst, wenn man nicht nur ein paar auf der Straße befragt. Eine aktuelle Studie des Hochschulinformationssystems zur Zufriedenheit der Studierenden zeigt: 46 % der Bachelor-, 56 % der Master-Studierenden sind mit ihrem Studium zufrieden. Das ist zu wenig, es ist aber mehr als vorher. Denn vorher waren es nur 43 %. Es hat also eine Verbesserung durch den Bologna-Prozess gegeben.
Ein letzter Gedanke, Herr Präsident. Weil hier immer von der Viergliedrigkeit des Schulsystems gesprochen wird, die aus angeblich sozialen Gründen überwunden werden müsste, eine Forderung des Bildungsstreiks, die auch im Antrag der Grünen steht. Was passiert denn, wenn wir ein Einheitsschulsystem haben, weil die Eltern dieses System mehrheitlich nicht akzeptieren? Dann werden diejenigen, die es sich leisten können, ihre Kinder auf Privatschulen schicken. Dem öffentlichen Bildungssystem bleiben dann nur diejenigen erhalten, die es sich nicht leisten können, ihre Kinder auf die Schulen des privaten Schulsystems zu schicken.
Ihre bildungspolitische Konzeption der Einheitsschule läuft auf eine Spaltung der Gesellschaft hinaus.
Das wollen wir nicht. Das ist nicht sozial. Nicht jede scheinbar soziale Forderung führt auch zu sozialen Ergebnissen, meine Damen und Herren!
(Beifall von FDP und CDU – Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Das war unterirdisch! – Rüdiger Sagel [fraktionslos]: Es wird immer noch schlimmer! –Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Vom Kampf-Bambi zum kleinen Demagogen!)
Vielen Dank, Herr Kollege Lindner. – Für die Landesregierung erhält Herr Minister Dr. Pinkwart das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße es außerordentlich, dass mit dem Bildungsstreik das Thema Bildung erneut in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit in Deutschland gerückt ist, und zwar die gesamte Bildungskette und nicht nur einzelne Institutionen, einzelne Phasen der Bildung.
Das gibt mir erstens die Hoffnung, dass wir endlich einen breiten Konsens darüber herstellen, dass Bildung die zentrale, auch die zentrale soziale Frage unserer Zeit ist und wir deshalb für Bildung in
Deutschland, meine sehr verehrten Damen und Herren, als Wohlstandsland braucht nicht irgendeine Bildung. Deutschland braucht, wenn wir Wohlstand, Arbeit, aber auch unsere kulturellen Fähigkeiten bewahren wollen, die beste Bildung in der Welt. Deswegen brauchen wir beste Schulen und beste Hochschulen in der Welt. Das muss Anspruch deutscher Bildungspolitik sein.