Protocol of the Session on May 27, 2009

(Beifall von der FDP)

Das Motto „Privat vor Staat“ ist keine marktradikale Politik. Das war es nie. Es ist schlichte Vernunft und klare, europafreundliche Ordnungspolitik.

Die Novelle der Gemeindeordnung war ein Meilenstein bei der Modernisierung Nordrhein-Westfalens.

(Horst Becker [GRÜNE]: Ein Mühlstein!)

Wir haben dadurch die kommunale Selbstverwaltung sowie Mittelstand und Handwerk gestärkt. „Privat vor Staat“ heißt: zukunftsorientierte Verwaltung durch Innovation unter Einbindung privater Kompetenz.

(Beifall von der FDP)

Die Vorstellungen der Europäischen Union und der SPD bei den Themen „Deregulierung“ und „Wettbewerb“ könnten unterschiedlicher nicht sein. Die SPD möchte am liebsten einen Freibrief für alle öffentlichen Dienstleistungen in Europa. Weder das Wettbewerbsrecht noch die Regeln des Binnenmarktes sollten hier gelten.

(Marc Jan Eumann [SPD]: So ein Quatsch!)

Dabei räumt die EU den Mitgliedstaaten schon seit Längerem einen weitgehenden Gestaltungsspielraum bei der Definition der nationalen öffentlichen Daseinsfürsorge ein.

(Marc Jan Eumann [SPD]: Nicht jeder, der Engel heißt, kommt in den Himmel!)

Herr Eumann, wenn Sie davon sprechen, die Landesregierung habe mit den landesrechtlichen Änderungen der Gemeindeordnung und im Sparkassengesetz Beschlüsse des Bundesrates unterlaufen – so schreibt es die SPD in ihrem Antrag auf Seite 3 oben –, ist das staatsrechtlich sicherlich optimierungsbedürftig.

(Beifall von der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Mai 2006 hatten die Sozialisten im Europäischen Parlament erneut eine Rahmenrichtlinie zur Daseinsfürsorge gefordert und einen Entwurf zur Identifizierung und Absicherung von Dienstleistungen im Gemeinwohlinteresse vorgelegt. Zeitgleich hatte die Gewerkschaft ver.di in Nordrhein-Westfalen ein entsprechendes Eckpunktepapier vorgelegt.

Nun versuchen Sie hier im Parlament – wir haben es bereits gehört – ein zweites Mal Ihr Glück, und zwar dieses Mal mit einer leicht veränderten Forderung, während die SPD auf Bundesebene augenscheinlich handlungsunfähig oder -unwillig zu sein scheint.

(Bodo Wißen [SPD]: Scheint!)

Mit Ihrem Antrag aus dem Jahre 2007 forderten Sie eine Rahmenrichtlinie. Heute ist es ein Rechtsrahmen zur Daseinsfürsorge. Das Spannungsverhältnis zwischen europäischem Wettbewerbs- und Vergaberecht, privaten Interessen und solchen der kommunalen Selbstverwaltung löst man aber nicht mit einem solchen Rechtsrahmen auf europäischer Ebene.

Herr Kollege Engel, der Kollege Kuschke möchte Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Wollen Sie die zulassen?

Bitte schön, Herr Kollege Kuschke.

Herr Kollege Engel, die Veröffentlichung, die ich gerade schon einmal hochgezeigt habe, ist vor wenigen Wochen erschienen, also im Jahre 2009.

Was, glauben Sie, hat Herrn Krautscheid dazu gebracht, das für aktuell und notwendig zu halten, dass man es in einer solch kompakten Form auf den Tisch bekommt und darüber spricht?

Ich bin weder Hellseher noch Tiefenpsychologe. Sie müssten Herrn Krautscheid selber fragen. Aber ich glaube, aus Sicht einer regierungstragenden Fraktion, wie es die FDP ist, kann ich es nur so werten, dass er unsere Politik noch einmal erläutert und unterstützt.

(Lachen von der SPD)

Anders kann es gar nicht sein.

(Marc Jan Eumann [SPD]: Das war keine Fangfrage, das war eine Fangantwort!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zum Schluss: Auf Landesebene wollen Sie Gegebenheiten mit untauglichen Mitteln lösen. Dabei können wir Ihnen leider nicht helfen. Auf europäischer Ebene ist man schon viel weiter. Ihren Antrag betrachte ich mit Skepsis. Schauen wir einmal, wie die Beratungen darüber im Ausschuss laufen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Engel. – Als nächster Redner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Abgeordnete Becker das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal, Herr Engel, macht das, was wir gerade von Ihnen gehört haben, deutlich, warum die FDP in einer Reihe von wesentlichen Fragen, nämlich immer dann, wenn es um ordnungspolitische Rahmenbedingungen geht, hier im Haus – aus meiner Sicht jedenfalls – den marktradikalen Rand des Parlaments bildet. Ich fühle mich manchmal an den Kollegen Sagel spiegelbildlich erinnert, wenn ich Ihnen beiden – der

Linken auf der einen und der FDP auf der anderen Seite – in Bezug auf die Daseinsvorsorge zuhöre. Sie stellen sozusagen die Ränder der Unvernunft dar.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das haben wir heute wieder erleben können.

Meine Damen und Herren, der Antrag der SPD nennt aus unserer Sicht einige gewichtige Probleme, die sich für die öffentliche Daseinsvorsorge im Zusammenhang mit der Entwicklung eines europäischen Binnenmarktes und dem europäischen Wettbewerb in der Tat stellen.

(Ralf Witzel [FDP]: Ganz schwache Num- mer!)

Wenn Sie sich darüber aufregen, dass ich das gesagt habe, finde ich das angemessen. Sie sollen sich auch aufregen. Aber vor allen Dingen sollten Sie in sich gehen und Ihre Positionen ändern. Das wäre für dieses Parlament angemessen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Ich sage es gerne noch einmal: Aus unserer Sicht greift der Antrag der SPD die richtigen Probleme auf. Die Probleme werden richtig benannt.

Des Weiteren müssen wir feststellen, dass die EU bei der Daseinsvorsorge auch deswegen ein Problem ist, weil wir mit unserer Rechtsverfassung und unserer Rechtsstellung der Kommunen, die im Gegensatz zu der in vielen anderen europäischen Ländern sehr stark ist, in der EU eine Sonderstellung einnehmen. Vor diesem Hintergrund werden wir von der EU auch sehr oft nicht angemessen behandelt.

Ich glaube aber auch, dass gerade jetzt in der Finanzkrise deutlich wird, dass wir uns glücklich schätzen können, starke Kommunen und eine kommunale Selbstverwaltung zu haben. Insofern können auch Kommunen noch dazu beitragen, dass öffentliche Aufträge erteilt werden und öffentliche Daseinsvorsorge im Sinne der Bürgerinnen und Bürger gestaltet wird. Das ist zum Beispiel bei der Versorgung mit Wasser und Energie, bei der Abwasser- und Müllentsorgung sowie im Personennahverkehr oder auch in der Gesundheits- und Sozialpolitik der Fall.

Wenn ich Ihnen so zuhöre, stelle ich mir die Frage, ob Sie tatsächlich immer noch meinen, der Markt könnte alles regeln oder sollte nahezu alles regeln. Dieses Bild bricht meines Erachtens gerade zusammen. Nach meiner Einschätzung befinden wir uns in einer ähnlichen Wendezeit, wie es beim Zusammenbruch des Ostens der Fall gewesen ist. Der marktradikale Kapitalismus, also das, wofür Sie stehen, der nichts mit sozialer Marktwirtschaft zu tun hat, befindet sich, glaube ich, in einer ganz, ganz großen Existenzkrise.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Meine Damen und Herren, ich sage das auch vor dem Hintergrund, dass Sie und andere, die diese marktradikale Position auch gegenüber der Daseinsvorsorge einnehmen, sich immer wieder gerne hinter dem EuGH verstecken. Auch an dieser Stelle neige ich zum Klartext. Der EuGH – das wissen alle, die sich mit den entsprechenden Fragen beschäftigen – ist in der Tat ein Gerichtshof, der eine marktradikale Position in der EU durchsetzt.

(Beifall von Andrea Asch [GRÜNE])

Überall dort, wo die EU-Kommission und das Europäische Parlament es nicht vermocht haben, sich auf klare Regeln zu verständigen, werden diese vom EuGH in einer extrem wettbewerbsverzerrenden Art und Weise interpretiert.

Deswegen sind wir sehr dafür, dass die Bundesregierung und wir uns insgesamt darum bemühen, in der EU klare Definitionen durchzusetzen.

Dazu zählt natürlich auch, dass die Bundesregierung ihre Rolle im Sinne der Kommunen spielt. Diesen Punkt will ich hier kritisch anmerken, Herr Kollege Kuschke; denn das klappt nicht immer. Manches Mal ist sie auch untätig geblieben.

Ich nenne nur ein Beispiel aus dem März. Hätten wir in der Frage der interkommunalen Zusammenarbeit frühzeitig über die Bundesregierung reingegrätscht, wäre es nicht zu der Ausschreibungspflicht gekommen, wie die EU sie verlangt. Auf Druck der Wirtschaftsverbände und auf Druck der CDU innerhalb der Koalition wurde die entsprechende Position gegenüber der EU aber wieder aufgeweicht, sodass das Ganze jetzt der Ausschreibungspflicht unterliegt. -Das ist eines von vielen Beispielen.

Meines Erachtens müssen wir uns in der Tat dafür einsetzen, dass die EU die kommunale, die öffentliche Daseinsvorsorge so begreift, wie sie hier von den Kommunen verstanden wird. Das ist für eine kostengünstige Erbringung qualitativ hochwertiger Dienstleistungen für die Bürgerinnen und Bürger unverzichtbar.

Herr Kollege Engel, Ihnen will ich nur folgenden Hinweis geben: Insbesondere aus Kostengründen und gerade auch wegen der Korruption, die stattgefunden hat, gehen im Moment auch in diesem Land reihenweise Gebietskörperschaften, auch mit CDUMehrheiten, wieder dazu über, etwa die Müllentsorgung aus der Privatisierung wieder herauszunehmen und sie wieder zu rekommunalisieren. Das ist ein Beleg für das genaue Gegenteil der Position, die Sie hier vertreten haben. – Schönen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Becker. – Meine Damen und Herren, als nächster Redner hat für die Landesregierung in Vertretung von Herrn Minister Kraut