Drittens – ich hoffe, auch da herrscht Konsens – sind wir gemeinsam gefordert, dass wir in Zukunft nicht in eine solche Situation geraten.
Wenn das unser Ziel ist, dann ist es allerdings notwendig, dass wir die Handlungsfelder in der Politik, die uns zur Verfügung stehen, klug nutzen. Hier – ich schließe das bewusst an die Debatte an, die wir eben geführt haben – muss der Grundgedanke, der sich quer durch alle Arbeitsfelder zieht, sein: Integrieren und nicht separieren!
Das muss für die Schulpolitik gelten. Hier darf nicht aussortiert, sondern muss individuell gefördert werden. Das muss bei der Wirtschafts- und Sozialpolitik gelten, wo wir nicht die Tendenzen verstärken dürfen, die eine immer größere Trennung zwischen Arm und Reich forcieren. Und – darum geht es uns heute bei dieser Debatte – es muss auch für die Stadtentwicklungspolitik gelten. Hier muss die städtebauliche Grundlage gesichert werden, dass ein friedliches Zusammenleben, dass Integration gefördert wird und nicht die Tendenzen zur Separation nach sozialer und ethnischer Herkunft durchschlagen.
Ursachen und Gründe in der Gewaltdebatte sind lange bekannt und erforscht. Sie liegen in den Suburbanisierungsprozessen der letzten Jahrzehnte und in der regionalen Umverteilung der Bevölkerung nach Lebenslagen, also arm und reich, und nach Lebensformen, also Menschen mit Kindern und Menschen ohne Kinder. Stadtteile mit höchsten Anteilen von Kindern sind zugleich jene mit besonders hohen Armutsquoten, hoher Arbeitslosigkeit, einem hohen Anteil an Alleinerziehenden und besonders vielen Aussiedlerinnen und Aussiedlern.
Auf die räumliche Konzentration sozialer Probleme und benachteiligter Haushalte hat das Land Nordrhein-Westfalen zu Beginn der 90er-Jahre mit dem Handlungsprogramm „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf“ reagiert und war damit Vorbild für entsprechende Bundesprogramme, nämlich das Programm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die soziale Stadt“.
In den Quartieren wurde eigenständiges Stadtteilleben gefördert und ausgebaut, der Zusammenhalt gestärkt, Angebote für Begegnungsmöglichkeiten, Sprachförderung, Konfliktmanagement und Präventionsarbeit vorgehalten. Jugendliche wurden gefördert durch Qualifizierung und Ausbildung
bei dem Einstieg in die Erwerbsarbeit. Auch kulturelle Strategien waren und sind darauf ausgerichtet, den Stadtteil zum Erlebnisort der Menschen zu machen.
Dieser kleine Auszug aus den unterschiedlichen Handlungsfeldern verdeutlicht eines: den integrativen und ressortübergreifenden Ansatz.
Meine Damen und Herren, die rot-grüne Landesregierung und der ehemalige Minister Vesper waren auf dem richtigen Weg. Ich begrüße ausdrücklich, dass auch Minister Wittke erklärt hat, er wolle die Programme der sozialen Stadt fortführen, und auch Herr Laschet in einem Interview ausdrücklich gefordert hat, dass die Mittel für Integration ausgebaut werden müssen.
Aber: Zur Bewältigung dieser Situation und zu einer Gesamtsituation, die das ernst meint, gehört, dass wir den sozialen Wohnungsbau nicht kürzen oder einstampfen, sondern fortsetzen, gehört auch, dass wir verantwortlich mit dem öffentlichen Wohnraum, der noch im Besitz des Landes und der LEG ist, umgehen,
und gehört, dass wir nicht leichtfertig eine Kündigungssperrfristverordnung außer Kraft setzen, die eines der Steuerungsinstrumente war, sodass wir Stadtpolitik in Nordrhein-Westfalen anders darstellen konnten, als es sonst der Fall gewesen wäre.
Meine Damen und Herren, die Enquetekommission hat in ihrem Bericht, der einstimmig verabschiedet wurde, in dem Kapitel „Lebensqualität und soziale Stabilität“ darauf hingewiesen, dass man mit der modernen Stadtgesellschaft, wenn man den Handlungskatalog umsetzt, der dort vorhanden ist, weiterkommen kann, dass wir Integration und nicht Separation fördern müssen und dass wir insgesamt als Landtag und als Land Nordrhein-Westfalen nicht in eine Situation rutschen dürfen, in der wir hinterher mit Notstandsgesetzen, mit Polizeiaufmarsch, mit der Diskussion „Müssen wir möglicherweise Militär einsetzen?“ oder Ähnlichem reagieren.
Ich weiß, dass wir das nicht dürfen, ich weiß aber auch, dass selbst Herr Schily darüber schon diskutiert hat, Herr Kollege.
Zusammengefasst: Wir müssen die Prävention nach vorne rücken, statt hinterher zu reparieren. Darum bitte ich Sie. Wir bieten Ihnen an, dass wir mit Ihnen zusammenarbeiten und im Landtag ins
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben ein Europa der offenen Grenzen. Darauf sind wir stolz. Wenn heute die „Rheinische Post“ titelt „Frankreich brennt“, dann kann uns das nicht gleichgültig sein, denn wir wissen alle: Wenn das Haus des Nachbarn brennt, ist auch das eigene Haus gefährdet.
Natürlich sind die gegenwärtigen Verhältnisse in den Vororten der französischen Städte nicht vergleichbar mit der Situation in benachteiligten Quartieren in Deutschland, in NordrheinWestfalen.
Während Frankreich durch seine koloniale Vergangenheit ein klassisches Zuwanderungsland ist, ist Deutschland, ist Nordrhein-Westfalen seit Jahrzehnten vor allem Anziehungspunkt für Arbeitsmigranten. Die Integrationsbemühungen wurden anfangs stark vernachlässigt, haben aber mittlerweile stetig zugenommen.
Wir müssen die Entwicklung in Frankreich sehr sorgfältig beobachten. Es sind Zweifel angebracht, dass die Schwierigkeiten an den dortigen Brennpunkten ausschließlich über Polizeistrategien bewältigt werden können.
In Nordrhein-Westfalen setzen wir in erster Linie auf Prävention durch gebündelte und integrative Maßnahmen in der Städtebau-, Wohnungs-, Bildungs- und Integrationspolitik, die nicht nur in Großstädten, sondern auch in Klein- und Mittelstädten greifen. Es ist nicht angebracht, nur von den Metropolen zu sprechen. Auch manche Kleinstädte in Nordrhein-Westfalen wie Werdohl haben einen hohen Bewohneranteil mit Migrationshintergrund und sind von der Montanindustrie im Stich gelassen worden, als die ihre Standorte aufgegeben hat.
Mit dem Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ haben wir in Nordrhein-Westfalen ein unverzichtbar gewordenes Instrument, um den vorhandenen Missständen sowohl in städtebaulicher als auch in sozialer Hinsicht aktiv entgegenwirken zu können. Zentraler Handlungsansatz der „Sozialen Stadt“ sind die integrativen Handlungskonzepte und die ressortübergreifende Förderung der Stadtteile.
Wir sind davon überzeugt, dass nur gebündelte und aufeinander abgestimmte Strategien, die vor Ort konzipiert und umgesetzt werden, die Probleme in den benachteiligten Quartieren auf Dauer lösen können.
Wir müssen das Programm kontinuierlich verbessern und fortentwickeln. Und wir müssen uns mit Blick auf Frankreich immer wieder dazu zwingen, den quartiersbezogenen Auswirkungen von Arbeitslosigkeit, von Armut, des Wegzugs einkommensstarker Bewohner und insbesondere der sozialen und ethnischen Diskriminierung und Entmischung massiv zu begegnen.
Bei allen Sparzwängen auf Bundes- und Landesebene muss das Programm „Soziale Stadt“ im Kern erhalten bleiben. Ich bin froh, dass nach dem gegenwärtigen Stand der Koalitionsverhandlungen in Berlin davon auszugehen ist, dass das Programm fortgeführt und die Bündelung der ressortübergreifenden Maßnahmen verbessert wird. 2005 hat Nordrhein-Westfalen nach der geltenden Verwaltungsvereinbarung aus diesem Programm 15,7 Millionen € erhalten. Man wird nach Abschluss der Verhandlungen in Berlin sehen, was aus diesem Betrag im nächsten Jahr wird.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, auch die Anhörung im Deutschen Bundestag zum Programm „Soziale Stadt“ im April dieses Jahres bestärkt den ressortübergreifenden Ansatz. Insbesondere das wachsende bürgerschaftliche Engagement und die gewachsene Aufmerksamkeit der Bürger für den Stadtteil machen sich bemerkbar. Erkennbar sind Defizite in der Kriminalprävention und vor allem in der örtlichen Arbeitsmarktsituation.
Auch bei der Stabilisierung der Bewohnerstrukturen, der sozialen Integration besteht noch klarer Nachholbedarf. Die Problematik wird durch die demographische Entwicklung deutlich verstärkt. Bewohner mit Migrationshintergrund werden die Bevölkerungsstruktur in den großen Städten zunehmend dominieren. Vielfach gehören sie zu denjenigen Schichten, die den Status des Transferleistungsempfängers von Generation zu Generation weitervererben.
Viele Kommunen hatten bei der Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes die Erwartung an den Bundesgesetzgeber, den Zuzug bestimmter Zielgruppen verhindern zu können. Diesen Erwartungen wurde nicht entsprochen. Es stellt sich aber doch sehr deutlich die Frage, welche Instrumente innerhalb einer Stadt die Konzentration bestimmter Bevölkerungsgruppen bis hin zur Gettobildung verhindern können. Das wird Gegenstand konkre
In der Enquetekommission „Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen“ in der letzten Legislaturperiode haben wir die Eckpunkte für das integrierte Konzept der Stadtentwicklungsförderung, der Pauschalierung von Fördermitteln und des Fördercontrollings ressortübergreifend, fraktionsübergreifend und in breitem Einvernehmen formuliert. Wir sind uns aber alle bewusst, dass diese Instrumente schon deswegen nicht von heute auf morgen umgesetzt werden können, weil damit ein grundlegender Paradigmenwechsel sowohl in der Förderpolitik als auch in den Köpfen der Handelnden verbunden ist.
Ich habe die Erfahrung und Befürchtung, dass dieser Paradigmenwechsel in vielen Häusern der Landesregierung noch nicht vollzogen ist. Es ist deshalb die Aufgabe, die Strategie schrittweise umzusetzen. Deswegen ist auch im Koalitionsvertrag von CDU und FDP die Regionalisierung beziehungsweise die Kommunalisierung der Stadterneuerungsförderung als ganzheitlicher Förderansatz vereinbart. Als ersten Schritt sehen wir ein Modellprojekt vor, um das Konzept der Pauschalierung und des Controllings in einer Region praxisnah zu erproben. Ich hoffe, dass wir das gemeinsam schultern können.
Die Koalition ist bereits jetzt dabei, nicht mehr zeitgerechte Restriktionen im Mietrecht abzuschaffen. Ich nenne Stichworte wie Kündigungssperrfristverordnung und Fehlbelegungsrecht. Gerade in den benachteiligten Stadtteilen, die gleichzeitig massiv Einwohner verlieren, sehen wir die Chance, auch durch Stärkung des Eigentums sozial stabilisierende Haushalte in den Beständen zu halten oder sie sogar neu in die Quartiere zu holen.
Wir legen einen Schwerpunkt auf die Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf, um städtebauliche Missstände in hoch verdichteten Gebieten zu beheben, Stichwort „Stadtumbau West“. Dazu gehören auch die Förderung des Rückbaus von Wohnraum und die Rücksicht auf Kommunen, die nach § 81 der Gemeindeordnung unter vorläufiger Haushaltsführung stehen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, wir haben in Nordrhein-Westfalen den Weg der Prävention noch längst nicht zu Ende geführt. Ich bin mir aber sicher, dass eine konsequente Fortführung dieses Weges der Prävention auch unter dem Vorzeichen verringerter Finanzen dazu führt, dass wir die Probleme in unseren Stadtteilen friedlich regeln, dass wir eine Deeskalierungsstrategie fah
ren und dass wir das, was wir derzeit erleben, nicht zum Standard in unseren Städten, in unserem Lande werden lassen. Ich bin da sehr guten Mutes. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Schulte. – Für die SPD-Fraktion hat Frau Abgeordnete Altenkamp das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal sollte man feststellen, dass wir in Deutschland und auch in Nordrhein-Westfalen nicht solche Verhältnisse wie in Frankreich haben. Das ist auch gut so. Wenn man das konstatiert, dann sollte man sich vielleicht auch noch einmal mit der Situation in Frankreich beschäftigen. Ich werde das jetzt ein bisschen tun.
Wie stellt sich die Situation dar? – Wir haben Vorstädte, die in fürchterlichem baulichem Zustand sind. Manche Renovierungssituationen sind 15 bis 20 Jahren her. Es gibt Schilderungen von Mietern, die schon seit mehreren Jahren keinerlei Kontakt mehr zu den Eigentümern haben und somit auch mit ihren gesamten Reparaturarbeiten und Notständen keinen Ansprechpartner finden. Wir haben marode, heruntergekommene Gebäude der 60er-Jahre mit sehr schlechter Bausubstanz.
Es gibt ethnisch geprägte Stadtquartiere mit bis zu 80, 90 % unterschiedlichster Ethnien. Im Großen und Ganzen aber zwei: Maghreb und Schwarzafrika. Es gibt öffentliche Einrichtungen, die seit mehr als fünf Jahren geschlossen sind. Es gibt keine Jugendeinrichtungen mehr, und es findet so gut wie kein ehrenamtlich moderiertes Gespräch mehr zwischen den Bürgerinnen und Bürgern statt.
Die Polizisten empfinden den Einsatz oder die Arbeit in diesen Stadtquartieren als Strafkommando. Vielfach gehen sie in bestimmte Bereiche und Quartiere überhaupt nicht mehr hinein. Jeder zweite Jugendliche unter 20 ist ohne einen Job und auch ohne eine Aussicht oder Chance auf einen Job. Das wird nicht zuletzt an seiner Adresse in diesen Vorstädten fest gemacht.
Wir haben hier in Nordrhein-Westfalen das Programm „Soziale Stadt“. 1993 haben wir den Vorläufer dieses Programms eingeführt, und seit vielen Jahren wird es auf der ganzen Breite in Nordrhein-Westfalen verwirklicht. Das war eine Sache der alten Landesregierung und der vorvorigen Landesregierung. Ich finde die Auffassung der jet
Wir haben Quartiere und Stadtteile, die durch unterschiedliche Maßnahmen stabilisiert werden: Stadtteilbüros, moderierte Stadtteilkonferenzen und Bürgerbeteiligung. Das sind manchmal schwierige Prozesse, aber sie führen dazu, dass in den Stadtteilen wirklich Frieden herrscht. Ein Schwerpunkt des Programms ist es, die Wohnsubstanz zu erhalten. Ich halte diesen Aspekt für ausgesprochen wichtig. Wir haben bei dem Erhalt der Wohnsubstanz immer darauf geachtet, dass die Bürgerinnen und Bürger, die Akteure und die Eigentümer in diese Prozesse einbezogen wurden. Der Unterschied zu Frankreich ist also: Wir geben keinen Stadtteil in Nordrhein-Westfalen auf, und wir gehen auf die Bürgerinnen und Bürger in diesen Stadtteilen zu.