4 Die Umsetzung der individuellen Förderung verstärkt vorantreiben: Pädagogische Qualität in der Fläche stärken und die Zahl der Gütesiegelschulen ausweiten
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den vorliegenden Antrag sehe ich als Symbol für Aufbruch und Neuorientierung, die im Bildungsbereich durch den Regierungswechsel eingeleitet wurde.
Meine Damen und Herren, zur Erinnerung: Nach 39 Jahren Regierungszeit der SPD und den hinreichend bekannten Ergebnissen in allen nationalen und internationalen Vergleichen mussten Veränderungen her. Es geht ganz einfach um bessere Zukunftsperspektiven der jungen Menschen in unserem Land. So haben wir bereits unmittelbar nach dem Regierungswechsel tiefgreifende Maßnahmen eingeleitet, den Kurs im Sinne einer nachhaltigen Qualitätssicherung und Verbesserung der schulischen Arbeit zu ändern.
„Bildungschancen sind Lebenschancen“, meine Damen und Herren, darauf hat unser Bundespräsident Horst Köhler in seiner Rede „Bildung für alle“ als Grundsatz hingewiesen. Diesen Satz haben auch wir als Messlatte genommen.
Meine Damen und Herren, jeder in unserer Gesellschaft wird benötigt, wir dürfen niemanden zurücklassen. Bei uns erhält jeder seine Chance, nicht nach ideologischen Vorgaben, sondern nach seinen individuellen Begabungen und Fähigkeiten.
Der Schlüsselbegriff hierzu heißt individuelle Förderung. Genau das ist der Leitbegriff des neuen Schulgesetzes. Das Ziel ist die Schaffung eines Schulwesens, in dem jedes Kind, jeder Jugendliche seine Begabungen und Talente möglichst optimal entfalten kann. Der Schlüsselbegriff individuelle Förderung muss aber, wie Fachleute sagen würden, operationalisiert, das heißt kleingearbeitet, also heruntergebrochen werden.
An dieser Stelle, meine sehr verehrten Damen und Herren, verdient unsere Ministerin Frau Sommern ein ausdrückliches Lob; denn hier wurden nicht wie üblich Pläne am Grünen Tisch geschmiedet, sondern es wurden gute Beispiele schulischer Arbeit aufgegriffen, systematisiert und Schulen vor allen Dingen als Orientierung zur Verfügung gestellt; denn es muss nicht jeder das Rad neu erfinden.
Für den Schulalltag heißt das: Individuelle Förderung ist auf die Versetzung als Regelfall ausgerich
tet, sie fordert und fördert die Durchlässigkeit zwischen den Schulformen im Sinne eines Aufstiegs und nicht im Sinne eines Abstiegs, sie setzt vor allem auf ermutigende Begleitung der Schülerinnen und Schüler und auf ihr individuelles Wissen und Können, und sie zielt auf die breite Mitte der Schülerinnen und Schüler, aber sie kümmert sich natürlich insbesondere um die Bereiche, wo Defizite sind, aber vor allen Dingen auch um Begabungen.
Tatsache ist: Wenn alle diese Elemente nicht nur im Schulprogramm einer Schule stehen, sondern sich auch in der Arbeit einer Schule wiederfinden, wenn alle diese Elemente den Unterricht und das schulische Leben prägen, dann kann und sollte sich diese Schule um das „Gütesiegel Individuelle Förderung“ bewerben. Die Aktion „Gütesiegel Individuelle Förderung“ ist eine Neuerung in unserem Schulsystem, die von Anfang an bei den Schulen nicht auf Ablehnung, sondern auf große Zustimmung stieß. – Das hat gute Gründe. Sie liegen im Steuerungsverständnis unserer neuen Schulpolitik.
Folgende Prinzipien sind dabei für uns ausschlaggebend, meine Damen und Herren: weg vom Topdown-Verfahren, weg von einem Planen am grünen Tisch, weg von einer überregulierten Schule und auch weg von einem Negativbild der Arbeit unserer Lehrerinnen und Lehrer. Wir setzen vielmehr auf die Potenziale unserer Kinder und Jugendlichen, denn jeder hat seine Stärken. Wir setzen auf den Sachverstand und die Professionalität unserer Lehrerinnen und Lehrer, ihren Elan, ihr Engagement für Kinder und Jugendliche. Wir setzen auf die Eigenverantwortlichkeit der Schulen und auch auf den Erfahrungsschatz der Akteure in den Bildungsregionen. Als Beispiele nenne ich Seniorexperten und vor allem die Jury „Gütesiegel Individuelle Förderung“.
Dieses Steuerungsverständnis wird auch auf anderen Feldern konkretisiert, zum Beispiel in den Konzepten der Qualitätsanalyse, der Einrichtung von Kompetenzzentren in der sonderpädagogischen Förderung, bei den Sprachstandstests und der Sprachförderung, der Initiative gegen das Sitzenbleiben und auch des Ausbaus der Ganztagsschulen.
Meine Damen und Herren, Sie sehen, die Maßnahmen zur individuellen Förderung fügen sich zu einem sinnvollen pädagogischen Gesamtkonzept zusammen und sind wichtige Bausteine für die erfolgreiche Umsetzung unseres neuen Schulgesetzes.
Eine Schlüsselstellung nehmen hierbei die Gütesiegelschulen ein. Sie werden von einer fachkundigen Jury ausgesucht und bekommen das Gütesiegel für drei Jahre verliehen. In dieser Zeit müssen sie sich noch einmal überprüfen lassen. Dann wird geschaut, ob aus den Programmen Konzepte und
schulische Wirklichkeit geworden sind. Schon heute stellen Gütesiegelschulen eindrucksvoll unter Beweis, wie gute Schulen funktionieren, und bieten weiteren Schulen in ihrer Region Orientierung und Unterstützung bei der Gestaltung einer gelingenden individuellen Förderung. Wenn Sie Tagungen und Kongresse erlebt haben, wie Schulen gerade BestPractice-Beispiele aufnehmen und alle davon profitieren, dann ist das schon mustergültig, meine Damen und Herren.
Allerdings brauchen Gütesiegelschulen und Schulen, die sich auf den Weg einer gelingenden individuellen Förderung begeben, weitere Unterstützung. Sie brauchen verlässliche Partner auf ihrem Weg, zum Beispiel in den Bereichen Lernschwierigkeiten, besondere Begabung und Hochbegabung, Schulmüdigkeit, Frühförderung, Berufsorientierung, Migrantenförderung, Jungen- und Mädchenförderung. Sie alle müssen konzeptgeleitet in die schulische Arbeit integriert werden.
Die Umsetzung hat hier bereits vieles geleistet und sollte nicht in ihren Bemühungen nachlassen, diesen Schulen weiterhin geeignete Unterstützungsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen.
Zugleich – das ist unser Wunsch und unsere Forderung – sollten die Gütesiegelschulen wegen ihrer Pilotfunktion sowohl von der Anzahl her als auch inhaltlich-qualitativ weiter ausgebaut werden, möglichst von derzeit 237 auf bis zu 350 Schulen zum Ende dieser Legislaturperiode; denn Sie sind eine Erfolgsstory, meine Damen und Herren.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie sehen, dass wir es sehr ernst meinen mit der Umsetzung des neuen Schulgesetzes und der Schaffung eines Schulwesens, in dem jedes Kind, jeder Jugendliche unabhängig von seiner Herkunft seine Begabungen und Fähigkeiten entfalten kann. Hier bieten wir gerne unsere Zusammenarbeit an.
Lassen Sie uns gemeinsam im Schulausschuss Einblicke in die überaus engagierte Arbeit von Gütesiegelschulen nehmen, indem wir uns einzelne Projekte zur individuellen Förderung vorstellen lassen, um dann in Gespräche mit Lehrerinnen und Lehrern, Schülerinnen und Schülern sowie Eltern einzutreten. Die Einladung ist ein Zeichen der Wertschätzung für die geleistete Arbeit vor Ort zum Wohle unserer Kinder und Jugendlichen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bis zum Ende dieser Legislaturperiode sollen 350 Schulen das „Gütesiegel Individuelle Förderung“ tragen. Das ist ein ehrgeiziges Ziel, aber wir wollen den qualitativen Ausbau der individuellen Förderung vorantreiben und in die Fläche tragen. Nur so kann sie schnell allen Kinder und Jugendlichen, unabhängig von der Region oder der Schulform, zugutekommen.
FDP und CDU haben mit dem neuen Schulgesetz erstmals die individuelle Förderung der Kinder und Jugendlichen zum Leitbild unserer Schulpolitik und zur Verpflichtung aller Schulen im Land erhoben. Wir haben nahezu 7.000 zusätzliche Lehrerstellen geschaffen, den Unterrichtsausfall mehr als halbiert und setzen Qualitätsstandards flächendeckend um.
Zu diesen zukunftsorientierten Schritten zählen auch die Schulen, die aufgrund ihrer Qualität das „Gütesiegel Individuelle Förderung“ erhalten haben. Wir haben inzwischen vieles erreicht auf dem Weg zum Bildungsland Nummer eins, aber wir sind noch nicht am Ziel.
Meine Damen und Herren, die Gütesiegelschulen sind ein wichtiger Baustein zur Verwirklichung der individuellen Förderung. Deshalb wollen wir den Ausbau forcieren. Wir sollten nicht so tun, als wäre es in den vergangenen Jahren bereits gelungen und als hätten alle Schulen im Land es geschafft, die individuelle Förderung hinreichend umzusetzen. Das hat damit zu tun, dass die individuelle Förderung unter der Verantwortung von Rot-Grün ein über die Jahre hinweg komplett vernachlässigtes Thema war.
Gerade die Gütesiegelschulen sind ein herausragendes Beispiel für forcierte Qualität. Durch die Profilbildung können an den Schulen ganz unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden. So kann in differenzierten Klassen und Kursen für die unterschiedlichen Kinder und Jugendlichen leistungsstandgerecht die bestmögliche Förderung erreicht werden.
Meine Damen und Herren, die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen der bisherigen 237 Gütesiegelschulen zeigen, wie wichtig die individuelle Betrachtung jedes Kindes ist.
Bei einigen Schulen liegt ein Schwerpunkt auf den besonders Begabten, bei anderen werden vor allen Dingen die Leistungsschwächeren gefördert, wieder andere Schulen nehmen sich speziell der Migrantenförderung oder auch der geschlechterspezifischen Förderung an. Eigentlich aber gehört jede Art
Um ein Beispiel herauszugreifen: FDP und CDU hatten mit dem Antrag „Jungen fördern – ohne Mädchen zu benachteiligen – Durch individuelle Förderung die Geschlechtergerechtigkeit in der Schule weiter verbessern“ eine wichtige Initiative vorgelegt. Diesem Unterschied muss gerade auch in der individuellen Förderung, in der individualisierten Ansprache von Jungen und Mädchen, zum Beispiel beim Lesen, stärker Rechnung getragen werden. Gerade erst in der letzten Woche hat das Jahresgutachten 2009 des Aktionsrates Bildung „Geschlechterdifferenzen im Bildungssystem“ die Notwendigkeit einer solchen differenzierten und individualisierten Förderung deutlich unterstrichen.
Aber Vorsicht an der Bahnsteigkante: Zuallererst müssen wir auf Fähigkeiten, Potenziale und Neigungen unserer Schüler schauen, die nicht zwingend abhängig vom Geschlecht sind. Es ist nie gut, alle über einen Kamm zu scheren.
Noch einmal: Die variierenden Förderschwerpunkte sollen nicht gegeneinander stehen. Im Gegenteil: Profilbildungen bei der Förderung von Kindern mit Migrationshintergrund schließen zum Beispiel die Hochbegabten- oder Mädchenförderung bei denselben Kindern nicht aus. All diese individuellen Förderinstrumente an den Schulen können sich selbstverständlich überschneiden und gegenseitig befruchten.
Entscheidend ist, dass die Kinder dort abgeholt werden, wo ihre Talente und ihre Schwächen liegen. Wir stärken die Stärken und bauen die Defizite ab.
Die unterschiedlichen Schwerpunkte der individuellen Förderung zeigen aber noch etwas anderes: Es ist nicht der richtige Weg, die Kinder lediglich in einem riesigen Zwangssystem zusammenzufassen und zu hoffen, die Kinder würden sich irgendwie gegenseitig fördern. Dies richte ich an die Adresse von Rot-Grün.
FDP und CDU haben erfolgreich einen Paradigmenwechsel eingeleitet. Wir nehmen das einzelne Kind, den einzelnen Jugendlichen in den Blick.
Wir arbeiten an der Qualität und streiten nicht über Systemfragen. Meine Kolleginnen und Kollegen, daher ist es aus Sicht der FDP besonders wichtig, dass der Ausbau inhaltlich-qualitativ vorangetrieben wird. Der numerische Ausbau muss eine Folge erhöhter Qualität sein. Nicht jede Schule und nicht jedes Förderkonzept verdienen automatisch das „Gütesiegel Individuelle Förderung“.
Aber gerade weil wir auf einen qualitativen Ausbau setzen, nehmen die Gütesiegelschulen im Gesamtkonzept der individuellen Förderung einen herausragenden Stellenwert ein. Sie dienen anderen Schulen als Beispielgeber und als Motor im Wettbewerb aller Schulen um die Verbesserung schulischer Qualität.