Deswegen habe ich erklärt und wiederhole es noch einmal: Wer da mit dem System Vorkasse arbeitet, der lenkt die ganze Debatte auf eine juristische Auseinandersetzung – das ist unzulässig, das ist nicht in Ordnung, da muss eingeschritten werden –, der erweist den Ärzten einen schlechten Dienst,
weil er von der eigentlichen Auseinandersetzung ablenkt. Darüber – so finde ich – besteht hier große Einigkeit.
Meine Damen und Herren, es wäre gut, wenn diese Aktuelle Stunde ein Stück dazu beitrüge, Einigkeit zu erzeugen, dass Nordrhein-Westfalen nicht benachteiligt werden darf. Es ist nicht nur eine Benachteiligung der Ärzte, sondern auch eine Benachteiligung der Versicherten.
Letzter Satz: In der von Herrn Garbrecht genannten Sendung wurde ein Bespiel geschildert, wo Leute sich inzwischen fast schämen, zum Arzt zu gehen – aber nicht deshalb, weil sie die Vorkasse nicht bezahlen könnten, sondern weil sie sich sagen: Ich kann von dem gar nicht verlangen, für diesen Betrag behandelt zu werden.
Deswegen schadet eine solche Reform nicht nur den Ärztinnen und Ärzten, sondern in erster Linie den Kranken, den Versicherten, den Patientinnen und Patienten. Wir sind uns einig, dass wir uns da
gegen im Interesse Nordrhein-Westfalens und seiner Menschen zur Wehr setzen müssen. – Vielen Dank für Ihre Geduld und Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Garbrecht, ich finde es bei Ihrem Beitrag bemerkenswert, dass Sie fast versuchen, den Eindruck zu erwecken, als hätte die SPD mit all dem Chaos, was wir jetzt im Gesundheitswesen haben, nichts zu tun.
Das deutsche Krankenversicherungssystem ist durch die letzten Reformen im Bund selbstverständlich deutlich in Richtung eines zentralistischen staatsgesteuerten Einheitssystems geschoben worden.
Gleichzeitig ist der Beitragssatz auf das Rekordniveau von 15,5 % gestiegen. Die Bürger spüren das am eigenen Leib. Viele haben zu Beginn des Jahres starke Beitragssatzsteigerungen in Kauf nehmen müssen, ohne dass sich ihr individueller Krankenversicherungsschutz dadurch verbessert hätte. Deshalb ist die gesetzliche Krankenversicherung im Hinblick auf die Aufgaben, die ihr der Gesetzgeber zuschreibt, unterfinanziert.
Der Gesundheitsfonds macht die gesetzliche Krankenversicherung und zunehmend auch die private Krankenversicherung zum Spielball wechselnder bundespolitischer Interessen. Je nach Stimmung, Kassenlage und Wahltermin wird entweder Geld in das System hineingegeben oder aus dem System herausgezogen.
Zum Ausdruck kommt das bei der heute zur Diskussion stehenden Vereinheitlichung der Arzthonorare. Deutlich geworden ist dies auch bei der Debatte über Basisfallwerte in den Krankenhäusern.
Deshalb sagen wir, wenn regional tätige Krankenkassen bundesweit einheitliche Zuweisungen aus einem Fonds erhalten, dass sie dann nicht in der Lage sind, höhere Preise für Krankenhausleistungen zu bezahlen, obwohl dies in der Region angebracht sein kann. Das staatliche Globalbudget führt zu staatlicher Preisadministration. Genau das ist das Problem.
Der Staatseinfluss muss also beschränkt werden. Die Bedingungen sind so neu zu formulieren, dass es klar erkennbar ist, wie Gesundheitsversorgung stattfinden soll. Stattdessen unternimmt Ulla Schmidt derzeit den Versuch, alles und jedes im Gesundheitswesen bis ins Einzelne zu regeln.
Alle diese Vorgaben ändern nichts daran, dass die in der medizinischen Versorgung Tätigen durch ihre Arbeit, durch ihr großes Engagement und durch ihre Qualifikation trotz all dieser Reglementierungen noch dafür sorgen, dass Kranke eine gute medizinische Versorgung erhalten. Wenn sie motiviert sind, ihr Bestes auch weiterhin zu geben, dann ist das der Garant für bestmögliche Behandlung und Betreuung der Patienten.
Das bedeutet aber, dass es einen grundlegenden Wandel geben muss: von einem Klima, das gegenwärtig von Misstrauen gegenüber den Gesundheitsberufen, Detailvorschriften und Kontrollen geprägt ist, hin zu einem neuen Klima, dass den in den Gesundheitsberufen Tätigen Vertrauen entgegenbringt.
Deshalb sagen wir: Wir brauchen grundlegende Reformen im SGB V und haben dafür klare Kriterien, die in der Tat im Herbst dieses Jahres nach den Entscheidungen im Bund neu diskutiert werden müssen. Wir brauchen eine Eindämmung des Staatseinflusses, die Ermöglichung eines funktionierenden Wettbewerbs. Krankenkassen müssen ihre Beitragsautonomie zurückerhalten, der Gesundheitsfonds muss rückgängig gemacht werden.
Ein manipulationsunanfälliger vereinfachter Risikostrukturausgleich muss entwickelt werden, und ein klarer wettbewerbs- und kartellrechtlicher Rahmen, der den Missbrauch marktbeherrschender Stellungen auf allen Seiten verhindert, muss gesetzt werden. Wir brauchen Verständlichkeit und Transparenz für alle Beteiligten.
Gesetzlich vorgegebene Budgets sind durch leistungsgerechte Preise zu ersetzen. Wer gute Arbeit leistet, muss auch mehr Geld erhalten.
Es ist auch bekannt, dass in der Bundespolitik wie auch hier im Hause unterschiedliche Auffassungen bestehen. Deshalb werden wir diese Fragen im Herbst 2009 diskutieren müssen. Ich bin mir sicher, dass Gesundheitspolitik eines der ganz zentralen Themen auch für die politischen Auseinandersetzungen des Jahres 2009 wird.
Wir plädieren dafür, dass wir für eine strikte Einhaltung des Grundsatzes der Subsidiarität sorgen, der heißt: Eigenverantwortung geht vor Kollektivverantwortung.
Wir brauchen mehr Beitragsgerechtigkeit. Dazu ist eine klare Trennung von Versicherungsleistung und Umverteilung erforderlich.
Die Bürger, meine Damen und Herren, verstehen gegenwärtig nicht die Probleme, die durch die Verschlechterungen im Gesundheitswesen eingetreten
Die Ärzte haben ihre berechtigte Kritik am jetzigen System und erwarten völlig zu Recht, für gute, qualifizierte Arbeit fair entlohnt zu werden. Deshalb gibt es Erhebliches, das wir in Zukunft in Angriff nehmen müssen.
Wir haben im Gesundheitssystem einen großen Reformbedarf. Deshalb wird uns das Thema sicherlich auch weiterhin intensiv beschäftigen.
(Beifall von der FDP – Norbert Killewald [SPD]: Gib dem doch einmal einen gelben Schein! – Heiterkeit)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Witzel, wer vor dem Hintergrund der Wirtschafts- und Finanzkrise immer noch meint, dass eine Lösung der Probleme im Gesundheitssystem in einer Privatversicherung mit einem am privaten Kapitalmarkt gedeckten Versicherungssystem besteht, der hat nichts von dem verstanden, was passiert ist. Am Ende zahlen wir als Steuerzahlerinnen die Zeche dafür. Anscheinend haben Sie überhaupt nichts verstanden.
Heute diskutieren wir nicht die Gesundheitsreform im Grundsätzlichen, sondern es geht um das, was wir in der jetzigen Situation für NRW tun können.
Ich möchte an das anknüpfen, was Kollege Garbrecht gesagt hat: Natürlich wissen wir nicht spitz, welche Beträge für die Ärztinnen und Ärzte herauskommen. Aber die Ärztinnen und Ärzte, die keine Zusatzleistungen über das Regelvolumen hinaus abrechnen können, also die 3,5 Cent pro Punkt erhalten, können schon relativ gut abschätzen, in welche Richtung der Zug fährt. Der Zug fährt für diese Ärztinnen und Ärzte eben nicht in die Richtung, dass sie ihr Einkommen halten oder ebenso viel Zugewinn machen können wie andere, sondern dieser Zug fährt für diese Ärztinnen und Ärzte in Richtung Verluste.
Es kann aber nicht sein, dass es in anderen Bundesländern für die Ärztinnen und Ärzte nach oben geht, während die nordrhein-westfälischen sozusagen diejenigen sind, die bei gleicher Leistung und Anstrengung für ihre Arbeit so viel weniger bekommen, dass ihre Existenz bedroht ist.
Dagegen müssen wir geschlossen vorgehen und sagen: Diese Ungerechtigkeit gegenüber NRW im Bundesvergleich ist nicht akzeptabel. Natürlich gibt es Ärztegruppen, die von der Reform profitieren werden. Dahinter muss man auch ein Fragezeichen setzen: Ist das richtig? Sind das wirklich diejenigen, die profitieren müssen?
Dieses Problem werden nicht wir als Landtag lösen können. Das ist nicht primär unsere Aufgabe, sondern das ist bundespolitische Aufgabe. Unsere Aufgabe besteht darin, für die Patientinnen und Patienten in Nordrhein-Westfalen sicherzustellen, dass nicht wir diejenigen sind, die am Ende der Kette hängen, unsere Ärztinnen und Ärzte nicht diejenigen sind, in deren Praxis zu gehen für uns peinlich ist, weil man das Gefühl hat, dass man vielleicht lieber etwas draufzahlen sollte, weil die Ärztinnen und Ärzte für ihre Leistung keine adäquate Erstattung bekommen.
Ich möchte auf einen weiteren Gesichtspunkt, die Vorkasse, eingehen: Natürlich ist es völlig inakzeptabel, wenn Ärztinnen und Ärzte von ihren Patientinnen und Patienten fordern, Vorkasse zu leisten. Wir werden diese Diskussion auch noch unter einem anderen Gesichtspunkt führen müssen, gibt es doch viele Ärztegruppen, bei denen Vorkasse das Zukunftssystem der Gesundheitsversorgung ist. Sie sagen: Wir wollen das! Wir wollen – das gibt es von denen auch schriftlich – ein System, in dem Patientinnen und Patienten, die in unsere Praxen kommen, 100 bis 200 € per Barkasse, Scheck oder Kreditkarte zahlen müssen, weil ansonsten keine Behandlung stattfindet, es sei denn, es liegt ein akuter Notfall vor.
Das kann nicht das Gesundheitssystem sein, was wir wollen, weil das ein Gesundheitssystem wäre, das die soziale Benachteiligung an bestimmten Stellen noch einmal verschärft, wenn klar ist, dass es sich bestimmte Personengruppen einfach nicht werden leisten können, in eine Arztpraxis zu gehen. Hier muss man ganz frühzeitig einen Riegel vorschieben, auch wenn in der Debatte der Neid unter den Berufsgruppen aufkommt.
Von einigen Ärzteverbänden wird ferner schriftlich gefordert, dass man, da Menschen aus unteren sozialen Schichten doch zu oft zum Arzt gingen, das Arzt-Patienten-Kontaktverhältnis reduzieren müsse. Auf gut Deutsch: Der Arme soll nicht so oft zum Arzt gehen! – Diesen Ärzten muss man klar sagen: Das geht so nicht! Ärzte haben einen anderen Auftrag. Sie haben eine andere Aufgabe in diesem Land; sie sollen Patientinnen und Patienten versorgen. Sie dürfen sich zu Recht über eine falsche Finanzierung beschweren, aber solche Antworten sind keine Antworten, die mit der Politik zu machen sind.
Ich möchte kurz noch auf die Frage der medizinischen Versorgung eingehen, die der Gesundheitsminister auch angesprochen hat. Dabei geht es um die Medizinischen Versorgungszentren und die
Zukunft der Ärzte. Es ist ganz wichtig, dass wir über diesen Bereich diskutieren. Dort läuft etwas in eine komplett falsche Richtung. Wir müssen darüber reden, wie das zukünftige Versorgungssystem gestaltet werden soll. In vielen Bereichen wird es notwendig sein, dass sich Ärzte und Ärztinnen zu Praxisgemeinschaften zusammenschließen. Von mir aus können die auch „Medizinische Versorgungszentren“ heißen, wenn das Konstrukt dann im Sinne eines Genossenschaftsmodells oder einer Praxisgemeinschaft funktioniert.
Mit den im Moment entstehenden medizinischen Versorgungseinrichtungen geht das Problem einher, dass es sich bei den Betreibern um ganz klar interessengeleitete und von bestimmten Interessen dominierte Träger handelt. Ich habe auch Probleme damit, wenn Krankenversicherungen Träger Medizinischer Versorgungszentren sind, weil eine solche Konstruktion dazu führen kann, dass es die ganz klare Ansage an die Ärzte gibt: In diesem und jenem Bereich muss gespart werden! Die Ärzte erhalten dann sozusagen „Weisungen von oben“.
Auch das Modell, in denen Krankenhäuser – gerade privater Krankenhausträger – Medizinische Versorgungszentren unterhalten, finde ich problematisch: Der niedergelassene Arzt überweist seine Patientinnen und Patienten ins Krankenhaus, sieht sie aber nie wieder, weil sie vom Krankenhaus in das MVZ überwiesen werden.