Protocol of the Session on March 18, 2009

Die von Ihnen im Antrag aufgeführten Forderungen sind zum großen Teil bereits nordrhein-westfälische Realität.

Eines möchte ich in diesem Zusammenhang noch einmal betonen: Der alte Regulierungswahn aus SPD-Zeiten muss endgültig der Vergangenheit angehören.

Mit dem, was ich eingangs sagte, will ich schließen: Sie stehen für die 70er-Jahre. Sie betreiben die Sehnsüchte, und wir, meine Damen und Herren, stehen für die Zukunft. Darüber werden wir in den nächsten zwölf Monaten noch ausgiebig diskutieren. Mit diesen Vorstellungen – das kann ich Ihnen versprechen – sind Sie nicht tauglich, im nächsten Jahr überhaupt einen Anspruch in der Wissenschaftspolitik anmelden zu können. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Dr. Berger. Ihr Appell ist hoffentlich auch bei den anderen Rednern angekommen. Man muss seine Redezeit nicht ausnutzen und kann trotzdem alles sagen. – Herr Witzel.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde diesen Antrag wirklich bemerkenswert, weil er doch in erkennbarem Widerspruch zu Ihrem Umgang mit den Beschlüssen steht, die die Koalitionsfraktion und die Landesregierung zum Ausbau der Wissenschaftslandschaft, insbesondere im Bereich der Fachhochschulen, in den letzten Wochen und Monaten in ganz besonderer Weise auf den Weg gebracht hat.

Wenn ernst gemeint ist, was Sie hier als berechtigen Anspruch formulieren, dass wir speziell mit Berufsorientierung zahlreich Studienlaufbahnen ermöglichen und erleichtern wollen, dann müssten Sie ein großer Anhänger der Fachhochschulausbauinitiative sein. Sie müssten Ihre Wertschätzung für die Ausdifferenzierung in Zukunftsfeldern wie zum Beispiel MINT, die in den Planungen der Landesregierung neben der positiven infrastrukturellen Dimension vorgesehen ist, klar zum Ausdruck bringen. Sie müssten gerade diesen Weg des Kapazitätsausbaus über neue Standorte, die natürlich ortsnäher bei den einzelnen Wirtschaftsbetrieben in den Regionen sind, hier ausdrücklich begrüßen.

Wenn sich jemand, der im Berufsleben steht, die Frage eines zusätzlichen Fachhochschulstudiums

stellt, dann ist für ihn, wenn er gesettelt ist, wenn er eine Familie hat, wenn er möglicherweise bereits Haus- oder Wohneigentum besitzt, die Frage der ortsnahen Anbindung des Standortes entscheidend. Es ist gerade nicht sein Anliegen, sich weit weg zu bewegen, um Kapazitätsausbau an einem vorhandenen Standort zu betreiben. Insofern müsste gerade die Diversifizierungsstrategie in den Regionen auch Ihr ehrliches Anliegen sein.

Wer in Nordrhein-Westfalen studieren will, kann dies – das hat in der Tat gute Tradition in unserem Land – auf unterschiedlichen Wegen tun. Das geht zum einen mit der allgemeinen Hochschulreife, die uneingeschränkt zum Studium an sämtlichen nordrhein-westfälischen Hochschulen befähigt. Angesichts der Gesamtschuldebatte, die wir hier heute Morgen hatten, kann ich Ihnen nur dringend raten, sich für mehr Abiturienten an Gymnasien einzusetzen, denn die absolvieren häufiger eine erfolgreichere akademische Laufbahn als Gesamtschüler. Das müsste also auch Ihr Anliegen sein. – Zum anderen kann man sich auf ein Fachhochschulstudium konzentrieren und dafür auf einem der möglichen Wege das Fachabitur erwerben.

Neben diesen beiden klassischen Wegen des Hochschulzugangs gibt es mittlerweile aber auch eine Reihe von Möglichkeiten, ein Studium unter bestimmten Voraussetzungen ohne Abitur und ohne Fachabitur aufzunehmen. So kann in NordrheinWestfalen prinzipiell jeder, der über eine bestimmte berufliche Vorbildung hinreichenden Umfangs verfügt, auch ohne zusätzliche Prüfung ein Studium an einer Fachhochschule aufnehmen.

Es gibt viele Karrieren, bei denen Leute mit Hauptschulabschluss in das duale System der Berufsausbildung gegangen sind, nachdem sie erfolgreich ihre Prüfung abgelegt und mehrere Jahre der Berufspraxis absolviert haben, dann ein Fachhochschulstudium draufgesattelt und ganz erfolgreiche Laufbahnen absolviert haben. Ich persönlich kenne aus meinem sehr nahen Umfeld mehrere, die diese Aufstiegslaufbahn gewählt haben.

Gerade die Investition in den Ausbau der Fachhochschulkapazitäten in modernen Bereichen weckt auch die Kultur einer Aufsteigermentalität in dieser Gesellschaft. Das mag der Opposition in diesem Hause schwerfallen, weil sie weniger für Aufsteiger und mehr für Aussteiger übrig hat, weshalb die gesellschaftliche Mitte in diesem Land unter Rot-Grün so massiv zurechtgestutzt worden ist.

(Zurufe)

Das mag Ihr politisches Anliegen sein. Ich sage ausdrücklich: Uns ist die Offenheit in unserer Gesellschaft, die Aufstiegsprozesse und Durchlässigkeit ermöglicht, wichtig. Deshalb ist das ein bedeutender Investitionsschwerpunkt für die Koalition der Erneuerung in den nächsten Jahren.

Die Möglichkeit, die ich gerade skizziert habe, besteht insbesondere auch für Meister, für Fachwirte, für Fachkaufleute, für Pflegekräfte. Über die genauen Modalitäten, welcher berufliche Hintergrund für welchen Studiengang und welche Studienrichtung erforderlich ist, entscheidet weitgehend die jeweilige Hochschule. Das ist auch in unserem Sinne, denn dieses Parlament hat mit breiter Mehrheit ein Hochschulfreiheitsgesetz verabschiedet. Es ist auch unsere Philosophie der zukünftigen Steuerung der Wissenschaftslandschaft mit entsprechender Entscheidungsautonomie vor Ort.

Für all diejenigen, die weder über das Abitur noch über einen Meisterbrief verfügen, wurden hierzulande also verschiedene Möglichkeiten geschaffen, in späteren Jahren erfolgreich ein Studium aufzunehmen. Voraussetzung ist das Bestehen der sogenannten Zugangsprüfung, die jeder ablegen kann, der mindestens 22 Jahre alt ist, über eine abgeschlossene Berufsausbildung und drei Jahre Berufspraxis verfügt. Dabei ist die selbstständige Führung eines Familienhaushalts mit mindestens einer erziehungs- oder pflegebedürftigen Person sogar ausdrücklich jeder anderen berufsfachlichen Tätigkeit gleichgestellt.

Kurzum: Das Thema, das die SPD mit diesem Antrag aufgreift, hat zweifellos vom Sachanliegen her eine Berechtigung, wenn es um die Frage geht, wie wir jede Form der Berufswertigkeit für die akademische Weiterqualifizierung nutzen und wie wir Aufstiegslaufbahnen gestalten. Aber an Forderungen hat der Antrag substanziell nichts zu bieten, wenn wir das mit dem vergleichen, was bereits laufendes Regierungshandeln in Nordrhein-Westfalen ist. Insofern: Bei vielem von dem, was Sie als Anspruch postulieren, werden wir Ihnen gar nicht widersprechen. Aber die Notwendigkeit, die Sie hier mit bestimmten Vorschlägen verbinden, läuft sicherlich ins Leere.

Ebenso zweifellos kann konstatiert werden, dass die Landesregierung bereits heute zahlreiche Maßnahmen unternimmt, um die Hochschullandschaft in Nordrhein-Westfalen zu modernisieren. Im bundesweiten Vergleich gilt Nordrhein-Westfalen seit einigen Jahren zu Recht als eines der liberalsten und innovativsten Bundesländer, was den Hochschulzugang auch für Fachkräfte ohne Abitur angeht. Dies erkennt man unter anderem daran, wie erst vor kurzer Zeit bei der Kultusministerkonferenz, die in Stralsund getagt hat, deutlich geworden ist, dass Regelungen zur Öffnung der Hochschullandschaft im Wesentlichen in Nordrhein-Westfalen mitgeprägt worden sind. Sie haben auch dort Zustimmung gefunden und deshalb bundesweit Vorbildfunktion innerhalb der KMK.

Der Ausbau der nordrhein-westfälischen Fachhochschullandschaft stellt zudem sicher, dass das Angebot insbesondere von dualen Studiengängen in enger Kooperation mit der Wirtschaft ausgeweitet

und damit auch die Durchlässigkeit zwischen akademischer und beruflicher Bildung deutlich verbessert wird. Auch hier, liebe Kollegen von der SPD, zielt ein Antrag auf eine Thematik, bei der Nordrhein-Westfalen bundesweit federführend ist.

Wir nehmen das Problem des Fachkräftemangels sehr ernst. Deshalb wollen wir alle studierwilligen Potenzialträger in unserem Land mitnehmen und dafür sorgen, dass zukünftig 11.000 neue Studienplätze in modernen Fachrichtungen in NordrheinWestfalen entstehen. Damit stellen wir die Hochschullandschaft modern auf. Wir haben begleitend wesentliche Ansätze auf Bundesebene vorangebracht, auch für ein Stipendiensystem, um auch vom faktischen Zugang her viele Leute mitzunehmen. Das ist wohl auch zukünftig der richtige Weg. – Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Meine Damen und Herren, es sprach der Abgeordnete Witzel von der FDP-Fraktion. – Jetzt spricht Frau Dr. Seidl von den Grünen.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, Herr Witzel, auf den ersten Blick erscheint es paradox, dass sich der Landtag hier und heute mit dem Thema „Studieren ohne Abitur“ beschäftigt; denn schließlich steigt die Zahl der Studienbewerber

(Ralf Witzel [FDP]: Eben!)

nach dem Studiengebührenknick von 2006 inzwischen wieder an. Das ist aber – das muss ich hinzufügen – keineswegs Ihr Verdienst, nicht das Verdienst von Herrn Pinkwart oder von Herrn Witzel oder von Herrn Dr. Berger.

(Ralf Witzel [FDP]: Aber Ihres wahrschein- lich!)

Denn alle, die in den nächsten Jahren Abitur machen, waren bei Ihrer Regierungsübernahme ja schon auf der weiterführenden Schule. Die bundesweit einmalig hohe Quote von Schulabgängerinnen und Schulabgängern mit Hochschulzugangsberechtigung ist also eindeutig eine Spätfolge, eine sehr positive Spätfolge – wohl gemerkt – rot-grüner Schulpolitik.

(Ralf Witzel [FDP]: Ach so!)

Bis der doppelte Abiturjahrgang 2013 an die Hochschulen kommt und sie einige Jahre später wieder verlässt, werden die Hochschulen also kaum über einen Mangel an Studierenden klagen – egal, ob mit oder ohne Abitur. Trotzdem ist es gut und richtig, dass wir hier und heute auch schon über das Studieren ohne Abitur reden. Denn genauso sicher, wie der doppelte Abiturjahrgang 2013 kommt, werden die Zahlen dann auch wieder rückläufig sein.

Das wird dann dramatisch, liebe Kolleginnen und Kollegen, und zwar nicht nur aufgrund der demografischen Entwicklung, sondern auch und gerade wegen der schul- und hochschulpolitischen Fehlentscheidungen, die Sie mitzuverantworten haben. Anstatt den Menschen in diesem Land Türen zu öffnen und Chancen zu geben, haben Sie doch in den letzten Jahren systematisch Hürden aufgebaut, nicht nur im Schulbereich – zum Beispiel durch Ihre unsägliche Kampagne gegen die Gesamtschulen –, sondern vor allem auch im Hochschulbereich.

(Ralf Witzel [FDP]: Schauen Sie sich doch die Schulabbrecherquote an!)

Ja, wir haben jetzt weniger Studienanfänger und Studienanfängerinnen wegen der Studiengebühren seit 2006 – viel weniger, als wir mit den Schulabgängerzahlen haben könnten. Das haben wir Ihnen schon öfter vorgerechnet, Herr Pinkwart.

Wir haben Zugangshürden für ausländische Studierende, weil Sie unter anderem die Studienkollegs abgeschafft haben – in Bonn hat man jetzt die Studiengebühren für ausländische Studierende wieder abgeschafft, weil man diesen Rückgang nicht haben wollte –, und nicht zuletzt unbesetzte Studienplätze, weil Sie ein funktionierendes Zulassungssystem wie die ZVS auf Eis gelegt haben.

(Ralf Witzel [FDP]: Die Zentralverschickungs- stelle ZVS für Studenten ist gescheitert!)

Das ist nicht gerade eine glänzende Bilanz Ihrer Regierungszeit. Da kann man Ihnen nur vorwerfen: Eine Politik, die solche Zugangshürden aufbaut, verbaut nicht nur individuelle Zukunftschancen, sie ist angesichts des wachsenden Fachkräftemangels auch ein Desaster für den Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen.

Das ist nun einmal Ihr politisches Erbe, liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb, oder besser: Das wird Ihr politisches Erbe sein, wenn Sie nicht jetzt gemeinsam mit uns entschlossen handeln und das Ruder wieder herumreißen. NRW braucht alle Talente, auch an unseren Hochschulen.

Wenn Sie noch nicht gemerkt haben, Herr Witzel, dass es höchste Zeit ist, zu handeln, dann empfehle ich Ihnen auch einmal – ich glaube, Sie waren sogar da – die Lektüre des Protokolls der Anhörung zur Hochschuldidaktik. Da sagt ausgerechnet Christian Berthold vom ansonsten als neoliberal eingestuften CHE – ich zitiere das gerne –:

In Deutschland kommen bildungsferne Schichten gar nicht an den Hochschulen an. Wir sind bisher mit unseren intellektuellen Potenzialen extrem verschwenderisch umgegangen. Die Hochschulen werden sich in die Lage versetzen müssen, die Zielgruppen, die wir bisher vernachlässigt haben, wie sozial Schwache, Bildungsferne, Migranten und teilweise Frauen in höheren Qualifikationsstufen, für

die Hochschulen zu gewinnen und zum Studienerfolg zu führen.

(Ralf Witzel [FDP]: Wir wollen Stipendien für alle, die gut sind!)

Vor dem Hintergrund des aktuellen Fachkräftemangels, aber auch wegen der demografischen Entwicklung ist in der Tat Eile geboten, meine Damen und Herren. Es ist ein Skandal, dass diese Landesregierung bisher kein Konzept vorgelegt hat, um dem vorhersehbaren Szenario entgegenzuwirken.

Das erinnert mich fatal an die Situation mit der Schulzeitverkürzung an den Gymnasien. Auch da hatten Sie kein Konzept. Bei Regierungsübernahme haben Sie kurzerhand den Systemwechsel von sechs plus zwei zu fünf plus drei vollzogen und damit die gesamte Vorbereitung, die wir damals hatten, Makulatur werden lassen, um insbesondere zusätzliche Belastungen für die jüngeren Schüler zu vermeiden.

(Ralf Witzel [FDP]: Wir wollen die bundeswei- ten KMK-Standards erfüllen! Singulärers NRW-Abi, das war gestern!)

Jetzt holt Sie Ihre Entscheidung ein, und Sie geben einen Erlass nach dem anderen heraus, um den Schulen vorzuschreiben, wie sie jetzt die Übermittagbetreuung und den Nachmittagsunterricht zu gestalten haben. Es gibt so viele Nachfragen, es gibt so viel Ärger an den Schulen, Herr Witzel, und das müssten Sie als Schulpolitiker eigentlich auch wissen.

Nur haben Sie es in den letzten Jahren leider versäumt, die Schulen irgendwie darauf vorzubereiten und ihnen die Mittel und Möglichkeiten an die Hand zu geben, um auch diese Erlasse, die Sie jetzt alle unter das Volk bringen, umzusetzen, mit den chaotischen Folgen, die wir überall beobachten können. Dazu darf es hier an dieser Stelle nicht kommen.

Wir brauchen deshalb schon sehr bald ein Konzept, wie dem absehbaren Rückgang der Studierendenzahlen in der zweiten Hälfte des nächsten Jahrzehnts begegnet werden kann. Da ist der Hochschulzugang für Fachkräfte ohne Abitur natürlich ein Baustein – keine Frage –, ein Baustein, den es auch schon gibt. Herr Berger und auch Sie, Herr Witzel, haben bereits darauf hingewiesen, allerdings nicht, weil diese Regierung diese Möglichkeit eingeführt hat.

Diese und viele andere Ausnahmeregelungen für den Hochschulzugang sind schon in der letzten Legislaturperiode insbesondere auch auf unsere grüne Initiative hin in das Hochschulgesetz geschrieben worden. Das kommt ja nun nicht von Ihnen. Das sind Dinge, mit denen Sie sich jetzt schmücken, die aber unter Rot-Grün längst eingeführt waren. Damals war das § 66. Heute finden sich diese Möglichkeiten des Quereinstiegs – alle

fast wortgleich, wenn auch in etwas anderer Reihenfolge – in § 49 des NRW-Hochschulgesetzes.

Diese Regelungen bieten eben auch heute schon eine Vielzahl von Chancen für einen Hochschulzugang ohne Abitur. Trotzdem – unabhängig davon, was es schon alles gibt – lohnt es sich aber in jedem Fall, diese Regelungen hinsichtlich der Durchlässigkeit der Bildungsgänge noch einmal anzuschauen und zu überprüfen, was hier gegebenenfalls verbessert werden könnte.