Dazu gehört auch, dass sich Arbeitgeber und Gewerkschaften gemeinsam und in großer Verantwortung dafür einsetzen, dass Familien mit Kindern Beschäftigung haben und familiengerechte Arbeitszeiten genauso selbstverständlich sind wie eine lebensauskömmliche Entlohnung.
Meine Damen und Herren, Alleinerziehende und ihre Kinder tragen in unserer Gesellschaft auch in Nordrhein-Westfalen das größte Armutsrisiko. Der Ausbau einer verlässlichen Betreuungskette, die beim konsequenten Ausbau der Unter-DreijährigenBetreuung beginnt und mit dem Ausbauprogramm zu Ganztagsschulen in allen Schulformen fortgesetzt wird, versetzt zum Beispiel die alleinerziehende Mutter endlich in die Lage, einen Arbeitsvertrag einzugehen, der es ihr ermöglicht, ihre Familie selbst und ohne staatliche Unterstützung zu ernähren. Auch das ist sehr konkrete Armutsbekämpfung. An der Stelle haben wir seit 2005 die Chancen für Kinder in Nordrhein-Westfalen deutlich erhöht.
Einer der entscheidenden Faktoren, um aus dem Teufelskreis der Kinderarmut auszubrechen, ist gute Bildung. Ob Sprachstandsfeststellung, Sprachförderung, Familienzentren, Maßnahmen vom Kinderschutzbund wie zum Beispiel die Ausbildung zur Kinderschutzfachkraft, ob Einstellung von Lehrern, Sozialpädagogen, Psychologen – das alles sind Dinge, die vorher nicht liefen –, ob der Sozialraumindex im KiBiz und die Indexierung von Lehrerstellen in sozialen Brennpunkten: Stets geht es uns darum, jungen Menschen in Nordrhein-Westfalen Chancen zu geben.
Einer der entscheidenden Punkte und Schlüssel dafür, dass Nordrhein-Westfalen zu einem kinderfreundlichen Land wird und es hier zukünftig weniger Kinder in Not gibt, ist es, dass sich die Gemeinden, Städte und Kreise der in ihrem Verantwortungsbereich liegenden Situation im Sozialbereich oder in den Sozialräumen bewusst sind und sie zum Maßstab ihres Handelns machen. Das ist auch eine Frage der lokalen politischen Priorisierung. Familienarmut darf gerade kommunal kein Tabuthema sein. Die Jugendämter und die Schulen haben in der Wächterfunktion des Staates ebenso eine Verantwortung wie die Eltern.
Wir müssen die Kommunen beim Aufbau einer zielgenauen kommunalen Familienpolitik begleiten. Dabei stellen sich Fragen wie diese: Wie schaffen wir eine familiengerechte Infrastruktur auf lokaler Ebene? Welche sozialraumbezogenen Maßnahmen – zum Beispiel in Essen, Stichwort: Stadtentwicklung – beeinflussen das Umfeld der Kinder?
Es ist heute eben für die Zukunft eines Kindes nicht egal, in welchem Ortsteil von Gelsenkirchen, Duisburg oder Bielefeld es aufwächst. Es ist eben nicht selbstverständlich, ob es an einer Schule Lehrer mit einem kulturgleichen Hintergrund wie dem der Schüler gibt. Es ist heute eben nicht selbstverständlich, dass arme Kinder zu Klassenfahrten mitfahren oder Mitglied in einem Sportverein werden können.
Meine Damen und Herren, dass arme Kinder heute ein größeres Gesundheitsrisiko tragen und tendenziell ungesünder essen, fettleibiger sind, ist genauso eine Aufgabenstellung für den runden Tisch wie die Aufgabe des Aufbrechens von vererbter Armut, der besorgniserregende Trend „Working Poor“, aber auch die Stärkung ehrenamtlicher und selbsthilfeorientierter Initiativen.
Frühe familienbegleitende und präventive Maßnahmen können die Chancen der armen Kinder deutlich vergrößern. Kinder, deren Eltern die Unterstützung nicht geben können oder vielleicht auch nicht geben wollen, benötigen unsere gesellschaftliche Unterstützung und initiative Hilfe.
Meine sehr verehrten Zuhörerinnen und Zuhörer, bei Hilfen für Kinder in Not geht es nicht nur um Geldmangel in den Familien, sondern genauso um
Bildungsmangel und Bewegungsmangel, insbesondere aber auch um emotionalen Mangel und seelische Armut.
Die Chancen für Kinder in unserem Land – das zeigt der heutige Zwischenbericht der Landesregierung – haben sich seit 2005 verbessert. Darauf können wir nach vielen Jahren einer Negativspirale stolz verweisen.
Das gehört zur Wahrheit. Genauso gehört aber zur Wahrheit, dass noch viel zu tun bleibt. Deshalb gilt: Kinder sind uns willkommen. Sie müssen dies auch spüren. – Ich danke Ihnen.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Altenkamp, Ihr Fazit am Ende Ihres Debattenbeitrags zur Kinderarmut lautete, die Große Koalition in Berlin habe keine Kraft mehr. In dieser Einschätzung sind wir uns einig. Ich würde sogar hinzufügen: Auch die soziale Gerechtigkeit ist verloren gegangen.
(Sören Link [SPD]: So etwas aus dem Munde eines FDP-Abgeordneten? Das ist ja lächer- lich! Gerade Sie müssen sich da melden!)
Ja, genau ich sage das. Schauen Sie sich doch einmal die Tagespresse von heute an. Die „Westfälischen Nachrichten“ titeln in ihrer heutigen Ausgabe, der Kinderbonus entpuppe sich als Mogelpackung. Die entsprechenden Regelungen beruhen auf dem Konjunkturpaket der Großen Koalition. Federführend dabei war Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, meines Wissens immer noch fest in der nordrhein-westfälischen SPD verwurzelt.
Im entsprechenden Artikel wird berichtet, dass der Kinderbonus bei Alleinerziehenden nicht komplett ankomme, sondern mit dem Unterhalt aufgerechnet werden könne, sodass eine alleinerziehende Mutter letzten Endes nur noch 50 € erhalte. Außerdem sei es ein großer Fehler, den Kinderbonus mit dem Kinderfreibetrag zu verrechnen. Ab einem gemeinsamen Jahreseinkommen von 67.000 € bleibe Verheirateten überhaupt nichts mehr von dem Kinderbonus übrig, und auch schon vor Erreichen dieser Grenze verschwinde er durch die Hand von Peer Steinbrück teilweise.
Mit dieser „Ernsthaftigkeit“ gehen Sozialdemokraten in der aktuellen Konjunkturkrise mit Kindern um. Das löst auch sozialen Neid aus. Man braucht sich nur einmal umzuhören. Die gerade angesprochene alleinerziehende Mutter sieht nämlich, dass ihre Nachbarn, Doppelverdiener ohne Kinder, ihren alten Mercedes mit einem staatlichen Zuschuss von
2.500 € gegen einen neuen eintauschen. Diese Geschichte stammt nicht aus der Utopie, sondern aus meiner Nachbarschaft. Daran wird deutlich, wie ernst Sie die soziale Gerechtigkeit nehmen, wie ernst Sozialdemokraten in Bundesverantwortung Kinderarmut wirklich nehmen.
In Nordrhein-Westfalen gibt es leider zahlreiche Kinder, die aufgrund ihrer sozialen Herkunft ganz unmittelbar vom Problem der Armut betroffen sind. Sie leiden nicht nur unter den materiellen Einschränkungen, sondern auch unter sozialer Not. Anders gesagt: Sie leiden häufig an einem Mangel an Wärme und Zuwendung. Sie bekommen nicht die Unterstützung, die sie brauchen, um ein gesundes Selbstbewusstsein zu entwickeln. Sie sind häufig allein und sehen sich an den Rand der Gesellschaft gedrängt. – Es ist schwer für sie, sich aus diesem Milieu zu befreien, wenn sie älter werden. Die Gründe für diese Situation sind ebenso vielfältig und komplex wie die Gründe, die zur Armut ihrer Eltern und damit auch zur Armut dieser Kinder beitragen.
Erschreckend ist die Tatsache, dass vor allem Familien mit Kindern von einem erhöhten Armutsrisiko betroffen sind. Dieses Problem haben wir hier im Landtag im Zusammenhang mit den Debatten zum Sozialgesetzbuch II schon mehrfach diskutiert. Ein besonderes Risiko für Kinderarmut ist bekanntlich die Erwerbslosigkeit der Eltern. Kinder, die mit einem Elternteil aufwachsen, sind ebenfalls gefährdet. Das Gleiche gilt für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte – und das sind mittlerweile immerhin ein Drittel der nordrhein-westfälischen Kinder. Auffallend ist, dass das Armutsrisiko bei einem Einzelkind bei 16,2 % und bei zwei Geschwisterkindern bei rund 36 % liegt. Kinder, die bei nur einem Elternteil aufwachsen, haben sogar ein Armutsrisiko von über 42 %.
Insgesamt leben in Nordrhein-Westfalen 776.000 Kinder und Jugendliche in einem einkommensarmen Elternhaus. Diese Kinder kennen häufig keine regelmäßigen warmen Mahlzeiten. Sie werden kaum dazu ermutigt, in der Gemeinschaft mit anderen Kindern Sport zu treiben, und erfahren zum Teil auf vielfältige Weise Vernachlässigung, manchmal sogar Gewalt.
Der Handlungsbedarf der Politik, aber auch der Gesellschaft ist enorm. Die genannten Problemfelder erweisen sich als tickende Zeitbomben, die man nicht ignorieren darf. Die Folgeprobleme kindlicher Armut kennen wir alle.
Um dieser Problematik Herr zu werden, sind Einzelmaßnahmen aus naheliegenden Gründen wirkungslos. Auch ist es nicht hilfreich, in den unterschiedlichen Politikbereichen Initiativen aufzulegen, die nebeneinander existieren, aber nicht aufeinander abgestimmt sind.
Vor diesem Hintergrund war die Strategie der Landesregierung richtig, einen runden Tisch einzurichten, an dem alle Ministerien beteiligt sind, um die Maßnahmen in den verschiedenen Ressorts zu einem Gesamtkonzept zu bündeln. Mit dieser vernetzten Strategie hat die Landesregierung bereits auf dem Feld der Menschen mit Behinderungen gute Erfahrungen gemacht. Ich erinnere an das Programm „Teilhabe für alle“. Die Ziele der Landesregierung beim runden Tisch reichen von der Verbesserung der Bildungschancen über die Förderung der gesundheitlichen Prävention vor allem im Bereich der Ernähung und Früherkennung bis hin zur Verhinderung und Bekämpfung von Arbeitslosigkeit bei den Eltern, aber gerade auch bei den Jugendlichen.
Kinder aus sozial benachteiligten Familien benötigen gezielte Angebote der Gesundheitsförderung und der Prävention. Dazu gehört beispielsweise die Landesinitiative zur Prävention von Übergewicht bei Kindern, mit der das Ziel verfolgt wird, die Bewegungsfähigkeit von Kindern in Kindergärten und Kitas zu verbessern. Für Kinder und Jugendliche, die bereits an Übergewicht leiden, wurde die Initiative „schwer mobil“ in Kooperation mit Sportvereinen ins Leben gerufen. Dabei geht es darum, Freude an der Bewegung und am gesunden Essen gleichermaßen zu wecken.
Damit Fälle von Kindervernachlässigung und Kindesgefährdung verhindert werden, sind soziale Frühwarnsysteme in den Kommunen unerlässlich. Zu diesem Zweck hat die Landesregierung allen Jugendamtsbezirken eine Anschubfinanzierung ermöglicht.
Ein weiteres Element des Kinderschutzes sind die verbindlichen Vorsorgeuntersuchungen, die über die positive Meldepflicht für Ärzte im Rahmen des Heilberufegesetzes sichergestellt werden. Durch einen Abgleich mit den Melderegistern werden die Kinder, die nicht untersucht wurden, identifiziert. Den Abgleich der Daten übernimmt das Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit.
Die Landesregierung hat bekanntlich die Verhinderung von Jugendarbeitslosigkeit zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeitsmarktpolitik gemacht. Das unterstützen wir als regierungstragende Fraktion, weil es ein effektiver Weg ist, Armutsbekämpfung wirklich zu leisten.
Ich nenne noch einmal das – wirklich erfolgreiche – „Werkstattjahr“ für benachteiligte junge Menschen in diesem Land, das auch der dritte Weg zur Berufsausbildung sein kann. Eine Erwähnung verdient ebenfalls das Projekt zur Förderung der Berufsfähigkeit an Förderschulen für Schüler mit Lern- und Entwicklungsstörungen, in dem Sozialpädagogen und Handwerker gemeinsam zum Einsatz kommen, um diese Kinder zu stützen.
Natürlich spielen auch Transferleistungen bei der Verhinderung von Kinderarmut eine wichtige Rolle. Auf Initiative von Nordrhein-Westfalen hat der Bundesrat 2008 eine Entschließung mit dem Ziel formuliert, eine Berücksichtigung des kinderspezifischen Bedarfes bei der Bemessung der Regelleistungen im Sozialgesetzbuch zu erreichen. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, die Regelleistungen für Kinder neu zu bemessen und die spezielle Erfassung des Kinderbedarfes vorzusehen.
Außerdem soll es zusätzliche Leistungen für Kinder im SGB-II- und SGB-XII-Bezug geben, damit diese mehr Mittel erhalten, um Gebrauchs- und Unterrichtsmaterialien zu erwerben. Wenn dies umgesetzt wird, ist auch dies ein weiterer Beitrag zur Verbesserung der Bildung und damit auch der Chancengleichheit.
Mein Fazit lautet: Soziale Politik lässt sich nicht alleine an materiellen Wohltaten messen. Eine wahrhaft soziale Politik verdient ihren Namen erst, wenn sie den größten Teil ihres Engagements dafür einsetzt, um Armut und speziell Kinderarmut erst gar nicht entstehen zu lassen, wenn sie durch angemessene Rahmenbedingungen Gestaltungsräume für Bürger eröffnet, und zwar in jedem Lebensalter, wenn sie ermutigend wirkt, wenn sie Hilfe zur Selbsthilfe leistet, statt zu entmündigen, und wenn sie die Interessen und die Fähigkeiten der Einzelnen wirklich berücksichtigt und zugleich einen Beitrag dazu leistet, um die Solidarität unter den Menschen in der Gesellschaft zu stärken.
In diesem Sinne wünsche ich im Namen der FDPFraktion der Landesregierung viel Erfolg für ihre wichtige Arbeit für Kinder in Not.
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Romberg. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Frau Kollegin Steffens.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte eines sagen: Mich hat die Begriffswahl „runder Tisch“ irritiert. Denn ein runder Tisch symbolisiert eigentlich, dass man nicht im eigenen Saft schmort, sondern sich Experten- und Expertinnenrat von draußen holt,
dass man die Akteure innerhalb der Gesellschaft an diesen runden Tisch holt und diese mit Politik verbindet.
Denn wenn ein runder Tisch folgen würde, wird vieles von dem, was heute in dem Bericht steht, so nicht mehr im Bericht stehen, weil die Experten im Land es ein Stückchen anders oder sehr viel präziser sehen und andere Ansätze fordern würden. Deshalb hoffe ich, dass der eigene Saft aufgefrischt wird und sehr viele Verbände und Initiativen beteiligt werden.