Wenn Sie sich zurückziehen und das in die kommunale Verantwortung der örtlichen Jugendhilfe legen – das tun Sie mit dem KiBiz –, dann ist völlig klar, dass solche Dinge wie in meiner Heimatstadt passieren. Meine Heimatstadt hat beschlossen, dass es keine sozialen Brennpunkte mehr gibt. In der Folge gibt es zum Beispiel auch keine besondere Förderung für Kindertageseinrichtungen in sozialen Brennpunkten mehr. Sie können das als contra legem bezeichnen, es aber auch nicht ändern.
Ganz genauso können Sie auch keinen Einfluss darauf nehmen, in welchen Stadtteilen es tatsächlich Familienzentren gibt. Sie haben die Hoffnung, dass die Kommunen so schlau sind, sie an der richtigen Stelle einzurichten. Das ist eben nicht so. Kommen Sie in meine Heimatstadt, dann kann ich Ihnen vorführen, dass das nicht der Fall ist.
3.122 Lehrerstellen werden geschaffen. Führen diese zu einer besseren, individualisierten Förderung insbesondere von armen Kindern? Die Frage muss doch erlaubt sein. Wird die Notlage von ar
men Kindern verbessert, wenn die Lehrerstellen noch nicht einmal an den Schulstandorten landen, die besonders viele arme Kinder in ihren Klassen haben? Sie fördern mit der Gießkanne. Sie fördern Quantität vor Qualität und stellen das in Ihrem Bericht auch dar. Strukturelle Disparitäten können Sie zumindest mit diesen Maßnahmen nicht überwinden.
In diesem Bericht haben Sie relativ wahllos Maßnahmen zusammengeklaubt, die etwas mit Kindern oder Kinderarmut zu tun haben können. Ob Sie die Kinder von armen Familien aber auch erreichen, bleibt in Ihrem Bericht völlig offen.
Nehmen wir einmal ein Projekt wie JeKi – jedem Kind ein Instrument. Bis heute kann ich nicht verstehen, warum das Instrument, das die Kinder in sich tragen, nämlich die Stimme, nicht besonders gefördert worden ist. In der Praxis nehmen nachweisbar gerade Kinder aus armen Familien nicht an diesem Projekt teil, weil schon 40 € Leihgebühr für ein Instrument und ein Kostenanteil für einen Musiklehrer in armen Familien nicht aufzubringen sind.
Die Möglichkeit, sich Zuschüsse vom örtlichen Sozialhilfe- oder Jugendhilfeträger zu besorgen, ist schon eine Form der Stigmatisierung, die viele Familien scheuen.
Das gleiche gilt für das Muse-Projekt. Ich bezweifle nicht, dass Musik in den Kindern etwas auslösen und eine erhebliche soziale Integrationsfähigkeit zur Folge haben kann. Muse ist ein wirklich gutes Projekt. Ich sitze aber vor Kindern, die vor drei Jahren an dem Projekt Muse teilgenommen haben und heute keine Anschlussfinanzierung bekommen. Sie haben ihre Flöte abgegeben. Seitdem passiert nichts mehr. Das ist das Problem.
Wissen Sie, was Sie in diesen Kindern auslösen, wenn sich niemand mehr darum kümmert, ob das, was sie getan haben, erfolgreich war und wie es weitergeht?
Vor diesem Hintergrund sollten wir gemeinsam darauf achten, dass diese Projekte bei den Kindern ankommen, die sie benötigen. Sie müssen langfristig und nachhaltig wirken und die Kinder durchs Leben begleiten.
Lassen Sie mich kurz an den von Ihnen formulierten Leitzielen die Probleme Ihres Vorgehens aufzeigen. An dem Vortrag von Herrn Laumann wurde deutlich, dass wir Schwerpunkte setzen müssen. Ungleiches muss ungleich behandelt werden. Gerade Familien in schwierigen Sozialräumen brauchen mehr Hilfe und Förderung. Das geht zulasten der anderen Regionen im Land. Strukturelle Defizite können nur
dadurch aufgearbeitet werden, dass Sie benachteiligten Kindern in benachteiligten Sozialräumen besondere Förderung zukommen lassen.
Ich will Ihnen das beschreiben: In meiner Heimatstadt Essen sind 30 % der Kinder von Kinderarmut betroffen. Wenn Sie genau hinschauen, dann gibt es Sozialräume – die Untersuchung von ZEFIR hat Ihnen das vorgeführt –, in denen mehr als die Hälfte der Kinder in Kinderarmut leben und mehr als die Hälfte der Kinder in Familien mit Transferleistungsbezug leben. Es gibt Kindertageseinrichtungen, in denen für kein einziges Kind Elternbeiträge gezahlt werden.
Herr Laschet, an diese Stellen muss man auch wirklich herangehen. Bekommen diese Einrichtungen eine besondere Förderung? Nein, in meiner Heimatstadt ist das nicht der Fall.
Sie werden auch nichts daran ändern können. Deshalb sage ich noch einmal: Sie müssen Ungleiches ungleich behandeln. – Ihre Wähler wohnen nicht in den Sozialräumen, um die es geht. Aus diesem Grund werden Sie auf dem Land große Schwierigkeiten bekommen.
Sie wollen die lokalen Rahmenbedingungen verbessern und die Kommunen darin bestärken, integrierte Ansätze zu verwirklichen. Auf der anderen Seite haben Sie den Kommunen 1,84 Milliarden € entzogen. Geben Sie den Kommunen, was ihnen zusteht! Dann können insbesondere die strukturschwachen Kommunen im Ruhrgebiet eine bessere Sozialpolitik betreiben.
Nun holen Sie Experten an den runden Tisch. Um ehrlich zu sein, habe ich den Eindruck, ein bisschen Expertenwissen könnte helfen. Ich kann Ihnen meine Mithilfe anbieten. Mein Verein – der Verein für Kinder- und Jugendarbeit in sozialen Brennpunkten – wird im nächsten Jahr 40 Jahre alt. Glauben Sie mir, dieser Verein weiß sehr gut, wo diese Menschen leben und wie man sie erreicht. Es geht nämlich darum, anzuerkennen, dass sie am Ende das Allerbeste für ihre Kinder wollen. Es gibt aber erhebliche Schwierigkeiten, das Allerbeste für sie zu bekommen und sie zu erreichen. Es geht darum, dass man diesen Menschen mit Vertrauen und Zutrauen entgegentritt und ihnen dabei hilft, sich selbst zu organisieren und ihren Kindern zu helfen. Das sind die entscheidenden Punkte.
Alle Wohlfahrtsverbände haben Forderungen nach anderer, systematischer und struktureller Prävention formuliert. Die Frage ist: Machen Sie sich diese Forderungen zu eigen, wenn Sie sie an den runden Tisch holen, und machen Sie sich vor allem die Konsequenzen für die Finanzierung zu eigen oder nicht?
Zu den Regelsätzen für Kinder haben Sie schon gesagt, Sie haben einiges erreicht. In der Zwischenzeit hat das Bundesverfassungsgericht deutlich gemacht, wie die Regelsätze für Kinder zu verstehen sind. Sie können nämlich eben nicht als 60 % von dem abgeleitet werden, was ein Erwachsener benötigt. Dies ist die völlig richtige Denkweise. Die Frage ist nur, was aus Ihren Bundesratinitiativen von Mai und November des letzten Jahres wird, die dort jetzt wie Blei liegen. Gehen Sie mit uns gemeinsam voran! Oder steht zu befürchten, dass Teile der Großen Koalition in Berlin und Sie nicht mehr die Kraft haben, tatsächlich im Sinne der Kinder in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland etwas zu verbessern? – Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Mehr Chancengerechtigkeit und Teilhabe für alle Kinder in unserem Bundesland zu schaffen, ist ohne Zweifel ein herausforderndes Thema. Wir, die CDU-Landtagsfraktion, sind der Landesregierung deshalb dankbar, dass sie uns einen Zwischenbericht zum runden Tisch „Hilfe für Kinder in Not“ vorlegt und damit gleichzeitig dokumentiert, dass sie mit dem Weg zum kinderfreundlichsten Bundesland und mit dem Weg einer kontinuierlichen Verbesserung Ernst macht, um Armutsrisiken bei Kindern zu reduzieren und Bildungs- und Lebenschancen zu verbessern.
Die von Minister Karl-Josef Laumann dargestellten vielfältigen Initiativen und Maßnahmen machen deutlich, dass es seit der zweiten Jahreshälfte 2005 einen Paradigmenwechsel in der Politik des Landes Nordrhein-Westfalen gegeben hat, der unter CDUFührung die Bekämpfung von Kinderarmut nicht nur als Querschnittsaufgabe sieht, sondern dafür sorgt, dass hier auch sehr konkret und initiativ gehandelt wird.
Der Sozialbericht 2007 basiert auf der Datenbasis des Jahres 2005 und stellt damit einen Abschlussbericht der alten Landesregierung dar; daran darf ich noch einmal erinnern. In dem Bericht wurde ressortübergreifend die Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen beschrieben und aufgearbeitet. Dadurch liegt jetzt eine gute Bestandsaufnahme vor, die offen und transparent am runden Tisch „Hilfe für Kinder in Not“ analysiert und weiterentwickelt werden muss.
Meine Damen und Herren, ein Bericht ist immer stichtagsbezogen. Bevor ich einige Beispiele unserer guten Arbeit hervorhebe, lassen Sie mich aus Gründen der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise
„Sozial ist, was Arbeit schafft.“ – Mit dieser Aussage sind wir im Jahr 2005 angetreten und haben mit der Wirtschaft zumindest dazu beigetragen, dass die Zahl der Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen zugenommen hat, dass die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze gestiegen ist und die Arbeitslosigkeit deutlich reduziert werden konnte. Wirtschafts- und Sozialpolitik sind eben zwei Seiten einer Medaille.
Merken wir uns: Jeder Arbeitsplatz für ein Familienmitglied – ob Vater oder Mutter – trägt dazu bei, Armutsrisiken von Kindern zu reduzieren.
Durch die Finanz- und Wirtschaftskrise, die mittlerweile in der realen Wirtschaft angekommen ist, müssen wir landesweit feststellen, dass die Zahl der Leiharbeitsverträge zurückgeht, dass befristete Verträge nicht verlängert und neue Verträge als Erstes gekündigt werden, dass Kurzarbeit dramatisch zunimmt und die Arbeitslosigkeit wieder steigt.
Sie alle wissen, dass hierfür keine Bundes- oder Landesregierung verantwortlich gemacht werden kann. Betroffen von dieser Entwicklung sind oft junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und damit häufig auch junge Familien mit Kindern. Besonders die dürfen uns nicht egal sein.
Deshalb, meine Damen und Herren, hat die weitere Entwicklung des runden Tisches „Hilfe für Kinder in Not“ erhebliche Bedeutung für die Menschen in unserem Land. Deshalb bin ich froh, dass der runde Tisch jetzt erweitert wird. Deshalb bin ich froh, dass wir uns dort Rat und Unterstützung von externen Experten einholen. Es ist gut, dass wir diese Experten haben.
Auch die Enquetekommission „Chancen für Kinder“ hat sich als parlamentarische Initiative mit den Themen Bildung, Erziehung, Betreuung und Armut intensiv auseinandergesetzt. Ich betone: Eine parlamentarische Initiative! Sie hat wichtige Erkenntnisse gesammelt und – basierend auf Beratungen – Handlungsempfehlungen ausgesprochen. Sowohl das Parlament in seiner Gesamtheit als auch die Landesregierung sind also willens, die Problematik von Kindern in Not nicht mehr zu verschweigen, sondern aktiv anzugehen. Das sind aus meiner Sicht gute Voraussetzungen.
Die Sozialberichterstattung fordert uns auf, konsequent zu handeln. Meines Erachtens sollten wir das in dem Bewusstsein tun, dass der Weg das Ziel ist und ständige Verbesserung besser ist, als auf einen Idealzustand zu warten.
Meine Damen und Herren, es darf uns nicht egal sein, dass fast jedes vierte Kind in NordrheinWestfalen von Armut betroffen oder bedroht ist. Deshalb ist es gut, wenn wir bei der Lösung dieser gesellschaftlichen Aufgabe in Verantwortung handeln und kompetente Partner haben, die bereit sind, sich explizit einzubringen. Spontan fallen mir dabei die katholische Kirche genauso wie die drei evangelischen Landeskirchen ein, die sich aktuell alle mit der Thematik auseinandersetzen und mit denen wir eng zusammenarbeiten werden.
Ich bin der AWO genauso dankbar wie unzähligen privaten Initiativen, Nachbarschaften oder dem Kinderschutzbund, der – örtlich verankert und oft still – eine unschätzbare Arbeit leistet. Ob örtliche Tafel, Rotes Kreuz, Caritas, Wohlfahrtsverbände oder zum Beispiel die Sportvereine – viele tragen dazu bei, dass Armut gemindert oder sogar verhindert wird. Ob Landesarbeitsgemeinschaft der Familienverbände, ob Wissenschaft oder viele Stiftungen wie zum Beispiel die Bertelsmann Stiftung, alle stellen sich diesem Thema. Das sollte uns Mut machen: Es gibt diese Solidarität, die wir brauchen, und sie ist weit verbreitet!
Wir – damit meine ich jetzt die politisch Verantwortlichen aller demokratischen Parteien – müssen auf allen politischen Ebenen, vom Bund über das Land bis zur kommunalen Ebene, alles dafür tun, dass dieser Prozess gelingt. Die seit über 20 Jahren feststellbare defizitäre gesellschaftliche Entwicklung kann nur gemeinsam angegangen werden. Die Beseitigung von Kinderarmut oder die Hilfe für Kinder in Not ist kein Feld für politische Profilierung, sondern eine gesellschaftliche Gemeinschaftsaufgabe.
Dazu gehört auch, dass sich Arbeitgeber und Gewerkschaften gemeinsam und in großer Verantwortung dafür einsetzen, dass Familien mit Kindern Beschäftigung haben und familiengerechte Arbeitszeiten genauso selbstverständlich sind wie eine lebensauskömmliche Entlohnung.