Protocol of the Session on February 12, 2009

Besonders hoch ist die Abbrecherquote dort, wo die Nachwuchsprobleme am größten sind, nämlich in den Fächern Maschinenbau und Elektrotechnik. Hier werden negative Rekorddurchschnittszahlen von 34 und 33 % erreicht. Das ist schlecht für die Wirtschaft, meine Damen und Herren, und schlecht für Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deshalb kann man nur die Bundesländer beglückwünschen, die bereits mit wirkungsvollen Programmen gegen den Studienabbruch in den MINTFächern gestartet sind. Schauen Sie sich allein Bayern an, Herr Minister Pinkwart und Herr Lindner: Hier hat es eine Kooperation zwischen der Wirtschaft und zehn Hochschulen gegeben, die zu ganz konkreten Projekten an den Hochschulen geführt hat. Insbesondere beim Übergang von der Schule zur Hochschule wird hier nachgesteuert. Mehr Beratung, mehr Einblick in die Praxis schon vor dem Studium und gezielte Auswahlgespräche haben zum Beispiel …

(Christian Lindner [FDP]: Das machen wir doch alles!)

Hier klappt doch gar nichts, Herr Lindner.

(Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart: Aber Frau Seidl!)

Wir haben doch heute Morgen über die Aufnahme des Studiums und die Abbrecherquoten diskutiert.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

… an der Maximilians-Universität München zu einer deutlichen Minimierung der Abbrecherzahlen geführt.

Die nordrhein-westfälische Landesregierung ist dagegen im Rahmen ihrer Möglichkeiten bei der Hochschulsteuerung so gut wie gar nicht initiativ geworden. Das ist auch in der von uns beantragten Anhörung zum Fachkräftemangel überdeutlich geworden.

Ich zitiere aus dieser Anhörung: Pilotprojekte auf lokaler Ebene alleine reichen nicht aus. „Nun fehlt nur noch eine zentrale, über das Land gesteuerte Plattform,“ wenn es zum Beispiel um die Förderung des Technikunterrichts in Schulen geht, sagt uns Klaus Trimborn vom IST in Bochum – das ist das Innovationszentrum Schule-Technik –, übrigens ein sehr guter Vortrag.

Ein weiteres Zitat: „Machen Sie aus dem Ganzen einen Exzellenzauftrag, weibliche Fachkräfte zu gewinnen.“

(Beifall von den GRÜNEN)

„Tun Sie dies entsprechend für ältere Fachkräfte und Menschen aus anderen Kulturen“, lautet die Forderung von Prof. Barbara Schwarze vom Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit vor Kurzem in der Anhörung.

Ein weiteres Zitat von Prof. Kriegesmann, IAI: „Mein Votum lautet, … die Professionalisierung dualer Studienangebote sehr stark zu forcieren, um den Rückstand zu den anderen Bundesländern wie zum Beispiel Sachsen aufzuholen.“

Das alles wurde gesagt, nachdem wir Ihnen unsere Anträge vorgelegt haben. Wir vermissen in diesem Zusammenhang, Herr Minister Pinkwart, einen Masterplan, ein Konzept, das die wichtigsten Maßnahmen zur Behebung des Fachkräftemangels auf Landesebene bündelt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deshalb fordern wir Sie heute auf: Optimieren Sie den Übergang von der Schule zur Hochschule! Verbessern Sie die Ausstattung der Hochschulen, und schaffen Sie zusätzliche Studienplätze insbesondere mit Blick auf die Studienberechtigtenzahlen und den doppelten Abiturjahrgang 2013! Schaffen Sie ein bedarfsgerechtes Netz dualer und kooperativer Studienangebote, bei denen eine betriebliche Ausbildung zeitgleich mit einem Studium stattfindet! Verringern Sie vor allem aber auch die Studienabbrecherquoten in den MINT-Fächern!

(Beifall von den GRÜNEN)

Last, not least: Erhöhen Sie die Attraktivität technischer Studiengänge insbesondere für junge Frauen!

Reagieren Sie doch endlich einmal auf unsere Forderungen zum Abbau der sozialen Hürden, die wir Ihnen immer wieder vortragen. Schaffen Sie die Studiengebühren ab und entwickeln stattdessen ein am tatsächlichen Bedarf orientiertes Stipendiensystem.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn Sie wollen, dass zukünftig mehr junge Menschen in Nordrhein-Westfalen ein Hochschulstudium aufnehmen und erfolgreich abschließen, dann liegt es an Ihnen, die Doppelbelastung von Erwerbstätigkeit und Studium deutlich zu reduzieren. – Danke sehr.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Dr. Seidl. – Für die SPD-Fraktion erhält Frau Dr. Boos das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Wenn wir vom Fachkräftemangel reden, haben wir zumeist das Bild von fehlenden Ingenieuren im Kopf, von zu wenig gut ausgebildeten Männern und Frauen in technischen Berufen. In der Ausbildung und speziell im Studium sind es im Wesentlichen die MINT-Fächer – Mathematik, Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften und Technik –, in denen die Studierenden fehlen und es zu wenige Absolventen gibt. Die Zahlen geben dieser These recht: Deutschland ist in den kommenden Jahren nicht mehr in der Lage, ausscheidende Ingenieure und Naturwissenschaftler selbst zu ersetzen. Schon 2007 gab es ca. 70.000 Stellen, die nicht besetzt

werden konnten, so der Verein Deutscher Ingenieure.

Fachkräftemangel hat aber auch noch eine andere Dimension, die wir nicht vergessen dürfen. Diese Dimension hat wenig mit dem Sektor der industriellen Produktion zu tun, umso mehr aber mit dem Lebensgefühl der Menschen im Lande. So haben wir heute in vielen ländlichen Regionen bereits einen eklatanten Ärztemangel. Familienfreundliche Arbeitsbedingungen und gerechte Entlohnung sind insbesondere abseits von Großstädten nicht unbedingt mit dem Arztberuf verknüpft. Es ist aber gerade für die Bewohnerinnen und Bewohner kleinerer Gemeinden enorm wichtig, eine medizinische Grundversorgung vor Ort vorzufinden. In Notsituationen ist es umso wichtiger, einen Arzt oder eine Ärztin in der Nähe zu haben.

Dieses Beispiel macht deutlich, dass das Problem des Fachkräftemangels nicht nur den Wirtschaftssektor betrifft, sondern weitaus größere Dimensionen hat.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Es handelt sich um ein Thema, das unsere Entwicklung in NRW und in ganz Deutschland auf allen Ebenen betrifft. Dies ist ein Thema, mit dem wir uns auseinandersetzen und bei dem wir anpacken müssen.

Die Landesregierung legt die Hände in den Schoß und trifft sogar Maßnahmen, die den Fachkräftemangel mittel- und langfristig noch verschärfen. Sie werden uns gleich das Gegenteil erklären; das ist mir klar. Man fragt sich aber schon: Wieso haben wir einen solchen Fachkräftemangel?

Schauen wir uns einmal die aktuelle Ausgangslage an. Auf der einen Seite beginnen relativ gesehen immer weniger junge Menschen eines Jahrgangs ein Studium an einer Hochschule, obwohl die Zahl der Studienberechtigten steigt. Die Studierneigung sinkt also erheblich.

Die absoluten Zahlen sehen noch dramatischer aus. Im Jahr 2003 lag die Zahl der Studienberechtigten bei knapp 94.000, im Jahr 2007 bei 111.000. Die Zahl der Studienanfänger lag aber 2003 bei 82.000 und 2007 bei 78.000.

Die ebenfalls steigende Zahl der Studienabbrecher macht das Problem noch größer. Sie liegt viel zu hoch, nämlich bei ca. 25 %, und geht in den MINTFächern sogar in Richtung 40 %.

Was also machen die jungen Menschen, die die Schule mit der Möglichkeit verlassen, auf eine Universität oder Fachhochschule zu gehen, diese Möglichkeit aber nicht wahrnehmen? Der übergroße Teil von ihnen drängt auf den Ausbildungsmarkt und verschlechtert dort die Chancen von Absolventen der Haupt- und Realschulen auf einen Ausbildungsplatz ganz erheblich. Wir haben es hier mit einem

Verdrängungswettbewerb zu tun, in dem sich die Starken gegen die Schwachen durchsetzen.

Durch den bevorstehenden doppelten Abiturjahrgang wird diese Problematik noch verschärft. Dann werden noch mehr Abiturientinnen und Abiturienten in diesen Verdrängungswettbewerb eintreten. Das ist nicht nur für die Betroffenen schlimm, sondern im Endeffekt für alle.

Der Arbeitsmarkt braucht mehr gut ausgebildete junge Menschen, die entweder aus einer betrieblichen Ausbildung kommen oder über eine Hochschulbildung verfügen. Eine sinkende Studierneigung führt aber zu einem steigenden Fachkräftemangel.

Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels wird schon allein aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus ganz deutlich, dass wir uns eine unzureichende Ausbildung junger Menschen nicht leisten können.

Entsprechend ist, wie ich erläutert habe, das erste und beste Mittel gegen den Fachkräftemangel, Maßnahmen zu ergreifen, um die Quote der Studienberechtigten zu erhöhen – die dann aber auch ein Studium aufnehmen.

(Beifall von der SPD)

Dies gilt insbesondere, aber nicht nur für die natur- und ingenieurwissenschaftlichen Fächer.

Dazu gehört natürlich in allererster Linie eine Steigerung der Zahl der Studienplätze. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal die von Frau Seidl gerade genannten Zahlen unterstreichen. Die Landesregierung schafft es bisher nicht, die Zusagen aus dem Hochschulpakt I von 2007 umzusetzen, weshalb das Land zur Rückzahlung von Bundesmitteln verpflichtet werden kann. Anstelle der angestrebten 26.000 Plätze waren Ende letzten Jahres nur 2.603 Plätze neu ausgewiesen.

Um die Studierneigung zu steigern und gegen den Fachkräftemangel vorzugehen, ist nach Meinung der SPD-Fraktion ein groß angelegter Masterplan nötig. Frau Seidl hat schon Entsprechendes vorgetragen. Dieser Masterplan muss die verschiedenen problematischen Facetten aufgreifen, um die Probleme erfolgreich zu bekämpfen.

Dazu gehören unserer Meinung nach – diese Auffassung haben auch die Experten bei der Anhörung vertreten – fünf wesentliche Punkte, die ich im Folgenden kurz erläutern möchte.

Erstens. Wir müssen bereits in der Schule das Interesse für die Naturwissenschaften wecken. Dazu erscheint uns insbesondere die Wiedereinführung eines integrierten Unterrichtsfaches Naturwissenschaften sinnvoll.

(Beifall von der SPD – Christian Lindner [FDP]: Das Gegenteil!)

Das wurde in der Anhörung ebenfalls gesagt; Frau Seidl hat es gerade auch schon erwähnt.

(Christian Lindner [FDP]: Von Ihren Partei- gängern!)

Schließlich können dort die Zusammenhänge fächerübergreifend hergestellt und erläutert werden. Speziell für junge Frauen ist dies ein wichtiger Ansatz, um sich stärker mit Naturwissenschaften zu beschäftigen. Auch das ist in der Anhörung ganz deutlich geworden.